Der Bundesrat hat in seiner 874. Sitzung am 24. September 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission zur Durchführung der Strategie "Europa 2020" sowie in Erfüllung des Stockholmer Programms nunmehr einen Vorschlag zur effizienten Steuerung der Einreise und des Aufenthalts von drittstaatsangehörigen Saisonarbeitnehmern vorgelegt hat. Er hält die Einführung eines einheitlichen Verfahrens und die Anwendung einheitlicher Kriterien für die Zulassung dieses Personenkreises für ein geeignetes Mittel einer kontrollierten und bedarfsorientierten Zuwanderung angesichts ökonomischer und demografischer Entwicklungen. Er legt Wert auf die Wahrung der Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Regelung des Zugangs zu nationalen Arbeitsmärkten. Insoweit ist anzuerkennen, dass das Recht der Mitgliedstaaten auf Festlegung einer Zulassungsquote für Drittstaatsangehörige durch den Vorschlag nicht tangiert wird.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der in Deutschland bereits geltende rechtliche Rahmen für die saisonale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen grundsätzlich als gut austariert und angemessen flexibel angesehen wird. Es bedarf allenfalls einer geringfügigen Nachjustierung. Deshalb sollte bei den Verhandlungen über die Inhalte der vorgeschlagenen Richtlinie auf europäischer Ebene von der Bundesregierung darauf geachtet werden, dass die Regelungstiefe der vorgeschlagenen Richtlinie nicht über das zur Zweckerreichung erforderliche Maß hinausgeht und die Regelungen nicht dem bestehenden deutschen Rechtsrahmen zuwiderlaufen.
- 3. Der Richtlinienvorschlag ist aus Sicht des Bundesrates in einigen Punkten noch modifizierungsbedürftig, um das Ziel klarer und besser aufeinander abgestimmter Regelungen erreichen zu können. Aus diesem Grund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, in die Verhandlungen auf europäischer Ebene folgende Gesichtspunkte einzubringen:
- 4. Die in den Erläuterungen enthaltene Aussage, dass kein bindender Rechtsanspruch der Drittstaatsangehörigen auf Erteilung einer Erlaubnis geschaffen wird, sollte zur Klarstellung in den normsetzenden Teil des Richtlinienvorschlags aufgenommen werden. Hierzu könnte an geeigneter Stelle herausgestellt werden, dass über die Erteilung einer Erlaubnis nach Ermessen entschieden wird.
- 5. Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit zur Klarstellung, dass die Vorschriften über die Einholung von Visa von der Erteilung eines Aufenthaltstitels für Saisonarbeitnehmer unberührt bleiben.
- 6. Die in Artikel 9 Absatz 4 enthaltene Regelung, wonach der betreffende Mitgliedstaat den Drittstaatsangehörigen, deren Zulassungsantrag angenommen wurde, jede denkbare Erleichterung zur Erlangung der benötigten Visa gewährt, ist nach Auffassung des Bundesrates nicht nur zu unbestimmt, sondern geradezu überschießend in seiner Zielrichtung.
- 7. Der Bundesrat sieht zugunsten einer einheitlichen Bezeichnung der erteilten Erlaubnis einen redaktionellen Änderungsbedarf. In Artikel 3 Buchstabe d wird die Formulierung "Erlaubnis für Saisonarbeitnehmer" gewählt, während beispielsweise in Artikeln 10, 11 und 15 von einer "Saisonarbeitserlaubnis" die Rede ist. Zur Vermeidung von Missverständnissen sollte hier einheitlich die Bezeichnung "Aufenthaltserlaubnis für Saisonarbeitnehmer" verwendet werden. Für diese Formulierung spricht auch, dass die Kommission im Richtlinienvorschlag explizit von dem zusätzlichen Erfordernis einer Arbeitserlaubnis Abstand nimmt. Die vorgeschlagene Bezeichnung würde deutschem Recht entsprechen, wonach ebenfalls nicht "Arbeitserlaubnisse", sondern "Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung" erteilt werden.
- 8. Die im Rahmen der Verfahrensgarantien in Artikel 13 enthaltene Vorgabe, wonach über den Antrag innerhalb einer maximalen Verfahrensdauer von 30 Tagen nach vollständiger Antragstellung zu entscheiden ist, stellt aus Sicht des Bundesrates eine sachlich nicht gerechtfertigte kurze Bearbeitungsfrist dar. Ein Zeitraum von 90 Tagen, innerhalb dessen eine Entscheidung herbeizuführen ist, erscheint praxisgerechter und entspräche auch der Regelung in der Richtlinie 2009/50/EG ("EU Blue Card"). Die vorgesehene knappe Bearbeitungsfrist würde deshalb auch zu einer nicht vertretbaren Ungleichbehandlung von Anträgen anderer einreisewilliger Drittstaatsangehöriger führen.
- 9. Der Bundesrat spricht sich zudem für eine Klarstellung dahingehend aus, dass die Beantragung einer Erlaubnis für Saisonarbeitnehmer weder eine Genehmigungsfiktion noch einen Schadensersatzanspruch im Falle der Nichteinhaltung der Frist auslöst. Er bittet die Bundesregierung, in den Beratungen auf europäischer Ebene auf eine Ergänzung des Richtlinienvorschlags dahingehend hinzuwirken, dass sich die Folgen einer nicht fristgemäß ergangenen Entscheidung nach nationalem Recht bemessen.
- 10. Der Bundesrat regt ferner an, die in Artikel 13 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags enthaltene Verfahrensgarantie in Bezug auf Inhalt und Anfechtungsmöglichkeiten ablehnender Entscheidungen den entsprechenden Formulierungen in der Richtlinie 2009/50/EG ("EU Blue Card", dort Artikel 11 Absatz 3) anzupassen, um insoweit eine Kohärenz zu gewährleisten.
- 11. Um Missbrauchsmöglichkeiten vorbeugend begegnen zu können, aber auch um Entwicklungen auf dem nationalen Arbeitsmarkt Rechnung tragen zu können, hält der Bundesrat eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erteilung multisaisonaler Aufenthaltstitel mit einem Gültigkeitszeitraum von zwei Jahren für ausreichend. Die Einführung eines erleichterten Wiedereinreiseverfahrens wird unter dem Aspekt der Missbrauchsvermeidung kritisch betrachtet.
- 12. Angesichts des allgemeinen Konsenses unter den Mitgliedstaaten, eine unkontrollierte Migration zu vermeiden, hält der Bundesrat die Aufnahme einer Regelung in den normsetzenden Teil der Richtlinie für notwendig, wonach der Aufenthaltstitel nur für den Mitgliedstaat gilt, in dem er erteilt wird. Die in den Erläuterungen zu Artikel 15 enthaltenen Aussagen werden insoweit als nicht ausreichend erachtet.
- 13. Der Bundesrat spricht sich für den ausdrücklichen Ausschluss des Familiennachzuges im normsetzenden Teil des Vorschlags aus.
- 14. Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Statistiken zu erheben, im Rahmen eines noch als angemessen zu erachtenden Verwaltungsaufwandes halten muss. Die in der aktuellen Fassung des Artikels 18 geforderten Daten übersteigen diesen Rahmen, insbesondere im Hinblick auf die dort geforderte Aufschlüsselung. Der Bundesrat regt deswegen an, die Übermittlungspflicht auf die Anzahl der erteilten Aufenthaltstitel sowie auf die Staatsangehörigkeit zu beschränken.
- 15. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.