952. Sitzung des Bundesrates am 16. Dezember 2016
A
- 1. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, dem vom Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2016 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 104a Absatz 4 des Grundgesetzes zuzustimmen.
B
- 2. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt ferner, folgende Entschließung zu fassen:
Mit dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen Dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) vollzieht die Bundesregierung nun zum letztmöglichen Zeitpunkt einen weiteren Schritt der Pflegereform und führt den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das neue Begutachtungssystem auch in die Sozialhilfe ein. Damit verbunden sind weitreichende Veränderungen im Sozialhilferecht, die auch eine Neuausrichtung des Leistungsrechts der Hilfe zur Pflege mit Leistungsausweitungen und neuen Leistungen beinhalten.
Der Bundesrat hat bereits mit seinen Beschlüssen vom 25. September und 18. Dezember 2015 (vgl. BR-Drucksache 354/15 (PDF) und 567/15 (PDF) ) zum Zweiten Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II) deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die seit dem Jahr 2009 von den Ländern geforderte Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und das damit verbundene neue Begutachtungsverfahren ausdrücklich begrüßt werden. Insbesondere haben die Länder aber bereits im Rahmen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes auch ihr Unverständnis in Bezug auf die rechtssystematisch und sozialpolitisch nicht nachvollziehbare Entkoppelung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes hingewiesen, der in zwei Sozialgesetzbüchern - dem SGB XI als "Teilleistungssystem" und dem SGB XII als ergänzendes, "bedarfsdeckendes System" geregelt ist und durch zwei getrennte Gesetzgebungsverfahren (PSG II und PSG III) geändert werden soll. Zur Sicherstellung des nahtlosen Übergangs in das neue Leistungsrecht und zur Definition des Leistungsspektrums der Sozialhilfe einschließlich Abgrenzung zum SGB XI haben sie daher eine umgehende zeitnahe Umsetzung der grundlegenden pflegerechtlichen Änderungen auch im Sozialhilferecht gefordert.
Die Länder begrüßen ausdrücklich, dass der eingeleitete Perspektiven- und Paradigmenwechsel mit der Teilhabeorientierung in der Pflege nun auch in der Sozialhilfe Eingang findet und pflegebedürftige Menschen mit Einschränkungen in der Alltagskompetenz einbezogen werden. Damit wird auch einem dringenden sozialpolitischen Anliegen der Länder Rechnung getragen, pflegebedürftige Menschen im Leistungsbezug der Sozialhilfe gegenüber dem neuen Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht schlechter zu stellen. Die Länder bezweifeln allerdings die von der Bundesregierung prognostizierte Entlastung der Träger der Sozialhilfe. Eine solche Entlastung wird derzeit nicht als belegt und gesichert angesehen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass die Umsetzung des zweiten Artikels des PSG III mit der Gefahr von Mehrausgaben für die Träger der Sozialhilfe, das heißt insbesondere für die Kommunen verbunden ist.
Die finanziellen Gesamtfolgen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des neuen Leistungsspektrums bedürfen daher einer genauen Analyse und der nachvollziehbaren, auf valider Grundlage beruhenden Bezifferung und Begründung. Aus diesem Grund müssen die Auswirkungen auf die Sozialhilfe ab dem Jahr 2017 evaluiert werden.
Die Evaluationsklausel des § 18c SGB XI ist für die Feststellung der Kostenfolgen und der Ausgabenentwicklung in der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII nicht ausreichend, weil hiernach nicht zwingend auch die Auswirkungen auf das SGB XII untersucht werden müssen und Kostenfolgen für die Sozialhilfe überhaupt keinen Untersuchungsgegenstand darstellen.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, unter Beteiligung der Länder eine begleitende wissenschaftliche Evaluation zu beauftragen und dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat über die Ergebnisse dieser Untersuchung zu berichten. Im Rahmen der Evaluation sind insbesondere Auswirkungen hinsichtlich der folgenden Aspekte zu untersuchen:
- a) Brutto- und Nettoausgaben der Träger der Sozialhilfe für erbrachte Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII im Vergleich zu den jeweiligen Ausgaben des Jahres 2016;
- b) Verwaltungsausgaben der Träger der Sozialhilfe im Rahmen des Siebten Kapitels des SGB XII im Vergleich zu den Ausgaben des Jahres 2016;
- c) Entwicklung der Anzahl der Leistungsberechtigten im Rahmen des Siebten Kapitels des SGB XII nach Pflegegraden, Leistungsart und -umfang sowie Versichertenstatus;
- d) Entwicklung der Anzahl der Leistungsberechtigten, die sowohl Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel als auch Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII erhalten;
- e) Auswirkungen der Regelungen im SGB XI und SGB XII zur Abgrenzung der Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch sowie den Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege nach dem Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches.
Die Bundesregierung wird gebeten, einen Beirat zur Begleitung der Evaluation einzurichten, dem Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Länder, der Wissenschaft, des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales angehören.
Der Bericht über die Ergebnisse der Evaluation für die Jahre 2017 bis 2021 ist aus Sicht der Länder bis zum 30. Juni 2022 vorzulegen und zu veröffentlichen.
Für die Bundesregierung besteht hinsichtlich der geforderten Evaluation kein Risiko, da sie - von der Richtigkeit ihrer Berechnungen überzeugt - sogar unter Berücksichtigung der durchschnittlichen jährlichen Ausgabensteigerungen in der Hilfe zur Pflege im Ergebnis mit erheblichen Entlastungen der Träger der Sozialhilfe rechnet. Bei einem gegenteiligen Ergebnis der Evaluation erwarten die Länder, dass in weiteren Gesetzgebungsverfahren die im Rahmen der Umsetzung des PSG III von der Bundesregierung vorhergesagte Entlastung zugunsten der Träger der Sozialhilfe umgesetzt wird.