842. Sitzung des Bundesrates am 14. März 2008
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der globale Klimawandel ist eine ökologische, ökonomische und gesellschaftliche Herausforderung und eines der überragenden Themen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Eine breite Diskussion auf allen politischen Ebenen und in der Öffentlichkeit hierzu ist im Gange. Im Fokus dieser Diskussion steht neben anderen erheblichen Emissionsquellen auch der Straßenverkehr.
- 2. Auch der Bundesrat sieht im nachhaltigen Schutz des Klimas eine zentrale Aufgabe, die keinen Aufschub duldet. Nach seiner Auffassung sind weitere nachhaltige Anstrengungen zur stärkeren Energieeinsparung und damit auch zur Reduzierung von CO₂-Emissionen von Kraftfahrzeugen erforderlich, um dem Ziel eines effektiven Klimaschutzes gerecht zu werden.
- 3. Der Bundesrat unterstützt das Ziel des Kommissionsvorschlags, die CO₂-Emissionen von Personenkraftwagen als Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu reduzieren.
- 4. Der Bundesrat weist aber nachdrücklich darauf hin, dass die Belange des Klimaschutzes in Einklang mit anderen gewichtigen und berechtigten Interessen stehen müssen. Hierzu zählen die dauerhafte Mobilität der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und der deutschen Wirtschaft, die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Automobilindustrie einschließlich der damit verbundenen Arbeitsplätze sowie ein verantwortungsbewusster Umgang mit privaten und öffentlichen finanziellen Ressourcen.
- 5. Die Kommission hat in ihrer Mitteilung (KOM (2007) 19 endg.) am 7. Februar 2007 vorgeschlagen, die CO₂-Emissionen von neuen Kraftfahrzeugen ab 2012 auf durchschnittlich 120 g/km zu senken, wobei durch fahrzeugtechnische Maßnahmen 130 g/km sowie durch zusätzliche Maßnahmen eine weitere Reduzierung von 10 g/km erreicht werden soll. Sie kündigte an, dass der "rechtliche Rahmen für die Umsetzung des Durchschnittsziels für Neufahrzeuge so geartet sein wird, dass wettbewerbsmäßig neutrale, sozial ausgewogene und nachhaltige Verminderungsziele sichergestellt werden, die der Vielfalt der europäischen Automobilhersteller gerecht werden und die jegliche ungerechtfertigte Verzerrung der Konkurrenz zwischen Automobilherstellern vermeiden".
- 6. Nach Auffassung des Bundesrates genügt der nunmehr vorliegende Verordnungsvorschlag der Kommission den selbst gestellten Ansprüchen in keiner Weise.
- 7. Er wird weder den Zielen des Klimaschutzes gerecht, noch ist er aus volkswirtschaftlicher Sicht hinnehmbar. Auch berücksichtigt er den im Rahmen der Initiative "Cars 21" abgestimmten Integrierten Ansatz unzureichend.
- 8. Der Kommissionsvorschlag ist daher so zu verbessern, dass die CO₂-Reduzierungsverpflichtungen wettbewerbsneutral technisch machbar und klimaeffizient ausgestaltet werden. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass
- alle Fahrzeughersteller den ihnen zumutbaren Beitrag zu einer optimalen Reduzierung des gesamten CO₂-Ausstoßes von Pkw leisten müssen. Dies gilt vor allem auch für die volumenstarken kleineren Fahrzeuge, denn gerade hier liegen wegen der hohen Fahrzeugzahlen die größten, ökonomisch am besten erreichbaren Einsparpotenziale. Insoweit ist das von der Kommission vorgeschlagene CO₂-Regulierungsmodell mit einer Steigungskorrektur der linearen Funktion von 60 Prozent unerklärlich. Es belastet einseitig die Hersteller größerer Automobile, während die Einsparpotentiale kleinerer Fahrzeuge weitgehend ungenutzt bleiben. Die Steigungskorrektur ist daher im Sinne einer ausgewogenen Lastenverteilung zu modifizieren,
- 9. - ein technologieoffener Ansatz erforderlich ist, um den in Artikel 4 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen CO₂-Grenzwert in Verbindung mit der Berechnungsformel in Anhang I zu erreichen. Dafür soll den Herstellern ein Anreiz für weitere technologische Entwicklungen, die ebenfalls der Energieeinsparung und damit der CO₂-Minderung dienen, gegeben werden.
Dabei sind alle nachweisbaren Maßnahmen, auch solche, die über den integrierten Ansatz hinausgehen, bei der Erreichung des Grenzwerts anzurechnen.
Die deutsche Automobilindustrie sieht sich schon heute in der Lage, mit Hilfe intelligenter Fahrzeugtechnik weitere Potenziale zu nutzen, die vom vorliegenden Kommissionsvorschlag und von der angekündigten EU-Verordnung ("ergänzendes Maßnahmenpaket 10 g") nicht erfasst sind.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den weiteren Verhandlungen dafür einzusetzen, dass Mechanismen implementiert werden, die entsprechende Bemühungen der Hersteller würdigen,
- (bei Annahme entfällt Ziffer 10)
- 10. - ein technologieneutraler Ansatz erforderlich ist, der nicht nur fahrzeugtechnische Innovationen, sondern auch ergänzende Energiesparmaßnahmen umfasst
- (entfällt bei Annahme von Ziffer 9)
- 11. - jährliche Pönalen in Milliardenhöhe unakzeptabel sind. Sie schwächen die Investitionsfähigkeit und -stärke der Automobilindustrie, insbesondere der Premiumhersteller, unverantwortlich und verzerren den Wettbewerb massiv.
Auch muss die Verhältnismäßigkeit zu anderen Industrien im Klimaschutz gewahrt bleiben,
- 12. - die technische Realisierbarkeit der neuen Grenzwerte bis 2012 für die meisten Hersteller kaum möglich sein wird. Angesichts der langen Produktentwicklungszyklen von sieben Jahren und ihrer Umsetzung im Markt werden die meisten Automobilhersteller nicht in der Lage sein, ihre gesamten Flotten in dem noch verbleibenden Zeitraum den Vorgaben der Kommission anzupassen. Eine zeitlich gestaffelte Implementierung der neuen Grenzwerte ist daher erforderlich.
- 13. Der Bundesrat teilt nicht die im Finanzbogen von der Kommission dargestellte Erwartung, dass die in Artikel 7 des Verordnungsvorschlags vorgesehenen Abgaben wegen Emissionsüberschreitung nicht zu Einnahmen führen. Für viele Hersteller dürfte es schwierig werden, die Differenz zwischen den heutigen durchschnittlichen CO₂-Emissionen und den ab 2012 vorgesehenen Werten von 130 (120) g/km innerhalb des vom Verordnungsvorschlag vorgesehenen Zeitrahmens auszuräumen. Es ist deshalb mit Überschreitungsabgaben zu rechnen.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass im Falle der Realisierung der Verordnung statt eines Zuflusses an den allgemeinen EU-Haushalt eine Vereinnahmung in die nationalen Haushalte erfolgt.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 15)
- 15. Soweit die vorgesehenen Abgaben wegen Emissionsüberschreitung zu Einnahmen der EU führen, ist der Bundesrat der Auffassung, dass diese Gelder separiert und zweckgebunden eingesetzt werden sollen. Insoweit sollte Artikel 7 Abs. 5, wonach die Einnahmen in den Haushalt der EU einfließen sollen, modifiziert werden. Als Zweckbestimmung kommt insbesondere die Einrichtung neuer oder die finanzielle Aufstockung vorhandener Klimaschutzprogramme der Gemeinschaft in Betracht. Um den Überschreitungsabgaben den "Strafcharakter" zu nehmen, ist eine Zweckbindung für Klimaschutzprojekte sinnvoll.
Damit bestünde eine unmittelbare Verknüpfung mit dem übergeordneten Ziel der CO₂-Minderung. Die Hersteller werden gleichzeitig vor die Wahl gestellt, entweder zügig und wirkungsvoll in innovative Technik zu investieren, das heißt Forschung und Entwicklung pro Klimaschutz zu intensivieren, oder Überschreitungsabgaben in Kauf zu nehmen, die dann zumindest im Kontext zum Klimaschutz verbleiben.
- (entfällt bei Annahme von Ziffer 14)
- 16. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung um Prüfung und Stellungnahme gegenüber dem Bundesrat, welcher europarechtliche Kompetenztitel für den Erlass der Verordnung für die Einführung einer derartigen umweltschutzbezogenen und steuerähnlichen Abgabe einschlägig ist und ob die Mitgliedstaaten im EGV derartige Fälle vom Erfordernis der einstimmigen Annahme im Rat ausnehmen wollten.
- 17. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Position des Bundesrates in den nunmehr anstehenden Verhandlungen mit den anderen europäischen Partnern und der Kommission nachdrücklich zu vertreten. Nach seiner Auffassung müssen alle in Europa verantwortlichen Akteure ihren Beitrag zur Verminderung der CO₂-Emissionen im Straßenverkehr leisten. Nur so lassen sich die ehrgeizigen Klimaschutzziele bei gleichzeitiger Wahrung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie und ihrer Bedeutung für Exportstärke und Wohlstand in Europa erreichen.
- 18. Die deutsche Automobilindustrie (Hersteller und Zulieferer) ist eine Schlüsselbranche mit hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Sie ist mit deutlichem Abstand die umsatzstärkste Branche der deutschen Industrie (2006: 312 Mrd. Euro). Gleichzeitig ist sie auch mit rd. 780 000 Beschäftigten die zweitgrößte Branche; nach einem starken Anstieg in den vergangenen Jahren lag der Personalstamm konstant auf hohem Niveau. Beim Export erreichte sie mit einer Quote von kapp 60 Prozent einen weiteren Rekord in Folge und leistete gleichzeitig einen bedeutenden Beitrag zu Deutschlands Exportrekorden. Die deutsche Automobilindustrie gehört zu den bedeutendsten in Europa.
- 19. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Transparenz hinsichtlich der durch Personenkraftwagen verursachten CO₂-Emissionen durch gezielte Verbraucherinformationen verbessern will. Er hält es allerdings für angebracht, die geforderte Kennzeichnung, in welchem Maße die spezifischen CO₂-Emissionen des beworbenen Personenkraftwagens von der gemäß Anhang I bestimmten Zielvorgabe für die spezifischen Emissionen des betreffenden Personenkraftwagens abweichen zu überarbeiten. Anstelle dieses Vorschlags wird eine Kennzeichnung für zweckmäßiger erachtet, die in grafischer Form Fahrzeuge Energieeffizienzklassen zuordnet und dem Verbraucher somit auf einen Blick einen vergleichenden Überblick ermöglicht.
- 20. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
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- 21. Der Agrarausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.