Der Bundesrat hat in seiner 827. Sitzung am 3. November 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Ankündigung der Kommission, den in der Mitteilung thematisierten Aspekten auf Gemeinschaftsebene, etwa im Rahmen des Informations- und Erfahrungsaustauschs des Arbeitsprogramms "Bildung und Ausbildung 2010" oder des künftigen siebten Forschungsrahmenprogramms, weiterhin Beachtung zu schenken, zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat tritt weiterhin für die Durchführung eines verstärkten Informations- und Erfahrungsaustauschs auf europäischer Ebene hinsichtlich aller relevanten Aspekte der Bildungs- und Ausbildungssysteme der Mitgliedstaaten ein und begrüßt in diesem Zusammenhang in besonderem Maße den Austausch über bewährte Verfahren im Rahmen der peerlearning-Maßnahmen des Arbeitsprogramms. Die so gewonnenen Erkenntnisse können unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips sowie der eng gefassten Gemeinschaftskompetenzen im Bildungsbereich wertvolle Impulse für die Gestaltung der Bildungspolitiken der Mitgliedstaaten liefern und daher einen erheblichen europäischen Mehrwert darstellen.
- 3. In diesem Zusammenhang misst der Bundesrat belastbaren Ergebnissen der Bildungsforschung große Bedeutung zu. Bewertungen der Forschung durch etwaige Schlussfolgerungen für das Bildungswesen, für dessen Inhalte und Organisation aber stehen allein den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Verfassungsordnung zu.
- 4. Der Bundesrat verwahrt sich deshalb grundsätzlich gegen Einschätzungen und Wertungen der Kommission, welche die Struktur, die Organisation und die Finanzierungsmodalitäten der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten betreffen. Dies gilt auch für die Gestaltung des Lehrangebots.
- 5. Der Bundesrat fordert die in Artikel 149 EGV verankerte strikte Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Bildungssysteme nicht nur im Hinblick auf die Erstellung von Kommissionsmitteilungen, sondern auch für alle weiteren Ausprägungen der europäischen Bildungskooperation im EU-Kontext (Schlussfolgerungen, Entschließungen, Instrumente der offenen Methode der Koordinierung im Bildungsbereich wie Gemeinsame Zwischenberichte des Rates und der Kommission etc.). Insbesondere Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (so genannte gemischte Formel) sind nach den Klarstellungen des Vertrags von Maastricht hinsichtlich der Zuständigkeiten der EU nicht mehr erforderlich und können daher als Umgehung der klar abgegrenzten Zuständigkeiten nicht hingenommen werden.
- 6. Der Bundesrat teilt die Ansicht der Kommission, dass es möglich ist, die Effizienz der Bildungssysteme weiterhin zu steigern, und verweist auf die diesbezüglichen vielfältigen Bemühungen der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, die u. a. das in der Kommissionsmitteilung angesprochene verstärkte Augenmerk auf den Bereich der frühen kindlichen Erziehung sowie die Qualität der Lehrerbildung, stärkere Profilbildung und die Evaluation von Bildungseinrichtungen umfassen.
- 7. Der Bundesrat weist zu der in der Mitteilung geforderten "Gerechtigkeit der Bildungssysteme" darauf hin, dass die in der Bundesrepublik Deutschland für das Bildungswesen Verantwortlichen bestrebt sind, alle Jugendlichen entsprechend ihren Neigungen, Fähigkeiten und Begabungen bestmöglich zu fördern. Hierbei ist es Teil der Verantwortung, den zur Erreichung dieses Ziels bestmöglichen Weg im Wettbewerb mit anderen zu gestalten. Mit ihrer länderübergreifenden Qualitätsmessung und ihrer Effizienzinitiative stellen sich die Länder in der Bundesrepublik Deutschland den Herausforderungen um ein möglichst herausragendes Bildungswesen.
- 8. Die Bestrebungen der Kommission, gerechtere Startchancen für Kinder aus schlechten ökonomischen Verhältnissen zu erreichen, sind anzuerkennen. Der Bundesrat bittet aber die Bundesregierung, mit ihrer Stellungnahme darauf hinzuwirken, dass die Strategie zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit von vorn herein Gesichtspunkte der Geschlechtergerechtigkeit mit einbezieht. Dazu sind die je nach Geschlecht unterschiedlichen Hindernisse auf dem Weg zur Chancengerechtigkeit zu thematisieren und Maßnahmen zur Abhilfe aufzuzeigen. So brechen Jungen aus sozioökonomisch ungünstigen Verhältnissen in weit höherem Maße als Mädchen derselben Herkunft schulische Ausbildungsverhältnisse ab. Mädchen verringern ihre Bildungs- und Berufschancen demgegenüber durch die Einengung bei der Wahl der Ausbildungsgänge und Berufe.
- 9. Der Bundesrat bekräftigt unter Hinweis auf seine Stellungnahmen zur Finanzierung des Hochschulbereichs sowie zum Stipendien- und Darlehenswesen (BR-Drucksache 319/05(B) sowie BR-Drucksache 350/06(B) ), dass aus den Zielsetzungen von Lissabon zum Aufbau einer wissensbasierten Gesellschaft keine verbindlichen Vorgaben für den Hochschulbereich abgeleitet werden können, die von den Mitgliedstaaten umzusetzen wären, und betont, dass die EU über keinerlei Zuständigkeiten hinsichtlich der Finanzierung der Hochschulen in den Mitgliedstaaten verfügt und ihr daher keine Festlegungen über Prioritäten der nationalen Haushalte oder der Haushalte der Länder und Kommunen zustehen.
- 10. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, weil die Angelegenheit im Schwerpunkt die Gestaltung und die Bedingungen von Bildungsgängen in Schule und Hochschule betrifft und damit in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder fällt.