Der Bundesrat hat in seiner 957. Sitzung am 12. Mai 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass die Kommission sowohl ihre Regionalpolitik als auch die Förderung ländlicher Entwicklung zunehmend ziel- und ergebnisorientiert ausrichtet. Dazu bedarf es regionalisierter Statistiken. Territoriale Typologien für Europa können dieses Ziel unterstützen und werden in der Praxis auch schon angewandt.
- 2. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Festlegung territorialer Typologien für Europa und deren harmonisierte Anwendung für EU-Statistiken. Die Verknüpfung von geographischen und statistischen Merkmalen eröffnet neue Auswertungsmöglichkeiten für wirtschaftswissenschaftliche und -politische Fragestellungen.
- 3. Er unterstützt auch das zu beobachtende Bestreben der Kommission, EU-Interventionen, zum Beispiel im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik, stärker ziel- und effizienzorientiert auszurichten und die Ergebnisse indikatorenbasiert zu überwachen. Es ist vom Grundsatz her nachvollziehbar, dass stärker faktengestützte politische Interventionen einer entsprechenden statistischen Basis bedürfen.
- 4. Der Bundesrat kann jedoch dem Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1059/2003 - so genannte NUTS-Verordnung - derzeit nicht zustimmen, da die bisherigen Gebietseinheiten der NUTS-Verordnung grundlegende Bedeutung für die EU-Förderpolitik haben und in dem Vorschlag mögliche mittel- und langfristige Auswirkungen der Festlegung von territorialen Typologien auf die EU-Förderpolitik sowie auf zentrale Fragen der Raumordnung nicht ausreichend berücksichtigt scheinen. Anders als die bisher in der NUTS-Verordnung festgelegten Gebietseinheiten für die Statistik werden Typologien nicht nur für statistische Zwecke genutzt, sondern dienen üblicherweise auch als analytisches Werkzeug der Raumentwicklung und können so schnell politik- und förderrelevant werden. Sofern territoriale Typologien Eingang in die NUTS-Verordnung finden sollen, muss aber eine ausdrückliche Beschränkung auf rein statistische Zwecke erfolgen.
- 5. Da neue territoriale Typologien in hohem Maße politik- und förderrelevant sind und die Raumordnungskompetenz bei den Mitgliedstaaten liegt, müssten geeignete neue Typologien in einem intensiven Austausch mit den Mitgliedstaaten und den Regionen abgestimmt werden. Nur so kann die Subsidiarität gewährleistet werden. Dieser Diskussionsprozess hat bisher nicht stattgefunden.
- 6. Der Bundesrat lehnt das Anliegen der Kommission, gesonderte Durchführungsbefugnisse zur Schaffung von einheitlichen Bedingungen für die harmonisierte Anwendung der Typologien zu erhalten, ab. Delegierte Rechtsetzungsbefugnisse in diesem sensiblen Bereich bergen die Gefahr, dass die erforderlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und Regionen beschnitten werden.
- 7. Hinsichtlich der EU-Förderpolitik und insbesondere in Bezug auf die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) weist der Bundesrat eindringlich darauf hin, dass die NUTS-Verordnung der zentrale Bezugspunkt für die Fördermittelallokation ist. Es ist nicht absehbar, wie sich eine inhaltliche Veränderung/Erweiterung der Gebietskategorien beispielsweise auf die Fördermittelallokation und deren Distribution auswirken würde. Grundlegende Änderungen an ihrem Gegenstand haben jedoch immer das Potenzial, sich zumindest mittelbar auch auf die Zuweisung und den Einsatz der Mittel aus den ESI-Fonds auszuwirken. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, auch zu diesem Aspekt mit den Mitgliedstaaten und Regionen eine transparente und offene Diskussion zu führen.
- 8. Der Bundesrat befürchtet darüber hinaus, dass territoriale Differenzierungen unterhalb der NUTS 3-Ebene zu einer kleinräumigen Förderpolitik und letztlich zu einer eingeschränkten regionalen Flexibilität bei der Förderung führen könnten. Zudem darf nach seiner Auffassung die Aufnahme von territorialen Typologien in die NUTS-Verordnung keine territorial kleinteilige Steuerung des Einsatzes der ESI-Fonds durch die Kommission nach sich ziehen. Der große europäische Mehrwert der ESI-Fonds besteht darin, dass durch ihren Einsatz die zentralen EU-Politiken und -Prioritäten mit langfristigen Entwicklungsstrategien auf regionaler Ebene verbunden werden. So werden die strategischen Vorgaben der EU-Ebene angepasst an die Bedarfe und Potenziale vor Ort umgesetzt. Dieser europäische Mehrwert würde durch eine Einschränkung der regionalen Flexibilität beim Fördermitteleinsatz gefährdet.
- 9. Der Bundesrat ruft in Erinnerung, dass die Kompetenzen für die Raumordnung bei den Mitgliedstaaten liegen. Sofern überhaupt eine Festlegung von Typologien im Rahmen der NUTS-Verordnung erfolgen soll, muss diese auf einer Abgrenzung auf der Basis mitgliedstaatlicher Zusammenarbeit und Verabschiedung beruhen. Er bittet die Bundesregierung, die Länder in angemessener Weise in den Abstimmungsprozess der vorgeschlagenen Verordnung einzubeziehen. Der Bundesrat betont, dass die in dem jetzt vorliegenden Vorschlag der Kommission vorgesehenen territorialen Typologien partiell nicht mit bisher verwendeten nationalen und länderspezifischen Raumtypologien übereinstimmen. Es ist deshalb sicherzustellen, dass die Rechte der Länder, die jeweils geeigneten Raumtypologien festzulegen und raumrelevante Fördermittel unter Berücksichtigung dieser Typologien einzusetzen, im Rahmen der Subsidiarität gewahrt werden.
- 10. Der Bundesrat stellt zudem fest, dass die starke Fokussierung auf das Kriterium "Bevölkerungszahlen" die unterschiedlichen regionalen, geografischen und strukturellen Gegebenheiten unzureichend widerspiegelt. Eine EU-einheitliche Festlegung von territorialen Gebieten anhand von Bevölkerungszahlen wird daher den funktionalen, raumordnerischen und regionalentwicklungspolitischen Aspekten solcher Typologien nicht gerecht.
- 11. Schließlich ist im Rahmen der Festlegung neuer Gebietsabgrenzungen und damit verbundener statistischer Anforderungen auch der zusätzliche Erhebungsaufwand zu berücksichtigen, der in Abhängigkeit von den erforderlichen Merkmalen und insbesondere bei kleinräumiger Gliederung erheblich sein kann.
- 12. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.