Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren in der vorgelegten Fassung nicht akzeptiert werden kann.
Insbesondere
- - die Schaffung einer Finanzierungskompetenz für die Kosten gemeinsamer Einsätze (Anmietung von Material und Ausrüstung, Transportkosten),
- - die (Teil-) Finanzierung des Kapazitätenaufbaus in den Mitgliedstaaten und
- - die Schaffung gemeinschaftseigener Kapazitäten (Unterstützungsmodule) begegnen durchgreifenden Bedenken.
- 2. Der Bundesrat ist zunächst der Auffassung, dass der Vorschlag nur zum Teil mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Wohl können wichtige Ziele besser durch Maßnahmen der Gemeinschaft erreicht werden als durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Der Bundesrat bekräftigt insoweit die in seinem Beschluss vom 8. Juli 2005 - BR-Drucksache 318/05(B) - betreffend "Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Schaffung eines Krisenreaktions- und Vorbereitungsinstruments für Katastrophenfälle" vertretene Auffassung, dass die Notwendigkeit des Gemeinschaftshandelns nicht zwingend dargelegt ist. Dem nunmehr wiederholten Argument, Mittel auf mitgliedschaftlicher Ebene stünden nicht ausreichend zur Verfügung, hatte der Bundesrat seinerzeit entgegengehalten, dieses Argument könne auch dahin gehend ausgelegt werden, dass auf der Ebene der Mitgliedstaaten eine "Aufstockung" erfolgen müsse. Die Maßnahme ist deshalb aus der Sicht des Bundesrats unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips fragwürdig.
- 3. Aus der Sicht des Bundesrates ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, weil die verwaltungstechnischen Belastungen der Gemeinschaft sowie insbesondere der nationalen Behörden über das normale Maß hinausgehen.
- 4. Die unter der Überschrift "Beförderung" im einzelnen erläuterten Vorschläge widersprechen Ziffer 9 der Stellungnahme des Bundesrates vom 14. Mai 2004 (BR-Drucksache 280/04(B) ), mit der der Übernahme der Transportkosten eine Absage erteilt wurde. Aus Sicht des Bundesrates stellt sich zunächst die Frage, warum bezüglich des Transports vom allgemeinen Grundsatz abgewichen werden soll, dass die Kosten von dem zu unterstützenden Mitgliedstaat getragen werden.
Selbstverständlich bleibt es den Hilfe leistenden Staaten unbenommen, aufgrund der Bewertung der Gesamtsituation bei einer Katastrophe oder aufgrund gegenseitiger Vereinbarungen ganz oder teilweise auf Kostenerstattung zu verzichten, wie dies beispielsweise bei deutschen Hilfeleistungseinsätzen häufig der Fall ist. Eines zentralen Finanzierungsansatzes in der EU bedarf es insoweit nicht.
Es besteht hier letztlich die Gefahr, dass Mitgliedstaaten mit ihren eigenen Anstrengungen im Katastrophenschutz nachlassen in der Erwartung, dass aus anderen Bereichen der EU Katastrophenschutzteams zur Verfügung gestellt werden.
Insgesamt gesehen erscheint die Gemeinschaftsfinanzierung des Transports nicht geeignet, die Effektivität des Katastrophenschutzes zu verbessern.
- 5. Soweit der Vorschlag für eine Entscheidung des Rates - insbesondere im Abschnitt "Aufbau eines europäischen Kriseninterventionsinstruments" - Ansätze für eine Teilfinanzierung des Kapazitätenaufbaus in den Mitgliedstaaten bietet kann auch dies aus Sicht des Bundesrates nicht akzeptiert werden.
Der Katastrophenschutz ist in Europa insgesamt - auch im Vergleich zu anderen hoch entwickelten Regionen der Welt - sehr gut aufgestellt und verfügt über alle angemessenen Mittel, um auf alle jetzt denkbaren Katastrophen effektiv reagieren zu können. Die Annahme, es fehle insoweit an Kapazitäten in der EU, erscheint in keiner Weise belegt.
Sofern tatsächlich für bestimmte immer wiederkehrende Katastrophen die vorhandenen Kapazitäten trotz eigener Anstrengungen des Mitgliedstaates nicht ausreichen, steht es ihm frei, bilateral die Hilfe der Partnerländer zu erbitten.
Der Aufbau eigener Kapazitäten in den Mitgliedstaaten ist das einzig geeignete Mittel der Vorsorge. Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln auf Gemeinschaftsebene unterstützt der Bundesrat nicht.
- 6. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass vor allem die Einführung von Bereitschaftsmodulen, die auf ein Hilfeersuchen hin unverzüglich entsandt werden sollen, nicht akzeptabel ist. Dieses Vorhaben ist mit den Stellungnahmen des Bundesrates vom 14. Mai und 24. September 2004 - BR-Drucksachen 280/04(B) und 280/04(B) (2) - nicht vereinbar. Im letztgenannten Beschluss hat der Bundesrat unter Ziffer 3 seine Auffassung bekräftigt, dass einsatzleitende operative Befugnisse der EU, EU-eigene Einheiten und einheitliche EU-Uniformen (abgesehen von Kennzeichnungen wie z.B. Armbinden) von deutscher Seite abgelehnt werden müssen. Der Bundesrat unterstreicht seine unter Ziffer 3 des Beschlusses vom 14. Mai 2004 eingenommene Haltung, dass das Verfahren sich an dem Vorbild der im Mai 2004 beschlossenen länderübergreifenden Katastrophenhilfe innerhalb Deutschlands orientieren sollte. Danach können die von den Ländern in diesem Rahmen ohnehin festzulegenden Einsatzkontingente auch EU-weit eingesetzt werden.
- 7. Der Bundesrat bekräftigt schließlich seine Auffassung, dass dem bisherigen Bestreben der Kommission, den Katastrophenschutz mehr und mehr zu "vergemeinschaften" entgegengetreten werden muss. Dies bezieht sich insbesondere auf Artikel 9 des Vorschlags, dass die Kommission die Wirksamkeit, Kohärenz und Komplementarität der Gesamtreaktion der Gemeinschaft sicherstellen soll. Der Bundesrat hält es nicht für akzeptabel, dass zum Zwecke der operativen Koordinierung von Einsätzen die Kommission sich nicht der Mitgliedstaaten bedient, sondern des Staates, der jeweils den Vorsitz im Rat der EU hat, jedoch nur politisch tätig werden soll. Der Bundesrat ist auch der Ansicht, dass ein Koordinierungsteam gegenüber den Einsatzteams nicht weisungsbefugt sein sollte.
- 8. Im Anschluss an die Stellungnahmen des Bundesrates vom 14. Mai 2004 - BR-Drucksache 280/04(B) - und vom 8. Juli 2005 - BR-Drucksachen 312/05(B) , 318/05(B) und 323/05(B) - bekräftigt er folgende Grundpositionen:
- - keine einsatzleitenden operativen Befugnisse der Kommission, sondern Einsatzleitung der jeweils betroffenen Mitgliedstaaten, denen vor Ort die Einsatzleitungen der Hilfe leistenden Mitgliedstaaten unterstellt werden,
- - keine Ergänzung oder gar Ersatz von Ressourcen der Mitgliedstaaten, weil vorbereitende Maßnahmen nationale Aufgaben sind.
- 9. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Stellungnahme bei der Festlegung der Verhandlungsposition gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da die vorgeschlagenen Maßnahmen im Schwerpunkt die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betreffen. Dies gilt insbesondere für die vorgeschlagenen Katastrophenschutzmodule in den Mitgliedstaaten sowie für die Umsetzung der von der EU angeregten Beschaffungsregelungen.
- 10. Die Bundesregierung wird gebeten, rechtzeitig vor der Zustimmung zu diesem Vorhaben das Einvernehmen mit dem Bundesrat nach § 5 Abs. 3 EUZBLG herzustellen.