Der Bundesrat hat in seiner 931. Sitzung am 6. März 2015 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Vorlage des durch die Kommission zeitnah nach ihrem Amtsantritt erstellten Arbeitsprogramms 2015 und den darin verfolgten Ansatz eines politischen Neuanfangs.
- 2. Er begrüßt dabei auch, dass sich das neue Arbeitsprogramm im Sinne einer verbesserten Kohärenz und Priorisierung der EU-Gesetzgebung an der Strategischen Agenda für die Union in Zeiten des Wandels des Europäischen Rates vom 26./27. Juni 2014 und an den zehn Prioritäten der Politischen Leitlinien des designierten Kommissionspräsidenten vom 15. Juli 2014 ausrichtet.
- 3. Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich die Konzentration des Arbeitsprogramms 2015 auf nur 23 neue Projekte ("Neue Initiativen") und den von der Kommission verfolgten Ansatz, sich auf große Themen von strategischer Bedeutung für die EU und auf die Realisierung konkreter Ergebnisse in den zehn prioritären Bereichen zu fokussieren.
- 4. Der Bundesrat sieht darin einen wichtigen Beitrag, bei den Europäerinnen und Europäern Zustimmung zur und Vertrauen in die EU zu festigen und wiederzugewinnen. Hierzu können gerade auch Initiativen der Kommission beitragen, die einen europäischen Mehrwert haben und sich direkt positiv auf die Lebenssituation der Europäerinnen und Europäer auswirken.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die neue Kommission im Sinne eines "neuen Starts" sämtliche noch nicht verabschiedeten bisherigen Kommissionsvorschläge einer Überprüfung unterzogen hat und in Anwendung des Grundsatzes der politischen Diskontinuität bei langfristigem Vorliegen fehlender politischer Mehrheiten, veränderten Rahmenbedingungen oder Redundanzen aussichtslose oder veraltete Vorschläge zurückzuziehen bzw. anzupassen beabsichtigt. Er erachtet es für sinnvoll, zuvor diesen Vorlagen noch eine Chance im Trilog einzuräumen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Kommission, im Sinne eines bürgernahen und transparenten EU-Rechtsetzungsprozesses die im Arbeitsprogramm angekündigten Maßnahmenpakete durch konkrete Initiativen zu unterlegen und diese sowie den Zeitplan für die Umsetzung des Arbeitsprogramms der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
- 7. Er stellt fest, dass sich die Kommission einen ehrgeizigen Zeitplan für die Umsetzung des Arbeitsprogramms gegeben hat. Gleichwohl bittet er die Kommission, nur in Ausnahmefällen auf das Instrument der beschleunigten Rechtsetzung zurückzugreifen, um dem notwendigen Dialog auf allen Ebenen des europäischen Rechtsetzungsprozesses den benötigten zeitlichen Rahmen zu belassen.
- 8. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem Amt des ersten Vizepräsidenten besserer Rechtsetzung, Subsidiarität, Bürokratieabbau und den Beziehungen zu den nationalen Parlamenten einen höheren Stellenwert verleiht.
Er bittet die Kommission, sich künftig noch stärker als bisher bei der Gesetzgebung frühzeitig mit Aspekten der Kompetenzausübung und der Subsidiarität argumentativ auseinanderzusetzen und diese umfassend zu beachten.
- 9. Der Bundesrat begrüßt nachdrücklich die Absicht der Kommission, den inhaltlichen Dialog mit den nationalen Parlamenten zu intensivieren, und erwartet mit Interesse die angekündigten Vorschläge von Vizepräsident Timmermans. Er betont, für Angebote der Kommission und des Europäischen Parlaments zu einem verstärkten Informationsaustausch und mehr Kooperation, unter anderem auch mit Blick auf die Umsetzung des Arbeitsprogramms, offen zu sein.
- 10. Der Bundesrat nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass die neue Kommission eine enge Partnerschaft nicht nur mit den Mitgliedstaaten und nationalen Parlamenten, sondern auch mit den Regionen und Kommunen anstrebt, um die Handhabung der bestehenden Instrumente und die Wirksamkeit der Maßnahmen vor Ort zu verbessern.
- 11. In diesem Zusammenhang spricht sich der Bundesrat insbesondere dafür aus, dass beim "neuen Start für Europa" für Rechtsetzungsinitiativen die Auswirkungen auf die Länder und Regionen im Sinne einer territorialen Folgenabschätzung ebenfalls berücksichtigt werden. Die konsequente Berücksichtigung der regionalen Dimension und insbesondere auch der Auswirkungen der EU-Gesetzgebung auf die regionale, städtische und kommunale Ebene in den Mitgliedstaaten in allen einschlägigen Politikbereichen stärkt Bürgernähe und Praxisbezug der EU-Gesetzgebung. Auf Dauer ist eine prosperierende Entwicklung Europas nur durch Transparenz des Entscheidungsprozesses und gegenseitigen Respekt der politischen Aufgaben und Verantwortungsbereiche im Mehrebenensystem zu erreichen.
- 12. Der Bundesrat appelliert an alle EU-Institutionen, im Interesse von Bürgernähe und der Aufrechterhaltung nationaler und regionaler Gestaltungsspielräume besonders die im Wortlaut weit gefassten Kompetenzklauseln, wie beispielsweise die Binnenmarktkompetenz, Artikel 114 AEUV, selbstbeschränkend und behutsam zu nutzen. Er stellt fest, dass insbesondere im Bereich der delegierten Rechtsakte und der Durchführungsrechtsakte mehr Zurückhaltung, Transparenz und Rechenschaftspflicht seitens der Kommission erforderlich sind.
- 13. Der Bundesrat bekräftigt, dass zur guten Rechtsetzung auch die konsequente Auseinandersetzung mit Fragen des Verwaltungsaufwandes und die Reduzierung der bürokratischen Lasten gehören. Er sieht in einer interinstitutionellen Vereinbarung über eine bessere Rechtsetzung einen wichtigen Beitrag zur effizienteren Gestaltung des Rechtsetzungsprozesses auf EU-Ebene. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme vom 10. Oktober 2014 (BR-Drucksache 272/14(B) ).
- 14. Der Bundesrat lehnt es ab, dass das EU-Transparenzregister in Zukunft auf die Regionen und damit auf die deutschen Länder Anwendung finden soll und dass von lokalen und kommunalen Behörden künftig die Registrierung erwartet wird. Dadurch würden Städte und Gemeinden mit Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft gleichgesetzt. Auch wenn für die deutschen Länder zunächst lediglich eine Registrierung auf Wunsch eingeführt wird, besteht die Gefahr, dass Anreize wie Zugangserleichterungen und Rederechte einen faktischen Druck erzeugen. Er verweist auf seine Entschließung vom 7. November 2014 (BR-Drucksache 456/14(B) ) und fordert, die bisherige Ausnahmeregelung für subnationale Behörden beizubehalten und in der künftigen Überarbeitung des Transparenzregisters die deutschen Länder gänzlich aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen.
- 15. Der Bundesrat begrüßt die wirtschaftspolitische Ausrichtung des Arbeitsprogramms auf wirksame Impulse für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen sowie dessen Gründung auf die drei Säulen "Investitionsimpulse", "Fortsetzung der Strukturreformen" und "verantwortungsvolle Haushaltspolitik". Er begrüßt in diesem Zusammenhang insbesondere die Einrichtung des Europäischen Fonds für Strategische Investitionen.
- 16. Er bedauert allerdings, dass das Arbeitsprogramm die Zielrichtung einer "Union, die alle Bürger befähigt und schützt", als wesentlichen Aspekt der "Strategischen Agenda für die Union in Zeiten des Wandels" des Europäischen Rates vom 26./27. Juni 2014 nicht ausreichend widerspiegelt.
- 17. Der Bundesrat bittet die Kommission, bei der Fortschreibung des Arbeitsprogramms den Aspekt der "Fürsorge nach Innen" mit konkreten Vorschlägen zu untersetzen und den Beitrag der EU zur Sicherung des europäischen Sozialmodells und zur Gewährleistung effizienter, fairer und zukunftsfähiger Sozialschutzsysteme in den Mitgliedstaaten - unter Achtung ihrer Zuständigkeiten stärker herauszuarbeiten.
- 18. Er begrüßt den im Arbeitsprogramm 2015 angekündigten Aktionsplan zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung. Dieser muss den Grundsatz umsetzen, wonach Gewinne in dem Staat versteuert werden, wo sie erzielt werden. Steueroasen müssen ausgetrocknet und Steuerhinterziehungen in allen Mitgliedstaaten bekämpft werden. Wichtig ist dabei, dass Wirtschaftsstandorte nicht gegeneinander ausgespielt werden.
- 19. Der Bundesrat unterstreicht zudem die ökologische Dimension des Arbeitsprogramms 2015. Die umweltpolitische Bilanz der neuen Kommission wird insbesondere an dem Erfolg der Energie- und Klimapolitik gemessen werden. Der Bundesrat würdigt in diesem Zusammenhang die Bemühungen der Kommission, eine Vorreiterrolle im Kampf gegen die globale Erwärmung zu übernehmen, und bittet sie, die Positionen der Mitgliedstaaten der EU im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Paris im Interesse einer einheitlichen starken Position der Mitgliedstaaten zu koordinieren.
- 20. Er sieht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, auch umweltpolitische Vorhaben, wie beispielsweise die Bemühungen zur Verbesserung der Kreislaufwirtschaft oder zur Verringerung von Luftschadstoffen, nicht aus dem Blick zu verlieren und sie einer unbürokratischen und praktikablen Lösung zuzuführen. Dabei verweist er auf seine Stellungnahmen vom 10. Oktober 2014 (BR-Drucksache 311/14(B) ) und 14. März 2014 (BR-Drucksache 817/13(B) ).
- 21. Der Bundesrat begrüßt, dass die Entwicklung einer europäischen Migrationsagenda Gegenstand einer eigenen Priorität des Arbeitsprogramms ist. Dies spiegelt auch die Bedeutung wider, die die Regionen und Kommunen in Europa dem Umgang mit den Herausforderungen der legalen und irregulären Migration beimessen.
- 22. Er sieht mit Sorge die aktuelle sicherheitspolitische Lage und spricht sich für eine Stärkung der europäischen Außenpolitik sowie eine stärkere Solidarität unter den Mitgliedstaaten bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme aus, um das Ansehen Europas in der Welt zu sichern.
- 23. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission und das Europäische Parlament.