Der Bundesrat hat in seiner 943. Sitzung am 18. März 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, das derzeitige EU-Urheberrecht weiter zu vereinheitlichen und es, soweit erforderlich, den neuen technologischen Realitäten im digitalen Umfeld anzupassen, damit es weiterhin seinen Zweck erfüllen kann. Er sieht die in der Mitteilung dargestellten Bestrebungen der Kommission zur Anpassung des EU-Urheberrechts an die veränderten Rahmenbedingungen des digitalen Zeitalters als einen wichtigen und überfälligen Vorstoß auf dem Weg zu einem digitalen Binnenmarkt mit neuen Chancen für die europäische Wirtschaft und die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher.
- 2. Der Bundesrat stellt jedoch mit Bedauern fest, dass die in der Mitteilung angekündigten Reformpläne der Kommission weit hinter seinen Erwartungen an eine konsistente Reform des Urheberrechts zurückbleiben, die für einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, Verwerter, Verbraucher und Kultureinrichtungen sorgt.
- 3. Ansätze, wie die Überlegungen zur Regelung der grenzüberschreitenden Verbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen sowie der grenzübergreifenden Lizensierung oder zur leichteren Auffindung von verfügbaren legalen Inhalten, sind darin in weiten Teilen nur skizzenhaft dargestellt. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, im weiteren Prozess der Urheberrechtsreform zu verdeutlichen, wie sie den erforderlichen Ausgleich der unterschiedlichen tangierten Interessen gestalten will.
- 4. Auch die Pläne zur Harmonisierung von Schrankenbestimmungen des Urheberrechtes beschränken sich bislang auf ausgewählte Bereiche, während weitere praxisrelevante und konfliktträchtige Fragestellungen, wie beispielsweise der Umgang mit der Privatkopieausnahme sowie weiteren Formen angemessener, nicht kommerzieller Nutzungen, ausgeklammert bleiben.
- 5. Die Auseinandersetzung mit der Abgrenzung der Rechte der öffentlichen Wiedergabe und der öffentlichen Zugänglichmachung beschränkt sich in der Mitteilung auf die Prüfung eines Handlungsbedarfs. Aussagen zu weiteren regelungsbedürftigen Aspekten, wie beispielsweise der Zulässigkeit einer Weiterveräußerung legal erworbener digitaler Inhalte, sind in diesem Kontext nicht zu finden.
- 6. Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, sich gegenüber der Kommission mit Nachdruck für eine umfassendere Überprüfung und Überarbeitung des geltenden europäischen Rechtsrahmens im Urheberrecht, insbesondere der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, unter angemessener Berücksichtigung der Verbraucherbelange einzusetzen.
- 7. In seiner Entschließung vom 9. Juli 2015 zur Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG fordert das Europäische Parlament, die Wirksamkeit des geltenden Urheberrechts aus der Sichtweise der Verbraucherinnen und Verbraucher zu prüfen und eine Reihe klarer und verständlicher Verbraucherrechte zu entwickeln. Der Bundesrat unterstützt diese Forderung und bittet die Bundesregierung, auf eine zeitnahe Umsetzung dieser Forderung durch die Kommission hinzuwirken.
- 8. Er ist der Auffassung, dass bei der Modernisierung und europaweiten Vereinheitlichung des Urheberrechts auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, Verwerter, Nutzer und Kultureinrichtungen zu achten ist.
- 9. Der Bundesrat nimmt Bezug auf seine Stellungnahme vom 10. Juli 2015, BR-Drucksache 212/15(B) , zur Mitteilung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM (2015) 192 final,
insbesondere auf Ziffern 14 und 15 und bekräftigt seine Bereitschaft, die Kommission dabei zu unterstützen, vermeidbare Beschränkungen der Nutzungs- und Verwertungsrechte zu verringern, die infolge der Fragmentierung der unterschiedlichen Rechtsregime in den Mitgliedstaaten bestehen, wobei stets - wie bereits dargelegt - auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, Verwerter und Nutzer zu achten ist. - 10. Er hegt die Erwartung, dass die kulturelle Vielfalt in den Mitgliedstaaten durch ein europäischeres Urheberrecht nicht beeinträchtigt und eine angemessene Entlohnung der Kulturschaffenden auch im digitalen Zeitalter sichergestellt wird. Hierfür ist erforderlich, dass eine breite Vielfalt von etablierten und innovativen Geschäftsmodellen nebeneinander bestehen kann. Das Urheberrecht sollte eine Konzentration von Marktmacht nicht beschleunigen.
- 11. Bezüglich der für das Frühjahr 2016 angekündigten Vorschläge zur Verbesserung des europaweiten Online-Zugangs zu Werken bekräftigt der Bundesrat seine Auffassung, dass Geoblocking im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit urheberrechtlicher Ansprüche unter spezifischen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann.
- 12. Er erwartet, dass bei der notwendigen Modernisierung des Urheberrechts stets die Auswirkungen auf die bestehenden Finanzierungsmodelle für europäische audiovisuelle Werke berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf kleine, mittelständische Unternehmen und freie Kulturschaffende. Der besonderen Bedeutung von Medien- und Kulturgütern ist durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Gleiches gilt für Besonderheiten nationaler Urhebergesetze zum Schutz von Medien- und Kulturpluralismus wie etwa kollektive Abgaben zur Weiterverteilung an Urheber oder Schrankenregelungen für den breiten Zugang zu Inhalten. Auch die besondere Rolle der Europäischen Verwertungsgesellschaften und der Europäischen Film- und Medienförderungen ist zu berücksichtigen.
- 13. Der Bundesrat erwartet zudem von der Kommission, dass im Zuge einer europaweiten Vereinheitlichung des Rechtsrahmens für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für die Zwecke von Unterricht und Forschung an Hochschulen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen in staatlicher Trägerschaft die gegebenenfalls noch fehlenden Voraussetzungen für eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke geschaffen werden. Er verweist insofern auf seine Entschließung vom 20. September 2013 (BR-Drucksache 643/13(B) ). Dabei wäre es zweckmäßig, die Schranken des Artikels 5 Absatz 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG dahingehend anzupassen, dass insbesondere der "Remote Access" an Bibliotheken und der Internetzugang zu Archiven zweifelsfrei ermöglicht werden. Dabei ist allerdings auch auf einen hinreichenden Interessenausgleich zwischen Urhebern und der Allgemeinheit zu achten und insbesondere sind Missbrauchsrisiken zum Nachteil der Urheber vorzubeugen.
- 14. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit der Mitteilung einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt vorgelegt hat. Auch insoweit erinnert er daran, dass hier die Interessen der Produzenten, Sender und Urheber audiovisueller Inhalte zu beachten sind. Insbesondere ist eine eindeutige zeitliche Begrenzung der Portabilität in der Verordnung nötig, um Rechts- und Investitionssicherheit zu schaffen.
- 15. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Ermöglichung des grenzüberschreitenden Zugangs die Besonderheiten von kostenfreien Diensten und von Angeboten des öffentlichrechtlichen Rundfunks berücksichtigen muss. Er weist darauf hin, dass die Gewährleistung grenzüberschreitender Portabilität nicht dazu führen darf, dass Anbieter von kostenfreien Diensten und öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten zur Herstellung von Portabilität verpflichtet werden.
- 16. Der Bundesrat teilt jedoch nicht die Auffassung der Kommission, dass als langfristiges Ziel über eine weitere Harmonisierung des Urheberrechts in der EU hinaus auch eine zentrale, separate Urheberrechts-Gerichtsbarkeit anzustreben ist. Eine Rechtfertigung für eine derartige Beschränkung der Kompetenzen der nationalen Gerichte ist nicht erkennbar, zumal gerade das Urheberrecht die kulturelle Vielfalt in Europa widerspiegelt. Da das Urheberrecht nicht nur den gewerblichen Bereich betrifft, sind von Urheberrechtsstreitigkeiten nicht selten auch einzelne Bürgerinnen und Bürger betroffen, die ein erhebliches Interesse an einer ortsnahen Gerichtsbarkeit im vertrauten Rechtssystem haben. Die einheitliche Anwendung des EU-Rechts wird allgemein durch den Gerichtshof der EU gewährleistet. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dessen Tätigkeit im Bereich des künftigen EU-Urheberrechts zur Rechtsvereinheitlichung nicht ausreichend sein sollte.
- 17. Der Bundesrat behält sich vor, zu den einzelnen in der Mitteilung der Kommission angekündigten Rechtsakten jeweils noch gesondert Stellung zu nehmen.
- 18. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.