Der Bundesrat hat in seiner 842. Sitzung am 14. März 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Grundsätzliches
- 1. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich den Vorschlag der Kommission, den Liberalisierungsprozess im Bereich der elektronischen Kommunikation durch die Förderung von Wettbewerb, durch die Sicherung von Investitionen und Innovationen sowie durch die Stärkung der Verbraucherrechte fortzusetzen und den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation zu vollenden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Reduzierung der Märkte, die für eine Vorabregulierung in Betracht kommen, als Zeichen für einen bereits in vielen Telekommunikationsmärkten funktionsfähigen Wettbewerb und eine voranschreitende Deregulierung.
- 3. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Telekommunikationsmärkte überwiegend national geprägt sind. Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat das von der Kommission formulierte Ziel für verfehlt, nach dem die europäischen Rechtsvorschriften im Sinne eines einheitlichen europaweiten Regulierungsansatzes angewendet werden sollen. Anders als die Kommission sieht es der Bundesrat für die Vollendung des Binnenmarkts als nicht erforderlich an, auch das regulatorische Instrumentarium stets in gleicher Weise anzuwenden. Ausschlaggebend für die Vollendung des Binnenmarkts ist vielmehr ein einheitlicher Rechtsrahmen, der es unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten erlaubt, einen funktionsfähigen Wettbewerb auf den Telekommunikationsmärkten zu erreichen.
- 4. Der Bundesrat vermisst in den Richtlinienvorschlägen ein übergeordnetes regulatorisches Leitbild verbunden mit einer nachhaltigen Wettbewerbskonzeption, anhand derer sich die Abwägung einzelner Regulierungsmaßnahmen orientieren kann.
- 5. Der Bundesrat hält eine sprachliche Präzisierung bei einer Reihe von Begrifflichkeiten innerhalb der Richtlinienvorschläge für erforderlich. Dies gilt insbesondere für Begrifflichkeiten, die grenzüberschreitende Märkte oder Sachverhalte betreffen.
- 6. Der Bundesrat lehnt die erhebliche Ausweitung mitgliedstaatlicher Berichtspflichten als vermeidbaren Bürokratieaufwand ab.
Zusammenarbeit der nationalen Regulierungsbehörden
- 7. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Anliegen der Kommission, durch geeignete Maßnahmen eine Stärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden zu erreichen.
- 8. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass bereits auf Grundlage der bisherigen Regelungen beträchtliche Fortschritte bei der Harmonisierung der Rechtsvorschriften im Bereich der elektronischen Kommunikation erzielt wurden.
- 9. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellungnahme vom 22. September 2006 (BR-Drucksache 499/06(B) ) die Auffassung vertreten, dass für die Realisierung des Binnenmarkts eine weitere Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen auf europäischer Ebene nicht erforderlich ist.
- 10. Der Bundesrat lehnt die Einrichtung einer Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation und die damit verbundene Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen auf europäischer Ebene ab. Sie widerspricht dem Gebot der Subsidiarität und steht dem Anliegen der Entbürokratisierung und Deregulierung, das die Kommission, der Bund und die Länder teilen, entgegen.
- 11. Der Bundesrat erachtet insbesondere den Vorschlag als kritisch, der vorsieht, die ERG durch die neue Behörde zu ersetzen. Eine neue zentrale Behörde ist naturgemäß mit den Besonderheiten der nationalen Telekommunikationsmärkte weniger gut vertraut als die Mitglieder der Europäischen Gruppe der Regulierungsbehörden (ERG).
- 12. Der Bundesrat hält insbesondere die in Artikel 3 und 4 des Verordnungsvorschlags formulierten Punkte für problematisch, in denen der neuen Behörde direkte Eingriffsbefugnisse aus eigener Initiative eingeräumt werden.
- 13. Der Bundesrat sieht in Abweichung zu den Vorschlägen der Kommission in einer deutlich aufzuwertenden Mitwirkung und Koordination der ERG einen weitaus tragfähigeren Ansatz, den nationalen Marktbedürfnissen besser und differenzierter Rechnung zu tragen und somit die Qualität und die Effizienz der Regulierung in allen Mitgliedstaaten zu verbessern.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, für die Vorlage eines schlüssigen und nachhaltigen Konzepts einzutreten, das die zukünftige Rolle der ERG betont und gleichzeitig die beabsichtigte stärkere Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden gewährleistet.
- 15. Der gegenwärtige Rechtsrahmen enthält bereits Regeln über den Beitrag der nationalen Regulierungsbehörden zur Entwicklung des Binnenmarkts, in dem sie miteinander und mit der Kommission auf transparente Weise kooperieren und so eine kohärente Anwendung der Bestimmungen des Rechtsrahmens in den einzelnen Mitgliedstaaten gewährleisten.
- 16. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die bereits vorhandenen Strukturen wie die ERG und der Kommunikationsausschuss (COCOM) eine geeignete Plattform zur Gewährleistung einer abgestimmten Regulierungspraxis sind und es daher ausreichend ist, diese bestehenden Strukturen zu optimieren.
Medienpolitische Stellungnahme
- 17. Die Ausgestaltung der Medienordnung liegt in der Kompetenz der Länder, deren Regelungsbefugnisse im gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste abzusichern sind. Über die Befugnis der Mitgliedstaaten, zur Wahrung ihrer kulturellen Vielfalt Regelungen für den Bereich des Rundfunks zu treffen, kann die Kommission nicht mit dem Hinweis auf ihre Binnenmarktkompetenz hinweggehen. Die Existenz unterschiedlicher nationaler Regelungen reicht nicht aus, um eine Kompetenz der EU zu begründen.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Novellierung des Rechtsrahmens sicherzustellen, dass die Bedeutung des Rundfunks für die freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung, Meinungsvielfalt und kulturelle Vielfalt bei allen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, die den Rundfunk betreffen können, insbesondere bei der Verteilung von Übertragungskapazitäten, angemessen berücksichtigt wird und Eingang in den verfügenden Teil des Regelungswerks findet. Der Bundesrat erkennt das öffentliche Interesse daran an, dass der Rundfunk seine Aufgaben auch weiterhin erfüllen kann. Daraus folgert der Bundesrat, dass Entscheidungen darüber, inwiefern Übertragungskapazitäten für den Rundfunk benötigt werden, auch in Zukunft von den Ländern getroffen werden und die Verwaltungsverfahren insoweit unberührt bleiben.
- 19. Der Bundesrat bekräftigt, dass die Bedeutung des Rundfunks für Demokratie, Meinungsvielfalt und kulturelle Vielfalt, wie sie in der EU-Grundrechtecharta, der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt und der Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste zum Ausdruck kommen, eine primär an wirtschaftlichen Kriterien orientierte Betrachtungsweise verbietet. Daher darf nach Auffassung des Bundesrates bei der Zuweisung von Rundfunkübertragungskapazitäten kein reiner Marktansatz zum Tragen kommen.
Beteiligung der Länder
- 20. Da bei dem Vorhaben der Bundesrat an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken hätte, bittet der Bundesrat, gemäß § 6 Abs. 1 EUZBLG einen Vertreter der Länder zu den Verhandlungen hinzuzuziehen.
Direktzuleitung an die Kommission
- 21. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.