Der Bundesrat hat in seiner 841. Sitzung am 15. Februar 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt das mit dem Rahmenbeschluss verfolgte Anliegen, EU-weite Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zu entwickeln. Der Bundesrat unterstützt ferner die Absicht der Kommission, hierzu einheitliche Handlungsvorgaben zu erarbeiten, die ein hohes Maß an Sicherheit in den Mitgliedstaaten gewährleisten.
- 2. Bei der Verfolgung dieses Ziels ist das Verhältnis zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit in ein Gleichgewicht zu bringen. Der Vorschlag des Rahmenbeschlusses stellt dieses Gleichgewicht nicht ausreichend her.
- 3. Der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses stehen aus Sicht des Bundesrates derzeit einige gewichtige Gesichtspunkte entgegen. Der Vorschlag setzt in folgenden Hinsichten falsche Akzente:
- 4. Der vorliegende Rahmenbeschluss verweist in den Artikeln 2 und 11 auf andere Rahmenbeschlüsse, die noch nicht verabschiedet sind. Insbesondere können so die Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten nicht hinreichend beurteilt werden. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der beabsichtigte Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden, überhaupt auf den Datenaustausch zwischen privaten Fluggesellschaften und den vorgeschlagenen PNR-Zentralstellen Anwendung finden würde. Nach seiner derzeitigen Entwurfsfassung bezieht er sich jedenfalls nur auf den Datenaustausch zwischen Behörden. Der Bundesrat empfiehlt, den genannten Rahmenbeschluss des Rates über den Schutz personenbezogener Daten zunächst abzuwarten.
- 5. Die Verarbeitung von PNR-Daten stellt einen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. Achtung des Privatlebens dar. Ein solcher Eingriff ist nur zulässig, wenn im Hinblick auf den verfolgten Zweck, Terrorismus und organisierte Kriminalität zu bekämpfen, ein Bedürfnis für den Zugang zu diesen Daten besteht. Aus Sicht des Bundesrates ist der Nachweis hierfür weder im vorliegenden Rahmenbeschluss noch in der Folgenabschätzung der Kommission - SEK(2007) 1453 - erbracht.
- 6. Bereits mit der Richtlinie 2004/82/EG wurden Fluggesellschaften verpflichtet, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erweiterte Fluggastdaten (API-Daten) zu übermitteln. Damit wurde ein Instrument zur Verbesserung der Einreisekontrolle und zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung geschaffen, das auch einen Nutzen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und sonstiger schwerer Straftaten darstellt. Aus Sicht des Bundesrates sollte eine Ausweitung der Erhebung und Speicherung von Fluggastdaten nicht beschlossen werden, solange nicht feststeht, dass sich die bisherigen Rechtsinstrumente als unzureichend erwiesen haben. Es wird deshalb angeregt, zunächst die Wirkungen der Richtlinie 2004/82/EG zu untersuchen.
- 7. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 65, 1, 47) besteht außerhalb statistischer Zwecke ein "striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat". Es ist danach nicht zulässig, solche Daten zu erheben und zu speichern, die zur Erfüllung der konkreten und aktuellen Aufgabe nicht benötigt werden, die aber zu einem späteren Zeitpunkt gebraucht werden könnten. Nach der Rechtsprechung des EGMR stellt das systematische, rechtlich unbegrenzte Sammeln von Daten eine Verletzung von Artikel 8 EMRK dar (vgl. EGMR, Urteil vom 4. Mai 2000 - 28341/95 - Rotaru, Tz. 57 ff.). Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht des Bundesrates erhebliche Bedenken gegen die in den Artikeln 5 und 9 des Rahmenbeschlusses vorgesehene anlass- und verdachtsunabhängige Erhebung und Speicherung von PNR-Daten sämtlicher die EU-Grenzen überquerender Fluggäste.
- 8. Der Grundsatz der Zweckbindung ist eines der Grundprinzipien des Datenschutzes. Danach dürfen personenbezogene Daten nur für bereichsspezifisch und präzise festgelegte Zwecke gespeichert werden und nur im Rahmen dieser Zwecke verwendet werden. Zudem muss das Recht so hinreichend deutlich sein, dass es dem Bürger angemessene Hinweise gibt, unter welchen Voraussetzungen die Behörden befugt sind, Informationen aus seinem Privatleben zu sammeln und zu benutzen. Aus Sicht des Bundesrates bestehen Zweifel, ob der vorgeschlagene Rahmenbeschluss mit den Regelungen in Artikel 3 Abs. 5, Artikel 8 Abs. 1 und Artikel 11 Abs. 2 diesen Anforderungen hinreichend Rechnung trägt.
- 9. Die Speicherungsdauer von insgesamt 13 Jahren überschreitet die in Deutschland allgemein übliche Regelfrist für polizeiliche Speicherungen um drei Jahre.
Aus Sicht des Bundesrates ist die verdachtslose Speicherung der PNR-Daten sämtlicher die EU-Grenzen überquerender Fluggäste über einen Zeitraum von 13 Jahren unabhängig davon, dass die Daten acht Jahre in einer "ruhenden Datenbank" vorgehalten werden, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass die vorgesehene Frist nicht den Antworten entspricht, die die Mitgliedstaaten im von der Kommission versandten Fragenbogen gegeben haben; darin wurde auf die Frage nach der Speicherdauer durchschnittlich ein Zeitraum von drei einhalb Jahren angegeben.
Auch die erste Speicherungsphase nach Artikel 9 Abs. 1 geht mit fünf Jahren noch über das fachliche Gebotene hinaus.
- 10. Es erscheint bedenklich, dass der Rahmenbeschlussvorschlag keine Möglichkeit für betroffene Bürger vorsieht, Auskunft zu den über ihre Person gespeicherten Daten sowie die Berichtigung oder Löschung falscher, z.B. fehlerhaft übermittelter, Daten zu verlangen. Der Vorschlag sieht auch keine zumindest nachträgliche Benachrichtigung betroffener Fluggäste über eine erfolgte Datenweitergabe und Gefährlichkeitseinstufung und auch keinen diesbezüglichen Rechtsbehelf vor.
- 11. Die Sammlung und Auswertung der genannten Datensätze dient nicht nur der Verhütung und Bekämpfung von terroristischen Straftaten, sondern auch der strafrechtlichen Verfolgung der organisierten Kriminalität. Aus Sicht des Bundesrates muss deshalb bei der Vereinbarung europäischer Vorgaben für die Einrichtung einer Zentralstelle sichergestellt sein, dass durch deren spätere Umsetzung die grundsätzlich bestehende Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden der Länder für die Verfolgung von Straftaten, die der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind, nicht tangiert wird.
- 12. Der Vorschlag geht ersichtlich davon aus, dass den nationalen Zentralstellen die Möglichkeit einzuräumen ist, selbst Strafverfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine derartige Befugnis im Widerspruch zur gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei stünde und letztlich die staatsanwaltschaftliche Sachleitungsbefugnis in Frage stellen würde.
- 13. Es erscheint zweifelhaft, ob die Artikel 29, 30 Abs. 1 Buchstabe b und Artikel 34 Abs. 2 Buchstabe b EUV eine ausreichende Rechtsgrundlage für sämtliche Vorschriften des Vorschlags bieten. Die herangezogenen Rechtsgrundlagen im EUV betreffen die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit zwischen den (Behörden der) Mitgliedstaaten. Soweit privaten Fluggesellschaften und Datenmittlern Pflichten auferlegt werden, dürften als Rechtsgrundlage eher die Artikel 80 Abs. 2 und 95 EGV in Betracht kommen. Dies macht, unbeschadet der vorgenannten grundsätzlichen Bedenken, zumindest eine Aufspaltung des Vorschlags in ein Instrument der Ersten Säule und eines der Dritten Säule erforderlich.
- 14. Der Rahmenbeschluss sollte eine Kostenfolgenabschätzung insbesondere über den Bedarf an Personal- und Sachmitteln (Aufgabenbindung) für die voraussichtlich bei den Mitgliedstaaten durchzuführenden Maßnahmen vorsehen.
- 15. Die Bundesregierung wird gebeten, auf eine entsprechende Änderung des Rahmenbeschlusses zu dringen.