Der Bundesrat hat in seiner 821. Sitzung am 7. April 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Grundsätze und Ziele der ökologischen Landwirtschaft noch deutlicher fassen möchte. Sie hat hierzu einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die ökologische/biologische Erzeugung und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen vorgelegt, der der intensiven Diskussion bedarf.
- 2. Der Bundesrat erkennt die Bemühungen an, zu einer einfacheren, klareren und transparenteren Verordnung zu gelangen, um somit einen Beitrag zu einer wesentlichen Vereinfachung des bestehenden Rechtsrahmens zu leisten.
- 3. Es ist auch in Zukunft sicherzustellen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher vor irreführender Kennzeichnung im Bereich der ökologischen Landwirtschaft umfassend geschützt werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass Lebensmittel, die als Ökolebensmittel gekennzeichnet werden, eindeutig aus ökologischer Erzeugung stammen.
- 4. Der Bundesrat bezweifelt, dass diese Ziele mit dem vorgelegten Verordnungsvorschlag erreicht werden können. Der Verordnungsvorschlag weist in vielen Regelungsbereichen Lücken auf, die durch weitere Durchführungsverordnungen geschlossen werden müssen, so dass materielle Vereinfachungen fraglich sind.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich in den Beratungen der EU-Gremien mit Nachdruck dafür einzusetzen, die neue Verordnung so auszugestalten, dass mit dieser tatsächlich ein deutlicher Beitrag zur Entbürokratisierung, Deregulierung und Vereinfachung des EU-Agrarrechts geleistet wird.
- 6. Der Bundesrat betont, dass sich die bisherige Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 bewährt hat. Daher sollten die wesentlichen Regelungen dieser Verordnung in die neue Verordnung des Rates über die ökologische/biologische Erzeugung und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen überführt und beibehalten werden. Beispielhaft ist das bewährte, durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigte System für den Schutz der Kennzeichnung von Bio-Produkten gegenüber anderen Produkten zu nennen.
- 7. Die neue Verordnung darf keinen Rückschritt beim derzeit erreichten hohen Standard des ökologischen Landbaus in der EG bedeuten:
- - Artikel 1 ist dahin gehend zu ändern, dass Verpflegungsbetriebe, Betriebskantinen, Großküchen, Gaststätten und ähnliche Einrichtungen wie bisher vom Anwendungsbereich der neuen Verordnung umfasst sind. Der Schutz vor irreführender Kennzeichnung wird durch die Ausgrenzung von Gastronomiebetrieben im Verordnungsvorschlag aufgeweicht statt gefestigt.
- - Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für eine Beibehaltung des strengen Verwendungsverbots von genetisch veränderten Organismen (GVO) in der ökologischen Landwirtschaft einzusetzen. Gleichzeitig hält der Bundesrat es für unumgänglich, dass auch im ökologischen Landbau der allgemeine Schwellenwert für zufällige und technisch nicht vermeidbare Anteile an GVO angewandt wird.
- - Über die EU-Verordnung hinausgehende private und nationale (staatliche) Qualitätsstandards sollen auch weiterhin gekennzeichnet und beworben werden dürfen. Die im Entwurf vorgesehenen Einschränkungen sind insbesondere vor dem Hintergrund der Historie der ökologischen Landwirtschaft nicht nachzuvollziehen. Zudem stellt das Verbot der Kommunikation von auf strengeren Regelungen basierenden Qualitätsunterschieden im Hinblick auf Aussagen in der Etikettierung und Werbung einen zusätzlichen Eingriff für die Wirtschaftsbeteiligten dar. Der Wettbewerb wird unnötig eingeschränkt und die Kommunikation von Qualitätsunterschieden erschwert.
- 8. Der Bundesrat betrachtet viele Grundsätze und Regelungen in der neuen Verordnung als zu vage, unscharf und sehr interpretationsbedürftig. Die Grundsätze und Vorschriften für die landwirtschaftliche Erzeugung müssen sowohl im Bereich pflanzliche als auch tierische Erzeugung präzisiert und ergänzt werden. So soll am Grundprinzip des Verzichts auf chemischsynthetische Pflanzenschutzmittel sowie an verbindlichen Vorschriften zum Flächenangebot im Stall und Außenfläche festgehalten werden.
- 9. Der Bundesrat befürchtet, dass die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Einführung einer "flexibleren" Vorgehensweise bei "weniger restriktiven Produktionsvorschriften" zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen oder gar zu einem "Wettlauf zum niedrigsten Niveau" führen kann. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass auch in Zukunft EU-weit die gleichen Standards des ökologischen Landbaus eingehalten werden müssen. Gleichzeitig hält der Bundesrat es nach 15 Jahren Geltungsdauer der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 für erforderlich, die ursprünglich eingeführten Ausnahmetatbestände schrittweise stärker einzuschränken.
- 10. Der Bundesrat hält klare und umfassende Regelungen für den Handel mit Drittländern für notwendig. Erleichterungen werden begrüßt, allerdings dürfen diese Regelungen weder die Wettbewerbschancen verzerren, noch zu einer Absenkung des hohen Standards führen, noch die strengen Maßstäbe bei der Kontrolle von Importen aufweichen.
- 11. Aus Sicht des Bundesrates haben sich die Kontrollvorschriften der bisherigen Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 bewährt. Insbesondere hält der Bundesrat an der Möglichkeit einer Zweiteilung des Kontrollverfahrens (private Kontrollstellen zulassende und überwachende Behörden) und an den im Ökolandbaugesetz vorgesehenen Mitwirkungs- und Beleihungsmöglichkeiten fest. Der Bundesrat lehnt eine vollständige Verstaatlichung des Kontrollverfahrens im ökologischen Landbau durch Übergang auf das System der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ab. Mit dem Kommissionsvorschlag ist ein Paradigmenwechsel verbunden, so dass im Gesamtsystem des ökologischen Landbaus ein von Grund auf neuer organisatorischer Aufbau, verbunden mit enormen bürokratischen Belastungen, geleistet werden müsste. Die amtliche Kontrolle zur Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts hat neben einem risikobasierten vor allem einen produkt- und rückstandsorientierten Kontrollansatz. Letzterer unterscheidet sich deutlich vom prozess- und verfahrensorientierten EG-Öko-Kontrollsystem. Ein Ersatz der gegenwärtig geltenden Bestimmungen für das Öko-Kontrollsystem durch die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 würde allen positiven Erfahrungen mit dem bisherigen Kontrollverfahren zuwiderlaufen.
- 12. Der Bundesrat hält es für notwendig, folgende Punkte im Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) 2092/91 zu berücksichtigen:
- - Die Bewirtschaftung des Gesamtbetriebs nach den Kriterien des Ökolandbaus sollte verpflichtend vorgeschrieben werden.
- - In Zusammenhang mit dem Standort ökologischer Imkereien sollte auf eine Verschärfung der Vorschriften verzichtet werden, um jene auch weiterhin unter kleinräumigen Strukturen betreiben zu können.
- 13. Der Bundesrat lehnt eine Verlagerung der Arbeiten zur Weiterentwicklung der Verordnung vom bisherigen "Regelungsausschuss" in einen "Verwaltungsausschuss" ab. Diese Änderung würde die Position der Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission erheblich schwächen, was aus Sicht des Bundesrates nicht akzeptabel ist.
- 14. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass der Vorschlag der EU-Ratsverordnung erst dann verabschiedet wird, wenn die Entwürfe der Anhänge und Durchführungsverordnungen vorliegen und inhaltlich ausreichend diskutiert wurden. Nach Auffassung des Bundesrates ist es nicht hinnehmbar, dass die Grundlagenverordnung erörtert und verabschiedet werden soll, bevor die möglichen Inhalte der für die Praxis entscheidenden Anlagen und Durchführungsverordnungen bekannt sind.