Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft - Für ein saubereres und wettbewerbsfähigeres Europa - COM (2020) 98 final
989. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2020
A
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den von der Kommission vorgelegten neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft als wichtigen Meilenstein und Beitrag zu einer am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierten Transformation der europäischen Wirtschaft und zur Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaft.
- 2. Der Bundesrat befürwortet weitere Initiativen zur Verringerung des Ressourcenverbrauchs und des Abfallaufkommens. Er teilt die Ansicht der Kommission, dass die Ausweitung der Kreislaufwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele leisten muss.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass der Stand der Umsetzung der schon gültigen Regelungen zur Kreislaufwirtschaft in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist. Beispielsweise gibt es auch heute noch in vielen Mitgliedstaaten keine funktionierende getrennte Sammlung von Haushaltsabfällen und keine adäquate Entsorgungsinfrastruktur. Dies bewirkt schon heute ungleiche Wettbewerbsbedingungen und Lebensverhältnisse innerhalb Europas.
- 4. Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass die im neuen Aktionsplan Kreislaufwirtschaft dargestellten Maßnahmen notwendig sind, aber nur dann in Europa wirkungsvoll umgesetzt werden können, wenn ein vergleichbares Niveau der Umsetzung der Regelungen zur Kreislaufwirtschaft in den Mitgliedstaaten besteht.
- 5. Der Bundesrat sieht eine wesentliche Aufgabe der Kommission darin, für die Umsetzung bestehenden Rechts in Europa zu sorgen. Dieser Aufgabe ist die Kommission in der Vergangenheit nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
- 6. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, die Kommission dringend dazu aufzufordern, der Umsetzung bestehender Regelungen zur Schaffung eines vergleichbaren Niveaus der Kreislaufwirtschaft innerhalb Europas die gleiche Priorität zu geben wie der Umsetzung der vielfältigen notwendigen Maßnahmen des Aktionsplans.
Begründung zu Ziffern 1 und 3 bis 6 (nur gegenüber dem Plenum):
Die Begründung ergibt sich aus der vorgeschlagenen Stellungnahme. Diese soll nicht dazu dienen, die Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaft zu verlangsamen. Es muss jedoch mehr Energie als bisher darauf verwendet werden, dass innerhalb Europas ein einigermaßen vergleichbares Niveau der Umsetzung bestehender Regelungen zur Kreislaufwirtschaft besteht. Es besteht ansonsten die Sorge einer weiteren Vertiefung der in Europa bestehenden Ungleichheiten.
- 7. Der Bundesrat begrüßt den starken wirtschaftspolitischen Fokus des vorgelegten Aktionsplans, der sich vor allem aus dem Anspruch des europäischen Grünen Deals ableitet, eine wirtschaftspolitische Zukunftsstrategie und ein industriepolitisches Erneuerungsprogramm (zirkuläre Wertschöpfung) vorzusehen. Ein Großteil der angekündigten Initiativen zielt darauf ab, innovativen und ressourcenschonenden Produkten bei emissionsarmen Produktionsverfahren in der Breite der Wirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen und so neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Auf diese Weise sollen starke, exportorientierte Strukturen geschaffen, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesichert und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze erhalten sowie neue geschaffen werden.
- 8. Die im Aktionsplan enthaltenen Ansätze, wie zum Beispiel die vorgesehenen quantitativen Abfallvermeidungsziele für bestimmte Abfallgruppen, die Vorgabe verbindlicher Rezyklatanteile in Produkten und die Förderung einer umweltfreundlichen Beschaffung, sind wesentliche Elemente einer zukunftsfähigen Kreislaufwirtschaft und werden vom Bundesrat grundsätzlich unterstützt.
- 9. Der Bundesrat unterstützt insbesondere den Ansatz, dass Regelungen am Produktdesign ansetzen und beispielsweise die Recyclingfähigkeit, die Reparierbarkeit oder die Steigerung der Attraktivität des Einsatzes von Recyclingmaterialien gegenüber Primärrohstoffen in den Vordergrund rücken. Derartige Vorgaben müssen in kommenden Rechtsetzungsverfahren aber so ausgestaltet werden, dass sie zu einer einheitlichen Umsetzung in der EU führen und auch für in die EU eingeführte Güter uneingeschränkt gelten.
- 10. Eine genaue Beurteilung der angekündigten Maßnahmen wird erst bei der Vorlage der konkreten Vorschläge für legislative bzw. nichtlegislative Maßnahmen möglich sein. Der Bundesrat sieht aber die Gefahr, dass stark detaillierte Vorgaben in zahlreichen Bereichen angestrebt werden (zum Beispiel für das Produktdesign), die wirtschaftliche Tätigkeiten, Technologieoffenheit und Innovationen zu sehr einschränken.
- 11. Er bittet deshalb die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass die angekündigten Regulierungsvorschläge zur Umsetzung des Aktionsplans − im Sinne eines effizienten und erfolgreichen Transformationsprozesses − auf das nötige regulative Mindestmaß reduziert werden und möglichst breiter Raum für unternehmerischen Erfindergeist und innovative Lösungen bleibt. Denn letztlich sind die Kreativität der Unternehmen, Technologieoffenheit und freie Märkte unerlässliche Voraussetzungen für die gewünschten Innovationen und Technologiesprünge.
- 12. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die zügige Umsetzung der im Aktionsplan vorgesehenen Maßnahmen gerade vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie dringend geboten ist. Die Pandemie hat unter anderem die Verwundbarkeit globaler Produktions- und Lieferketten gezeigt. Die Wiederherstellung und Neuordnung der durch die Pandemie in die Krise geratenen europäischen Wirtschaft bedarf nach ihrem Ende eines umwelt- und klimapolitisch basierten Rahmens, der sich am Prinzip der Nachhaltigkeit und der Ressourcenschonung orientiert. Ziel soll die Abkoppelung des notwendigen Wirtschaftswachstums in Europa vom Ressourcenverbrauch sein. Dies kann gelingen, wenn EU-weit einerseits langlebige und gut zu erhaltene Produkte, Gebäude und Wirtschaftsgüter bessergestellt werden. Andererseits muss die Verwertung von Abfällen, insbesondere das Recycling, in möglichst geschlossenen Kreisläufen stärker als bisher zum Wirtschaftsstandard werden. Zudem müssen den Unternehmen Anreize gesetzt werden, um Modelle wie "Produkt als Dienstleistung" voranzutreiben, damit der vollständige Wandel zum nachhaltigen Wirtschaftssystem erfolgen kann.
- 13. Die Ausrichtung von Unternehmen auf eine positive Entwicklung bei der Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft sollte Voraussetzung für die Wirtschaftsförderung bei anstehenden Konjunkturprogrammen werden.
- 14. Für eine dauerhafte, effiziente und verantwortungsvolle Ressourcennutzung sind der Erhalt der Freiräume für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung, der Erhalt von Naturräumen sowie ein deutlich reduzierter Flächenverbrauch besonders wichtig. Das im Rahmen der geplanten neuen Strategie der Kommission für "eine nachhaltige bauliche Umwelt" angekündigte Ziel, "netto" kein Land mehr neu in Anspruch zu nehmen, muss weiterverfolgt und durch entsprechende Maßnahmen begleitet werden. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für eine ambitionierte Umsetzung der anspruchsvollen Ziele bei der Reduzierung des Flächenverbrauchs einzusetzen. Für die neue Förderperiode ist die Förderpolitik der EU zu überprüfen und auf die Vermeidung von bodenbelastenden und flächenverbrauchenden Förderungen sowie die Unterstützung des Flächenrecyclings und der Altlastensanierung auszurichten.
- 15. Der Bundesrat begrüßt, dass der Aktionsplan die große Bedeutung der erneuerbaren biologischen Ressourcen herausstellt und diese als wichtigen Input für die Wirtschaft in der EU bewertet. Der Bundesrat weist ausdrücklich darauf hin, dass eine verstärkte Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs Holz aus schonender und nachhaltiger Bewirtschaftung der Wälder unter Wahrung der biologischen Vielfalt nicht nur eine naturbasierte Option zur langfristigen Speicherung von CO₂ darstellt, sondern gerade auch einen sehr wichtigen Beitrag zu einer umweltfreundlichen, nachhaltigen Kreislaufwirtschaft leisten kann.
- 16. Der Bundesrat betont, dass deshalb die nachhaltige und schonende Produktion sowie die langfristige Verwendung von Holz im Sinne der Nachhaltigkeit politisch und praktisch unterstützt und weiterentwickelt werden müssen. Dazu zählt insbesondere die Stärkung der Akteure, beginnend bei Waldbesitzern über die Holzwirtschaft bis zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Dazu bedarf es unter anderem der verstärkten Verwendung von Holz bei Um- und Neubauten und damit der Einsparung von Energie, der Schaffung neuer Einsatzmöglichkeiten, der Information mittels innovativer Beispielsprojekte, der Unterstützung der Forschung durch gezielte Förderprogramme sowie der Verringerung bestehender rechtlicher Hemmnisse bei der Verwendung von Holz.
- 17. Die im Aktionsplan genannten EU-Rechtsrahmen und Maßnahmen dürfen keine neuen administrativen und legislativen Hemmnisse für die Verwendung von biologischen und erneuerbaren Rohstoffen, insbesondere für die Holzproduktion und -verwendung, aufbauen, vor allem keine zusätzlichen Hürden schaffen. Der Bundesrat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade für die ohnehin bereits stark betroffenen Waldbesitzer Mehrbelastungen durch zusätzliche Bürokratie unbedingt vermieden werden müssen.
- 18. Aus Sicht des Bundesrates sind Maßnahmen der Kreislaufwirtschaft zwar hilfreich für die im europäischen Grünen Deal angestrebte Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050; diese können jedoch weder die Schlüsselrolle der Energie- und Klimapolitik ersetzen noch den gegebenen rechtlichen Kompetenzrahmen ausweiten. Aus Sicht des Bundesrates bestehen daher Bedenken, dass der geplante "EU-Rechtsrahmen für die Zertifizierung von CO₂-Entfernung" durch seinen sehr selektiven und bürokratischen Ansatz die Multifunktionalität der Wälder, insbesondere auch deren forstwirtschaftliche Nutzung, bis auf die Ebene des Einzelbetriebs beeinträchtigen kann. Der Bundesrat betont, dass die Waldpolitik grundsätzlich der Kompetenz der Länder vorbehalten ist.
- 19. Ferner verweist der Bundesrat hinsichtlich der Senkenfunktion auf seine Stellungnahme vom 15. Februar 2019 (vergleiche BR-Drucksache 618/18(B) , Ziffer 4). Er sieht weiterhin die Gefahr, dass die bisherige Senkenwirkung der Wälder gerade aufgrund der inzwischen nahezu permanenten systemischen Auswirkungen des Klimawandels nachlassen und sogar in eine Quelle umschlagen könnte. Zudem kann eine durch Aufforstungen kontinuierlich wachsende CO₂-Reduktion in der Bundesrepublik nur äußerst begrenzt realisiert werden, da zur Verfügung stehende Flächen sehr eingeschränkt vorhanden sind. Nennenswerte Steigerungspotenziale für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft bestehen am ehesten bei einer möglichst intelligenten und effizienten Verwendung des Rohstoffs Holz. Daher kann Holz für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft einer der wichtigsten Rohstoffe sein.
- 20. Der Bundesrat erinnert daran, dass die Kommission das Ziel des Bürokratieabbaus nicht aus den Augen verlieren darf. Neue unnötige Kosten müssen verhindert werden. Zudem ist bei den beabsichtigten Überprüfungen von Richtlinien und Verordnungen auch der Abbau von Regelungen anzustreben, die zu einem nicht gerechtfertigten Aufwand bei Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen sowie Verwaltung führen.
- 21. Der Bundesrat fordert daher die Kommission auf, Informations- und Dokumentationspflichten, insbesondere mit Blick auf KMU, auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen. Auch die geplante Einführung der obligatorischen Berichterstattung bezüglich der umweltorientierten öffentlichen Beschaffung verursacht einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für potenzielle Bieter. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Einbeziehung der Lebenszyklusanalyse in die öffentliche Auftragsvergabe im Baubereich nur Sinn macht, soweit die Aufträge Bau und Planung umfassen.
- 22. Der Bundesrat hält es für geboten, die Vielzahl der angekündigten Maßnahmen noch intensiv auf ihre Praxistauglichkeit sowie ihre ökonomischen und ökologischen Folgewirkungen unter besonderer Berücksichtigung möglicher technischer Barrieren und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit zu untersuchen. Dazu bedarf es insbesondere eines intensiven Dialogs und Austauschs mit den betroffenen Stakeholdern.
- 23. Der Bundesrat hält eine umfassende Folgenabschätzung auch für unverzichtbar, um Bürgerinnen und Bürger nicht unnötig zu belasten. Die Kommission muss darauf Rücksicht nehmen, dass neue Vorgaben in vielen Fällen zu höheren Produktpreisen führen würden, die vor allem finanzschwächere Haushalte überproportional belasten.
B
- 24. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.