868. Sitzung des Bundesrates am 26. März 2010
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Aufgrund einer Studie hat die Vorgängerkommission Anfang Februar 2010 angekündigt, die Einrichtung einer EU-Stelle zur Durchsetzung des europäischen Abfallrechts zu prüfen und dazu eine Kosten-Nutzen-Analyse in diesem Jahr durchzuführen.
- 2. Der Bundesrat lehnt [auf Basis des bisherigen Kenntnisstands] die Einrichtung einer solchen Agentur entschieden ab:
- 3.
- - Der Bundesrat erinnert die Kommission daran, dass sie sich in ihrer Mitteilung "Europäische Agenturen - Mögliche Perspektiven" (KOM (2008) 135 endg.) selbst Beschränkungen bei der Neugründung von Agenturen auferlegt hat, und bekräftigt erneut seine hierzu gefasste Stellungnahme vom 4. Juli 2008 - BR-Drucksache 228/08(B) . Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, wonach Gemeinschaftsagenturen im Hinblick auf Deregulierung, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und Konzentration nur in begründeten Ausnahmefällen eingerichtet werden sollten - BR-Drucksache 228/08(B) und 168/05(B) .
- - Der Aufbau einer Agentur zur Durchsetzung des Abfallrechts widerspricht den europäischen Grundsätzen von Bürokratieabbau und Deregulierung. Nur Ansprechpartner vor Ort garantieren den Betrieben schnell erreichbare Beratung und der Gesellschaft im Ernstfall schnelles Einschreiten.
- - EU-Agenturen dürfen - als Ausnahme vom Grundsatz des mittelbaren Vollzugs von EU-Recht durch die Mitgliedstaaten - nur im Ausnahmefall geschaffen werden, wenn sich ein eindeutiger Mehrwert für einen gemeinschaftsunmittelbaren Vollzug ergibt. Eine weitere Zentralisierung im Bereich der Abfallwirtschaft auf EU-Ebene ist bereits nach dem Subsidiaritätsgedanken nicht angezeigt.
- - Zuständig für den Vollzug von EU-Recht sind die Mitgliedstaaten. Die europäische Ebene darf in diese Zuständigkeit bereits nach dem Subsidiaritätsgedanken nicht eingreifen. Das Abfallrecht - wie auch das übrige Umweltrecht - vor Ort zu vollziehen, hat sich bewährt. Die unmittelbare Kenntnis sowie kontinuierliche Beratung und Kontrolle der einzelnen Betriebe vor Ort sind unerlässlich, um das europäische Recht effektiv vollziehen zu können. Nur Behörden in den Mitgliedstaaten haben auch die notwendige örtliche Nähe und den Bürgerkontakt, um für die vielfältigen in der Praxis auftauchenden Einzelfallgestaltungen passgenaue Lösungen anbieten zu können.
- - Unmittelbare EU-Vollzugskontrolle im Abfallrecht ist nicht leistbar. Kontrollgegenstand und -maßstab sind im Abfallbereich kaum unmittelbar EU-rechtlich definiert oder definierbar. Außer der unmittelbar geltenden EG-Abfallverbringungsverordnung ist im Wesentlichen (EG-Richtlinien umsetzendes) nationales Recht einschlägig, das nur von nationalen Behörden sinnvoll kontrolliert werden kann.
- - Die Mitgliedstaaten haben eine rigide Haushaltsdisziplin zu wahren. Dies gilt auch für die EU. Kosten für die Errichtung einer EU-Abfallagentur und einer weiteren Inspektionsstelle von jährlich 16 Mio. Euro sind im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse nicht a priori sinnvoll angelegt.
- - Der Bundesrat geht davon aus, dass die durch die Kommission erhofften Kosteneinsparungen durch verminderte CO₂-Emissionen auch durch schärfere Kontrollen und einen besseren Vollzug des Abfallrechts durch die betroffenen Mitgliedstaaten sichergestellt werden können, die notfalls durch Vertragsverletzungsverfahren hierzu angehalten werden können.
- - Mit Blick auf die Vermeidung von Doppelarbeit und Konzentration von EU-Agenturen auf das Nötigste sind Überlegungen, auf EU-Ebene gleich zwei EU-Stellen zu schaffen (eine EU-Agentur sowie eine europäische Inspektionsstelle), von vorneherein fragwürdig.
- 4. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Die scheidende Kommission hat aufgrund einer von ihr im Jahr 2009 in Auftrag gegebenen Studie kurz vor Ende ihres Mandats Anfang Februar 2010 noch die Prüfung der Einrichtung einer EU-Abfallagentur in einer Pressemitteilung angekündigt. Diese soll u. a. die Durchsetzungssysteme der Mitgliedstaaten überprüfen und mit einer eigenen EU-Stelle Inspektionen vor Ort mit EU-Inspektoren durchführen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse soll noch in diesem Jahr durchgeführt werden, weitere Schritte könnten im Jahr 2011 folgen. Dieser Eingriff in die Vollzugskompetenz der Länder muss verhindert und deshalb dem Ansinnen der Kommission frühzeitig durch einen Beschluss des Bundesrates entgegengewirkt werden.