Der Bundesrat hat in seiner 834. Sitzung am 8. Juni 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit der frühzeitigen Vorlage der Strategieplanung eine Diskussion über die im kommenden Jahr geplanten Rechtsetzungsvorhaben ermöglicht. Er begrüßt, dass die Vorhaben der Umsetzung der zu Beginn der Amtszeit der Kommission formulierten vier strategischen Ziele "Wohlstand", "Solidarität", "Sicherheit und Freiheit" sowie eine "stärkere Position Europas in der Welt" dienen sollen. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die Vorschläge der Kommission für eine bessere Rechtsetzung und zur Vereinfachung des EU-Rechts. Die Kommission sollte jedoch vermeiden, neue bürokratische Verfahren zum Bürokratieabbau zu schaffen.
- 2. Die von der Kommission vorgeschlagenen Schlüsselinitiativen im Jahr 2008 wird der Bundesrat anhand der noch von der Kommission vorzulegenden konkreten Vorhaben auf ihren europäischen Mehrwert hin sowie unter den Gesichtspunkten Kompetenzordnung, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sorgfältig prüfen.
- 3. Die Bewältigung des Klimawandels wird von der Kommission als bereichsübergreifende Priorität benannt. Die EU hat sich mit den Beschlüssen des Europäischen Rates vom 8./9. März 2007 auf diesem zentralen Politikfeld als handlungsfähig erwiesen. Die nun notwendigen Legislativvorschläge müssen der Vorreiterrolle der EU im internationalen Klimaschutz gerecht werden, aber auch die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft berücksichtigen. Dies trifft z.B. bei dem angekündigten Legislativvorschlag zur Begrenzung der Emissionen durch den Luftverkehr zu.
- 4. Bei energiepolitischen Fragen unterstützt der Bundesrat ein gemeinschaftliches Handeln dort, wo ein Mehrwert gegenüber einzelstaatlichem Handeln zu erwarten ist. Er erinnert die Bundesregierung in diesem Zusammenhang an seine Bitte, darauf hinzuwirken, dass Vorschläge und Maßnahmen der Kommission die Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigen, den nationalen energiepolitischen Gestaltungsspielraum bewahren und den Subsidiaritätsgrundsatz einhalten.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die erneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung weiterhin zentrales Instrument zur Förderung einer prosperierenden EU bleiben soll. Er ist jedoch der Auffassung, dass die derzeitigen Planungs- und Berichterstattungspflichten der Mitgliedstaaten auf ein Minimum reduziert werden sollten.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass das Thema demografischer Wandel in der Strategieplanung zwar als Priorität benannt wird, im Weiteren aber keinen Niederschlag findet. Die Auswirkungen demografischer Prozesse sind jedoch in vielen gesellschaftlichen Bereichen spürbar und sollten daher in den bereits geplanten Kommissionsvorhaben Berücksichtigung finden.
- 7. Der Bundesrat nimmt die Ankündigung der Initiativen zur Bekämpfung der Diskriminierungen außerhalb des Arbeitsmarktes aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zur Kenntnis. Er spricht sich jedoch derzeit gegen die Setzung von weiterem europäischen Recht in diesem Bereich aus.
- 8. Im Hinblick auf die Vorschläge der Kommission zur Steuerung der Migrationsströme in die EU bekräftigt der Bundesrat erneut seine Auffassung, dass die Entscheidung über den Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt uneingeschränkt bei den Mitgliedstaaten verbleiben muss. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zudem, die Ansätze zu einer temporären und zirkulären Migration einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
- 9. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, im Rahmen des Haager Programms und seiner Fortschreibung die Zusammenarbeit zur Förderung von Freiheit, Sicherheit und Recht weiter auszubauen.
- 10. Der Bundesrat lehnt jede Ausweitung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz ab, soweit sie eine Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene zur Folge hat. Insbesondere stellt der "Barnier-Bericht" aufgrund seiner in dieser Hinsicht diametral entgegenstehenden Grundausrichtung schon keine geeignete Grundlage dar, um das Gemeinschaftsverfahren im Katastrophenschutzbereich zu modifizieren. Im Dezember 2006 wurde zudem unter den Mitgliedstaaten eine politische Einigung über das Finanzierungsinstrument für den Bevölkerungsschutz erzielt. Das Einverständnis zu diesem Kompromiss wurde vom Bundesrat nur mit der Maßgabe erteilt, dass die Kommission ihre Kompetenzen nicht ausweitet und somit das Gemeinschaftsverfahren nicht im oben genannten Sinne erweitert wird.
- 11. Der Bundesrat begrüßt es, dass die Kommission im Jahr 2008 eine Halbzeitbewertung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) 2003 in Form einer "Generalüberprüfung" vornimmt, die ein wesentlicher Baustein des Vorhabens der "besseren Rechtsetzung" in der EU ist. Der Bundesrat legt Wert darauf, dass diese Überprüfung ausschließlich der besseren Funktionsfähigkeit, der bürokratischen Entlastung sowie der Akzeptanzverbesserung der GAP-Reform 2003 dient (keine "Reform der Reform"). Insbesondere sollten Ausnahmeregelungen wie z.B. die Teilkopplung der Direktzahlungen angepasst sowie die Flächenstilllegung aufgehoben werden. Darüber hinaus begrüßt der Bundesrat, dass zeitgleich und frühzeitig eine Diskussion über die GAP nach 2013 angestoßen wird ("zwei Schritte - eine Vision").
- 12. Im Hinblick auf die geplanten Aktivitäten bei der Umsetzung der Reform im Weinsektor lehnt der Bundesrat die von der Kommission beabsichtigten Rodungsprogramme und jegliche Einschränkung oder ein Verbot der traditionellen Saccharose-Anreicherung ab. Der Bundesrat spricht sich für die Beibehaltung der bewährten Verfahren sowie für den Bestand der eigenständigen gemeinsamen Marktorganisation für Wein aus und bittet die Bundesregierung, sich auf europäischer Ebene hierfür einzusetzen.
- 13. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die EU-Meerespolitik durch verschiedene Initiativen voranbringen will. Dabei hält er die gleichrangige Integration aller maritimen Politik- und Handlungsfelder in eine zukünftige europäische Meerespolitik für erforderlich. Daraus folgt, dass die Unterstützung einer wettbewerbsfähigen maritimen Wirtschaft, die Förderung maritimer Forschung und der nachhaltige Schutz der Meeresumwelt als gleichberechtigte Themenkomplexe in einer zukünftigen europäischen Meerespolitik verankert werden müssen. Hierfür ist es allerdings auch notwendig, Politikfelder wie die gemeinsame Fischerei-, die Agrar- und die Umweltpolitik (z.B. Chemikalien- und Abfallpolitik) in ihren Wirkungen auf die Meerespolitik stärker einzubeziehen.
- 14. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, Bürger und Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), vorrangig durch Bürokratieabbau und Verfahrensvereinfachung optimal vom Binnenmarkt profitieren zu lassen.
- 15. Der Bundesrat bedauert, dass in der "Jährlichen Strategieplanung für 2008" der Vorschlag der Einführung des Diskontinuitätsprinzips auf europäischer Ebene keine Erwähnung findet. Der Vorschlag der Kommission, dass künftige Kommissionen grundsätzlich während der ersten sechs Monate ihrer Amtszeit die anhängigen Vorschläge daraufhin überprüfen sollten, ob sie mit den politischen Prioritäten im Einklang stehen, und jene Vorschläge zurückziehen sollten, bei denen dies nicht der Fall ist, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, dem weitere Schritte folgen sollten.
- 16. Die Absicht der Kommission, mittels einer besseren Kommunikationsarbeit den Bürgerinnen und Bürgern in Europa die europäischen Themen besser zu vermitteln, unterstützt der Bundesrat nachdrücklich. Er bittet die Bundesregierung, auf europäischer Ebene darauf Einfluss zu nehmen, dass in die geplanten Kommunikationsprioritäten für 2008 zusätzlich die Themen "Bessere Rechtsetzung", "Verfahrensvereinfachung" und "Bürokratieabbau" sowie die "Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips" aufgenommen werden. Gerade in diesen Bereichen sieht der Bundesrat gute Chancen, die Akzeptanz der EU bei den Bürgerinnen und Bürgern zu stärken.
- 17. Der Bundesrat sieht mit Sorge die im Strategieplan angekündigte Ausweitung des Aufgabenbereichs von Agenturen sowie deren Neugründung. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, wonach neue Agenturen bzw. neue Kompetenzen für bestehende Agenturen nur nach intensiver Prüfung ihrer Notwendigkeit und von Alternativen unter den Gesichtspunkten Subsidiarität, Deregulierung, Konzentration, Demokratie und Transparenz eingerichtet werden sollen. Die Ausführung von EU-Recht sollte grundsätzlich auch unter dem Aspekt der Bürgernähe den einzelnen Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen zuständigen Ebenen vorbehalten bleiben.
- 18. Hinsichtlich der von der Kommission für das Jahr 2008 eingeforderten zusätzlichen Humanressourcen und den erbetenen zusätzlichen Stellen zur Bewältigung ihrer Aufgaben bittet der Bundesrat die Bundesregierung sehr sorgfältig darauf zu achten, dass dies nur in dem unbedingt notwendigen Umfang erfolgt. Weiter bleibt unklar, inwieweit hierbei die bereits im Zuge der Erweiterung bewilligten zusätzlichen Stellen mit berücksichtigt sind. Der Bundesrat kritisiert in diesem Zusammenhang die mangelnde Nachvollziehbarkeit des von der Kommission angegebenen Bedarfs. Unklar bleibt insbesondere, inwieweit vorhandene Einsparpotentiale innerhalb der Kommission genutzt worden sind, um einen zusätzlichen Stellenbedarf möglichst zu vermeiden. Der Bundesrat weist hierzu auf die umfangreichen Anstrengungen der deutschen Länder zur Reduzierung der Verwaltungskosten hin und fordert die Bundesregierung auf, im Haushaltsverfahren zum EU-Budget 2008 gegenüber der Kommission auf strikte Einhaltung der haushaltspolitischen Grundsätze der Sparsamkeit und Ausgabendisziplin zu achten.
- 19. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Dialog mit der Kommission und dem Europäischen Parlament zu den politischen Prioritäten 2008 und zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission und dem Haushalt 2008 diese Positionen des Bundesrates zu berücksichtigen und dabei insbesondere auf die Wahrung der Kompetenzordnung, die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu achten.
- 20. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.