Punkt 18 der 856. Sitzung des Bundesrates am 6. März 2009
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Initiative der Bundesregierung, mit einem Kinderschutzgesetz den Kinderschutz in Deutschland weiter zu verbessern. Mit dem Gesetzentwurf greift die Bundesregierung aber nicht nur die Beschlüsse des sogenannten Kindergipfels der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder vom 12. Juni 2008 auf, sondern geht darüber hinaus. Einige Regelungen werden von diesem Beschluss nicht gedeckt.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass der Gesetzentwurf auch eine Befugnisnorm zur Weitergabe von Informationen an das Jugendamt für Personen schafft, die beruflich Kinder und Jugendliche ausbilden, erziehen oder betreuen, die in sich inkonsequent und nicht praxistauglich ist. Der Beschluss des Kinderschutzgipfels vom 12. Juni 2008 erfasst diesen Personenkreis nicht.
Mit Artikel 1 § 3 Absatz 1 des Gesetzentwurfs wird der definierte Personenkreis verpflichtet, die Personensorgeberechtigten über gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu informieren. Dabei lässt er offen, wie dieser Personenkreis fachlich in die Lage versetzt wird, Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung zu erkennen und diese mit den Eltern zu besprechen; denn diese Personen sind in aller Regel weder für eine entsprechende Gesprächsführung ausgebildet, noch sind sie auf Grund ihrer Ausbildung fachlich in der Lage einzuschätzen, ob ein solches Gespräch für das Kind förderlich oder schädlich sein kann. Unklar bleibt auch, ob die Informationspflicht in Artikel 1 § 3 Absatz 1 Vorrang vor der in Artikel 1 § 3 Absatz 2 geregelten Befugnis hat, sich mit Fachkräften im Kinderschutz zu beraten, oder ob die in § 3 Absatz 3 geregelte Befugnisnorm ihnen auch die Möglichkeit gibt, direkt dem Jugendamt eine entsprechende Mitteilung zu machen.
Diese gesetzliche Regelung wird den Kinderschutz nicht verbessern, sondern die betroffenen Berufsgruppen verunsichern und ihre Arbeit erschweren.
- 3. Der Bundesrat stellt weiter fest, dass die Regelung in Artikel 1 § 3 geschaffen wurde, ohne dass eine Abwägung zur in Artikel 2 vorgeschlagenen Änderung des § 8a SGB VIII vorgenommen wurde.
Der Bundesrat empfiehlt, die Sorge der Kommunalen Spitzenverbände, zahlreicher Fachverbände sowie der Wissenschaft ernst zu nehmen, dass auf Grund der mit Artikel 1 § 3 geschaffenen Befugnisnorm mit einer steigenden Zahl unbestimmter Meldungen an das Jugendamt zu rechnen ist, die im Zusammenwirken mit der beabsichtigten Änderung des § 8a SGB VIII und der damit verbundenen Einführung eines regelhaften Hausbesuchs zwar nicht dazu führen wird, dass mehr gefährdete Kinder entdeckt werden, aber die Handlungsmöglichkeiten des Jugendamtes einengt. Forschungsergebnisse anderer Länder wie z.B. Großbritannien belegen, dass ein Mehr an Meldungen den Kindesschutz vermindert, da es für die Jugendämter schwieriger wird, Meldungen zu klassifizieren und notwendige Prioritäten im Handeln zu setzen.
- 4. Der Bundesrat stellt weiter fest, dass der vorliegende Gesetzentwurf mit der Änderung des § 8a SGB VIII in Artikel 2 regelhaft einen Hausbesuch durch das Jugendamt zur Gefährdungseinschätzung vorschreibt, ohne dass die in der Begründung des Gesetzentwurfs aufgeworfene Frage beantwortet wird, wie das Jugendamt handeln soll, wenn die zu besuchenden Personen das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung in Anspruch nehmen und den Hausbesuch ablehnen. Da der Hausbesuch im Rahmen der Gefährdungseinschätzung vorzunehmen ist, kann das Jugendamt noch nicht die Frage beantworten, ob tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. Ohne akute Gefährdungssituation ist eine Amtshilfe durch die Polizei zur Durchsetzung des Hausbesuchs unter Berücksichtigung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit für jeden dieser Einzelfälle schwer zu begründen.
- 5. Der Bundesrat regt an, diese Gesetzesinitiative zu nutzen, um die drängenden Fragen zur Verbesserung des Kinderschutzes zu lösen. So haben die Projekte auf der Basis des Programms des Bundes "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme"Regelungslücken im Fünften Buch Sozialgesetzbuch und im Achten Buch Sozialgesetzbuch deutlich gemacht. Ein Bundeskinderschutzgesetz sollte die Aufgabe und den Anspruch haben, diese Regelungslücken zu schließen. Dazu gehört beispielsweise eine verbesserte Prävention (§ 20 SGB V), die Vergütung sozialmedizinischer Leistungen von Geburtshilfekliniken und Kinderkliniken (§ 39 SGB V), eine Öffnungsklausel für die Krankenkassenverbände, Modellprojekte im Bereich der frühen Hilfen durchzuführen (§ 63 SGB V), die Aufhebung der Mitteilung von Krankheitsursachen und drittverursachten Gesundheitsschäden an die Krankenkassen bei Kindeswohlgefährdungen (§ 294a SGB V) sowie im Achten Buch Sozialgesetzbuch eine Regelung der Zuständigkeit der Jugendhilfe für ungeborene Kinder und eine Regelung für eine verbesserte Kooperation zwischen Jugendhilfe und Gesundheitshilfe.