899. Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2012
A
- 1. Der federführende Ausschuss für Familie und Senioren (FS), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage wie folgt Stellung zu nehmen:
- a) Der Achte Familienbericht betont die Bedeutung der Zeitpolitik für eine moderne und nachhaltige Familienpolitik. Eine auf Familien gerichtete Zeitpolitik müsse an zwei unterschiedlichen Dimensionen ansetzen, nämlich einerseits an der Verbesserung der Zeitressourcen und der Zeitorganisation im Alltag von Familien und anderseits an der Entschärfung von Zeitknappheit und -konflikten in bestimmten Lebensphasen.
- b) Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass zur Zeitpolitik auch gehören muss, Frauen und Männern in familiären Zusammenhängen Alternativen zur traditionellen Zuständigkeits- und Zeitverteilung hin zu einer gleichberechtigten Wahrnehmung von Erwerbs- und privater Sorgearbeit zu ermöglichen.
- c) Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass die Ergebnisse des Achten Familienberichts der Ausgangspunkt für eine an den Bedürfnissen von Familien orientierte Zeitpolitik sein müssen. Er fordert die Bundesregierung auf, dazu zeitnah ein Konzept vorzulegen, das die von ihr in ihrer Stellungnahme zum Achten Familienbericht angesprochenen Wechselwirkungen mit anderen politischen Handlungsfeldern systematisch in den Blick nimmt und den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs anstößt.
- d) Der Achte Familienbericht konstatiert, dass der quantitativ bedeutsamste Taktgeber der Zeitverwendung die Arbeitszeiten sind. Die Erwerbstätigkeit verlange ein hohes Maß an zeitlicher Anpassung, das nicht selten zu Lasten des Familienlebens gehe. Prinzipiell entstünden berufsbedingt Zeitprobleme für Familien aus dem Umfang der Erwerbstätigkeit sowie aus der Verteilung und der Lage der Arbeitszeit. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund, die konkreten Handlungsempfehlungen der Sachverständigenkommission zu prüfen und umzusetzen und hierbei auch die Empfehlungen der Sachverständigenkommission für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung sowie weitere relevante zeitpolitische Erkenntnisse (wie zum Beispiel die Evaluierung des "Flexi-II"-Gesetzes) einzubeziehen.
- e) Prioritär ist dabei nach Auffassung des Bundesrates, tragfähige Verbesserungen bei der rechtlichen Ausgestaltung der Arbeitszeit zu erreichen, die Familien nützen und zugleich für Betriebe leistbar sind. Der Bundesrat teilt ausdrücklich die Auffassung der Sachverständigenkommission, dass die strukturelle Neutralität ("Blindheit") des Arbeitsrechts gegenüber der Familie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert. Er fordert die Bundesregierung daher auf, auf eine familienbewusste Zeitgestaltung, auch durch eine Anpassung arbeitsrechtlicher Vorschriften, hinzuwirken. Diese soll den Familien eine bessere rechtliche Position bei der Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen einräumen.
Dabei sind aus Sicht des Bundesrates folgende Ziele vordringlich:
- aa) Das Recht der Eltern, während oder nach der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung auszuüben, muss gestärkt werden. Ein Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung besteht zwar, steht aber unter dem Vorbehalt, dass "dringende betriebliche Gründe" (§ 15 Absatz 7 Satz 1 Nummer 4 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)) beziehungsweise "betriebliche Gründe" (§ 8 Absatz 4 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)) dem nicht entgegenstehen. Bei der Prüfung des Gewichtes der betrieblichen Gründe nach § 8 Absatz 4 Satz 1 TzBfG kommt es bisher auf das Motiv für das Teilzeitverlangen und dessen Gewicht nicht an. Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Familie verlangt jedoch, dass an die betrieblichen Gründe, die die Ablehnung eines Teilzeitwunsches zur Deckung des auch nach der Elternzeit fortbestehenden Betreuungsbedarfs von Kindern rechtfertigen sollen, erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Dies muss in die gesetzliche Regelung aufgenommen werden.
- bb) Eltern, die auf Grund der Betreuung ihrer Kinder ihre Tätigkeit reduziert haben, also eine Vollzeitbeschäftigung in eine Teilzeitbeschäftigung umgewandelt haben, sollen die Möglichkeit erhalten, dieses befristet zu tun. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass die Entscheidung für eine familienbedingte Teilzeit nicht in eine beschäftigungspolitische Sackgasse vor allem für Frauen führt und in der Familienphase auch von Männern stärker akzeptiert wird.
- cc) Die gesetzlichen Regelungen zur Teilzeit im BEEG und im TzBfG weichen an einigen Punkten ohne sachlichen Grund voneinander ab. So sind Eltern, die während der Elternzeit eine Teilzeitbeschäftigung wünschen und hierzu vom Arbeitgeber keine Stellungnahme erhalten, auf den Klageweg angewiesen, während außerhalb der Elternzeit die gewünschte Änderung gemäß § 8 Absatz 5 Satz 2 TzBfG per Gesetz eintritt. Auch ist im BEEG, anders als im TzBfG, nicht geregelt, inwieweit die Eltern ihre Wünsche zur Verteilung der Arbeitszeit gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen können. Beide Gesetzesbereiche sind daher daraufhin zu überprüfen, inwieweit eine Harmonisierung notwendig ist, die den Bedarfslagen der Eltern entspricht.
- f) Die Initiierung von weiteren Anreizen für zivilgesellschaftliches Engagement über die Einführung von sogenannten Zeitkonten-Systemen wird grundsätzlich begrüßt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, hierzu Vorschläge im Konsens mit den im Pflegesystem und in familienunterstützenden Leistungen Beteiligten zu entwickeln und zu erproben.
Dabei sind aus Sicht des Bundesrates folgende Ziele vordringlich:
- aa) Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf muss speziell für pflegende Angehörige verbessert werden. Dabei sind Verankerungen rechtlicher Ansprüche notwendig, unter anderem auch beim Familienpflegezeitgesetz [sowie ein systematisches Ineinandergreifen von Pflegezeitgesetz und Familiengesetz].
- bb) Maßnahmen zur Schaffung von Plattformen auf der kommunalen Ebene, die Menschen in ihrer Mitverantwortung - insbesondere im Hinblick auf nichtprofessionelle Pflege- und familienunterstützende Leistungen - ansprechen und zugleich die Möglichkeit bieten, sich auf die Wahrnehmung zivilgesellschaftlichen Engagements vorzubereiten, werden grundsätzlich begrüßt. Hierfür sind die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen.
- cc) Entlastungen für pflegende Angehörige, die hilfebedürftige Personen bereits im Vorfeld einer Einstufung in eine Pflegestufe betreuen, sind kurzfristig anzustreben.
B
- 2. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage Kenntnis zu nehmen.