Der Bundesrat hat in seiner 822. Sitzung am 19. Mai 2006 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der EU, einen einheitlichen Binnenmarkt für Dienstleistungen durch den Abbau bestehender Hindernisse rechtlicher, administrativer und praktischer Art zu verwirklichen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission in ihrem am 4. April 2006 vorgelegten Richtlinienvorschlag weit gehend die Änderungen des Europäischen Parlaments, insbesondere zum Herkunftslandprinzip, aufgegriffen hat.
- 3. Dennoch sieht der Bundesrat die Notwendigkeit folgender Änderungen am neuen Richtlinienentwurf der Kommission.
- Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie
Der Bundesrat hält eine umfassende Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie auch für Notare für erforderlich, die sich nicht allein auf die Ausübung hoheitlicher Aufgaben beschränkt. Sie unterliegen als Inhaber eines öffentlichen Amtes besonderen Bedingungen.
Soziale Dienstleistungen sind entsprechend den Regelungen zu den Gesundheitsdienstleistungen vollumfänglich von der Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie auszunehmen. Dazu gehören auch Leistungen der Rehabilitation und der Pflege, soweit sie nicht bereits als Gesundheitsdienstleistungen vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. Die Beschränkung der Ausnahme auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sozialwohnungen, Kinderbetreuung und Unterstützung bedürftiger Familien und Personen ist sachlich nicht begründet und nicht ausreichend.
- Daseinsvorsorge
Der Bundesrat unterstreicht, dass im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse gewährleistet sein muss, dass die Definitions-, Gestaltungs- und Finanzierungshoheit der Mitgliedstaaten unangetastet bleibt.
- Herkunftslandprinzip/ Dienstleistungsfreiheit
Der Bundesrat weist im Hinblick auf den geänderten Artikel 16 zur Dienstleistungsfreiheit darauf hin, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht die Entscheidung vorwegnehmen darf, ob bestimmte Dienstleistungsbereiche zu einem späteren Zeitpunkt durch europäische Maßnahmen harmonisiert werden sollen.
- 4. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass im Rahmen der Verhandlungen im Rat weitere Klarstellungen, insbesondere zur Umsetzung der Regelungen zur Einführung einer Einheitlichen Ansprechstelle sowie zur Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, gefunden werden müssen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung weiterhin darauf zu achten, dass die konkrete Ausgestaltung der Einheitlichen Ansprechstelle in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit erfolgt und eventuelle Vorgaben der EU nicht in die nationale Zuständigkeitsverteilung eingreifen.
- 5. Der Bundesrat bekräftigt insbesondere seine Bedenken hinsichtlich der verwaltungstechnischen, kostenintensiven und sehr engen zeitlichen Vorgaben für die Umsetzung des Richtlinienvorschlags in nationales Recht. Er weist dabei insbesondere auf die folgenden Punkte hin:
- - Artikel 45 des Richtlinienvorschlags sieht eine Umsetzung des Richtlinienvorschlags innerhalb von zwei Jahren nach der Verabschiedung vor. Bei dem weiten Umfang der horizontalen Regelungen wird bezweifelt, dass die Vorgabe von den Mitgliedstaaten eingehalten werden kann. Der Bundesrat spricht sich daher für eine Verlängerung der Umsetzungsfrist auf mindestens 3 bis 5 Jahre aus.
- - Es sollte daher bei der Einführung insbesondere wesentlicher Bestandteile einer elektronischen Verfahrensabwicklung ein stufenweises Vorgehen beginnend mit den wichtigsten Anwendungen und Nutzerkreisen geprüft werden.
- - Bei den vorgesehenen umfangreichen Regelungen über die Informationspflichten der Mitgliedstaaten, die durch die Änderungen in Artikel 22 noch ausgeweitet wurden, sowie der Dienstleistungserbringer gegenüber den Dienstleistungsempfängern ist sorgfältig zu prüfen, ob jede dieser Regelungen für die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarkts unbedingt erforderlich ist.
- - Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften, die für Dienstleistungstätigkeiten Anforderungen aufstellen, daraufhin zu überprüfen, ob diese diskriminierungsfrei, erforderlich und verhältnismäßig sind ist ein wichtiger Beitrag zur Deregulierung und wird unterstützt. Die Notwendigkeit der Erstellung eines Berichts im Rahmen der gegenseitigen Evaluierung ist jedoch zu überprüfen. Dabei muss auch sorgfältig geprüft werden ob und ggf. welche Regelungen überhaupt Gegenstand einer solchen Überprüfung sein sollen und in welchem Umfang Gründe des Gemeinwohls ihre Beibehaltung rechtfertigen. Bleibt es bei der vorgesehenen Berichtspflicht, spricht sich der Bundesrat für einen größeren zeitlichen Spielraum aus.
- - Einer sorgfältigen Prüfung müssen ebenfalls die seitens der Mitgliedstaaten mitzuteilenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften gemäß Artikel 15 Abs. 7 unterzogen werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Entscheidungsfreiheit der nationalen Gesetzgeber nicht beeinträchtigt wird.
- - Artikel 36b enthält Regelungen zum Austausch und der Fortbildung der mit der gegenseitigen Amtshilfe betrauten Beamten. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission Maßnahmen für die fachgerechte Ausbildung der betroffenen Beamten unterstützen will. Allerdings dürfen daraus keine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten abgeleitet werden, Austausch- und Fortbildungsmaßnahmen zwingend durchzuführen. Ausgestaltung und Umfang der erforderlichen Fortbildungen müssen den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. Der Passus sollte daher gestrichen werden.
- 6. Der Bundesrat spricht sich hinsichtlich der umfassenden Umsetzung der Richtlinie mittels Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) gegen folgende Festlegungen aus:
- - Nach Artikel 7 Abs. 3, Artikel 8 und Artikel 22 soll neben der elektronischen Lösung eine weitere Lösung "im Fernweg" vorgehalten werden. Es ist durch eine klarere Formulierung sicherzustellen, dass es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, ob und inwieweit sie neben der elektronischen Lösung andere Lösungen anbieten.
- - Die Richtlinie eröffnet einen weiten Interpretationsspielraum, der auch IuK-Lösungen einschließt die tief in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten zu ihrer Umsetzung und zur Organisation der Verwaltungsprozesse eingreifen. Klargestellt werden muss unter anderem, dass die jeweiligen IuK-Verfahren der Kommission, des Bundes, der Länder und Kommunen nicht unwirtschaftlich werden.
- - Der Ausschuss soll nach Artikel 42 bezüglich der IuK ein Beratungs- und kein Regelungsausschuss sein. Die in dem Ausschuss insbesondere zu behandelnde IuK tangiert erheblich die Aufgaben der Länder und Kommunen.
Deshalb fordert der Bundesrat einen Regelungsausschuss und die laufende Mitwirkung der Länder über den Bund.
Die notwendigen Voraussetzungen für die in der Richtlinie vorgesehene gegenseitige Unterstützung der Mitgliedstaaten sind unter Beachtung des Grundsatzes der Subsidiarität durch eine offene, konkret beschriebene, dezentral anpassbare, standardisierte und interoperable IuK zu schaffen. Es muss sichergestellt sein, dass auf bestehende oder bereits im Aufbau befindliche e-Government-Systeme zurückgegriffen werden kann und eine Doppelung von Aktivitäten vermieden wird.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Länder bei den entsprechenden Arbeiten, insbesondere auch bei den Verhandlungen zur Einführung eines Binnenmarktinformationssystems intensiv zu beteiligen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Kosten einer solchen Verwaltungszusammenarbeit zur Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarkts die Länder und Kommunen finanziell nicht übermäßig belasten dürfen.
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich in den anstehenden Beratungen für die hier geäußerten Positionen einzusetzen.
- 8. Der Bundesrat behält sich weitere Stellungnahmen vor.