882. Sitzung des Bundesrates am 15. April 2011
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Bestrebungen der EU, die Durchführung der geltenden EU-Rückübernahmeabkommen zu evaluieren. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass sich Rückübernahmeabkommen als wichtiges Instrument zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung aus Drittstaaten bewährt haben. Er stimmt auch der Einschätzung der Kommission zu, dass die Verhandlungen über EU-Rückübernahmeabkommen in vielen Fällen zu lange Zeit in Anspruch genommen haben bzw. nehmen. Wichtigstes Ziel aller Rückübernahmeabkommen muss es sein, das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht, die Pflicht zur Rückübernahme der eigenen Staatsangehörigen, auf eine für alle Beteiligten verbindliche Grundlage zu stellen. Zur Fortentwicklung der EU-Rückübernahmepolitik tritt er aber den Bestrebungen, bei Aufnahme der Verhandlungen zum Abschluss von Rückübernahmeabkommen migrationspolitische Anreize anzubieten, entschieden entgegen. Insbesondere dürfen Visumliberalisierungen nicht aktiv und ohne Prüfung von Alternativen z.B. im Bereich der Wirtschafts- oder Entwicklungszusammenarbeit in Aussicht gestellt werden. Die negativen Erfahrungen mit der Visumfreiheit für die westlichen Balkan-Staaten, die zu einem signifikanten Anstieg der Asylbewerberzahlen aus diesen Ländern geführt haben, müssen einbezogen werden. Aus diesem Grund unterstützt der Bundesrat auch den von Frankreich und den Niederlanden unterbreiteten Vorschlag, die Verordnung (EG) Nr. 539/2001 um einen (Eil-)Mechanismus zur Aussetzung der Visumfreiheit zu ergänzen. Der Bundesrat weist zudem erneut darauf hin, dass der Umfang der legalen Zuwanderung, insbesondere die Festlegung, wie viele Drittstaatsangehörige aus Drittländern in ihr Hoheitsgebiet einreisen dürfen, gemäß Artikel 79 Absatz 5 AEUV in der nationalen Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten liegt.
- 2. Eine Drittstaatsangehörigen-Klausel (Empfehlungen 4 und 8) in den Rückübernahmeabkommen ist von großer Bedeutung und auch künftig unverzichtbar. Der Nachweis der Staatsangehörigkeit ist vor dem Hintergrund von Identitätstäuschungen und Unterdrückung von Urkunden (vgl. BR-Drucksache 224/07 (PDF) , S. 352) häufig nur sehr schwer zu erbringen. Dagegen kann der Nachweis des vorherigen Aufenthalts in dem zur Rückübernahme verpflichteten Drittstaat oder die Herkunft aus diesem Staat regelmäßig erbracht werden.
- 3. Zur Empfehlung 7 weist der Bundesrat darauf hin, dass die Höchsthaftdauer in Artikel 15 Absatz 5 und 6 der Richtlinie 2008/115/EG festgelegt ist. Der Bundesrat lehnt eine darunter liegende feste Haftzeit ab. In der Praxis ist die Abschiebungshaft das letzte Mittel, um die vollziehbare Ausreise Ausreisepflichtiger durchzusetzen. Sie ist in den weit überwiegenden Fällen auf wenige Tage oder Wochen beschränkt. Im Fall längerer Haftzeiten haben die Abschiebungsgefangenen dies in der Regel selbst zu vertreten, etwa aufgrund falscher Angaben zu Identität oder Staatsangehörigkeit.
- 4. Die Erwägung der Kommission in Empfehlung 9, die systematische Teilnahme einschlägig befasster Nichtregierungsorganisationen bei den Sitzungen der Gemischten Rückübernahmeausschüsse vorzusehen, lehnt der Bundesrat nachdrücklich ab. Die einschlägigen Organisationen sind nicht in verantwortlicher Funktion an dem Rückübernahmeverfahren beteiligt und verfolgen in der Regel nicht die Interessen der Mitgliedstaaten, den Aufenthalt ausreisepflichtiger Ausländer in einem schnellen und effizienten Verfahren zu beenden.
- 5. Der Bundesrat sieht keinen Bedarf, in künftigen Rückübernahmeabkommen flankierende Maßnahmen, Kontrollmechanismen und/oder Garantien in Betracht zu ziehen, um zu garantieren, dass die Menschenrechte der Rückkehrer uneingeschränkt Beachtung finden, und den bestehenden Rückübernahmeausschüssen hierzu Mitwirkungsbefugnisse zuzuweisen (vgl. Nr. 4.3 der Mitteilung). Die Einhaltung der Menschenrechte ist Aufgabe der Mitgliedstaaten aufgrund der von den Mitgliedstaaten eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die Rückübernahmeausschüsse haben keine Kontrollbefugnisse. Hinzu kommt, dass bestandskräftige Entscheidungen nationaler Behörden über die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes, insbesondere ablehnende Entscheidungen im Asylverfahren, im Rückübernahmeverfahren auf Grundlage von Rückübernahmeabkommen nicht in Frage gestellt werden dürfen. Aus den gleichen Erwägungen lehnt der Bundesrat die in Empfehlung 12 vorgeschlagene Aufnahme von Aussetzungsklauseln in EU-Rückübernahmeabkommen ab.
- 6. Zur Empfehlung 10, einen Leitfaden für Grenzschutzbeamte zu erstellen, in dem die Wichtigkeit der Feststellung, ob Personen internationalen Schutz beantragen wollen, hervorgehoben werden soll, weist der Bundesrat auf die laufenden Beratungen zur Änderung der Richtlinie 2005/85/EG hin, denen nicht vorgegriffen werden sollte.
- 7. Die Beauftragung eines Pilotprojekts (Empfehlung 15), mit dem die Situation der rückübernommenen Personen verfolgt werden soll, lehnt der Bundesrat nachdrücklich ab. Er ist der Auffassung, dass die in Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG enthaltenen nationalen Spielräume aufrecht erhalten bleiben müssen.
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- 8. Der Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.