Brüssel, den 17.6.2014 C(2014) 4061 final
Herrn Stephan WEIL
Präsident des Bundesrates
Leipziger Straße 3-4
10117 BERLIN
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (COM (2013) 794 final).
Zu den in der Stellungnahme des Bundesrates angesprochenen Kernpunkten möchte die Kommission Folgendes ausführen:
Im Zuge ihrer Bewertung der praktischen Funktionsweise des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen hat die Kommission festgestellt, dass viele Unternehmen das Verfahren hauptsächlich deshalb nicht nutzen, weil die meisten ihrer Forderungen über der Streitwertgrenze von 2 000 EUR liegen. Die europäischen Unternehmensverbände bestätigten, dass ein beschleunigtes und vereinfachtes Verfahren äußerst wünschenswert für die Unternehmen sei. Eine Anhebung der Streitwertgrenze auf 10 000 EUR hätte zur Folge, dass 50 % der grenzüberschreitenden Forderungen kleiner und mittlerer Unternehmen im Rahmen dieses vereinfachten Verfahrens behandelt werden könnten. Es sei darauf hingewiesen, dass während des gesamten Anwendungszeitraums dieses Verfahrens für geringfügige Forderungen keinerlei Beschwerden bezüglich der Fairness des Verfahrens eingegangen sind Eine Anhebung der Streitwertgrenze dürfte daran nichts ändern.
Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen setzt zwar die höchsten Verfahrensstandards, soll jedoch kein Schritt hin zu einer europäischen Zivilprozessordnung sein. Das Verfahren funktioniert nur, wenn es durch das nationale Verfahrensrecht ergänzt wird. Es bietet eine Alternative zu den auf einzelstaatlicher Ebene bestehenden Verfahren und beschränkt sich auf "grenzüberschreitende" Fälle.
Mit der Überarbeitung der Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen soll der Anwendungsbereich der Verordnung auf eine begrenzte Anzahl faktisch grenzüberschreitender Fällen erweitert werden, in denen die Parteien möglicherweise davon ausgehen, dass die Nutzung des europäischen vereinfachten Verfahrens von Vorteil wäre.
Die derzeitige Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen ist sehr eng gefasst. Die Kommission möchte daran erinnern, dass die Union nach Artikel 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union befugt ist, in "Zivilsachen mit grenzübergreifendem Bezug" einzugreifen; dieses Konzept ist weiter gefasst als die derzeitige Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen in der Verordnung
Eine hohe Anzahl von Zivilsachen betrifft Transaktionen, die schriftlich gut dokumentiert sind Mit der überarbeiteten Verordnung würde die Möglichkeit beibehalten, mündliche Verhandlungen anzuberaumen; im Interesse der Parteien und um ihnen einen besseren Zugang zur Justiz zu ermöglichen, beschränkt die Verordnung allerdings derartige mündliche Verhandlungen auf Fälle, in denen das Gericht nicht der Lage ist, auf der Grundlage der vorgelegten Urkundsbeweise ein Urteil zu fällen. Sofern das Gericht zur Urteilsfindung keine neuen Beweise benötigt, ist die Anberaumung mündlicher Verfahren, die in der Regel mit Reise- und anderen Kosten für die Parteien und Gerichte verbunden sind, unverhältnismäßig und nach dem Grundsatz eines gerechten Gerichtsverfahrens eindeutig nicht erforderlich.
Den Parteien bei mündlichen Verhandlungen die Verwendung von Telekommunikationsmitteln zu verweigern, wenn sie oder andere Beteiligte in einem anderen Mitgliedstaat als das zuständige Gericht ansässig sind, wäre angesichts der bei der Anschaffung der entsprechenden Ausrüstung anfallenden Einmalkosten ebenso unverhältnismäßig Selbst wenn die technische Ausrüstung für die Zwecke der Umsetzung des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen erworben würde, wäre deren Verwendung nicht auf eine Nutzung im Rahmen dieses Verfahrens beschränkt. Da der Einsatz derartiger Telekommunikationsmittel in Strafsachen zulässig ist, erscheint es gerechtfertigt, ihn auch in zivilrechtlichen Verfahren mit geringem Streitwert zuzulassen.
Die Kommission weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bereits nach der geltenden Verordnung verpflichtet sind, die Parteien beim Ausfüllen der Formulare zu unterstützen. Da diese Verpflichtung in den Mitgliedstaaten unzureichend umgesetzt wird, zielt die vorgeschlagene Überarbeitung darauf ab, den Anwendungsbereich der Verpflichtung und die Angaben zu den Organisationen zu präzisieren, die den Bürgerinnen und Bürgern Hilfestellung geben können. Die Hilfestellung sollte technischer Art sein und keine rechtliche Beratung darstellen.
Die unverhältnismäßigen Kosten zivilrechtlicher Verfahren mit geringem Streitwert stehen einem leichten Zugang zur Justiz de facto im Wege und müssen gesenkt werden, damit die Verordnung wirksam wird Artikel 28 der Verordnung, nach der die Kommission verpflichtet ist, u.a. die Gerichtsgebühren zu überprüfen, ist ein Beleg dafür, dass der Gesetzgeber ein Eingreifen der Union in diesem Bereich nicht ausschließt. Die Kommission teilt die Auffassung, dass bestimmte Kosten für externe Personen (z.B. für Sachverständige, Übersetzer und Zeugen) nicht unter die Begriffsbestimmung der Gerichtsgebühren nach der Verordnung fallen sollten. Dagegen würde die Verringerung der von den Gerichten für die Ausübung ihrer Funktionen erhobenen (und im Voraus zu entrichtenden) Gebühren auf einen angemessenen Betrag den Zugang zu den Gerichten erleichtern. Die Kommission weist darauf hin, dass die Obergrenze von 10 % des Forderungswertes nicht sehr restriktiv ist und in den meisten Mitgliedstaaten bereits Anwendung findet.
Schließlich hat die Kommission sorgfältig alle Hindernisse bei der Nutzung des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen bewertet und ist bereits systematisch gegen diejenigen vorgegangen, die durch nichtlegislative Mittel beseitigt werden können. Nach der Annahme der Verordnung hat die Kommission mehrere Instrumente zur Erleichterung der Nutzung des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen entwickelt, etwa interaktive, mehrsprachige Formulare auf dem europäischen E-Justizportal, Leitfäden für Praktiker und Bürger in allen Amtssprachen, in denen das Verfahren Schritt für Schritt erläutert wird, Schulungsmodule für Richter und Juristen sowie Schulungsmaterialien für KMU zur grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen. Es könnte noch mehr getan werden, um den Bekanntheitsgrad des europäischen Verfahrens dem der nationalen vereinfachten Verfahren (die derzeit mehr als doppelt so bekannt sind) anzunähern, doch reicht eine Sensibilisierung allein nicht aus, um das Problem der unverhältnismäßigen und unnötigen Kosten und der langwierigen Verfahren zu lösen, die derzeit Kläger davon abhalten, das europäische Verfahren zu nutzen.
Die vorgenannten Punkte stützen sich auf den von der Kommission vorgelegten ersten Vorschlag, der derzeit im Gesetzgebungsverfahren unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments und des Rates, in dem die Bundesregierung vertreten ist, behandelt wird
Die Kommission hei, mit diesen Ausführungen die in der Stellungnahme des Bundesrates angesprochenen Punkte geklärt zu haben, und sieht der Weiterführung des politischen Dialogs erwartungsvoll entgegen.
Hochachtungsvoll