Der Bundesrat hat in seiner 882. Sitzung am 15. April 2011 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Einleitung eines umfassenden Konsultationsverfahrens zu Fragen im Zusammenhang mit dem freien Verkehr öffentlicher Urkunden und der Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden.
- 2. Der Bundesrat unterstützt das Bemühen der Kommission, mit Blick auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte ein Europa im Dienst der Bürgerinnen und Bürger schaffen zu wollen. Die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit müssen jedoch sichergestellt bleiben.
- 3. Ein Teil der im Grünbuch der Kommission geschilderten Sachverhalte und Problemstellungen hinsichtlich der Verwendung öffentlicher Urkunden sowie der Beschaffung, Beweiskraft und Anerkennung der Wirkung von Personenstandsurkunden war bereits Gegenstand der "Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat: Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger" (KOM (2009) 262 endg.; Ratsdok. 11060/09.
Zu dieser Mitteilung hat der Bundesrat am 18. September 2009 Stellung genommen (BR-Drucksache 616/09(B) ). Der Bundesrat nimmt auf Ziffer 11 dieser Stellungnahme Bezug und bittet, seine damalige Position zu berücksichtigen.
- 4. Im Übrigen hat sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 12. Februar 2010 bereits zum "Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses" (KOM (2009) 154 endg.; Ratsdok. 14722/09) grundsätzlich mit dem Thema der "Anerkennung" von Urkunden beschäftigt (BR-Drucksache 780/09(B) ). Der Bundesrat wiederholt den damaligen Hinweis, dass der Begriff "Anerkennung" im Zusammenhang mit öffentlichen Urkunden zu Missverständnissen führen kann. Er wird bislang nur in Verbindung mit gerichtlichen Entscheidungen verwendet. Da Urkunden jedoch nicht dieselben Wirkungen wie eine der Rechtskraft fähige Entscheidung entfalten, sollte zur Abgrenzung der unterschiedlichen Wirkungen geprüft werden, ob bei Urkunden nicht ein anderer Begriff als der der "Anerkennung" gebraucht werden kann.
- 5. Die von der Kommission aufgeworfenen Fragen beantwortet der Bundesrat vor diesem Hintergrund wie folgt:
Zu Frage 1:
- 6. Der Verzicht auf jegliche Überbeglaubigung würde dazu beitragen, den freien Verkehr von Urkunden zu erleichtern. Er wird daher im Grundsatz begrüßt.
Voraussetzung hierfür ist allerdings die weitere Gewährleistung der mit den bisherigen Formalitäten verfolgten Zwecke, insbesondere des Echtheitsnachweises, sowie einer geordneten und verlässlichen Personenstandsregistrierung in allen Mitgliedstaaten der EU, und zwar nicht nur im jeweiligen Recht dieser Staaten, sondern auch in der praktischen Rechtsanwendung durch die in den jeweiligen Staaten zuständigen Behörden und Dienststellen.
Im Hinblick auf die angesichts der Sprachbarrieren notwendige Vereinheitlichung der Formulare erlangt das Übereinkommen vom 8. September 1976 über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus den Personenstandsbüchern Bedeutung, dem die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1997 beigetreten ist (BGBl. 1997 II, S. 774). Bei einem Beitritt aller EU-Staaten zu diesem Überkommen würde ein zusätzliches europäisches System nicht mehr benötigt werden. Der Beitritt sollte daher möglichst offensiv verfolgt werden. Unabhängig davon darf nicht unbeachtet bleiben, dass mit der Legalisation oder der Apostille lediglich die Echtheit der Unterschrift und die Eigenschaft, in der der Unterzeichner gehandelt hat, bestätigt werden, aber nicht der eigentliche Inhalt der Urkunde.
Ein Wegfall der Legalisation/Apostillierung führt nur zu einem Mehrwert, wenn auch weiterhin eine Überprüfung der Echtheit möglich ist, jedoch ohne neue bürokratische Hürden an die Stelle der Legalisation/Apostillierung treten zu lassen.
Auch bei einem grundsätzlichen Verzicht auf jegliches Verfahren der Überbeglaubigung muss es daher möglich bleiben, im Einzelfall die Überprüfung einer Urkunde zu verlangen, wenn begründete Zweifel an deren Echtheit und/oder inhaltlichen Richtigkeit bestehen.
Zu Frage 2:
- 7. Die konventionelle Zusammenarbeit zwischen den Standesämtern/Zivilstandsbehörden einiger Mitgliedstaaten der EU sowie verschiedener weiterer Staaten ist Gegenstand mehrerer Übereinkommen der Internationalen Kommission für das Zivilstandswesen (CIEC). Die bestehenden Übereinkommen sollten von den übrigen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert und in Kraft gesetzt werden.
Der Bundesrat steht einer engeren Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber; dies gilt insbesondere auch für die Kommunikation in elektronischer Form, soweit sie zu einer Verringerung von Verwaltungsaufwand beiträgt. Dies ist im Zusammenhang mit gegenseitigem Informationsaustausch gut vorstellbar. Er weist allerdings auf die traditionelle Verteilung staatlicher Aufgaben im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland hin, die die technische, administrative und Kostenfrage für eine solche Zusammenarbeit aufwirft. Darüber hinaus entsteht mit Blick auf den hohen Schutzbedarf von Personenstandsdaten eine nicht unbedeutende datenschutzrechtliche Problematik, deren Lösung sowohl eine datensichere Abwicklung der eventuellen Zusammenarbeit, als auch eine Reduzierung der ggf. auszutauschenden Daten auf das zur Erfüllung notwendiger Anforderungen unverzichtbare Maß erfordert.
Zu klären ist in diesem Zusammenhang u.a. die Frage, in wessen Trägerschaft ein solches Datenaustauschsystem liegt und wer die hierfür entstehenden Kosten tragen soll. Zuvor sollte eine Bestandsaufnahme der informationstechnischen Situation in allen Mitgliedstaaten der EU durchgeführt und hierbei insbesondere der jeweilige Grad der elektronischen Bearbeitungen im Personenstandswesen eruiert werden. Für die Situation der Bundesrepublik Deutschland ist darauf hinzuweisen, dass es eine flächendeckende elektronische Personenstandsregisterführung und einen darauf basierenden elektronischen Datenaustausch frühestens ab dem Jahr 2014 geben wird; dabei wird sowohl mit dezentralen Lösungen auf Standesamtsebene als auch mit Zentralkonzepten auf Länderebene gearbeitet werden. Aufgrund der Investitionen, die in der Vergangenheit dafür getätigt wurden bzw. derzeit noch unternommen werden, ist es aus deutscher Sicht unverzichtbar, dass neben den sicherheitstechnischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen sowie der grundsätzlichen Verlässlichkeit der Trägerschaft für ein solches System die Kompatibilität eines eventuellen europaweiten elektronischen Datenaustauschverfahrens mit den bestehenden nationalen elektronischen Verfahren problemfrei gewährleistet sein muss.
Zu Frage 3:
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es eine Verpflichtung des jeweiligen Heimatstaates gibt, den Personenstand seiner Bürgerinnen und Bürger zu dokumentieren und zu Beweiszwecken vorzuhalten; für Ereignisse im Ausland liegt die zusätzliche Registrierung im Heimatstaat in der Entscheidung des jeweils Betroffenen. Aus deutscher Sicht besteht diese Verpflichtung darüber hinaus für alle Personenstandsfälle, die sich im Staatsgebiet ereignen. Eine Umsetzung des Vorschlags, ein Personenstandsereignis nur noch an einem Ort zu registrieren, dürfte entgegen den Absichten der Kommission die Möglichkeiten der Freizügigkeit einengen. EU-Bürgerinnen und -Bürger sollten weiterhin die Möglichkeit haben, eine Registrierung etwaiger Personenstandsereignisse wie Geburt oder Eheschließung und selbstverständlich Sterbefälle auch im Staat ihrer Staatsangehörigkeit vornehmen zu lassen. Bedenken bestehen insofern gegen die Einrichtung einer zentralen Registrierstelle, die weder eine spürbare Erleichterung erbringen noch im deutschen oder dem Interesse der anderen Mitgliedstaaten liegen dürfte. Eine zentrale Registrierung wäre ohne vorherige Einführung einer EU-weit übereinstimmenden Beurkundungssystematik im Personenstandswesen außerdem auch nicht realisierbar. Ausreichend ist, dass EU-Bürgerinnen und -Bürger betreffende personenstandsrechtliche Ereignisse, die im Ausland beurkundet werden, der zuständigen Stelle im Herkunftsstaat automatisch mitgeteilt werden. Neben der Registrierung im Staat des dauernden Aufenthaltes sollte die weitergehende Registrierung im Heimatstaat möglich sein und der Entscheidung der jeweils betroffenen EU-Bürgerinnen und -Bürger unterliegen.
Zu Frage 4:
- 9. Eine Liste der für Personenstandsangelegenheiten zuständigen nationalen Behörden muss erstellt, gepflegt und aktualisiert werden. Neben der Zuständigkeit und Kostentragung wäre nach Auffassung des Bundesrates ein möglicher Bedarf für eine derartige Veröffentlichung zu klären. Eventuell ist es sinnvoller, die auf der Basis der EU-Dienstleistungsrichtlinie eingerichteten "Behördenfinder", über die die für Behörden-Dienstleistungen zuständigen Stellen ausfindig gemacht werden können, dahingehend zu erweitern, dass die für Personenstandsangelegenheiten zuständigen Stellen abgefragt werden können.
Zu Frage 5:
- 10. Die in Abschnitt 3.3 Buchstabe c des Grünbuchs angegebenen Beispiele betreffen nicht das Personenstandswesen. Für das Personenstandswesen wird auf die durch das zu Frage 1 erwähnte CIEC - Übereinkommen Nummer 16 auch in etlichen Staaten der EU bereits bestehenden Möglichkeiten hingewiesen. Es spricht vieles dafür, die Systematik der durch dieses Übereinkommen vorgesehenen Formulare auch in anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung einzuführen. Letztlich können durch mehrsprachige Formulare Übersetzungserfordernisse reduziert, aber - beispielsweise bei vorgesehenen Textfeldern - nicht völlig beseitigt werden.
Zu Frage 6:
- 11. Grundsätzlich kommen alle Personenstandsurkunden für die im Text behandelte Variante einer europäischen Urkunde in Betracht; außerdem Abstammungserklärungen, Namenserklärungen, Namensänderungen bzw. daraus ausgestellte Bescheinigungen.
Zu den Voraussetzungen wird auf Ziffer 11 der Stellungnahme des Bundesrates vom 18. September 2009 (BR-Drucksache 616/09(B) ) verwiesen. Im Hinblick auf das oben genannte CIEC-Übereinkommen vom 8. September 1976 stellt sich allerdings die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf einer solchen Urkunde. Hierzu wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Entgegen den Ausführungen im Sachverhaltstext des Grünbuchs müsste allerdings eine Verbindlichkeit der europäischen Urkunde im Hinblick auf deren Verwendungsmöglichkeit gegeben sein. Eine ebenfalls im Text des Grünbuchs angesprochene prioritäre Beibehaltung nationaler Personenstandsurkunden wird von hier für erforderlich gehalten. Die inhaltliche Gestaltung einer europäischen Urkunde muss den Anforderungen der nationalen Personenstands- und Familienrechte genügen, für die eine Unionskompetenz nicht besteht. Eine Vorgabe hinsichtlich eventueller Vermerke erscheint nicht aussichtsreich und im Übrigen verzichtbar.
Zu den Fragen 7, 8, 9 und 10:
- 12. Von den angesprochenen Möglichkeiten entspricht die "Anerkennung von Rechts wegen" vermutlich am ehesten einer gemeinschaftlichen Idealvorstellung und mag nicht zuletzt deswegen ein erstrebenswertes Ziel sein. Dieses Ziel ist aber nur dann zu erreichen, wenn Klarheit über die Rechtswirkungen der Anerkennung besteht. Bei der Frage der Anerkennung von öffentlichen Urkunden ist zwischen dem beurkundeten Inhalt und den an den Inhalt geknüpften Rechtswirkungen zu unterscheiden. Die Rechtswirkungen richten sich nach dem jeweiligen nationalen Recht. Die Anerkennung der Rechtswirkungen von Urkunden ohne eine Harmonisierung des insoweit relevanten Kollisionsrechts würde zu einer sachlich und rechtlich ggf. unzutreffenden Verbindung von Beurkundung und Rechtswirkung eines Umstands oder Geschäfts führen. Der Bundesrat hält daher zunächst allein den Weg über die Harmonisierung von Kollisionsnormen als Lösungsmöglichkeit für geeignet.
Die unter Frage 7 angesprochene Möglichkeit der Bereitstellung von Leitlinien der EU-Institutionen erscheint für eine Behandlung des ausländischen Personenstands nicht ausreichend, da ihnen als bloße Empfehlungen die hinreichende Verbindlichkeit fehlen würde. Etwaige Empfehlungen der Kommission könnten sich vor diesem Hintergrund allenfalls auf den Bedarf und den Rahmen einer Harmonisierung des Internationalen Privatrechts beziehen.
Die unter Frage 10 angesprochene Möglichkeit einer Rechtswahl für EU-Bürgerinnen und -Bürger ist sorgfältig zu prüfen und nur mit den im Grünbuch bereits formulierten Einschränkungen in Betracht zu ziehen, um die Feststellung personenstandsrechtlicher Tatbestände nicht unverhältnismäßig zu erschweren. Anwendungsbereich dürfte jeweils die Namensführung bei Geburt sowie Eheschließung oder der Begründung von Lebenspartnerschaften sein.
Zu Frage 11:
- 13. Andere Optionen bestehen nach Auffassung des Bundesrates nicht. Direktzuleitung an die Kommission
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.