Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten COM (2017) 712 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 347/11 (PDF) = AE-Nr. 110414 und
Drucksache 539/13 (PDF) = AE-Nr. 130570

Europäische Kommission
Brüssel, den 29.11.2017 COM (2017) 712 final

Mitteilung der Kommission an Das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten

Einleitung

Das Zusammenspiel zwischen Patenten und Standards ist wichtig für Innovation und Wachstum. Standards sorgen dafür, dass interoperable und sichere Technologien unter den Unternehmen und Verbrauchern große Verbreitung finden. Patente bieten Anreize für Forschung und Entwicklung und ermöglichen innovativen Unternehmen eine angemessene Kapitalrendite. Standards1 verweisen häufig auf Technologien, die durch Patente geschützt sind. Ein Patent, das die für einen Standard essenzielle Technologie schützt, wird als standardessenzielles Patent (SEP) bezeichnet. SEP schützen darum Technologien, die für die Einhaltung technischer Standards sowie für die Vermarktung von auf diesen Standards basierenden Produkten wesentlich sind.

Mit Standards werden Innovationen und Wachstum in Europa unterstützt und insbesondere dafür gesorgt, dass digitale Technologien, die die Grundlage des digitalen Binnenmarkts bilden, interoperabel sind. So sind Computer, Smartphones oder Tablets über standardisierte Technologien wie etwa Long Term Evolution (LTE), WLAN oder Bluetooth, die allesamt durch SEP geschützt sind, mit dem Internet oder anderen Geräten verbunden. Ohne die breite Anwendung solcher standardisierten Technologien wäre diese Verbundfähigkeit nicht möglich.2

In einer Zeit, in der sich alles um Vernetzung dreht, gewinnt die Interkonnektivität noch mehr an Bedeutung. Viele neue Produkte müssen vernetzt werden, um Verbrauchern weitere Produkte und Dienstleistungen (z.B. intelligente Haushaltsgeräte) anzubieten und für europäische Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen.

Die Digitalisierung der Wirtschaft eröffnet der EU-Industrie großartige Möglichkeiten. Das geschätzte wirtschaftliche Potenzial von IoT-Anwendungen in Geräten für Personen, Haushalte, Büros, Fabriken, Baustellen, Einzelhandelsumgebungen, Städte, Fahrzeuge und den Außenbereich wird sich bis 2025 in Industrieländern auf bis zu 9 Bio. EUR pro Jahr belaufen.3 Über 110 Mrd. EUR Einnahmen pro Jahr kann die Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen im Laufe der nächsten fünf Jahre zur europäischen Wirtschaft beitragen.4 Die Kompatibilität der vernetzten Geräte und Systeme ist für die volle Ausschöpfung dieses wirtschaftlichen Potenzials entscheidend. Ohne die durch Standards ermöglichte Interoperabilität könnten 40 % der potenziellen Vorteile von IoT-Systemen nicht genutzt werden.5 Ohne die formale Normung und SEP gäbe es zum Beispiel keine vernetzten Fahrzeuge. Ferndiagnosen oder abgesetzte Operationen in abgelegenen Krankenhäusern oder der Austausch von Patienteninformationen wären ebenfalls nicht möglich.

Patentinhaber steuern Technologie zur Entwicklung von Standards in Standardisierungsorganisationen (Standard Developing Organisations, SDOs) bei. Sobald ein Standard festgelegt wurde und sich die Inhaber der SEP dazu verpflichtet haben, sie zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory - FRAND) Bedingungen zu lizenzieren, sollte die vom Standard abgedeckte Technologie jedem potenziellen Nutzer des Standards zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund ist ein reibungsloses Lizenzierungsverfahren unerlässlich, um einen fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Zugang zu den standardisierten Technologien sicherzustellen und die Patentinhaber zu entlohnen, sodass sie auch weiterhin in FuE- und Normungsaktivitäten investieren. Dies wiederum ist für die Entwicklung einer vernetzten Gesellschaft maßgeblich, in der neue Marktteilnehmer jenseits der traditionellen IKT-Sektoren (Hersteller von Haushaltsgeräten, vernetzten Autos usw.) Zugang zur standardisierten Technologie benötigen.

Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass die Lizenzierung und Durchsetzung von SEP nicht reibungslos funktioniert und zu Konflikten führen kann. Technologienutzer werfen SEP-Inhabern vor, überhöhte und auf schwachen Patentportfolios beruhende Lizenzgebühren zu erheben und rechtliche Konsequenzen anzudrohen. Inhaber von SEP behaupten, dass Technologienutzer von ihren Innovationen zum Nulltarif profitierten und bewusst Rechte des geistigen Eigentums verletzten, ohne in gutem Glauben Lizenzverhandlungen zu führen.6 Die Probleme können in besonderer Schärfe zutage treten, wenn Akteure aus neuen Branchen, die mit dem herkömmlichen IKT-Geschäft nicht vertraut sind, Zugang zu standardisierten Technologien benötigen. Streitigkeiten und Verzögerungen bei den Verhandlungen zwischen Technologienutzern und Inhabern können letztlich die flächendeckende Anwendung standardisierter Schlüsseltechnologien hinauszögern. Dadurch kann die Entwicklung vernetzter Produkte in Europa behindert und schließlich die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft beeinträchtigt werden.

In ihrer Mitteilung vom April 2016 über Schwerpunkte der IKT-Normung für den digitalen Binnenmarkt7 benannte die Kommission drei wesentliche Bereiche, in denen das SEP-Lizenzierungsumfeld verbessert werden könnte: undurchsichtige Informationen bezüglich der Abhängigkeit von SEP, unklare Bewertung patentierter Technologien, die auf Standards und der FRAND-Definition beruhen, sowie der Unsicherheitsfaktor hinsichtlich der Durchsetzung von SEP. Darüber hinaus sollte auch die Rolle von Open-Source-Communities bei der Ausarbeitung von Standards untersucht werden.

In der EU bedarf es daher einer eindeutigen, ausgewogenen und vernünftigen Politik in Bezug auf standardessenzielle Patente, um zur Entwicklung des Internets der Dinge beizutragen und Europas Führungsrolle in diesem Zusammenhang wahrzunehmen.

Widerstreitende Interessen der Beteiligten in bestimmten Standardisierungsorganisationen machen es diesen Organisationen unter Umständen schwer, zu derart komplexen rechtspolitischen und das geistige Eigentum betreffenden Fragen effektiv zu beraten. Initiativen zur Schaffung von Lizenzierungsplattformen auf diesem Gebiet befinden sich noch im Anfangsstadium und wurden von den durchführenden Akteuren (im Folgenden "Anwender"), die angesichts der unsicheren derzeitigen regulatorischen Rahmenbedingungen für SEP durchaus zurückhaltend sein können und wenig Anreiz sehen, sich vor diesem Hintergrund auf ein Geschäft einzulassen, noch nicht eingeführt.

Außerdem ist die Standardisierung von 5G und des Internets der Dinge ein Thema von weltweiter Tragweite. Die europäische Industrie nimmt auf globalen Märkten in vielen Sektoren eine führende Stellung ein. Die Kommission stellt fest, dass die europäische Normung im globalen Kontext eine wichtige Rolle spielt.8

Die Kommission ist daher der Ansicht, dass dringend zentrale Grundsätze festgelegt werden müssen, die ausgewogene, reibungslose und vorhersehbare Rahmenbedingungen für SEP fördern. Diese zentralen Grundsätze spiegeln zwei wesentliche Ziele wider: die Schaffung von Anreizen für die Entwicklung und Aufnahme von Spitzentechnologien in Standards durch die Sicherstellung einer fairen und angemessenen Vergütung dieser Beiträge sowie die Gewährleistung einer reibungslosen und weiten Verbreitung standardisierter Technologien auf der Grundlage fairer Zugangsvoraussetzungen. Eine ausgewogene und erfolgreiche Politik in Bezug auf die SEP-Lizenzvergabe sollte Start-up-Unternehmen in Europa dienen, indem diese Zugang zu Produkten und Dienstleistungen erhalten, die auf der leistungsfähigsten standardisierten Technologie basieren.

Diese Mitteilung appelliert an die Verantwortung aller Akteure im SEP-Lizenzierungsumfeld, und alle Interessenträger sind angehalten, dazu beizutragen, dass dieses Rahmenwerk in der Praxis funktioniert. Mit dieser Mitteilung soll keine Aussage über die Rechtslage getroffen werden; die Auslegung des EU-Rechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) bleibt unberührt. Diese Mitteilung stellt für die Kommission keine Verpflichtung hinsichtlich der Anwendung von EU-Wettbewerbsvorschriften, insbesondere der Artikel 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), dar.

1. ERHÖHUNG der Transparenz in Bezug auf die ABHÄNGIGKEIT von SEP

Informationen über das Bestehen, den Umfang und die Relevanz von standardessenziellen Patenten sind entscheidend für faire Lizenzverhandlungen sowie für die Befähigung der potenziellen Nutzer eines Standards, das Ausmaß ihrer Abhängigkeit von SEP zu erkennen und notwendige Lizenzpartner zu ermitteln. Allerdings sind zurzeit die einzigen für Nutzer zugänglichen Informationen über SEP in von Standardisierungsorganisationen gepflegten Patentdatenbanken enthalten, denen es gegebenenfalls an Transparenz mangelt. Diese Situation erschwert es insbesondere Start-up-Unternehmen und KMU, über Lizenzierungen zu verhandeln und Risiken im Zusammenhang mit SEP frühzeitig zu erkennen. Das primäre Ziel von Anmeldungen besteht darin, gegenüber einer Standardisierungsorganisation und allen Dritten zu versichern, dass die Technologie für Nutzer zugänglich sein wird, in der Regel im Rahmen einer Verpflichtung zur Vergabe von Lizenzen zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen.

In den Datenbanken der Standardisierungsorganisationen können für einen einzigen Standard Zehntausende SEP erfasst sein, Tendenz steigend.9 Die Anmeldungen basieren auf einer Selbsteinschätzung des Patentinhabers und werden hinsichtlich der Essenzialität des angemeldeten Patents nicht überprüft; eine Weiterentwicklung des Patents im Laufe des Standardisierungsverfahrens ist möglich. Ferner berichten Interessenträger, dass Lizenzgeber ihre Ansprüche selbst in konkreten Lizenzverhandlungen nicht mit präziseren Informationen untermauern können. Besonders unbefriedigend ist dies im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge, wo neue Akteure mit wenig Erfahrung auf dem Gebiet der SEP-Lizenzvergabe fortlaufend auf den Konnektivitätsmarkt drängen. Die Kommission ist deshalb der Meinung, dass Maßnahmen wie die im Folgenden dargestellten notwendig sind, um die Informationen über SEP zu verbessern.

1.1. Verbesserung der QUALITÄT und ZUGÄNGLICHKEIT der in SDO-DATENBANKEN GESPEICHERTEN Informationen

Die Kommission ist der Auffassung, dass Standardisierungsorganisationen zur Unterstützung des SEP-Lizenzierungsrahmens in ihren Datenbanken detaillierte Informationen bereitstellen sollten. Zwar enthalten SDO-Datenbanken große Mengen an Anmeldungsdaten10, aber sie bieten interessierten Parteien oftmals keinen barrierefreien Zugang und lassen wesentliche Qualitätsmerkmale vermissen. Die Kommission vertritt darum den Standpunkt, dass die Qualität und Zugänglichkeit der Datenbanken verbessert werden sollte.11 Zunächst sollten die Daten über benutzerfreundliche Schnittstellen leicht zugänglich sein, sowohl für Patentinhaber und Anwender als auch für Dritte. Alle angegebenen Informationen sollten anhand der einschlägigen Standardisierungsprojekte abrufbar sein, was auch bedeuten kann, dass historische Daten in aktuelle Formate umgewandelt werden müssen. Im Zuge von Qualitätsprozessen sollten auch Doppelerfassungen und andere offensichtliche Fehler behoben werden. Schließlich sollte es eine Verknüpfung mit den Datenbanken der Patentämter geben; dies beinhaltet auch Aktualisierungen des Patentstatus sowie der Inhaberschaft und ihrer Übertragung. Die Arbeiten zur Verbesserung der Datenbanken müssen mit einer strengeren Prüfung hinsichtlich der Einhaltung der in aktuellen SDO-Richtlinien definierten Meldepflichten einhergehen, um unvollständige Anmeldungen zu vermeiden.12

1.2. Entwicklung eines INFORMATIONSINSTRUMENTS zur ERLEICHTERUNG von LIZENZVERHANDLUNGEN

Die Kommission stellt fest, dass das derzeitige Anmeldungssystem in Standardisierungsorganisationen den Prozess der Festlegung technischer Standards unterstützt und nicht auf die zukünftige Lizenzierung standardessenzieller Patente ausgerichtet ist. Klar ist jedoch, dass es sich netto auszahlt, die aktuelle Praxis und den Zweck von Anmeldungen und Datenbanken auf die Schaffung neuer Transparenzinstrumente auszudehnen, die unbeschadet ihrer Hauptfunktion die Lizenzverhandlungen erheblich erleichtern können. Verhältnismäßigkeitserwägungen sind in diesem Zusammenhang entscheidend. Zwar sollte eine übermäßige Belastung der Interessenträger vermieden werden, doch es ist zu berücksichtigen, dass Patentinhaber in konkreten Lizenzverhandlungen zwangsläufig gegenüber den SEP-Nutzern begründen müssen, warum Patente aus dem Portfolio der Patentinhaber für den Standard essenziell sind oder inwiefern diese Patente verletzt werden.13 Die Kommission ist daher der Ansicht, dass vorgeschlagene allmähliche Verbesserungen in Bezug auf die Kostenkontrolle die Transaktionskosten während der Lizenzverhandlungen sowie die Verletzungsrisiken insgesamt deutlich verringern können und somit beiden Verhandlungsparteien zugutekommen.14

1.2.1. Aktuellere und präzisere Anmeldungen

Anmeldungen erfolgen in einem frühen Stadium des Normungsprozesses und werden später in der Regel nicht mehr überprüft. Die in Normungsverhandlungen vorgeschlagenen technischen Lösungen werden jedoch bis zur Vereinbarung des endgültigen Standards weiterentwickelt.15 Während der Großteil der Anmeldungen auf Patentanmeldungen entfällt, können sich die Patentansprüche im Rahmen des endgültigen Patents, das nach Annahme des Standards gewährt wird, beträchtlich unterscheiden, da sich ihr Inhalt im Laufe des Erteilungsverfahrens gegebenenfalls ändert.16 Darum sollten die Rechteinhaber die Relevanz ihrer Anmeldungen zum Zeitpunkt der Annahme des endgültigen Standards (und nachfolgender wesentlicher Überarbeitungen) sowie bei einer endgültigen Entscheidung zur Erteilung eines Patents prüfen.

Die Anmeldungen sollten zudem genug Informationen enthalten, damit die Abhängigkeit von Patenten beurteilt werden kann. Die Patentinhaber sollten zumindest auf den Abschnitt des für das SEP relevanten Standards verweisen und auf die Verbindung zur Patentfamilie Bezug nehmen. In den Anmeldungen sollte außerdem ein Ansprechpartner für den Inhaber/Lizenzgeber des angemeldeten SEP klar benannt sein.

Schließlich ist noch anzumerken, dass SEP für Schlüsseltechnologien häufiger Gegenstand von Gerichtsverfahren sind.17 Entsprechende Angaben sind für alle interessierten Lizenznehmer relevant und können eine Rolle dabei spielen, die Möglichkeit künftiger Rechtsstreitigkeiten einzudämmen. Die Standardisierungsorganisationen sollten den Patentinhabern und Technologienutzern deshalb die Möglichkeit und den Anreiz bieten, den Fallbezug und die wichtigsten Ergebnisse endgültiger Entscheidungen zu angemeldeten SEP, ob positiv oder negativ, zu melden (auch im Hinblick auf den essenziellen Charakter und die Rechtsbeständigkeit eines Patents). Da Unternehmen normalerweise nur wegen weniger wertvoller Patente innerhalb eines Portfolios Prozesse führen und sowohl die Patentinhaber als auch die Nutzer ein Interesse an der Meldung von ihnen zugutekommenden Entscheidungen haben dürften, wäre die mit dieser Maßnahme einhergehende Belastung begrenzt.

1.2.2. Prüfungen der Essenzialität

Die Daten lassen das Risiko breit gestreuter Überdeklarationen erkennen und untermauern eindeutig die Forderung nach einer größeren Zuverlässigkeit hinsichtlich der Essenzialität von SEP.18 Interessenträger berichten, dass erfasste Anmeldungen in den Verhandlungen mit Lizenznehmern eine faktische Vermutung der Essenzialität bewirken.19 Dieses Szenario bedeutet für jeden zum Erwerb einer Lizenz bereiten Verhandlungspartner, vor allem KMU und Start-up-Unternehmen, eine immense Belastung, da in den Lizenzverhandlungen die Essenzialität einer Vielzahl von SEP überprüft werden muss.

Aus diesem Grund müssen Essenzialitätsansprüche verstärkt einer genauen Untersuchung unterzogen werden. Dafür müsste die Überprüfung zum richtigen Zeitpunkt durch einen unabhängigen Dritten, der über technische Fähigkeiten verfügt und auf dem Markt anerkannt ist, erfolgen. Die Einführung eines solchen Prüferfordernisses in Bezug auf SEP muss vor diesem Hintergrund gegen die Kosten abgewogen werden.20 Mithilfe eines schrittweisen Ansatzes, nach dem Kontrollen auf Wunsch der Rechteinhaber oder der potenziellen Nutzer stattfinden und die Gründlichkeit der Kontrollen abgestimmt sowie die Prüfungen auf ein Patent innerhalb einer Patentfamilie und auf Stichproben beschränkt werden, könnte für diese Maßnahme jedoch das richtige Kosten/Nutzen-Verhältnis sichergestellt werden.21

1.2.3. Umsetzungsmethoden

Zwar ist diese erhöhte Transparenz eindeutig von Vorteil, doch muss die damit verbundene Belastung verhältnismäßig bleiben. Die Maßnahmen könnten daher stufenweise ausgedehnt und nur auf neue und zentrale Standards wie etwa 5G angewandt werden.

Im ersten Schritt könnte die Wertschätzung aufseiten der Interessenträger für die erhöhte Transparenz mit Anreizen gefördert werden, z.B. mit einer Bescheinigung, dass ihre angemeldeten SEP-Portfolios den Transparenzkriterien entsprechen. Diese Bescheinigung könnte später in Lizenzverhandlungen und Rechtsstreitigkeiten herangezogen werden. Aus einer aktuellen Studie, die für die Kommission durchgeführt wurde, geht ferner hervor, dass Standardisierungsorganisationen gegebenenfalls die Einführung (moderater) Gebühren für die Bestätigung von SEP-Anmeldungen nach Freigabe des Standards und Erteilung der Patente in Erwägung ziehen, um SEP-Inhabern einen Anreiz zu bieten, lediglich relevante Anmeldungen zu überarbeiten und aufrechtzuerhalten.22

Bei der Erwägung von Essenzialitätsprüfungen könnten die Patentämter durchaus als natürliche Kandidaten für die Nutzung von Synergien und die Reduzierung von Kosten infrage kommen.23 Die Kommission wird eine weitere Untersuchung hinsichtlich der Durchführbarkeit von Essenzialitätsprüfungen unterstützen, um wirksame und verhältnismäßige Lösungen zu garantieren. Abhängig vom Ergebnis dieses Projekts könnte ein unabhängiges europäisches Organ mit der Aufgabe betraut werden, den essenziellen Charakter von SEP zu beurteilen.

Die Kommission:

2. Allgemeine Grundsätze IM Hinblick auf FRAND-LIZENZBEDINGUNGEN für STANDARDESSENZIELLE PATENTE

Die Kommission ist der Ansicht, dass die Parteien im Zuge von im guten Glauben geführten Verhandlungen am besten in der Lage sind, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, was faire Lizenzbedingungen und faire Gebührensätze sind. Derzeit wird die Lizenzvergabe durch unklare und voneinander abweichende Auslegungen des Ausdrucks FRAND behindert. Die Debatte entzündet sich insbesondere am Thema Bewertungsgrundsätze. Unterschiedliche Ansichten und Rechtsstreitigkeiten bezüglich des Risikos, das mit einer nach FRAND-Grundsätzen erfolgenden Lizenzierung einhergeht, verzögern die Übernahme neuer Technologien, Standardisierungsprozesse und die Einführung des Internets der Dinge in Europa. Daher hält die Kommission die Festlegung einer ersten Sammlung von Schlüsselhinweisen bezüglich des FRAND-Konzepts für notwendig und nützlich, um für ein stabileres Lizenzierungsumfeld zu sorgen, den Parteien eine Orientierungshilfe bei ihren Verhandlungen zu bieten und die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten zu verringern.

Die nachstehend aufgeführten Orientierungspunkte basieren auf den Ergebnissen einer öffentlichen Konsultation24, einer Analyse bewährter Verfahren25, Studien26 und nationaler Rechtsprechung27. Die Kommission fordert die Interessenträger dazu auf, untereinander und mit der Kommission in Dialog zu treten, um weitere Klärung zu erzielen und empfehlenswerte Verfahren zu entwickeln. Die Kommission wird die erreichten Fortschritte überwachen und bei Bedarf ergänzende Maßnahmen zur FRAND-orientierten Lizenzvergabe ergreifen.

2.1. Grundsätze der LIZENZVERGABE

Der EuGH bestätigte, dass eine "Zusage, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, bei Dritten die berechtigte Erwartung weckt, dass der Inhaber des SEP ihnen tatsächlich Lizenzen zu diesen Bedingungen gewähren wird"28.

Beide Parteien müssen willens sein, in gutem Glauben Verhandlungen zu führen mit dem Ziel, Lizenzbedingungen festzuschreiben, die fair, angemessen und nicht diskriminierend sind. In gutem Glauben verhandelnde Parteien einer SEP-Lizenzvereinbarung sind am ehesten in der Lage, die für ihre jeweilige Situation geeignetsten FRAND-Bedingungen zu bestimmen.

Effizienzüberlegungen, auf beiden Seiten vernünftige Erwartungen in Bezug auf Lizenzgebühren und die Erleichterung der Übernahme durch die Anwender zur Förderung einer weiten Verbreitung des Standards sollten berücksichtigt werden. In dieser Hinsicht ist zu betonen, dass es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage gibt, was unter FRAND zu verstehen ist: Was als fair und angemessen erachtet werden kann, unterscheidet sich von Sektor zu Sektor und im Laufe der Zeit. Aus diesem Grund ermutigt die Kommission die Interessenträger, branchenspezifische Gespräche zu führen, um gemeinsame Lizenzierungsverfahren zu vereinbaren, die auf den in dieser Mitteilung dargestellten Grundsätzen beruhen.

Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die folgenden Grundsätze der Bewertung geistigen Eigentums beachtet werden sollten:

2.2. EFFIZIENZ und NICHTDISKRIMINIERUNG

Das Element der Nichtdiskriminierung im FRAND-Konzept besagt, dass Rechteinhaber keine Unterschiede zwischen Anwendern machen dürfen, die sich "in einer ähnlichen Lage"31 befinden.

In Anbetracht der Tatsache, dass FRAND-Bedingungen nicht in jeder Situation gleich ausfallen, können die Lösungen von Sektor zu Sektor variieren und von den betreffenden Geschäftsmodellen abhängen.

Wie bereits erwähnt, setzen FRAND-Verhandlungen voraus, dass beide Parteien die Verhandlungen in gutem Glauben führen. Effizienzüberlegungen können ebenfalls ins Spiel kommen. Die mit der Verhandlung einer Lizenz einhergehenden Transaktionskosten sollten auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt bleiben. Darüber hinaus sollten in Sektoren, in denen die Praxis des Lizenzaustauschs verbreitet ist, die mit dieser Praxis verbundenen Effizienzgewinne berücksichtigt werden. Diese Punkte sind bei der fallspezifischen Prüfung, ob ein Lizenzangebot mit FRAND vereinbar ist, in Betracht zu ziehen.

Im Einklang mit der vorstehend dargestellten Herangehensweise stellt die Kommission fest, dass dieselben Effizienzgrundsätze die Praxis der SEP-Portfoliolizenzierung für weltweit verbreitete Produkte unterstützen.32 Wie in einem kürzlich ergangenen Urteil33 angeführt, ist ein länderspezifisches Konzept der Lizenzvergabe möglicherweise nicht effizient und entspricht unter Umständen nicht dem in der Branche anerkannten Handelsbrauch.

2.3. PATENTPOOLS und LIZENZIERUNGSPLATTFORMEN zur ERLEICHTERUNG der SEP-LIZENZIERUNG

Die Schaffung von Patentpools oder sonstigen Lizenzierungsplattformen im Rahmen des EU-Wettbewerbsrechts sollte gefördert werden. Damit können viele der Herausforderungen bei der SEP-Lizenzierung angegangen werden, da sie eine bessere Kontrolle der Essenzialität, mehr Klarheit in Bezug auf die insgesamt anfallenden Lizenzgebühren und Lösungen aus einer Hand bieten. Für IoT-Branchen und insbesondere für KMU, für die SEP-Lizenzstreitigkeiten neu sind, wird auf diese Weise mehr Klarheit bezüglich der Lizenzbedingungen von SEP-Inhabern in einem bestimmten Sektor geschaffen.

Gefördert werden sollten Maßnahmen zur Einrichtung von Pools für standardisierte Schlüsseltechnologien, z.B. durch die Erleichterung des Zugangs zu Poolverwaltungsangeboten und technischer Unterstützung durch Standardisierungsorganisationen.34 Sofern sich diese Bemühungen als in IoT-Branchen unwirksam erweisen, wird die Kommission weitere Maßnahmen in Erwägung ziehen.

2.4. Nutzung und VERTIEFUNG des FRAND-KNOW-HOWS

Es ist notwendig, die Zugänglichkeit von Erfahrung, Fachwissen und Knowhow rund um die Festlegung von FRAND-Bedingungen zu erhöhen. Über viele Jahre sind aus Lizenzvereinbarungen, Schlichtungen, Schiedsverfahren und Gerichtsentscheidungen wertvolle Erkenntnisse gewonnen und Konzepte entwickelt worden. Beträchtliche Ressourcen und Anstrengungen wurden aufgewendet, um Patente und Technologien zu präzisieren, zu analysieren und zu bewerten. Da es keinen gemeinsamen Datenspeicher zur Bündelung dieses Fachwissens gibt, werden Arbeiten und Forschungstätigkeiten unter Umständen unnötigerweise doppelt ausgeführt, was für die Beteiligten erhebliche Kosten verursacht. Leichter zugängliche FRAND-bezogene Informationen könnten die Vorhersagbarkeit für Unternehmen wie etwa IoT-Akteure erhöhen, das Lizenzierungsverfahren insgesamt erleichtern und bei der Streitbeilegung Unterstützung bieten und Referenzwerte liefern.

Die Kommission wird daher eine Expertengruppe einrichten, um branchenübliche Praktiken und zusätzliche Sachkenntnisse in Bezug auf die FRAND-Lizenzierung zu erfassen. Ferner wird die Kommission alle geeigneten, ihr zur Verfügung stehenden Werkzeuge nutzen, um an weitere Informationen zu gelangen, mit denen sie ihre Politikgestaltung mit ausreichenden Belegen untermauern kann.

In Anbetracht aktueller Entwicklungen ist die Kommission der Meinung, dass die SEP-Lizenzierung auf den folgenden Grundsätzen beruhen sollte:

Die Kommission fordert Standardisierungsorganisationen und SEP-Inhaber auf, wirksame Lösungen zu entwickeln, sodass die Lizenzierung für eine Vielzahl von Anwendern im IoT-Umfeld (insbesondere KMU) über Patentpools oder sonstige Lizenzierungsplattformen bei gleichzeitig hinreichender Transparenz und Vorhersagbarkeit erleichtert wird.

Die Kommission wird die Lizenzvergabepraxis, vor allem im IoT-Sektor, überwachen. Sie wird zudem eine Expertengruppe einrichten, die das Ziel verfolgen wird, das Fachwissen in Bezug auf die branchenübliche Lizenzierungspraxis, die fundierte Bewertung geistigen Eigentums und die Festlegung von FRAND-Bedingungen zu vertiefen.

3. VORHERSEHBARE Rahmenbedingungen für die DURCHSETZUNG von SEP

Bei einem Scheitern der Verhandlungen stellen SEP-Streitigkeiten im Lizenzsystem einen wichtigen Faktor dar. Ausgewogene und vorhersehbare Rahmenbedingungen für die Durchsetzung wirken sich ausgesprochen positiv auf das Verhalten der Parteien während der Verhandlungen aus, wodurch sich wiederum die Verbreitung standardisierter Technologien beschleunigen kann. IoT-Akteure berichten jedoch, dass Unsicherheiten und Ungleichgewichte in der Rechtsdurchsetzung schwerwiegende Folgen für den Markteintritt haben. Die Anzahl der Rechtsstreitigkeiten ist bei SEP höher als bei anderen Patenten35, was die Notwendigkeit klarer Rahmenbedingungen für die Beilegung von Streitigkeiten in diesem Bereich noch verstärkt. Während der Schwerpunkt dieser Mitteilung auf spezifischen Leitlinien für standardessenzielle Patente liegt, wird der Rahmen zur Durchsetzung des geistigen Eigentums (IPRED) im Leitfaden zu bestimmten Aspekten der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums36 ganz allgemein erklärt. Die Möglichkeit der Durchsetzung ist einer der Hauptaspekte in Bezug auf die Rechte des geistigen Eigentums.37 Die SEP-Debatte konzentrierte sich vorwiegend auf die Möglichkeit der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs. Ein solches Unterlassungsbegehren soll SEP-Inhaber vor Verletzern schützen, die nicht bereit sind, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen abzuschließen. Zugleich bedarf es Schutzmaßnahmen gegen das Risiko, dass gutgläubige Technologienutzer, denen eine gerichtliche Verfügung angedroht wird, Lizenzbedingungen akzeptieren, die nicht den FRAND-Kriterien entsprechen, oder sie im schlimmsten Fall nicht in der Lage sind, ihre Produkte zu vertreiben ("Hold-up").

3.1. MÖGLICHKEIT der GELTENDMACHUNG eines UNTERLASSUNGSANSPRUCHS NACH der RECHTSPRECHUNG in der RECHTSSACHE HUAWEI/ZTE

In seinem Huawei-Urteil38 legte der EuGH Pflichten fest, die für beide Seiten einer SEP-Lizenzvereinbarung bei der Prüfung gelten, ob der Inhaber eines SEP gegen einen potenziellen Lizenznehmer eine gerichtliche Verfügung erwirken kann, ohne gegen Artikel 102 AEUV zu verstoßen. SEP-Inhaber können keine gerichtlichen Verfügungen gegen Nutzer erwirken, die zum Abschluss einer Lizenz zu FRAND-Bedingungen bereit sind, und der EuGH legte zur Bewertung, wann ein potenzieller Lizenznehmer als zum Abschluss einer solchen Lizenz gewillt betrachtet werden kann, Verhaltenskriterien fest.

Die Kommission ist der Meinung, dass die nachstehenden Elemente - die sich aus der nationalen Rechtsprechung bei der Anwendung des Huawei-Urteils39 ergeben - den Beteiligten eine sinnvolle zusätzliche Orientierungshilfe bieten.

Einige Gerichte haben betont, dass ein potenzieller SEP-Lizenznehmer hinreichend detaillierte und relevante Informationen zur Ermittlung der Relevanz des SEP-Portfolios und der Einhaltung der FRAND-Kriterien erhalten muss.40 Die konkreten Anforderungen können je nach Einzelfall variieren, doch ist die Kommission der Ansicht, dass zur Beurteilung eines FRAND-Angebots und zur Unterbreitung eines entsprechenden Gegenangebots klare Erläuterungen zu den folgenden Punkten notwendig sind: die Essenzialität für einen Standard, die angeblich verletzenden Produkte des SEP-Nutzers, die vorgeschlagene Gebührenberechnung und das FRAND-Element der Nichtdiskriminierung.

Was das Gegenangebot betrifft, so folgt aus dem Huawei-Urteil, dass es konkret und spezifisch sein soll, d.h. es darf nicht auf die Beantwortung des vom SEP-Inhaber unterbreiteten Angebots und eine von einem Dritten vorgenommene Gebührenberechnung begrenzt sein. Ebenfalls sollten Angaben zur genauen Verwendung des Standards in dem konkreten Produkt enthalten sein. Die Bereitschaft der Parteien, sich der verbindlichen FRAND-Bestimmung eines Dritten zu unterwerfen - sollte sich das (Gegen-)Angebot als nicht FRAND-konform herausstellen -, ist jedoch ein Indiz für ein mit den FRAND-Kriterien im Einklang stehendes Verhalten.

Was die Rechtzeitigkeit des Gegenangebots des potenziellen Lizenznehmers anbelangt, kann kein allgemeiner Maßstab festgelegt werden, da hierbei fallspezifische Elemente eine Rolle spielen. Dazu gehören die Anzahl der erklärten SEP und die im Verletzungsanspruch enthaltenen Einzelheiten. Allerdings ist wahrscheinlich zwischen der als für die Beantwortung des Angebots angemessen erachteten Zeit und dem Detaillierungsgrad und der Qualität der im anfänglichen Angebot des SEP-Inhabers bereitgestellten Informationen abzuwägen. In dieser Hinsicht werden Maßnahmen zur Verbesserung der vorgelagerten Transparenz bezüglich der Abhängigkeit von SEP41 einen ausgesprochen positiven Einfluss auf das Durchsetzungssystem haben.

Stünden, wie in Abschnitt 1 oben ausgeführt, verlässlichere Informationen zu SEP im Vorfeld über das Anmeldungssystem zur Verfügung, fiele die Zahl der angemeldeten SEP deutlich geringer aus. Dies sollte bei der Prüfung, welche Reaktionszeiten für SEP-Nutzer zur Beantwortung eines FRAND-Angebots akzeptabel sind, berücksichtigt werden.

Was die Sicherheit, die von SEP-Nutzern als Schutz vor einer gerichtlichen Verfügung bereitzustellen ist, betrifft, sollte die Summe so hoch angesetzt werden, dass eine Abschreckung vor "Patent Hold-out"-Strategien gegeben ist. Ähnliche Überlegungen könnten bei der Bewertung der Schadenshöhe angestellt werden. Die Kommission wird den Austausch bewährter Verfahren unter Experten und Interessenträgern hinsichtlich der Methode der Schadensberechnung in SEP-Fällen unterstützen.

3.2. VERHÄLTNISMÄßIGKEITSERWÄGUNGEN

Bei der Beurteilung, ob ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden kann, sind die Gerichte an Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ("IPRED")42 und insbesondere an die Pflicht gebunden, dafür Sorge zu tragen, dass dieses Unterlassungsbegehren wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist. Angesichts der breiten Wirkung, die eine gerichtliche Verfügung auf Unternehmen, Verbraucher und das öffentliche Interesse haben kann, vor allem im Zusammenhang mit der digitalisierten Wirtschaft, ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung sorgfältig von Fall zu Fall vorzunehmen. Nach Auffassung der Kommission müssen die jeweilige Bedeutung der strittigen Technologie für die betreffende Anwendung sowie die möglichen Folgewirkungen einer gerichtlichen Verfügung für Dritte berücksichtigt werden.

3.3. RECHTSSTREITIGKEITEN Aufgrund von PATENTPORTFOLIOS

Gemäß dem Huawei-Urteil, das Bezug auf "in dem Bereich anerkannte geschäftliche Gepflogenheiten"43 nimmt, haben nationale Gerichte auch Portfoliolizenzen, die außerhalb der nationalen Hoheitsgebiete erteilt wurden, als FRAND-konform erachtet, sofern das Portfolio auf all die SEP beschränkt ist, die ein Lizenznehmer zur Produktion/Vermarktung seines Produkts benötigt (siehe Abschnitt 2.2 oben). In diesem Zusammenhang dürfen Inhaber von SEP zwar mehr Patente anbieten, einschließlich Nicht-SEP, können einen Lizenznehmer jedoch nicht zwingen, auch für diese anderen Patente eine Lizenz zu akzeptieren. Der generelle Unwille oder die Verweigerung, sämtliche SEP anzubieten oder zu akzeptieren, die ein Lizenznehmer benötigt, kann ein Hinweis auf Bösgläubigkeit sein. Damit das Gegenangebot fair, angemessen und nicht diskriminierend ist, muss es sich auf alle SEP beziehen, die ein Lizenznehmer benötigt, und darf nicht nur auf einem oder mehreren einzelnen Patenten beruhen. In den Portfolios sollten allerdings keine Konkurrenztechnologien enthalten sein, sondern lediglich ergänzende Technologien, sofern notwendig.44 Während vermeintliche Lizenznehmer stets die Rechtsbeständigkeit/Essenzialität einzelner Patente infrage stellen können, kann die Lizenzierung aller SEP, die ein Lizenznehmer benötigt, besonders effizient sein. Die Kommission wird deshalb mit den Interessenträgern (darunter gegebenenfalls Gerichte, Schiedsrichter und Schlichter) zusammenarbeiten, um einheitliche Methoden wie das Stichprobenverfahren zu entwickeln und anzuwenden, die der Branchenpraxis der Portfoliolizenzierung entsprechend eine effiziente und wirksame SEP-Streitbeilegung ermöglichen.

3.4. ALTERNATIVE Streitbeilegung

Die Kommission vertritt den Standpunkt, dass mit alternativen Streitbeilegungsmechanismen wie Schlichtungs- und Schiedsverfahren Streitigkeiten zügiger und kostengünstiger beigelegt werden können.45 Obgleich es keine Pflicht der Parteien zur Inanspruchnahme alternativer Streitbeilegungsverfahren geben kann, ist die Kommission der Ansicht, dass das Nutzenpotenzial dieses Instruments derzeit noch zu wenig ausgeschöpft wird.

Der Rückgriff auf die alternative Streitbeilegung wird oftmals durch die Unvorhersehbarkeit behindert und wegen der mangelnden Transparenz früherer Entscheidungen kritisiert. Der Erfolg dieser Mechanismen hängt nicht nur von geeigneten Verfahren ab, sondern auch von der Qualität der Experten. Sobald das Einheitliche Patentgericht seine Tätigkeit aufnimmt, sollte es über ein eigens dafür eingerichtetes Schieds- und Schlichtungszentrum verfügen, das von einem Pool spezialisierter Richter profitiert, somit hochwertige und effiziente Verfahren sowie eine kohärente Praxis garantiert und wenig Spielraum für das sogenannte "Forum Shopping" lässt. Wie in ihrer im November 2016 veröffentlichten Strategie für KMU in Bezug auf geistiges Eigentum46 bekannt gegeben, plant die Kommission in Zusammenarbeit mit dem EUIPO

Werkzeuge für das geistige Eigentum betreffende Schlichtungs- und Schiedsverfahren, um die weitere Einführung von Diensten im Bereich der Schlichtung und schiedsgerichtlichen Entscheidung von Streitigkeiten in Verbindung mit geistigem Eigentum zu erleichtern, insbesondere für KMU.

Nach Auffassung der Kommission sollten die Ergebnisse der Streitigkeiten, wie im Kapitel zum Thema Transparenz dargelegt, ebenfalls in die Datenbanken der Standardisierungsorganisationen aufgenommen werden.47

3.5. PATENTHAIE und SEP

Sogenannte Patenthaie48 spielen auf dem SEP-Lizenzmarkt eine zunehmend bedeutende Rolle. Studien49 zeigen, dass das europäische System zur Beilegung von Streitigkeiten, auch das im Rahmen des Einheitlichen Patentgerichts zu errichtende, über genügend Sicherungsmaßnahmen zum Schutz vor den möglicherweise schädlichen Auswirkungen gewisser Patenthaie in der EU verfügt50. Für Patenthaie sollten dieselben Regeln gelten wie für jeden anderen SEP-Inhaber, auch nachdem SEP von Patentinhabern an Patenthaie übertragen wurden. Mehr Transparenz und Vorhersagbarkeit sollten die Missbrauchsquote weiter reduzieren. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes seitens der Gerichte stellt noch eine weitere Schutzmaßnahme dar. Die Kommission wird die laufenden Auswirkungen dieser Marktteilnehmer auf den SEP-Lizenzmarkt in Europa genauestens überwachen, insbesondere sobald das EU-Einheitspatent einsatzbereit ist.

3.6. SENSIBILISIERUNG

Die jeweiligen Interessenträger, vor allem Standardisierungsorganisationen und SEP-Inhaber, müssen das Bewusstsein bezüglich des FRAND-Lizenzierungsverfahrens sowie seiner Folgen, insbesondere für KMU (sowohl Patentinhaber als auch Anwender der Standards), proaktiv stärken. Die Kommission wird Sensibilisierungsmaßnahmen zu diesem Thema unterstützen.

Nach Auffassung der Kommission müssen beide Parteien im Rahmen des FRAND-Verfahrens in gutem Glauben verhandeln; dazu gehört auch, dass sie zeitnah reagieren. Jedoch können Unterlassungsansprüche gegen Parteien geltend gemacht werden, die bösgläubig handeln (d.h. Parteien, die nicht gewillt sind, eine Lizenz gemäß den FRAND-Kriterien zu erwerben); der Einsatz dieses Mittels muss allerdings verhältnismäßig sein.

Die Kommission wird:

4. QUELLOFFENE SOFTWARE und STANDARDS

Vor dem Hintergrund der aktuellen technischen Fortschritte treibt die Implementierung quelloffener Software (Open Source Software, OSS) die Innovation, zusätzlich zu Standards, ebenfalls voran und findet immer stärkere Verbreitung, auch im Bereich der IKT-Standards. Die Verzahnung von Open-Source-Projekten und Prozessen zur Entwicklung von Standards ist für alle Beteiligten von Nutzen: Einerseits kann die Abstimmung von Open Source und Standardisierung die Entwicklung von Standards und die Einführung von IKT-Standards (inbesondere für KMU) beschleunigen, andererseits kann durch Standards die Interoperabilität von Anwendungen quelloffener Software erleichtert werden.51 Aktivitäten in diese Richtung werden innerhalb verschiedener Standardisierungsorganisationen unternommen.52

Open-Source-Software und Standardisierungsprozesse weisen sowohl Gemeinsamkeiten (z.B. kollaborative offene Prozesse, Beitrag zu Innovationen) als auch Unterschiede (IPR-Politik, Agilität, Pflege, Transparenz, Ausgewogenheit der Prozesse usw.) auf. Das Augenmerk muss darum auf die Interaktion zwischen Projekten der Open-Source-Community und Prozessen in Standardisierungsorganisationen gelegt werden.

Die Kommission unterstützt quelloffene Lösungen, d.h. durch Forschungs- und Innovationsprojekte, die im Rahmen von Horizont 2020 gefördert werden. Flexible und wirksame Wechselwirkungen zwischen Standardisierungsgemeinschaften und Open-Source-Communities werden die Umsetzung fortschrittlicher technologischer Entwicklungen voranbringen und beschleunigen.

Die Kommission wird nach wie vor mit Interessenträgern, Open-Source-Communities und Standardisierungsorganisationen zusammenarbeiten, um sich für eine erfolgreiche Beziehung zwischen Standardisierung und Open-Source-Software einzusetzen. Ebenso wird sie Studien zur Analyse von Komplementaritäten, Formen der Interaktion sowie der Unterschiede zwischen den beiden Prozessen fördern und Lösungen für die reibungslose Zusammenarbeit der beiden Gruppen empfehlen.

Die Kommission wird gemeinsam mit Interessenträgern, Open-Source-Communities und Standardisierungsorganisationen an der erfolgreichen Interaktion von Open-Source-Software und Standardisierung arbeiten und hierfür Studien und Analysen durchführen.

5. Schlussfolgerung

Damit Europa das Potenzial des Binnenmarktes und des digitalen Binnenmarktes voll ausschöpfen kann, bedarf es eines ausgewogenen Rahmens von Rechten des geistigen Eigentums, der ein nachhaltiges und effizientes Standardisierungsökosystem und SEP-Lizenzierungsumfeld unterstützt.

Diese Mitteilung schlägt einen ganzheitlichen Ansatz vor und legt Kerngrundsätze für die SEP-Lizenzierung fest; dabei werden die Organisationsstrukturen der Branchen ebenso wie Effizienzüberlegungen berücksichtigt. Die Zusammenarbeit mit allen Interessenträgern wird für die erfolgreiche Umsetzung der Grundsätze sowie zur Sicherstellung konkreter Ergebnisse der angekündigten Maßnahmen unerlässlich sein; zu diesem Zweck sollte insbesondere die Beteiligung von Start-up-Unternehmen an der Einführung des Internets der Dinge gefördert werden. Darum fordert die Kommission alle Interessenträger auf, sich aktiv an der Umsetzung der Grundsätze zu beteiligen.

Die Kommission wird die SEP-Lizenzmärkte unter besonderer Berücksichtigung der IoT-Technologien genau überwachen und dabei auf die noch einzurichtende Expertengruppe zurückgreifen sowie bei Bedarf weitere Studien veranlassen. Sie wird Bilanz ziehen und die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen prüfen, um auf dieser Basis ausgewogene Rahmenbedingungen für die reibungslose, effiziente und erfolgreiche Lizenzierung von SEP zu gewährleisten.