963. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2017
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS) und der Ausschuss für Kulturfragen (K) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Empfehlung des Rates zu einem europäischen Rahmen für hochwertige und nachhaltige Berufsausbildungen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt die Würdigung der Rolle der Berufsausbildung, insbesondere auch im Hinblick auf die Integrierung praktischer Arbeitserfahrungen in den Lernprozess, und sieht das duale System hier als wegweisend an (siehe bereits die Stellungnahme des Bundesrates vom 23. September 2016 (BR-Drucksache 315/16(B) ). Der Empfehlungsvorschlag bildet in weiten Teilen das in den Ländern etablierte System mit der Verknüpfung von theoretischer und praktischer Berufsausbildung ab, dessen Verlässlichkeit und Erfolg sich über Jahrzehnte hinweg gezeigt haben.
- 3. Seit Jahren wird der dualen Berufsausbildung in den deutschsprachigen Ländern ein großer Erfolg bei der nachhaltigen Qualifizierung junger Menschen und der Sicherung des Fachkräftebedarfes der Wirtschaft zugeschrieben. Der Bundesrat stellt fest, dass die in der Empfehlung formulierten Kriterien für Lern- und Arbeitsbedingungen sowie Rahmenbedingungen und die Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene sich mit dem System der dualen Berufsausbildung, wie es in Deutschland etabliert ist, in wesentlichen Punkten decken.
- 4. Das System der dualen Berufsausbildung ist ein zentrales Element des deutschen Bildungssystems und Arbeitsmarktes. Daher sind in Deutschland die von der EU formulierten Kriterien bereits fest verankert und der Bundesrat geht entsprechend davon aus, dass die vorgeschlagene Empfehlung keine größeren Auswirkungen auf die nationale Berufsbildungspolitik haben wird.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass in Deutschland auch jenseits der betrieblichen Ausbildung erfolgreiche Konzepte in der beruflichen Bildung existieren - dies betrifft zum Beispiel die Ausbildung an Berufsfachschulen. Er geht davon aus, dass sich der Empfehlungsvorschlag der Kommission allein auf die duale Bildung bezieht, zumal er für andere Formen der beruflichen Bildung nicht passgenau ist.
- 6. Der Bundesrat setzt sich für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und Förderung der Jugendbeschäftigung als ein zentrales Ziel der EU und der Bundesregierung ein. Der Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt ist ein sensibler und folgenreicher Abschnitt im Lebenslauf. Der Ausgestaltung dieser Phase kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Arbeitslosenzahlen von Jugendlichen fallen innerhalb Europas sehr unterschiedlich aus. Dies liegt unter anderem daran, dass mitgliedstaatsspezifische Strukturen und Institutionen neben der wirtschaftlichen Lage eines Mitgliedstaats eine wichtige Rolle beim Auftreten von Jugendarbeitslosigkeit spielen. Ohne entschlossene Reformen der Bildungssysteme und der Arbeitsmärkte werden viele Jugendliche arbeitslos bleiben.
- 7. Dabei sind besonders die positiven Effekte hinsichtlich der Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb von Europa durch die Schaffung eines kohärenten Rahmens für die Berufsausbildung hervorzuheben.
- 8. Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass nach dem Vorschlag der Kommission transnationale Mobilität von Auszubildenden ein Bestandteil der Berufsausbildungsqualifikationen sein soll. Er ist zwar der Überzeugung, dass eine Auslandserfahrung junge Menschen in ihrer beruflichen sowie persönlichen Entwicklung fördern kann. Eine allgemeine Forderung nach einem Auslandsaufenthalt als Qualitätskriterium bildet aus Sicht des Bundesrates jedoch nicht die realen Bedarfe ab, vielmehr sollte der Auslandsaufenthalt eine Option für Auszubildende darstellen. Der Bundesrat betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Programms "Erasmus+" für die Förderung von Mobilität im Bereich der beruflichen Bildung. Er spricht sich auch mit Blick auf die Nachfolgegeneration des Programms "Erasmus+" für eine Fortführung der Förderung in diesem Bereich sowie die Beibehaltung einer integrierten Programmstruktur unter Einbeziehung sämtlicher Bildungsbereiche aus. Die neue Programmgeneration muss ungeachtet der kommissionsinternen Strukturierung der Generaldirektionen den gesamten Bildungsweg abbilden und somit alle Bildungssektoren abdecken.
- 9. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass eine staatlich anerkannte und qualitativ hochwertige Berufsausbildung von zentraler arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Bedeutung ist. Trotzdem ist es wichtig, die Festlegung der Schwerpunkte in der Auswahl der Rahmenkriterien den Mitgliedstaaten entsprechend ihrer jeweiligen nationalen Systeme zu überlassen. Dabei sind auch die jeweiligen Sozialpartner einzubeziehen, um spezifischen Bedarfen in Branchen, Betrieben und Berufen nachkommen zu können.
- 10. Aus Sicht des Bundesrates sind allerdings noch einige Fragen zur praktischen Umsetzung einzelner Kriterien zu klären. Zwei Aspekte, die beispielsweise diskutiert werden sollten, betreffen die praktische Umsetzung und Implikation der Anerkennung von informellen und nonformalen Lernerfahrungen sowie der finanziellen und nicht finanziellen Unterstützung für Unternehmen auf der Grundlage von Kostenverteilungsvereinbarungen zwischen Arbeitgebern, Auszubildenden und öffentlichen Stellen. Hier ist nicht eindeutig, wie dies konkret umgesetzt werden soll. Hierbei regt der Bundesrat an, zu prüfen, ob Deutschland bezüglich der Unterstützung für Unternehmen mit den in den Ländern etablierten Unterstützungsstrukturen bereits dem Vorschlag der EU entspricht. Der Bundesrat hält zudem fest, dass in diesem Punkt die Frage der Zuständigkeit der EU strittig ist.
- 11. Der Bundesrat konstatiert, dass der Empfehlungsvorschlag die Einrichtung von Qualitätssicherungskonzepten gemäß EQAVET und die stichhaltige und verlässliche Bewertung von Lernergebnissen vorsieht. Er erinnert daran, dass Fragen der Qualitätssicherung in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen. Unbeschadet der allgemeinen Relevanz der Qualitätssicherung sieht der Bundesrat eine Orientierung an EQAVET mit Blick auf die Vielzahl der Akteure in der beruflichen Bildung sowie Verwaltungslasten, insbesondere für kleine Ausbildungsbetriebe, kritisch, zumal EQAVET nicht an der betrieblichen Praxis ausgerichtet ist.
- 12. In den Qualitätskriterien ist zudem erwähnt, dass die Verfolgung des beruflichen Werdegangs von Auszubildenden gewährleistet werden solle. Der Bundesrat verweist darauf, dass gerade in der beruflichen Bildung in Deutschland eine große Zahl von Akteuren aktiv ist. Die Förderung von Werdegang-Nachverfolgungssystemen im Berufsbildungsbereich wirft grundlegende Fragen auf, die Machbarkeit, Verwaltungslasten und Datenschutz sowie darüber hinaus auch die Vergleichbarkeit betreffen. Dass die Werdegang-Nachverfolgung nunmehr gewährleistet werden soll, sieht der Bundesrat angesichts einer Vielzahl offener Fragen und Herausforderungen in diesem Bereich kritisch (vergleiche auch Ziffer 13 der BR-Drucksache 432/17(B) ).
- 13. Angesichts der im Empfehlungsvorschlag dargelegten Verzahnung mit dem Europäischen Semester weist der Bundesrat nachdrücklich darauf hin, dass der Bildungsbereich nicht verstärkt in die wirtschaftspolitische Koordinierung mit einbezogen werden kann. Formalisierte Kontrolle, Überwachung, Bewertung und damit Steuerung durch die europäische Ebene würden dem Grundsatz der Freiwilligkeit der europäischen Bildungskooperation widersprechen (so auch Ziffer 31 der BR-Drucksache 315/16(B) und Ziffer 9 der BR-Drucksache 583/14(B) ).
- 14. Begründung zu Ziffern 1, 3, 4, 6, 7, 9 und 10:
Die von der EU vorgeschlagenen Kriterien zu den erforderlichen Lern- und Arbeitsbedingungen in der Berufsausbildung sind schriftliche Verträge, im Vorfeld definierte Lernergebnisse, pädagogische Unterstützung, eine starke Arbeitsplatz-Komponente (das heißt ein hoher Anteil betrieblicher Ausbildung), Bezahlung und/oder Aufwandsentschädigung, Sozialschutz und Einhaltung geltender Regelungen für Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit.
Bei den Rahmenbedingungen für die Berufsausbildung auf Systemebene geht es um einen klaren und schlüssigen Regelungsrahmen, der einen strukturierten und transparenten Dialog zwischen allen Beteiligten umfasst. Weitere Kriterien sind: Einbeziehung der Sozialpartner, Unterstützung für Unternehmen (besonders für kleine und mittelständische Unternehmen), Anerkennung informeller und nonformaler Lernerfahrungen bei den Zugangsvoraussetzungen und Ermöglichung von Mobilität nach Abschluss der Berufsausbildung (in die höhere Bildung und ins europäische Ausland), Berufsberatung, Transparenz von Ausbildungsangeboten durch Einbeziehung der Arbeitsverwaltungen sowie Qualitätssicherung gemäß dem europäischen Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus- und Weiterbildung (EQAVET) und Werdegang-Nachverfolgung.
"Unter Berücksichtigung der Vielfalt nationaler Strukturen und Systeme bietet der Rahmen eine Reihe von Kriterien, um für die Qualität und Wirksamkeit der Berufsausbildung zu sorgen, wobei jeder Mitgliedstaat gemäß der Spezifizität und der besonderen Anforderungen der nationalen Berufsausbildungsprogramme unterschiedlichen Gesichtspunkten dieser Kriterien den Vorrang geben kann. Aufgrund der großen Unterschiede zwischen den nationalen Systemen und der zahlreichen unterschiedlichen Lösungsansätze auf nationaler Ebene ist diese Flexibilität unerlässlich" (BR-Drucksache 666/17 (PDF), Seite 9).
Aufgrund der Einbettung der Berufsbildung in die jeweiligen gesellschaftlichen und strukturellen Kontexte eines Landes lassen sich Modelle nicht so einfach in ein anderes Land transferieren. Die Vielfalt der Berufsbildungssysteme ist groß und zeigt unter anderem, dass sehr unterschiedliche Wege erfolgreich sein können. Trotzdem lassen sich gewisse Merkmale identifizieren, die hinsichtlich der Arbeitsmarktintegration junger Menschen wichtig sind. Die dualen Ausbildungssysteme, in denen die Unternehmen sich in Kooperation mit den Berufsschulen aktiv an der Ausbildung beteiligen, sind nachgewiesenermaßen besonders erfolgreich bei der Integration in den Arbeitsmarkt.
Ein wichtiger Faktor bei der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit ist die Stärkung des Überganges von der Schule in den Arbeitsmarkt. Hier hat das duale System, wie es im deutschsprachigen Raum Tradition hat, eine Vorreiterrolle. Die im internationalen Vergleich niedrige Jugendarbeitslosigkeitsquote in Deutschland wird unter anderem auf die starke Berufsausbildung zurückgeführt. Das Vorhaben ist daher auch mit Blick auf die diversen Empfehlungen und Vereinbarungen zur Förderung der Jugendbeschäftigung der Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel die 2013 eingeführte EU-Jugendgarantie, zu begrüßen. Vom System der dualen Berufsausbildung können starke Impulse für die Qualifizierung junger Menschen ausgehen.
Der hohe Praxisanteil, die verbindlichen Regelungen sowie die Kooperation von Staat, Wirtschaft und Sozialpartnern gelten als zentrale Elemente der Stabilität der dualen Berufsausbildung und der Sicherung des Wirtschaftsstandortes. Viele Mitgliedstaaten informieren sich bereits über die duale Berufsausbildung und haben eigene Bemühungen in diese Richtung begonnen. Die Bundesregierung unterstützt in zahlreichen Kooperationen und Projekten Partnerländer, auch außerhalb der EU, bei der Einführung von dualer Berufsausbildung. Das "German Office for International Cooperation in Vocational Education and Training" (GOVET) als Zentralstelle der Bundesregierung für internationale Berufsbildungskooperation und Geschäftsstelle "Runder Tisch für internationale Berufsbildungszusammenarbeit" ist Ansprechpartner für Akteure im In- und Ausland.
Ein Schwerpunkt der Kooperation der Mitgliedstaaten im Bereich der dualen Berufsausbildung ist die Förderung der Mobilität von Auszubildenden sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über Landesgrenzen hinweg.
Aufgrund der genannten Berücksichtigung der Heterogenität der einzelnen Berufsbildungssysteme der Mitgliedstaaten und der Tatsache, dass die Empfehlungen sich am Standard des deutschen dualen Systems orientieren und die bereits bestehenden Kooperationen im europäischen Raum unterstützen, ist der Vorschlag zu begrüßen.
Allerdings sind im Hinblick auf die praktische Durchführung noch einige Fragen ungeklärt: Offen ist bisher unter anderem noch, wie die Anerkennung von informellen und nonformalen Kompetenzen sowie die konkrete Gestaltung der Kostenverteilungsvereinbarung umgesetzt werden sollen.
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- 15. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.