Der Bundesrat hat in seiner 960. Sitzung am 22. September 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation - EMIR) für in Drittstaaten ansässige Zentrale Gegenparteien (CCPs) um Normen zu ergänzen, die eine Antwort auf die Situation geben, dass systemrelevante Teile des zentralen Clearings außerhalb der EU stattfinden. Der Bundesrat hält zudem eine kohärente Aufsicht über CCPs für eine notwendige Bedingung eines funktionierenden Clearing-Marktes.
- 2. Aufsichtsstruktur für EU-CCPs
- a) Die derzeitige Kompetenzverteilung für die Aufsicht über in der EU ansässige CCPs ist ein Zusammenspiel der zuständigen Behörde des jeweiligen Ansässigkeitsstaates mit multilateral besetzten Aufsichtskollegien und stellt überwiegend eine kompetente, effiziente und auch kohärente Aufsicht dar. Zudem trägt diese Aufsichtsstruktur dem bewährten Grundsatz europäischer Finanzmarktregulierung, nämlich dem Gleichlauf von fiskalischer Verantwortlichkeit einerseits und Aufsichtszuständigkeit andererseits, Rechnung.
- b) Der Verordnungsvorschlag könnte durch ein komplexes Vorlageverfahren von Entwürfen durch die zuständige Behörde des Ansässigkeitsstaates bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) sowie durch die Erweiterung der Kollegien um drei stimmberechtigte Sitze für die ESMA zu aufwändigen und ineffizienten Entscheidungsstrukturen führen, insbesondere in Fällen, in welchen schnelles Handeln erforderlich ist.
- c) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich entschieden für eine klare Ausgestaltung der vorgeschlagenen Regelungen zur Änderung der Zuständigkeitsverteilung bei der Beaufsichtigung der in der EU ansässigen CCPs und eine hinreichende Einbindung der Mitgliedstaaten einzusetzen.
- 3. Anforderungen an die Regelungen für im Drittstaat ansässige systemrelevante CCPs
- a) Der Bundesrat unterstreicht, dass sich das Regelwerk für die Anerkennung von in Drittstaaten ansässigen CCPs daran messen lassen muss, ob es die Finanzstabilität der EU und ihrer Mitgliedstaaten sicher gewährleistet.
- b) Er begrüßt, dass die Kommission in dem Verordnungsvorschlag die Möglichkeit vorgesehen hat, einer wesentlich systemrelevanten Drittstaaten-CCP die Anerkennung zu versagen und eine Niederlassung innerhalb der EU zu fordern (sogenannte Relocation-Forderung), um die Finanzstabilität der EU und ihrer Mitgliedstaaten gewährleisten zu können.
- c) Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit") bevorsteht und der Finanzstandort London derzeit führend im Clearing von Euro-Zinsderivaten in beträchtlicher Höhe ist, fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, durch eine spezifischere Ausgestaltung der vorgeschlagenen Regelungen zur Anerkennung von Drittstaaten-CCPs sicherzustellen, dass europäisches Recht insofern voll wirksam wird.
Außerdem wird die Bundesregierung gebeten, aufgrund der noch andauernden Brexit-Verhandlungen für eine klarstellende Regelung zu sorgen, in welchem Umfang die aufsichtsrechtlichen Regeln wie Anforderungen an das Eigenkapital sowie hinsichtlich Liquidität, Einschusszahlungen und Ausfallfonds für den Fall der Verpflichtung einer wesentlichen systemrelevanten Drittstaaten-CCP zur Errichtung einer Niederlassung in der EU ebenso für die Hauptniederlassung außerhalb der EU gelten sollen.
- d) Sofern die Möglichkeit eingeräumt werden soll, dass bei CCPs in Drittstaaten systemrelevante Teile des zentralen Clearings abgewickelt werden (sogenannte Tier-2-CCPs), muss dieses Regelwerk daher zwingend und stringent drei Anforderungen gerecht werden:
- - Es muss im Drittstaat ein Rechtsrahmen verlangt werden, der zwingend und in allen erheblichen Teilen den regulatorischen Anforderungen des Europarechts entspricht. - Die jederzeitige Liquidität der CCP muss sichergestellt sein.
- - Die systemrelevante Drittstaaten-CCP muss einer effektiven europäischen Aufsicht unterliegen.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, ob die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Regelungen für im Drittstaat ansässige systemrelevante CCPs diesen Bedingungen uneingeschränkt gerecht werden und auch in ihrer praktischen Umsetzung geeignet sind, die Finanzstabilität in der EU und ihrer Mitgliedstaaten jederzeit sicherzustellen.
- 5. Unabhängig von dieser Prüfung nimmt er zu den unter Ziffer 3 Buchstabe d für Tier-2-CCPs formulierten Anforderungen im Abgleich mit dem Verordnungsvorschlag wie folgt Stellung:
- a) Äquivalenter Rechtsrahmen für Tier-2-CCPs
Der Bundesrat wiederholt seine Forderung aus seiner Stellungnahme vom 31. März 2017 (BR-Drucksache 103/17(B) ), die Bundesregierung möge darauf hinwirken, dass die Anerkennung von in Drittstaaten ansässigen CCPs zusätzlich davon abhängig gemacht wird, dass diese einem Sanierungs- und Abwicklungsregime unterworfen sind, das den im Verordnungsvorschlag über einen Rahmen für die Sanierung und Abwicklung zentraler Gegenparteien (BR-Drucksache 103/17 (PDF) ) aufgestellten Anforderungen entspricht. Auch darüber hinaus werden die zuständigen Behörden fortdauernd und strengstens zu überprüfen haben, ob der Rechtsrahmen des Drittstaates mit Entwicklungen des Europarechts, sei es durch legislative oder administrative Änderungen oder auch durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, Schritt hält.
- b) Liquiditätssicherstellung
Der Bundesrat begrüßt die Einbindung der Europäischen Zentralbank (EZB) in den Prozess der Anerkennung von im Drittstaat ansässigen CCPs. Die von der EZB an die CCP zu stellenden Anforderungen ermöglichen eine Liquiditätssicherstellung und können dem Ziel der Finanzstabilität dienen.
- c) Effektive europäische Aufsicht durch die ESMA aa) Die aufsichtsrechtlichen Instrumente der europäischen Aufsicht gegenüber Drittstaaten-CCPs müssen dem Instrumentarium für EUCCPs entsprechen. EU-CCPs dürfen im Vergleich zu Drittstaaten-CCPs - wie die dem Verordnungsvorschlag zugrundeliegende Analyse ergeben hatte - nicht benachteiligt werden.
- bb) Es wird weiterhin insbesondere von den von der ESMA auszuhandelnden Kooperationsvereinbarungen abhängen, ob das Potenzial des rechtlich vorgesehenen Instrumentariums auch praktisch und vor allem im Krisenfall funktioniert.
- cc) Ob dies hinreichend sichergestellt ist, muss nach Auffassung des Bundesrates im Wesentlichen von denen beurteilt werden, die von einer mangelnden Beaufsichtigung systemrelevanter Teile des zentralen Clearings fiskalisch betroffen sein können. Dies sind die Mitgliedstaaten, in denen die Clearingmitglieder ansässig sind.
- dd) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich für eine hinreichende Einbindung dieser Mitgliedstaaten im CCP-Exekutivausschuss der ESMA sowie bei den vorgesehenen Entscheidungen der Kommission einzusetzen. Dieser Einfluss muss - in den Fragen der Kategorisierung, der Anerkennung und der laufenden Aufsicht von Drittstaaten-CCPs sowie insbesondere bei der Entscheidung, ob eine Anerkennung einer solchen CCP wegen wesentlicher Systemrelevanz versagt wird (Artikel 2 Nummer 9 Buchstabe b) des Verordnungsvorschlags betreffend Artikel 25 Absatz 2c EMIR-E) - den möglichen Auswirkungen solcher Entscheidungen auf diese Mitgliedstaaten gerecht werden.
- ee) Das vorgesehene Zusammenwirken der europäischen Aufsicht mit den Aufsichtsbehörden des jeweiligen Drittstaates sowie mit etwaigen Aufsehern aus weiteren Staaten darf nicht dazu führen, dass erforderliche europäische Aufsichtsmaßnahmen vom Belieben der weiteren Aufseher abhängen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dies sicherzustellen und sich beispielsweise für eine Streichung der vorgeschlagenen Regelung in Artikel 2 Nummer 10 des Verordnungsvorschlags betreffend Artikel 25e Absatz 3 Satz 3 EMIR-E einzusetzen. Nach dieser Regelung soll eine Prüfung vor Ort davon abhängen, ob die Behörde des betreffenden Drittstaats zuvor bestätigt hat, sich dieser nicht zu widersetzen. Eine jederzeitige Vor-Ort-Prüfung muss bei der Anerkennung einer systemrelevanten CCP bereits in den Kooperationsvereinbarungen hinreichend sichergestellt und ohne weitere Hürden gewährleistet sein.
- ff) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich für Regelungen einzusetzen, die eine hinreichende Einbindung der europäischen Aufsicht in eine Sanierung und Abwicklung einer Drittstaaten-CCP garantieren. Gerade für Krisensituationen ist es von entscheidender Bedeutung, eine substanzielle Einbindung der europäischen Aufsicht sicherzustellen. Dies bedeutet konkret unter anderem eine vollumfängliche Entscheidungsbefugnis der europäischen Aufsicht über die Erhöhung oder Herabsetzung von Sicherheitsleistungen.
- d) Im Relocation-Fall sind Übergänge zu gestalten und Umgehungen zu vermeiden:
- aa) Durch eine Versagung der Anerkennung für eine Drittstaaten-CCP wird es für die in der EU ansässigen Institute erforderlich, ihr Clearing-Geschäft auf eine in der EU zugelassene oder von ihr anerkannte CCP zu verlagern. Dieser Übergangsprozess, der in dieser Situation zur Sicherung der Finanzstabilität erforderlich wird, darf nicht selbst zu einer Destabilisierung der Finanzmärkte führen.
- bb) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich aus Gründen der Finanzstabilität und eines angemessenen Vertrauensschutzes dafür einzusetzen, dass grundsätzlich für regulatorisch notwendig werdende Verlagerungen von Clearingstandorten angemessene Übergangsregelungen in der Verordnung angelegt werden, ohne dabei unerwünschte Umgehungseffekte zu erzeugen.
- cc) Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, ob durch die Anpassung weiterer Regelungen Umgehungsmöglichkeiten für den Fall einer Relocation-Anforderung zu schließen sind, um nicht einseitig in der EU ansässige Institute zu benachteiligen. Diese Prüfung sollte insbesondere die Anforderungen an die Verbuchung von Derivaten und das entsprechende Risikomanagement bei europäischen Tochtergesellschaften von Drittstaatenbanken, Befreiungen von Clearingpflichten bei Intragruppengeschäften und die Reichweite des Artikels 25 Absatz 1 EMIR im direkten Clearing umfassen.
- dd) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, einen konkreten Vorschlag für die praktische Ausgestaltung eines "Relocation"-Verfahrens in den Verordnungsentwurf einzubringen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die komplexen Herausforderungen im Rahmen einer notwendigen "Relocation" in einem geregelten Verfahren und ohne vermeidbare zeitliche Verzögerungen bewältigt werden können. Dies ist von großer Bedeutung für die Gewährleistung der Finanzstabilität während eines "Relocation"-Verfahrens.
- a) Äquivalenter Rechtsrahmen für Tier-2-CCPs
- 6. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.