Der Bundesrat hat in seiner 960. Sitzung am 22. September 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat erkennt das Ziel an, die Verfügbarkeit von Daten zum Werdegang von Personen nach ihrem Hochschul- oder Berufsbildungsabschluss in Europa zu verbessern. Derartige Daten können unter anderem bei der Gestaltung und Weiterentwicklung der Bildungssysteme helfen.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass in vielen Mitgliedstaaten bereits datenschutzkonforme Systeme zur Nachverfolgung des Werdegangs von Absolventinnen und Absolventen existieren bzw. an ihrer Errichtung unmittelbar gearbeitet wird.
Er verweist auf die Bestrebungen zur Einführung einer "integrierten Ausbildungsberichterstattung (iABE)" auf Bundesebene und den Beschluss der Kultusministerinnen und -minister, in den Ländern jeweils einen "Kerndatensatz" einzuführen, der eine Werdegang-Nachverfolgung über die Grenzen der Länder hinweg ermöglichen würde.
Für eine Harmonisierung dieser Systeme auf europäischer Ebene bietet das EU-Recht keine Rechtsgrundlage.
- 3. Der Bundesrat plädiert daher dafür, dass sich die EU auf die Förderung des Erfahrungs- und Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich ihrer Werdegang-Nachverfolgungssysteme beschränkt.
Der Bundesrat schlägt vor, dass zunächst in einem von der EU moderierten Verfahren die existierenden Systeme der Werdegang-Erhebung, insbesondere für den Bereich der Berufsbildung, gesichtet und systematisiert werden. Die Bestandsaufnahme könnte von den Mitgliedstaaten genutzt werden, um zu entscheiden, ob und welche weitere Datenerhebung sinnvoll und mit Blick auf die Datenschutzbestimmungen der Mitgliedstaaten machbar ist und ob sie ergänzt werden sollte. Dabei soll insbesondere auch der Aufwand für die Datenerfassung bei den auskunftgebenden Personen bzw. Stellen berücksichtigt werden.
Ein Erfahrungsaustausch der Mitgliedstaaten zur Nachverfolgung von Absolventinnen und Absolventen (Erwägungsgründe 6 und 7 des Vorschlags) kann auf freiwilliger Basis mit einem Mehrwert verknüpft sein.
Der Austausch über nicht bzw. nur bedingt vergleichbare national erhobene Daten erscheint jedoch mit Blick auf den damit verbundenen Aufwand nicht sinnvoll. Aus einer durchgeführten Bestandsaufnahme auf EU-Ebene sollten daher zunächst Bewertungen erfolgen, welche Systeme für einen Informationsaustausch unter den Mitgliedstaaten geeignet sind.
- 4. Der Bundesrat betont, dass die Einrichtung eines Expertennetzwerks nicht die politische Diskussion der Mitgliedstaaten in Ratsgremien ersetzen kann und darf. Er erinnert daran, dass er eine formalisierte Kontrolle seitens der EU im Bildungsbereich als kompetenzwidrig ablehnt, und hebt hervor, dass Expertennetzwerke nicht hierfür genutzt werden dürfen.
- 5. Der Bundesrat befürchtet, dass die Einrichtung bzw. der Ausbau der Werdegang-Nachverfolgungssysteme bei Aus- und Fortbildungseinrichtungen, Hochschulen, Verwaltungen und den beschäftigenden Unternehmen zu einem erheblichen zusätzlichen administrativen Aufwand führen würden.
Dabei leiden diese schon seit vielen Jahren unter stetig zunehmenden Verwaltungslasten, die die jeweilige Leistungsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen.
Die Erhebung und Auswertung neuer Vergleichsdaten führt zwangsläufig auch zu neuem Verwaltungsaufwand. Dies ist hier besonders kritisch, da der Vorschlag eine umfassende Datenerhebung vorsieht.
- 6. Insbesondere lehnt der Bundesrat die vorgesehene jährliche Berichtspflicht der Mitgliedstaaten über ihre Maßnahmen an die Kommission entschieden ab. Entgegen der Bekundung der Kommission, dass diese Berichterstattung nicht als Belastung geplant sei, würde sie in der Realität zu einem enormen zusätzlichen Aufwand führen.
- 7. Solange nicht eine umfassende Bestandsaufnahme stattgefunden hat, kann über ein verstärktes Engagement der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Empfehlung schwer entschieden und der Mehrwert einer Berichterstattung von den Mitgliedstaaten nicht nachvollzogen werden. Auch vor diesem Hintergrund sieht der Bundesrat eine Bestandsaufnahme als zwingend erforderlich an.
- 8. Der Bundesrat weist auf die Notwendigkeit der Einhaltung des Datenschutzrechts hin. Eine Zusammenführung von Daten der Absolventinnen und Absolventen mit Bildungs-, Steuer- oder Sozialversicherungsinformationen würde einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen darstellen. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass eine derart umfassende Datensammlung schwerlich mit dem Datenschutzrecht in Einklang zu bringen ist. Die rechtliche Umsetzbarkeit ist die grundlegende Bedingung dafür, dass die von der Kommission vorgeschlagene Empfehlung tatsächlich einen Mehrwert erbringt.
- 9. Er weist ferner darauf hin, dass bereits der Vergleich bildungsstatistischer Daten der einzelnen Länder in Deutschland beachtliche Herausforderungen mit sich bringt. Selbst innerhalb einzelner Länder gestaltet sich eine Nachverfolgung von Bildungsverläufen über alle Schularten hinweg als schwierig. Hieraus lässt sich schließen, dass ein europäischer Vergleich von Daten aus unterschiedlichen Bereichen im Rahmen einer europäischen Werdegang-Nachverfolgungserhebung mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden wäre, zumindest aber mit deutlichen Einschränkungen bezüglich Vergleichbarkeit und Repräsentativität. Eine anonyme und fehlerfreie Zusammenführung der Datensätze aus unterschiedlichen Bereichen und der unterschiedlichen Datenbanksysteme ist nur schwer vorstellbar.
- 10. Der Bundesrat bezweifelt, dass eine europaweit einheitliche Anwendung insbesondere der qualitativen Erhebungsmerkmale und damit auch eine relevante Aussagekraft erreichbar sind. Denn die vorgeschlagene Empfehlung beinhaltet einen Zielkonflikt zwischen der Längsschnitterhebung und der angeblich angestrebten Anonymität.
- 11. Der Empfehlungsvorschlag sieht vor, dass Werdegang-Nachverfolgungssysteme auch die Möglichkeit für Behörden umfassen sollen, anonymisierte Daten aus verschiedenen Quellen zu verknüpfen. Der Bundesrat stellt fest, dass diese klassische Aufgabe der Statistik nicht durch beliebige Behörden übernommen werden kann, das Thema Statistik jedoch in der vorgeschlagenen Empfehlung überhaupt nicht angesprochen wird.
- 12. Er gibt zu bedenken, dass die Umsetzung des Empfehlungsvorschlags auf nationaler und europäischer Ebene zu erheblichen Verwaltungslasten führen würde, hierfür aber keine Finanzmittel zur Verfügung stehen. Der bloße Verweis auf europäische Finanzierungsquellen wie "Erasmus+" oder die europäischen Struktur- und Investitionsfonds ist nicht ausreichend. Dies gilt auch für die vorgeschlagenen Aktivitäten auf europäischer Ebene, wie die Pilotphase einer europäischen Werdegang-Nachverfolgungserhebung für den tertiären Bildungsbereich, sowie für die Förderung der Einrichtung von Werdegang-Nachverfolgungssystemen im Berufsbildungsbereich.
- 13. Für den Bereich der beruflichen Bildung merkt der Bundesrat an, dass hier auf freiwilliger Basis bereits Befragungen durchgeführt werden. Er weist darauf hin, dass gerade in der beruflichen Bildung in Deutschland eine große Zahl von Akteuren aktiv ist. Die Förderung von Werdegang-Nachverfolgungssystemen im Berufsbildungsbereich würde grundlegende Fragen aufwerfen, die Machbarkeit, Verwaltungslasten und Datenschutz sowie darüber hinaus auch die Vergleichbarkeit betreffen.
- 14. Der Bundesrat stellt fest, dass der Empfehlungsvorschlag zentrale Fragen offen lässt. So sieht er zu einer europäischen Werdegang-Nachverfolgungserhebung für den tertiären Bildungsbereich ein schrittweises Vorgehen in zwei Phasen vor. Nach einer Pilotphase soll eine Entscheidung über die Durchführung einer umfassenden europäischen Erhebung erfolgen. Dabei bleiben relevante Parameter, unter anderem wie und in welchem Verfahren die Entscheidung getroffen werden soll, offen. Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine derartige Entscheidung ausschließlich von den Mitgliedstaaten getroffen werden kann.
- 15. Er fordert die Bundesregierung auf, die Stellungnahme gemäß Artikel 23 Absatz 5 Satz 2 GG und § 5 Absatz 2 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, da bei dem Vorhaben im Schwerpunkt die Befugnisse der Länder zur Gesetzgebung im Bereich der Kultur und des Bildungswesens betroffen sind. Die Kommission rekurriert in der Begründung zu dem Empfehlungsvorschlag auf die Bildung betreffendes Primärrecht im AEUV und gerade nicht auf den Arbeitsmarkt betreffende Rechtsgrundlagen. Der Empfehlungsvorschlag zur Werdegang-Nachverfolgung legt einen starken Fokus auf den Hochschulbereich, für den die Kommission sogar eine Pilotphase einer europäischen Werdegang-Nachverfolgung vorschlägt. Dabei geht es weder um wissenschaftliche Forschung noch um Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bezüglich Hochschulzulassung und Hochschulabschlüssen. Auch betreffend der Nachverfolgung des Werdegangs von Absolventinnen und Absolventen einer schulischen (Aus-)Bildung liegt die alleinige Zuständigkeit in der Kompetenz der Länder.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.