Der Bundesrat hat in seiner 957. Sitzung am 12. Mai 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zum Richtlinienvorschlag insgesamt
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (Amtsblatt L 211 vom 14.08.2009, Seite 55, sogenannte "Binnenmarkt-Richtlinie Strom") vollständig neu fassen will, um sie aktuellen Marktgegebenheiten anzupassen. Die Binnenmarkt-Richtlinien Strom und Gas bilden seit den 1990er Jahren das europarechtliche Fundament der Liberalisierung der Energiemärkte.
- 2. Er unterstützt die Kommission darin, bei der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte die stetig zunehmende Stromerzeugung aus erneuerbaren, volatil einspeisenden Stromerzeugungen durch Anpassung der Marktvorschriften noch stärker in den Blick zu nehmen, ohne dabei die Sicherheit der Stromversorgung aus den Augen zu verlieren.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Initiative der Kommission außerdem sowohl im Interesse der Verbraucher als auch im Sinne der Stärkung des grenzüberschreitenden Handels mit Elektrizität. Er ist der Ansicht, dass Verbraucher noch stärker in den Mittelpunkt der europäischen Energiepolitik genommen und in ihrer Rolle als aktive und gleichberechtigte Teilnehmende am Strommarkt gestärkt werden sollten, ohne dabei ihre Eigenschaft als Verbraucher und die damit verbundenen Rechte zu verlieren.
Der Bundesrat begrüßt, dass erstmalig im europäischen Energierecht Regelungen zur Stärkung und zum Schutz der Verbraucher in einem eigenen Kapitel (Kapitel III) aufgenommen werden.
- 4. Er betont die Bedeutung, auch auf europäischer Ebene die Energiewende kosteneffizient zu bewältigen. Er unterstützt die von der Kommission beabsichtigte vollständige Integration industrieller, gewerblicher und privater Verbraucher in das Energiesystem mit dem Ziel, Systemkosten in erheblichem Umfang zu vermeiden.
Zum Richtlinienvorschlag im Einzelnen
- 5. Der Bundesrat spricht sich jedoch gegen detaillierte Vorgaben und Kriterien hinsichtlich der Erteilung von Genehmigungen zum Bau von Energieerzeugungsanlagen aus. Insbesondere die Anforderung einer zwingenden öffentlichen Bekanntmachung aller Genehmigungsverfahren unabhängig von der Anlagengröße wird kritisch gesehen, wodurch insbesondere für kleine Anlagen ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand entsteht und damit ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand verursacht wird.
- 6. Die Forderung einer generellen öffentlichen Bekanntmachung aller Genehmigungsverfahren unabhängig von der Anlagengröße geht weit über die Anforderungen der Aarhus-Konvention hinaus. Deshalb wird empfohlen, auf konkrete Anforderungen zu verzichten, da dies unter anderem auch in anderen EU-Richtlinien geregelt ist (zum Beispiel Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen, IED-Richtlinie).
- 7. Der Bundesrat regt außerdem eine Prüfung an, ob für das Begriffspaar "Aggregator" und "unabhängiger Aggregator" (Artikel 2 Nummer 14 und 15 des Richtlinienvorschlags) tatsächlich ein Bedarf besteht. Denn unter Entflechtungsgesichtspunkten erscheint es nicht zwingend, einen (unabhängigen) Aggregator, der mit keinem anderen Marktteilnehmer verbunden ist, anders zu behandeln als einen Aggregator, der Teil eines integrierten Energieversorgungsunternehmens ist.
- 8. Der Bundesrat begrüßt, dass in Kapitel III des Richtlinienvorschlags die wesentlichen Rechte der Energieverbraucher aus dem Dritten Binnenmarktpaket zusammengefasst, konkretisiert und um weitere Regelungen - beispielsweise zu dynamischen Tarifen, Laststeuerung, aktiven Kunden, Vergleichsinstrumenten und intelligenten Verbrauchsmesssystemen - erweitert werden.
- 9. Er begrüßt grundsätzlich die Möglichkeit, für Endkunden einen Vertrag mit dynamischen Stromtarifen abzuschließen.
Zu bedenken ist allerdings, dass in einigen Mitgliedstaaten, so zum Beispiel in Deutschland, nur 20 Prozent des Strompreises am Markt gebildet werden und somit volatil ist. Etwa 80 Prozent des Strompreises bestehen aus staatlichen Abgaben und Umlagen bzw. staatlich regulierten Netzentgelten. Dies schränkt die Wirtschaftlichkeit von dynamischen Stromtarifen teilweise ein. Gerade für Haushaltskunden kann es schwierig sein, die Entwicklung des volatilen Anteils des Strompreises zu prognostizieren. Insofern können dynamische Stromtarife besonders für Haushaltskunden ein Risiko darstellen. Mit Artikel 11 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags werden die Mitgliedstaaten aufgefordert sicherzustellen, dass Endkunden von den Anbietern umfassend über die Chancen und Risiken von dynamischen Stromtarifen informiert werden. Der Bundesrat hält diese Informationspflicht für besonders wichtig. Gerade in Hinblick auf Haushaltskunden sollten den Anbieter umfassende Informationspflichten treffen, die in der Richtlinie präzisiert werden sollten.
- 10. Die Überwachungspflicht der Entwicklung zu dynamischen Stromtarifen, die in Artikel 11 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags aufgenommen wurde, wird zum Schutz der Verbraucher und insbesondere der Haushaltskunden eine große Rolle spielen. Der Bundesrat bittet, dass in Artikel 11 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags aufgenommen wird, dass bei der Beobachtung der dynamischen Stromtarife die Entwicklungen im Bereich der Haushaltskunden besonders beobachtet werden sollen.
- 11. Er hebt hervor, dass der Wechsel in einen dynamischen Stromtarif freiwillig geschehen muss und Verbraucher auch in Zukunft die Möglichkeit haben sollen, einen starren Stromtarif zu wählen. Bei der Einführung dynamischer Stromtarife sollte deshalb darauf geachtet werden, dass Nutzern mit starren Stromtarifen keine Nachteile entstehen, die sie dazu zwingen, ebenfalls einen dynamischen Stromtarif zu wählen.
- 12. Der Bundesrat begrüßt, dass Hindernisse für einen Anbieterwechsel auf ein Mindestmaß reduziert werden sollen, indem die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen müssen, dass der Anbieterwechsel eines Verbrauchers innerhalb von drei Wochen vorzunehmen ist und dass Wechselgebühren grundsätzlich verboten sind. In Artikel 12 des Richtlinienvorschlags sind sinnvolle und ausgewogene Regelungen vorgesehen, die sowohl den Belangen der Verbraucher als auch der praktischen Umsetzbarkeit durch die Energiebranche Rechnung tragen. Die in Artikel 12 Absatz 3 beschriebene Ausnahmeregelung für zulässige Kündigungsgebühren lässt allerdings offen, welche nachweislichen Vorteile für den Verbraucher bestehen müssten, damit eine Kündigungsgebühr ausnahmsweise zulässig ist. Es wird gebeten, den genannten "messbaren Vorteil" zu konkretisieren.
- 13. Der Bundesrat begrüßt ferner die Aufnahme des neuen Artikels 13, nach dem die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass Verbraucher auch ohne Einverständnis ihres Stromversorgers Verträge mit Aggregatoren abschließen dürfen. Die Regelung sollte allerdings dahingehend präzisiert werden, dass es Stromversorgern explizit zu untersagen ist, ihren Kunden den Abschluss solcher Verträge mit Drittanbietern zu verbieten. In Deutschland gehen bedauerlicherweise immer mehr Stromversorger dazu über, entsprechende Klauseln in die Verträge mit ihren Kunden einzufügen, um ihnen exklusiv die hauseigenen Dienstleistungen anbieten zu können. Einer solchen aus Verbrauchersicht äußerst unbefriedigenden Einschränkung des Wettbewerbs gilt es unbedingt entgegenzuwirken. Es wird um eine entsprechende Überarbeitung der Vorschriften gebeten.
- 14. Der Bundesrat begrüßt zudem die Einführung von Zertifizierungskriterien für Vergleichsinstrumente und unterstützt die hierzu in Anhang I festgelegten Anforderungskriterien. Die Wirksamkeit einer Zertifizierung hängt maßgeblich davon ab, dass Nutzer von Vergleichsinstrumenten zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Vergleichsinstrumenten unterscheiden können. Er bittet, eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der Vergleichsinstrumente hinsichtlich ihrer Zertifizierung aufzunehmen.
- 15. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass für Vergleichsinstrumente EU-weit Mindestanforderungen festgelegt werden sollen, vor allem im Hinblick auf die Portalfinanzierung und wirtschaftliche Verflechtungen (insbesondere die Offenlegung von Provisionen) sowie die klare Abgrenzung von Werbung und dass verbraucherfreundliche und standardmäßige Voreinstellungen gesetzlich festgelegt werden sollen. Dies betrifft nicht allein den Strommarkt, sondern gilt auch für Vergleichsinstrumente anderer Dienstleistungen.
- 16. Er regt an zu präzisieren, wie die Zertifizierungskriterien in Anhang I von den Mitgliedstaaten in vergleichbarer Weise angewendet werden können. Im Hinblick auf das Ziel der Energieunion könnte die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) beauftragt werden, über die nationalen Maßnahmen zur Regulierung von Vergleichsinstrumenten regelmäßig zu berichten sowie auf eine Harmonisierung der Maßnahmen der nationalen Regulierungsbehörden im Sinne des Richtlinienvorschlags hinzuwirken.
- 17. Der Bundesrat gibt hinsichtlich der vorgeschlagenen Regelung zu den "lokalen Energiegemeinschaften" in Artikel 2 Nummer 7 des Richtlinienvorschlags zu bedenken, dass die geplante Definition sehr weit und unbestimmt ist. Eine Unterscheidung zwischen einer "lokalen Energiegemeinschaft", die nach Artikel 16 der vorgeschlagenen Richtlinie gewisse Privilegierungen erfahren soll, und einem "gewöhnlichen" Verteilernetzbetreiber wird damit erheblich erschwert.
- 18. Er lehnt die konkrete Ausgestaltung der genannten Sonderrechte der "lokalen Energiegemeinschaften" in Artikel 16 des Richtlinienvorschlags ab. So impliziert etwa Artikel 16 Absatz 2 Buchstabe g des Vorschlags, dass denjenigen Netznutzern, die zugleich Anteilseigner oder Mitglieder der "lokalen Energiegemeinschaft" sind, andere - möglicherweise günstigere - Netzentgelte berechnet werden dürfen als den übrigen Netznutzern. Dies ist mit der Diskriminierungsfreiheit der Netzentgelte unvereinbar und konterkariert die Ziele der vorgeschlagenen Richtlinie. Der Bundesrat stellt außerdem fest, dass die Kommission nicht dargetan hat, weshalb eine unionsweite Regelung für (bereits dem Wortsinn nach) "lokale" Energiegemeinschaften erforderlich ist. Derartige Sonderregelungen könnten, sofern sie denn mit den Zielen der Richtlinie übereinstimmten, auch - ohne jedwede Auswirkung auf den unionsweiten Stromhandel - ebenso gut auf der Ebene der Mitgliedstaaten erlassen werden.
- 19. Der Bundesrat unterstützt die Vorgabe der Förderung der Energieeffizienz durch die Elektrizitätsunternehmen, indem diese intelligente Messsysteme einführen und Energiemanagementdienstleistungen anbieten. Gleichwohl werden die in Artikel 19 des Richtlinienvorschlags aufgeführten, sehr detaillierten Anforderungen und Kriterien kritisch gesehen. Mit diesen Detailvorgaben würde den Mitgliedstaaten die nötige Flexibilität genommen, um unter Berücksichtigung der nationalstaatlichen Bedingungen und Voraussetzungen eigene geeignete Maßnahmen umzusetzen.
- 20. Er begrüßt die Einführung von intelligenten Messsystemen als wichtigen Baustein zur weiteren Umsetzung der Energiewende. Der Bundesrat stellt fest, dass in Deutschland mit dem Messstellenbetriebsgesetz bereits umfangreiche Regelungen zur dieser Thematik erlassen wurden. Er lehnt deshalb Vorgaben, die in ihrer Wirkung über den in Deutschland festgelegten Rechtsrahmen hinausgehen, ab, um Planungssicherheit für die beteiligten Akteure auf der Basis der Regelungen des Messstellenbetriebsgesetzes zu garantieren und die Umsetzung der dort verankerten ausgewogenen und aufeinander abgestimmten nationalen Vorgaben nicht zu unterlaufen.
- 21. Der Bundesrat sieht die in Artikel 20 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags formulierte Verpflichtung, alle Kundendaten als Regelfall binnen Sekunden automatisiert zu übermitteln und zu verarbeiten, kritisch. Die in Deutschland definierte Vorgabe einer viertelstündlichen Erfassung und täglichen Übermittlung der abrechnungsrelevanten Daten erscheint im Regelfall ausreichend für die Abwicklung der Lieferung an den Kunden und dient als technische Vorgabe für den notwendigen technischen Standard der Smart Meter. Eine Verschärfung der Anforderungen verursacht erhebliche Umrüstungskosten und dient auch nicht den Verbraucherschutzinteressen.
- 22. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass die Bereitstellung von Hardware zur Visualisierung, wie beispielsweise Homedisplays, und deren Anbindung an den Zähler dem Markt überlassen bleibt. Er begrüßt, dass die betreffenden Messdaten allen Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden sollen. Neben den Kunden, Lieferanten, Übertragungsnetzbetreibern, Aggregatoren und Energiedienstleistern müssen auch alle Verteilernetzbetreiber diese Daten zeitnah erhalten, um jederzeit über die aktuellen Systeminformationen des Verteilernetzes im Hinblick auf einen sicheren Netzbetrieb zu verfügen.
- 23. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den eingeführten Anspruch auf Nutzung eines intelligenten Verbrauchsmesssystems. Intelligente Messsysteme dienen dazu, eine Fülle von Daten über das Nutzungsverhalten des Anschlussnutzers zu erheben und anschließend auch zu verarbeiten. Dabei handelt es sich um schützenswerte Daten. Entsprechend groß ist das Interesse des betroffenen Anschlussnutzers, grundsätzlich selbst darüber entscheiden zu können, wer über diese Daten verfügt. Kosten-Nutzen-Analysen in Deutschland zeigen, dass intelligente Messsysteme sich finanziell für Haushaltskunden nicht in jedem Fall lohnen. Ob dann die Aufzeichnung des privaten Energieverbrauchs und die Sammlung persönlicher Daten in einem vernünftigen Verhältnis zu dieser Energieeinsparung liegen, ist diskutabel. Der Einsatz intelligenter Messsysteme sollte daher im Ermessen und Entscheidungsspielraum der privaten Endverbraucher liegen. Der Bundesrat bittet, den Einbau von intelligenten Messsystemen bei Haushaltskunden mit einem Stromverbrauch von unter 6 000 kWh pro Jahr von einer freien Verbraucherentscheidung abhängig zu machen.
- 24. Er begrüßt zwar grundsätzlich die Harmonisierung europaeinheitlicher Standards, sieht allerdings die Umsetzung des gemeinsamen Datenformats ohne Übergangsfrist kritisch. Dies würde bedeuten, dass alle bereits ausgelieferten intelligenten Zähler angepasst oder im schlimmsten Fall ausgetauscht werden müssen.
- 25. Die zeitliche Vorgabe für die finale Umsetzung des "Rollout" von "Smart Meters" in den Mitgliedstaaten gemäß Anhang III wird abgelehnt. Der in Deutschland in diesem Jahr gestartete Prozess erfordert wesentlich längere Umsetzungsfristen bis 2024 und kann bis 2020 nicht realisiert werden.
- 26. Eine wesentliche Errungenschaft der Richtlinie 2009/73/EG aus Verbrauchersicht war der Anspruch von Haushaltskunden auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens. In Deutschland beinhaltet dieses Schlichtungsverfahren eine Teilnahmepflicht der Unternehmen. Dem Verursacherprinzip entsprechend finanzieren die Unternehmen die Schlichtungsstelle, die Anlass zur Beantragung eines Schlichtungsverfahrens bieten, indem eine Fallpauschale erhoben wird. Die deutsche Schlichtungsstelle Energie e.V. hat sich aus Verbrauchersicht in vielerlei Hinsicht bewährt. Seit 2011 konnte die Schlichtungsstelle Energie e.V. in vielen tausend Fällen eine einvernehmliche außergerichtliche Streitbeilegung zwischen Haushaltskunden und Versorgern herbeiführen. Die Einigungsquote liegt bei circa 80 Prozent. Hierdurch wurde Vertrauen der Haushaltskunden in den Wettbewerbsmarkt geschaffen und der Wettbewerb gestützt. Nicht zuletzt entlastet die Schlichtungsstelle die Gerichte erheblich. All dies war möglich, weil die Mitgliedstaaten gegenwärtig verpflichtet sind, Schlichtungsstellen einzurichten, die eine effiziente Behandlung von Beschwerden sicherzustellen haben. Der Bundesrat befürchtet, dass durch den in Artikel 26 der vorgeschlagenen Richtlinie aufgenommen Verweis auf die Richtlinie 2013/11/EU die vorgenannte Teilnahmeverpflichtung entfallen würde, da die Richtlinie 2013/11/EU eine solche Pflicht nicht vorsieht. Dies würde die Effektivität außergerichtlicher Streitbeilegung erheblich schmälern, da es Unternehmen gibt, die sich freiwilligen Schlichtungen entziehen, für die sie die Kostenlast tragen.
- 27. Er hält es für ein begrüßenswertes und wichtiges Signal, dass mit Artikel 29 der vorgeschlagenen Richtlinie ein eigener Artikel zum Problemfeld "Energiearmut" geschaffen wurde. Allerdings sieht der Bundesrat es kritisch, dass die Kriterien für schutzbedürftige Kunden nach Artikel 28 des Richtlinienvorschlags und die Kriterien für Energiearmut nach Artikel 29 des Richtlinienvorschlags durch die Mitgliedstaaten individuell festgelegt werden sollen. So bleibt beispielsweise unklar, inwiefern schutzbedürftige Kunden von Energiearmut abzugrenzen sind. In Hinblick auf die Pflicht zur Erfassung der Energiearmut nach Artikel 29 Satz 2 des Richtlinienvorschlags wäre eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Berichte zur Energiearmut zwischen den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet. Er bittet, Mindestkriterien festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten Kunden, die von Energiearmut betroffen sind, ermitteln können.
- 28. Der Bundesrat stellt fest, dass die Neufassung der Binnenmarkt-Richtlinie Strom von einem immer weitergehenden Durchgriff auch auf die Verteilernetzbetreiber und die Netzentgelte der Verteilernetzebene geprägt ist. Dieser Durchgriff ist nach Überzeugung des Bundesrates nicht gerechtfertigt, da gerade den Netzentgelten der Verteilernetzebene in aller Regel jede grenzüberschreitende Relevanz fehlt.
- 29. Soweit der Richtlinienvorschlag in Artikel 31 Absatz 5 vorsieht, dass zukünftig jeder Verteilernetzbetreiber Blindleistung auf der Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse ausschreiben muss, erinnert der Bundesrat daran, dass eine Richtlinie nach Artikel 288 Absatz 3 AEUV nur hinsichtlich ihres Zieles verbindlich ist. Für Eingriffe in Detailfragen der Regulierung der Verteilernetzbetreiber hat die Kommission einen Bedarf nicht nachgewiesen. Nach seiner Auffassung drohen den einzelnen Verteilernetzbetreibern erhebliche Kosten und unverhältnismäßiger bürokratischer Aufwand. Dieser würde sich im Ergebnis in höheren Netzentgelten für alle Netznutzer niederschlagen.
- 30. Besonders erhebliche Bedenken hat der Bundesrat gegen die Regelung in Artikel 32 des Richtlinienvorschlags. Soweit Absatz 1 dieser Regelung fordert, die Verteilernetzbetreiber dazu anzureizen, Dienstleistungsverträge zu vergeben, ist er der Auffassung, dass die Möglichkeit zur Vergabe von Dienstleistungsverträgen zum Schutz der Netznutzer im Gegenteil sogar eingeschränkt werden sollte.
Artikel 32 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags ist nach Auffassung des Bundesrates als unverhältnismäßig abzulehnen. Die dadurch vorgegebene Pflicht für alle größeren Verteilernetzbetreiber, alle zwei Jahre einen Netzentwicklungsplan vorzulegen, und die korrespondierende Pflicht der Regulierungsbehörden, hierüber eine ausführliche Konsultation durchzuführen, beträfe alleine in Deutschland 77 Verteilernetzbetreiber und eine Vielzahl von weiteren Akteuren. Der dadurch hervorgerufene Aufwand und die drohenden erheblichen Kosten stehen einem in keiner Weise erwiesenen Nutzen gegenüber. Im Übrigen erinnert er daran, dass die insoweit ähnliche Regelung des § 14 Absatz 1b a.F. Energiewirtschaftsgesetz in Deutschland erst jüngst abgeschafft wurde, da sie weder vollziehbar noch erfüllbar war.
Der Bundesrat hält insbesondere die Regelung in Artikel 32 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags für fragwürdig, auch für die Verteilernetzebene ohne Unterscheidung zwischen den Netzebenen eine Netzentwicklungsplanung vorzusehen, auch wenn die nationale Umsetzung insoweit eine Untergrenze von 100 000 angeschlossenen Kunden vorsehen kann. Eine Netzentwicklungsplanung auf der Verteilnetzebene erscheint nur auf der Ebene der Hochspannung diskussionswürdig. Die von der Kommission adressierten Ladepunkte für Elektromobile bedürfen - soweit nicht mehr als 30 Schnellladepunkte gebündelt entstehen - keiner europäisch vorgegebenen bundesweiten Netzentwicklungsplanung, sondern sie können im Rahmen der Stromverbrauchsentwicklung aggregiert in der Planung höherer Netzebenen berücksichtigt werden. Außerdem ist ein Mehrwert einer Netzentwicklungsplanung auf der Ebene der Nieder- und Mittelspannung weder dargetan noch ersichtlich.
- 31. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Initiative der Kommission, bei der Einbindung von Elektromobilität in das Stromnetz einen Rahmen zu setzen, der einerseits die Beschaffung, die Errichtung und den Besitz von Ladeinfrastruktur für Elektromobilität wettbewerblich organisiert und andererseits den Betrieb und die Nutzung dieser Infrastruktur diskriminierungsfrei gewährleistet.
- 32. Er bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Beratungen der vorgeschlagenen Richtlinie dafür einzusetzen, dass Verteilernetzbetreibern auch künftig die Teilnahme am Wettbewerb um die Errichtung, den Betrieb und den Besitz von Ladesäulen für Elektromobilität möglich ist. Nach nationalem Recht (Energiewirtschaftsgesetz) sind Verteilernetzbetreiber hierzu berechtigt, sofern die Erlöse und Kosten in diesem Bereich vom regulierten Geschäft transparent getrennt werden und die Strombelieferung nicht vom Verteilernetzbetreiber organisiert und verantwortet wird. Als kompetenter Anbieter stärken die Verteilnetzbetreiber den Wettbewerb und tragen zu einer Senkung der Kosten bei.
- 33. Hinsichtlich der Organisation der nationalen Regulierungsbehörden lehnt der Bundesrat die in Artikel 57 Absatz 5 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags vorgesehene Verpflichtung, vor der Ernennung des Leitungsgremiums der Regulierungsbehörde zwingend eine parlamentarische Anhörung durchzuführen, ab. Die Kommission hat nicht dargetan, dass derart detaillierte Vorgaben zur innerstaatlichen Gestaltung der Behördenorganisation für eine Verstärkung der Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden zwingend erforderlich sind. Die Regelungen zur Unabhängigkeit sind bereits jetzt sehr weitgehend und sichern die persönliche wie sachliche Neutralität der Regulierungsbehörden in ausreichendem Maße. Vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips kann und muss es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleiben, gegebenenfalls auch anhand ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden, ob sie bei der Ernennung der Leitungsgremien ihrer nationalen Regulierungsbehörden eine parlamentarische Beteiligung vorsehen wollen oder nicht.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 34. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.