Der Bundesrat hat in seiner 954. Sitzung am 10. März 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die vorgelegte Mitteilung, in der die Ergebnisse der REFIT-Bewertung der Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie 89/392/EWG /EWG und der 23 damit zusammenhängenden Richtlinien sowie die Vorschläge für die zu ergreifenden Maßnahmen dargestellt sind.
- 2. Er ist ebenfalls der Ansicht, dass einige Bestimmungen von Einzelrichtlinien mittlerweile veraltet oder überholt sind. Allerdings dürfen durch die Anpassung einzelner Richtlinien nicht neue Inhalte und Anforderungen aufgenommen werden, die zu neuen Belastungen für Unternehmen führen.
- 3. Auch das Ziel, dass Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten von Unternehmen jeder Größenordnung rechtskonform leistbar sein sollten, wird unterstützt. Gleiches gilt für den Ansatz, dass Schutzmaßnahmen ergebnisorientiert anstatt papierbasiert sein müssen. Allerdings weist der Bundesrat darauf hin, dass bei den Bemühungen um Erleichterungen durch digitale Instrumente stets der Aspekt der Rechtssicherheit für den Arbeitgeber und der der Überwachbarkeit durch die Vollzugsbehörden zu berücksichtigen sind. Aufsichtserfahrungen zeigen, dass gerade bei Kleinstbetrieben Internet und andere digitale Instrumente üblicherweise noch nicht routinemäßig genutzt werden.
- 4. Der Bundesrat ist ebenfalls der Meinung, dass die drei von der Kommission vorgeschlagenen wichtigsten Maßnahmen geeignet sind, den Schutz von Gesundheit und Sicherheit von Beschäftigten zu verbessern.
- 5. Er teilt die Darstellung der Kommission zu den Auswirkungen von arbeitsbedingten Krebserkrankungen und begrüßt die Schlüsselmaßnahmen, die zu einem verstärkten Schutz vor diesen und weiteren gefährlichen Stoffen beitragen werden. Wie der Bundesrat in Ziffer 4 seiner Stellungnahme (BR-Drucksache 249/16(B) ) bereits zum Ausdruck gebracht hat, ist es für einen wirksamen EU-weiten Arbeitsschutz wichtig und auch notwendig, dass nach langem Stillstand wieder intensiv an der Festlegung und Überarbeitung von EU-Grenzwerten für Kanzerogene und Mutagene als auch für chemische Arbeitsstoffe gearbeitet wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu prüfen, ob ein rein sozioökonomischer Ansatz mit dem Ziel, alle Beschäftigten gleich zu schützen, im Einklang steht: Wenn EU-weit nur wenige Beschäftigte eine Tätigkeit mit einem bestimmten krebserzeugenden Stoff ausüben, könnte eine rein sozioökonomische Betrachtung zum Ergebnis führen, dass die Erkrankung aller dieser wenigen Beschäftigten tolerierbar wäre, weil die Kosten für deren Krebserkrankungen gesamtgesellschaftlich gesehen relativ gering wären. Dem gegenüber würde ein risikobasierter Ansatz, welcher auf einheitlichen wissenschaftlichen Kriterien basiert, ein einheitliches Erkrankungsrisiko für alle Beschäftigten definieren. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auf die bisherigen positiven Erfahrungen mit dem in Deutschland verfolgten Risikokonzept.
- 6. Positiv bewertet er das Anliegen, sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf administrativer Ebene darauf hinzuarbeiten, Unklarheiten und Überschneidungen zwischen dem Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und der REACH-Verordnung zu beseitigen. Die Kommission entspricht damit den Anliegen des Bundesrates (siehe Ziffern 5 und 7 der oben genannten Stellungnahme). Nach seiner Auffassung sollte bei der Konzeption des geplanten gemeinsamen Ansatzes berücksichtigt werden, dass die Arbeitsschutzmaßnahmen prioritär in Arbeitsschutzrechtsetzungen und nicht durch Regelungen im Rahmen der REACH-Verordnung festgelegt werden. Die REACH-Verordnung kann die Mindestanforderungen an den Schutz der Beschäftigten vor einer Exposition gegenüber chemischen Arbeitsstoffen in spezifischen Situationen unterstützen, wie im Falle von speziellen Verwendungsverboten. Allerdings weist der Bundesrat darauf hin, dass die REACH-Verordnung ausschließlich eine Binnenmarktregelung ist und mit Festlegungen innerhalb der REACH-Verordnung der Dialog mit den Sozialpartnern, welcher nach Artikel 153 AEUV vorgesehen ist, umgangen wird. Dies steht diametral zu der Feststellung der Kommission, dass der soziale Dialog in hohem Maße zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz beigetragen hat und beitragen wird. Die Bundesregierung wird daher gebeten, darauf zu achten, dass die REACH-Verordnung nicht zur Regelung von grundsätzlichen oder übergeordneten Arbeitsschutzmaßnahmen herangezogen wird. Dies ist insbesondere von Bedeutung, um Inspektionen von unterschiedlichen Vollzugsbehörden zu ein und demselben Sachverhalt zu vermeiden.
- 7. Die Kommission stellt in ihrer Mitteilung eine Überlastung von Kleinstunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) bei der Umsetzung und Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften fest und betont die Notwendigkeit, diese diesbezüglich zu unterstützen. Der Bundesrat teilt diese Auffassung und verweist auf Ziffer 8 seiner oben genannten Stellungnahme. Er verweist weiterhin auf die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, der es ein wesentliches Anliegen ist, KMU bei der Umsetzung der Arbeitsschutzvorschriften zu unterstützen.
- 8. Die Kommission beabsichtigt, den Verwaltungsvollzug im Arbeitsschutzrecht zu verbessern. In diesem Zusammenhang plant die Kommission, den Verwaltungsaufwand in den Mitgliedstaaten verringern zu wollen. Zwar begrüßt der Bundesrat dieses Vorhaben, weist aber darauf hin, dass die Hoheit für den Verwaltungsvollzug weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegt.
- 9. Er sieht in diesem Zusammenhang die Zulassung der Verwendung von besonders besorgniserregenden Stoffen grundsätzlich als ein geeignetes Instrument zur Substitution dieser Stoffe an. Zulassungspflichten, die ausschließlich auf Grund von Arbeitsschutzaspekten bestehen, stellen aber eine finanzielle und personelle Belastung für Unternehmen dar. Dies trifft insbesondere Kleinstunternehmen, die über begrenzte finanzielle, technische und personelle Ressourcen verfügen. Die für die Zulassung zusätzlich aufzubringenden Ressourcen fehlen für die Fortentwicklung von Arbeitsschutzmaßnahmen und wirken somit dem beabsichtigten höheren Schutzniveau entgegen.
- 10. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für eine bessere Trennung der Rechtsrahmen für den Schutz der Beschäftigten und der Binnenmarktrechtsetzung einzusetzen und sich aktiv an der Erarbeitung des für 2017 vorgesehenen Ansatzes zur Bereinigung von Unklarheiten und Überschneidungen bei der Konzeption und der praktischen Anwendung zwischen der REACH-Verordnung und dem Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu beteiligen.
- 11. Die Kommission teilt unter Abschnitt 3.1 "Arbeitsstätten (89/654)" mit, dass im Hinblick auf moderne Informationstechnologien und neue Arbeitsformen ein dynamischeres Konzept der "Arbeitsstätte" erforderlich sein könnte.
Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den Vorschlag der Kommission unter Abschnitt 3.1 "Sicherheits- und/oder Gesundheitsschutzkennzeichnung am Arbeitsplatz (92/58)", die Sicherheitszeichen mit der Norm EN ISO 7010 zu harmonisieren, um international einheitliche Standards zu gewährleisten. Er weist allerdings darauf hin, dass für bereits vorhandene, sicherheitsgerechte Beschilderungen im Betrieb eine Bestandsschutzregelung eingeführt werden sollte.
Die Kommission erwägt unter Abschnitt 3.1 "Persönliche Schutzausrüstungen (89/656)", eine technische Aktualisierung der Richtlinie hinsichtlich des Begriffs persönliche Schutzausrüstung vorzunehmen, die insbesondere den derzeitigen Ausschluss von Ausrüstungen für Not- und Rettungsdienste betreffen würde. Der Bundesrat lehnt diese Maßnahme ab, da hierdurch ein nicht zu rechtfertigender Mehraufwand für die Unternehmen entstehen würde.
- 12. Die Bundesregierung wird ferner gebeten, sich aktiv in die Fortentwicklung der Vorschriften über den Schutz der Beschäftigten vor einer Exposition gegenüber chemischen Stoffen am Arbeitsplatz einzubringen und das in Deutschland bestehende Schutzniveau europaweit zu etablieren. Dies würde nicht nur das europaweite Schutzniveau signifikant verbessern, sondern auch die innereuropäischen Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen. Bei der Fortentwicklung der Vorschriften ist die Hoheit der Mitgliedstaaten für den Verwaltungsvollzug zu berücksichtigen und zu wahren.
- 13. Der Bundesrat verweist auf das mit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (SVFLG) erreichte hohe Schutzniveau. Dieses basiert auf dem Risikomanagement und der ständigen Aufklärungsarbeit der SVLFG sowie dem Austausch bewährter Verfahren in Deutschland.
- 14. Er bittet daher die Bundesregierung, auch mit Blick auf den noch von der Kommission geplanten ausführlichen und zielgerichteten Leitfaden für das Risikomanagement in Landwirtschaft und Fischerei, zusätzliche Belastungen zu vermeiden. Auf Grund des hohen Schutzniveaus und der allgemein hohen bürokratischen Lasten in landwirtschaftlichen Betrieben müssen weitere Lasten und Kosten vermieden werden.