A. Problem und Ziel
Gemäß § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz kann für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen eine Vertretung nur durch Tarifvertrag errichtet werden.
Die Bildung einer betrieblichen Interessenvertretung für das im Flugbetrieb beschäftigte Personal ist somit von einer Einigung der Tarifvertragsparteien über eine entsprechende tarifvertragliche Vereinbarung abhängig. Eine Auffanglösung für den Fall, dass sich eine der beiden Seiten einer tarifvertraglichen Lösung verweigert, sieht das Betriebsverfassungsgesetz bisher nicht vor. Nach geltendem Recht hat es damit jede der beiden Tarifvertragsparteien einseitig in der Hand zu verhindern, dass eine tarifvertragliche Vereinbarung über die Errichtung einer Vertretung für dieses Personal zustande kommt.
Dies wird den Anforderungen an einen zeitgemäßen, die betriebliche Interessenvertretung umfassend ermöglichenden Rechtsrahmen nicht gerecht. Ziel muss es daher sein, durch Änderung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben die Bildung von betrieblichen Interessenvertretungen für im Flugbetrieb Beschäftigte zu erleichtern.
B. Lösung
Der Gesetzentwurf sieht vor, § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz um eine Auffanglösung (Anwendung der allgemeinen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes) für den Fall zu ergänzen, dass die Tarifvertragsparteien keine Einigung über eine tarifvertragliche Vereinbarung erzielen können. Den Besonderheiten des fliegenden Personals kann dabei mit den Gestaltungsmöglichkeiten des § 3 BetrVG (insbesondere andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen gemäß § 3 Absatz 1 Nummer 3 BetrVG) Rechnung getragen werden.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine.
2. Vollzugsaufwand
Keiner.
E. Sonstige Kosten
Keine.
F. Bürokratiekosten
Für Unternehmen mit tarifvertraglichen Vereinbarungen gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1, Bürgerinnen und Bürger oder die Verwaltung entstehen aus der Gesetzesänderung keine Bürokratiekosten oder Informationspflichten. Für Unternehmen ohne tarifliche Vereinbarung, die unter die Auffangregelung fallen, ergibt sich ein Erfüllungsaufwand in nicht bezifferbarer Höhe.
Gesetzesantrag der Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bildung betrieblicher Interessenvertretungen für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen
Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 13. November 2018
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Berlin, Brandenburg, Bremen, Thüringen haben beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bildung betrieblicher Interessenvertretungen für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 972. Sitzung des Bundesrates am 23. November 2018 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller
Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bildung betrieblicher Interessenvertretungen für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes
Dem § 117 Absatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 (BGBl. I S. 2518), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2509) geändert worden ist, werden folgende Sätze 3 bis 5 angefügt:
"Verweigert das Luftfahrtunternehmen die Aufnahme von Verhandlungen innerhalb von drei Monaten nach Übermittlung der Tarifforderung durch eine in dessen Flugbetrieb vertretene Gewerkschaft durch entsprechende Erklärung oder werden innerhalb dieser Frist Tarifverhandlungen nicht aufgenommen, ist dieses Gesetz anzuwenden. Das gleiche gilt, wenn innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme der Verhandlungen keine Vereinbarung über einen Tarifvertrag nach Satz 1 zustande kommt oder das vorzeitige Scheitern der Verhandlungen erklärt wird. Die in den Sätzen 3 und 4 genannten Fristen sind in gegenseitigem Einvernehmen der Tarifvertragsparteien verlängerbar."
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Ausgangslage
Gemäß § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) kann für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen nur durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden.
Die Bildung einer betrieblichen Interessenvertretung für das im Flugbetrieb beschäftigte Personal ist somit von einer Einigung der Tarifvertragsparteien über eine entsprechende tarifvertragliche Vereinbarung abhängig. Eine Auffanglösung für den Fall, dass sich eine der beiden Seiten einer tarifvertraglichen Lösung verweigert, sieht das Betriebsverfassungsgesetz bisher nicht vor. Nach geltendem Recht kann damit jede der beiden Tarifvertragsparteien einseitig verhindern, dass eine tarifvertragliche Vereinbarung über die Errichtung einer Vertretung für dieses Personal zustande kommt.
Der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes ging bei der Schaffung der Ausnahmeregelung des § 117 Absatz 2 offenbar zwar zum einen von den Besonderheiten für Interessenvertretungen des fliegenden Personals, zum anderen aber auch von auf beiden Seiten verständigen Tarifpartnern aus, die in Anwendung dieser Vorschrift passgenaue Lösungen für die betriebliche Interessenvertretung auch der im Flugbetrieb Beschäftigten zu schaffen willens und in der Lage sind. Dies ist bei einzelnen Unternehmen, die sich einer entsprechenden tarifvertraglichen Lösung beharrlich widersetzen, aktuell jedoch leider nicht der Fall. Die Möglichkeit zur strikten Verweigerung des Abschlusses eines Tarifvertrages zur Bildung einer entsprechenden Beschäftigtenvertretung zeichnet das Bild einer an dieser Stelle unzureichenden gesetzlichen Regelung.
Vor diesem Hintergrund begegnet die Vorschrift des § 117 Absatz 2 BetrVG insbesondere auch erheblichen europarechtlichen Vorbehalten.
Zu beachtender Maßstab für mitbestimmungsrechtliche Regelungen auf nationaler Ebene ist die Richtlinie 2002/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft (Mitbestimmungsrichtlinie).
Artikel 1 Absatz 1 dieser Richtlinie bestimmt als deren Ziel die Festlegung eines allgemeinen Rahmens mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer von in der Gemeinschaft ansässigen Unternehmen und Betrieben.
Artikel 1 Absatz 2 legt fest, dass deren Modalitäten so gestaltet und angewandt werden, dass ihre Wirksamkeit gewährleistet ist.
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie erlegt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf zu bestimmen, wie das Recht auf Unterrichtung und Anhörung auf der geeigneten Ebene wahrgenommen wird. Soweit Artikel 5 den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, den Sozialpartnern auf geeigneter Ebene zu überlassen, nach freiem Ermessen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Vereinbarung für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer auszuhandeln, bezieht sich dies ausdrücklich nur auf deren Modalitäten.
Diese Sichtweise entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 2002/14/EG eingeräumte Möglichkeit, die Verwirklichung der sozialpolitischen Ziele, die mit der Richtlinie verfolgt werden, in erster Linie den Sozialpartnern zu überlassen, befreit diese nicht von ihrer Verpflichtung, durch geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vollem Umfang den Schutz der Richtlinie in Anspruch nehmen können (EuGH vom 11.02.2010, C405/08 - Holst).
Auch die derzeit unterschiedlich bewertete Rechtslage durch die Gerichte für Arbeitssachen macht eine sachgerechte und der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit dienende Änderung des § 117 Absatz 2 BetrVG in der im Gesetzesantrag vorgesehenen Art und Weise dringend erforderlich. Die gewählte Lösung - Verhandlungsoption mit gesetzlich vorgesehener Auffangregelung - entspricht im Übrigen vom Grundgedanken her auch den bereits bei der Errichtung von Mitbestimmungsgremien in der Europäischen Gesellschaft (SE) sowie bei der Bildung eines Europäischen Betriebsrates getroffenen gesetzlichen Regelungen und ist somit dem Mitbestimmungsrecht nicht fremd.
II. Zielsetzung
Es ist nach den für nationale Mitbestimmungsregelungen maßgeblichen europarechtlichen Vorgaben zwingend erforderlich, dass das nationale Recht uneingeschränkten Zugang zu den in der Richtlinie festgelegten Mitbestimmungsstandards eröffnet. Die Bildung von betrieblichen Interessenvertretungen für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll daher erleichtert werden und nicht mehr allein von der Einigung der Tarifvertragsparteien über eine tarifliche Lösung abhängig sein.
§ 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz ist zu diesem Zweck durch eine Auffanglösung (Anwendung der allgemeinen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes) für den Fall zu ergänzen, dass die Tarifvertragsparteien über eine tarifvertragliche Vereinbarung keine Einigung erzielen können.
III. Finanzielle Auswirkungen
Keine.
IV. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Arbeitsrecht einschließlich der Betriebsverfassung ergibt sich aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 12 des Grundgesetzes.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes)
Durch die Ergänzung in § 117 Absatz 2 Sätze 3 und 4 wird eine Auffanglösung (Anwendung der allgemeinen Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes) für den Fall geschaffen, dass die Aufnahme von Verhandlungen über die Errichtung einer betrieblichen Interessenvertretung innerhalb von drei Monaten durch entsprechende Erklärung verweigert wird, innerhalb dieser Frist Tarifverhandlungen nicht aufgenommen werden oder sich die Tarifvertragsparteien nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Aufnahme der Verhandlungen einigen können.
Die genannten Fristen sind gemäß § 117 Absatz 2 Satz 5 in gegenseitigem Einvernehmen der Tarifvertragsparteien verlängerbar. Dies dient der Unterstützung einer sich für beide Seiten abzeichnenden Verhandlungslösung.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.