Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) Nr. 2016/680 im Strafverfahren sowie zur Anpassung datenschutzrechtlicher Bestimmungen an die Verordnung (EU) Nr. 2016/679

971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018

A

Der federführende Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 16 (§ 161 Absatz 2 Satz 1 StPO)

In Artikel 1 Nummer 16 ist § 161 Absatz 2 Satz 1 zu streichen.

Begründung:

Der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene neue § 161 Absatz 2 Satz 1 StPO sollte gestrichen werden.

§ 161 StPO ist der falsche Standort für Regelungen zur Datenverarbeitung. Bestimmungen wie § 161 Absatz 2 Satz 1 StPO-E wären vielmehr in die §§ 483 ff. StPO einzugliedern. Vorliegend bleibt daher auch unklar, warum bei der allgemeinen Datenverarbeitungsbefugnisnorm des § 483 StPO kein Hinweis auf § 48 BDSG(2018) erfolgt.

Deshalb könnte die Formulierung des § 161 Absatz 2 Satz 1 StPO-E auch so verstanden werden, dass besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des § 46 Nummer 14 BDSG(2018) nur zu den in § 160 StPO genannten Zwecken (das heißt zur Aufklärung des Sachverhalts) verarbeitet werden dürfen. Dies wäre eine inakzeptable Verkürzung, da besondere Kategorien personenbezogener Daten zu einer Vielzahl weiterer Zwecke verarbeitet werden müssen, unter anderem zur Strafvollstreckung, Bewährungsüberwachung, Führungsaufsicht, in Gnadensachen oder zur Vorsorge für künftige Strafverfahren.

Da § 161 Absatz 2 Satz 1 StPO-E laut Begründung des Gesetzentwurfes ohnehin nur klarstellende Funktion haben soll, weil § 48 BDSG(2018) ansonsten direkt anwendbar sei, sollte die missverständliche Formulierung ganz gestrichen werden.

2. Zu Artikel 1 Nummer 19a - neu - (§ 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO)

Nach Artikel 1 Nummer 19 ist folgende Nummer einzufügen:

"19a. § 397a Absatz 1 Nummer 1 wird wie folgt gefasst:

"1. durch ein Verbrechen nach den §§ 232 bis 232b und 233a des Strafgesetzbuches oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches verletzt ist," "

Begründung:

Aufgrund der Neufassung des § 177 StGB durch das Inkrafttreten des "Fünfzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes sexueller Selbstbestimmung" vom 4. November 2016 (BGBl I, S. 2460) sind der Grundtatbestand des § 177 Absatz 1 StGB ebenso wie die Tatbestandsalternativen in § 177 Absatz 2 StGB nicht mehr - wie bisher - als Verbrechen, sondern als Vergehen ausgestaltet. Auch die in § 177 Absatz 6 StGB geregelte Vergewaltigung, die immerhin mit einer Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren sanktioniert wird, ist lediglich als besonders schwerer Fall ausgestaltet. Ist der Grundtatbestand des § 177 Absatz 1 zusammen mit Absatz 6 StGB verwirklicht, stellt die Vergewaltigung nach geltendem Recht lediglich ein Vergehen und kein Verbrechen dar.

Dies hat zur Folge, dass in diesen Fällen kein Anspruch des Opfers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts als Beistand nach § 397a StPO besteht, denn § 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO knüpft den Beiordnungsanspruch an das Vorliegen eines Verbrechens nach § 177 StGB. Damit bestünde ein Beiordnungsanspruch etwa dann, wenn ein Täter das Opfer unter Anwendung von Gewalt im Genitalbereich anfasst (da § 177 Absatz 5 StGB als Verbrechen ausgestaltet ist), nicht jedoch, wenn der Täter mit dem Opfer gegen dessen erkennbaren Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen hätte. Dies, obwohl die Mindeststrafe im letztgenannten Fall doppelt so hoch wäre. Dies erscheint wertungswidersprüchlich.

Die Reform des § 177 StGB hätte damit im Ergebnis zu einer Verschlechterung der Rechtsposition der Opfer geführt, die durch den Gesetzgeber nicht intendiert gewesen sein dürfte. In der zugehörigen Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages vom 6. Juli 2016 (vgl. BT-Drucksache 18/9097) finden sich zu dieser Frage keine entsprechenden Ausführungen.

Der Wertungswiderspruch sollte aufgehoben, die Formulierung des § 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO entsprechend angepasst und ein Beiordnungsanspruch für sämtliche Fälle des § 177 StGB vorgesehen werden, unabhängig davon, ob es sich um Verbrechen oder Vergehen handelt.

Damit wäre, da der Strafrahmen nach § 177 Absatz 1 und 2 StGB gegenüber der bisherigen Fassung abgesenkt wurde, eine gewisse Weiterung des Beiordnungsanspruchs der Geschädigten verbunden. Diese erscheint angesichts der Absicht des Gesetzgebers, die Opfer sexueller Übergriffe besser zu schützen, aber sinnvoll und geboten. Gerade Opfer von Sexualstraftaten sind oft in besonderer Weise auf rechtsanwaltlichen Beistand angewiesen, um die mit einem Ermittlungs- und Gerichtsverfahren einhergehenden Belastungen zu mildern und eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden. Im Interesse des Opferschutzes sollte daher die vorgeschlagene Anpassung des § 397a Absatz 1 Nummer 1 StPO erfolgen.

3. Zu Artikel 1 Nummer 22 (§ 475 Absatz 1 Satz 1 StPO), Nummer 31 Buchstabe c (§ 487 Absatz 2 StPO), Nummer 35 (§ 491 Absatz 1 Satz 1 StPO), Artikel 13 Nummer 2 ( § 9 Absatz 1 ZStVBetrV)

Begründung:

Der bewährte Vorrang der spezialgesetzlichen Regelungen in der Strafprozessordnung (StPO) zur Akteneinsicht vor dem allgemeinen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch, § 19 BDSG a.F., § 57 BDSG(2018), sollte beibehalten werden.

Dazu muss die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung von § 491 Absatz 1 StPO gestrichen werden. Lediglich der in § 491 Absatz 1 StPO zitierte § 19 BDSG a.F. muss durch den neuen § 57 BDSG (2018) ersetzt werden. Die Folgeänderungen durch Änderung von § 475 Absatz 1 Satz 1 StPO (Artikel 1 Nummer 22 des Gesetzentwurfs) und § 487 Absatz 2 StPO (Artikel 1 Nummer 31 Buchstabe c des Gesetzentwurfs) müssen entsprechend entfallen.

Nach derzeitiger Rechtslage gilt der Auskunftsanspruch gemäß § 491 Absatz 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 19 BDSG a.F. - jetzt: § 57 BDSG (2018) - nicht für Ersuchen der Verfahrensbeteiligten für Auskünfte aus (elektronischen) Akten. Die ausdifferenzierten Regelungen zur Akteneinsicht gehen vor. Das ist sachgerecht und trägt den Interessen der Betroffenen besser Rechnung als die allgemeine Pflicht zur Durchführung einer Interessenabwägung mit weit weniger genauen Vorgaben gemäß § 57 Absatz 4, § 56 Absatz 2 BDSG (2018).

Das im Gesetzentwurf vorgesehene Nebeneinander der Ansprüche auf Auskunft aus Akten und über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten wird nur zu einer erheblichen Arbeitsmehrbelastung durch die Bearbeitung von Auskunftsanträgen bei Staatsanwaltschaften, Führungsaufsichtsstellen, Bewährungshelfern etc. führen, ohne dass die betroffenen Personen dadurch einen Mehrwert gegenüber der Auskunft aus Akten haben.

Zudem sollten auch die bewährten Sperrfristen für die Auskunft zu laufenden Verfahren und der pauschale Hinweis auf diese Sperrfristen bei einer Negativauskunft gemäß § 491 Absatz 1 Satz 2 bis 6 StPO und § 9 Absatz 3 und 4 ZStVBetrV beibehalten werden. Die Sperrfristen nach § 491 Absatz 1 Satz 2 bis 5 StPO und der in jedem Fall zu erteilende Hinweis auf diese Fristen gemäß § 491 Absatz 1 Satz 6 StPO gewährleisten einen angemessenen Ausgleich zwischen den Geheimhaltungsinteressen der Strafverfolgungsbehörden und den Interessen der Betroffenen. Die Pauschalität der Sperrfristen lässt Rückschlüsse aus einer verweigerten oder verzögerten Auskunft nicht zu. Die abgestufte Fristenregelung in § 491 Absatz 1 Satz 2 bis 5 StPO stellt zudem sicher, dass die Interessen der Betroffenen auch im Einzelfall ausreichend berücksichtigt werden.

§ 9 ZStVBetrV sollte daher mit Ausnahme der Ersetzung des Verweises auf § 19 BDSG a.F. in Absatz 1 unverändert bleiben.

Dies ist auch mit der Richtlinie (EU) Nr. 2016/680 vereinbar.

Artikel 15 der Richtlinie verlangt nicht, jede Einschränkung des Auskunftsrechts der Betroffenen an eine Einzelfallabwägung zu knüpfen; den berechtigten Interessen der Betroffenen muss lediglich Rechnung getragen werden. Gesetzliche Einschränkungen des Rechts auf Auskunft werden dadurch ausdrücklich für zulässig erklärt.

4. Zu Artikel 1 Nummer 25 (§ 481 Absatz 1 Satz 3 StPO)

Artikel 1 Nummer 25 ist wie folgt zu fassen:

"25. § 481 wird wie folgt geändert:

Begründung:

Es sollte klargestellt werden, dass auch die Führungsaufsichtsstellen unter den Voraussetzungen des § 481 Absatz 1 Satz 3 StPO zu einer Übermittlung personenbezogener Daten unmittelbar an die Polizeibehörden befugt sind.

Die Dringlichkeit der abzuwehrenden Gefahr ist als Tatbestandsmerkmal bestenfalls bedeutungslos, da ohnehin weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Datenübermittlung unmittelbar an die Polizeibehörden ist, dass eine rechtzeitige Übermittlung der Daten durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nicht gewährleistet ist. Das Tatbestandsmerkmal der dringenden Gefahr sorgt in der Praxis für erhebliche Rechtsunsicherheit, denn ganz strikt verstanden ergeben sich daraus strengere Voraussetzungen für eine Datenübermittlung als aus § 34 StGB. Durch die vorgeschlagene Änderung würde zudem ein Vorhaben des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD teilweise umgesetzt.

5. Zu Artikel 1 allgemein

Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, ob nach der Neufassung des Achten Buches der Strafprozessordnung und des Dritten Teiles des Bundesdaten-Schutzgesetzes, BDSG (2018), für die Verarbeitung von Daten - insbesondere von besonderen Kategorien personenbezogener Daten - durch alle mit dem Strafverfahren und auch mit der Strafvollstreckung befassten Stellen weiterhin ausreichende Rechtsgrundlagen bestehen.

Begründung:

Personenbezogene Daten, darunter auch solche nach § 46 Nummer 14 BDSG (2018) ("besondere Kategorien personenbezogener Daten"), müssen nicht nur von den Strafverfolgungsbehörden im engeren Sinne zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Herbeiführung eines Urteils verarbeitet werden. Besondere Kategorien personenbezogener Daten sind darüber hinaus auch für die Arbeit von Vollstreckungsbehörden, Bewährungshelfern, Führungsaufsichtsstellen oder die Gerichtshilfe unerlässlich (vergleiche § 483 Absatz 1 StPO). Des Weiteren müssen Daten auch für die internationale Rechtshilfe, für Gnadensachen sowie für künftige Strafverfahren verarbeitet werden dürfen (vergleiche § 483 Absatz 2 StPO).

Aus dem Verweis in § 161 Absatz 2 Satz 1 StPO-E auf § 48 BDSG (2018) könnte man folgern, dass die allgemeinen Datenverarbeitungsbefugnisse der StPO für die Verarbeitung von besonderen Kategorien personenbezogener Daten nicht ausreichen.

Für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten besteht zwar mit § 48 Absatz 1 BDSG (2018) grundsätzlich eine Rechtsgrundlage. Deren Anwendungsbereich wird allerdings durch § 45 BDSG (2018) gegebenenfalls zu stark eingeschränkt. Danach sind zwar "Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung, Verfolgung oder Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten" zulässige Zwecke. Ob dies auch die Tätigkeiten von Vollstreckungsbehörden, Bewährungshelfern, Führungsaufsicht oder Gerichtshilfe in vollem Umfang umfasst, bleibt allerdings unklar. So ist zum Beispiel bei der Tätigkeit von Bewährungshelfern und Führungsaufsichtsstellen nicht zweifelsfrei, dass sie jeweils unter die "Verhütung" oder "Ahndung von Straftaten" fällt. Auch die Gnadensachen lassen sich nicht sicher unter eine der Kategorien des § 45 BDSG (2018) subsumieren.

Gegebenenfalls sollte durch eine Ergänzung von § 483 StPO, § 500 StPO-E oder von §§ 45, 48 BDSG (2018) klargestellt werden, dass alle mit der Strafverfolgung und Strafvollstreckung im weitesten Sinne befassten Stellen nach wie vor zum Zwecke der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben in diesen Bereichen grundsätzlich zur Verarbeitung personenbezogener Daten und auch besonderer Kategorien personenbezogener Daten - begrenzt auf den jeweils erforderlichen Umfang - befugt sind.

6. Zu Artikel 3 Nummer 6 Buchstabe b (§ 21 Absatz 2 Satz 1 EGGVG)

Artikel 3 Nummer 6 Buchstabe b ist zu streichen.

Begründung:

Für eine Neufassung des Satzes 1 in § 21 Absatz 2 EGGVG besteht kein sachlicher Grund. Die Erweiterung der Mitteilungspflicht ist weder verfassungsrechtlich im Hinblick auf Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes noch nach Artikel 13 der Richtlinie (EU) Nr. 2016/680 zwingend geboten.

Nach Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie (EU) Nr. 2106/680 sind Ausnahmen von der Informationspflicht zulässig, um zu gewährleisten, dass die Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung oder Verfolgung von Straftaten nicht beeinträchtigt wird. Eine Ausweitung der Informationspflicht auf unmittelbar am Ausgangsverfahren beteiligte Personen (Parteien, Beschuldigte) würde für Gerichte und Staatsanwaltschaften zu einem unverhältnismäßigen Mehraufwand führen und die Strafverfolgung nicht nur unerheblich beeinträchtigen.

Regelmäßig greifen bei jedem staatsanwaltlichen Verfahrensabschluss mehrere Pflichten nach der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra). Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten bei einer Ausweitung der Mitteilungspflichten deshalb nicht nur diese MiStra-Pflichten erfüllen, sondern jeweils im Einzelfall aufwändig prüfen, ob von der zusätzlichen Unterrichtung des Beschuldigten nach § 21 Absatz 4 EGGVG abgesehen werden muss.

Diesem Mehraufwand steht kein Nutzen gegenüber, da die am Verfahren unmittelbar Beteiligten auch bislang ausreichend Kenntnis von den Mitteilungen erlangen, zum Beispiel über eine Akteneinsicht.

B

7. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.