892. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2012
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Kulturfragen empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat hält mit Blick auf das Harmonisierungsverbot im Kulturbereich nach Artikel 167 Absatz 5 erster Spiegelstrich AEUV die Ausgestaltung des Programms "Kreatives Europa" als Verordnung, statt wie bisher als Beschluss, für problematisch. Verordnungen sind in allen Teilen rechtsverbindlich, ohne dass es eines mitgliedstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf. Darüber hinaus können aus einer Verordnung bei hinreichender Bestimmtheit Ansprüche oder Pflichten dritter Rechtssubjekte begründet werden. Auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit sollte die bisher gewählte Regelungsform des Beschlusses auch bei dem Programm "Kreatives Europa" Anwendung finden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, dies in den weiteren Verhandlungen zu vertreten.
- 2. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die von der Kommission angekündigte Aufstockung des Gesamtbudgets für die Förderung des kulturellen, kreativen und audiovisuellen Sektors und erwartet, dass sich diese Aufstockung, sollte sie mit dem Haushalt beschlossen werden, auch im Fördervolumen der Aktionsbereiche Kultur und Media wirksam niederschlägt. Die Zusammenführung der bisherigen Förderprogramme Kultur und MEDIA/MEDIA Mundus darf nicht dazu führen, dass einzelne Aktionsbereiche bei der Verteilung der Mittel erhebliche Einbußen erleiden.
- 3. Der Bundesrat hält deshalb eine konkrete, rechtlich verbindliche und transparenzorientierte Vorgabe zur Mittelverteilung auf die drei Aktionsbereiche im Regelungstext des Verordnungsvorschlags für notwendig, um ihr den unverbindlichen Charakter zu nehmen, der bei einer Benennung lediglich im Begründungstext besteht.
- 4. Der Bundesrat hält die im Legislativvorschlag genannten Programmziele für zu stark wirtschafts- und profitorientiert. Neben der unbestrittenen Tatsache, dass Kulturgüter und Kulturdienstleistungen auch Wirtschaftsfaktoren darstellen, muss es Ziel eines "Kulturprogramms" und damit bei "Kreatives Europa" insbesondere des Aktionsbereichs Kultur bleiben, zum Erhalt und Schutz dieser Doppelnatur beizutragen. Die Ausgestaltung der Programmziele stellt diesen Eigenwert der Kultur in Frage, wenn sie sich ausschließlich an der ökonomischen Verwertbarkeit von Kultur orientiert. Eine Ausrichtung des Programms allein an den Wachstums- und Beschäftigungszielen der Europa-2020- Strategie wird dem Kulturbereich und den dort Beschäftigten nicht gerecht. Audiovisuelle Werke sind Wirtschafts- und Kulturgut zugleich. Sie bedürfen der Förderung gerade dann, wenn ein rentabler Vertrieb fraglich, der Beitrag zur kulturellen Vielfalt aber darstellbar ist.
- 5. Der Bundesrat vermisst den in Artikel 167 AEUV genannten Beitrag der EU zur Entfaltung der Kulturen ihrer Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt. Die Schaffung eines gemeinsamen, indes regional vielfältig ausdifferenzierten europäischen Kulturraumes ist allein durch wirtschaftliche Wettbewerbsförderung nicht zu erreichen. Programmziele müssen sich auch an kreativen Schaffensprozessen, Originalität und künstlerischen Ausdrucksformen messen lassen, kulturelle Bildung und kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist einbeziehen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten muss Raum sein für die Kunst um ihrer selbst willen (lat. "ars gratia artis").
- 6. Vor dem Hintergrund, dass Kinofilmproduktionen als Risikogeschäft häufig Schwierigkeiten haben, die Finanzierung mittels privater Investoren und Banken zu sichern, bestehen Zweifel, ob die neue branchenübergreifende Finanzfazilität den Bedürfnissen der AV-Branche gerecht wird. Auf nationaler und regionaler Ebene gibt es unterschiedliche Erfahrungen, die z.B. bei der Zwischenfinanzierung und der GAP-Finanzierung an ein Marktversagen grenzen. Ob dieses Marktversagen durch die begrenzte Risikoübernahme bei Bankkrediten, die außerdem zusätzliche erhebliche Kosten verursacht, zu beheben ist, erscheint fraglich. Ein Paradigmenwechsel von der Förderung zur privatwirtschaftlichen Finanzierung sollte auf bewerteten Ergebnissen einer umfassenden empirischen Untersuchung der auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene bestehenden Finanzierungsmodelle beruhen. Das Rahmenprogramm sollte in diesem Punkt außerdem so flexibel umsetzbar sein, dass nicht abgeflossene Mittel aus der Finanzfazilität wieder den Fördermittelkontingenten zugeführt werden.
- 7. Der Bundesrat begrüßt den Ansatz der Kommission, grundsätzlich die Durchführung und die Abwicklung des Programms vereinfachen und nutzerfreundlicher gestalten zu wollen.
- 8. Der Bundesrat sieht jedoch die Gefahr, dass die klare Strukturierung der beiden bisherigen, erfolgreich durchgeführten Programme Kultur 2007 und MEDIA/MEDIA Mundus unter dem Dach eines gemeinsamen Rahmenprogramms aufgeweicht und somit für die Antragsteller undurchsichtiger wird.
- 9. Insbesondere lehnt der Bundesrat einen gemeinsamen Programmausschuss zur Gestaltung der jährlichen Arbeitsprogramme für das Programm "Kreatives Europa" ebenso ab, wie die Zusammenlegung der bestehenden Cultural Contact Points und Media Desks zu Creative Europe Desks. Beides trägt nicht, wie die Kommission behauptet, zu größerer öffentlicher Transparenz bei, sondern gefährdet eine detaillierte und fachgerechte Betreuung der Antragstellenden in den sehr unterschiedlichen Bereichen Kultur und audiovisuelle Medien.
- 10. Der Bundesrat spricht sich nachdrücklich für eine flexible Lösung bei der Durchführung des Programms auf Ebene der Mitgliedstaaten aus, insbesondere was den Bereich der Nationalen Kontaktstellen und deren länderinterne Anzahl und die jeweilige Rechtsform anbelangt. Um die Qualität der Beratung aufrechtzuerhalten, muss der Antragsteller auch in der neuen Förderperiode auf branchenspezifische und dezentral erreichbare Beratungsstrukturen (Cultural Contact Points, Media Desks und Media Antennen) zugreifen können. Das gilt insbesondere für große Flächenstaaten wie Deutschland oder Länder mit unterschiedlichen Sprachräumen wie Belgien oder Spanien. Daher müssen die mit der Kommission zu schließenden Verträge so flexibel sein, dass es den betroffenen Einrichtungen überlassen bleibt, wie sie ihre Beratungsleistungen inhaltlich und räumlich verteilt anbieten.
- 11. Der Bundesrat begrüßt, dass literarische Übersetzungen auch in Zukunft in angemessener Weise im Aktionsbereich Kultur gefördert werden sollen. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis und Verbreitung der europäischen Kultur und Geschichte leisten. Eine stärkere Förderung von internationalen Tourneen, Veranstaltungen und Ausstellungen wird ebenfalls begrüßt, da damit der grenzüberschreitende kulturelle Austausch gestärkt und die Ziele des Kulturprogramms näher an die Bürgerinnen und Bürger herangetragen werden können.
- 12. Der Bundesrat hält im Bereich der Evaluierung und des Monitorings die vorgeschlagenen Indikatoren im nichtkommerziellen Kulturbereich für unangebracht. Die kulturelle Vielfalt Europas lässt sich nicht an europäischen Durchschnittsbezugswerten ("Benchmarks") und Indikatoren festmachen. Ein solches Herangehen würde zu einer weiteren Ökonomisierung des Kulturbereichs führen und steht im Widerspruch zu den Zielen des Artikels 167 AEUV.
- 13. Der Bundesrat hält das auf unverbindliche Beratung reduzierte Mitgestaltungsrecht der Mitgliedstaaten im Programmausschuss nach Artikel 18 des Legislativvorschlags für nicht adäquat. Der Vorschlag bleibt in Bezug auf die Programmdurchführung und die Mittelverteilung auf die drei Aktionsbereiche sehr unkonkret (siehe Ziffer 3) und bietet weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten, so dass der Bundesrat einen mit Prüfrechten ausgestatteten Programmausschuss nach Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 für erforderlich hält.
- 14. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission. B
- 15. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.