Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, 25. September 2019
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates: Flüssiges und gelöstes Plastik vermeiden - Für eine umfassende Strategie zur Reduktion schwer abbaubarer Polymere mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 981. Plenarsitzung am 11. Oktober 2019 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier
Entschließung des Bundesrates: Flüssiges und gelöstes Plastik vermeiden - Für eine umfassende Strategie zur Reduktion schwer abbaubarer Polymere
- 1. Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel beinhalten neben festen Kunststoffpartikeln oftmals auch gelöste, gelartige oder flüssige Polymere. Obwohl ihr Anteil in diesen Produkten um den Faktor 50 größer ist als der entsprechende Anteil festen Mikroplastiks, finden flüssige und gelöste Polymere weder in dem vor einiger Zeit von der europäischen Chemikalienagentur ECHA vorgelegten Beschränkungsvorschlag zu Mikroplastik noch in der öffentlichen Diskussion Berücksichtigung.
- 2. Vor diesem Hintergrund stellt der Bundesrat mit Sorge fest, dass Polymere auch in flüssiger oder gelöster Form und unabhängig von ihrer Größe schwer abbaubar, bioakkumulierbar oder ökotoxisch sein können, was zu einer erheblichen Gefährdung von Mensch und Umwelt führen kann. Insbesondere bei schwer abbaubaren Polymeren bestehen große Unsicherheiten hinsichtlich der Beurteilung ihrer Umweltgefährdung. Im Sinne des Vorsorgeprinzips sind derartige Unsicherheiten nicht länger akzeptabel. Für einige Polymergruppen, wie den unter anderem vielfach in Kosmetik verwendeten Polyquaternium-Verbindungen, ist bereits heute bekannt, dass sie für Mensch und Umwelt gefährlich sein können.
- 3. Der Bundesrat stellt mit Bedauern fest, dass sich das europäische Chemikalienrecht diesen Fragen bislang nicht gestellt hat. Die REACH-Verordnung verzichtet bisher ausdrücklich darauf, Polymere zu registrieren oder zu bewerten, was eine Regulierung dieser Stoffe in der Vergangenheit praktisch verhindert hat. Gleichzeitig ist die Europäische Kommission nach Artikel 138 Absatz 2 der REACH-Verordnung aufgefordert, neue Legislativvorschläge zu unterbreiten. Davon hat sie jedoch auch zwölf Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung keinen Gebrauch gemacht.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich bei der Europäischen Kommission für die Vorlage neuer Legislativvorschläge zur Reduktion schwer abbaubarer Polymere in der Umwelt einzusetzen und empfiehlt dazu einen neuen, regulatorischen Ansatz. Basis einer neuen Strategie zum Umgang mit Polymeren sollten stoffgruppenbezogene Ansätze sein, nicht die Betrachtung einzelner Stoffe. Dabei sollte geprüft werden, ob bestimmte Polymergruppen als "polymers of low concern" (PLC) ohne weitere Registrierung Verwendung finden sollen, während andere, als gefährlich anerkannte Polymergruppen stärkeren Beschränkungen unterworfen werden müssen.
- 5. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darüber hinaus, auch nationale Beschränkungen oder Verbote bei Produkten mit bewusst zugesetzten Kunststoffpartikeln und anderen schwer abbaubaren Polymeren detailliert zu prüfen und umzusetzen. Das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz enthält eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage, die es der Bundesregierung zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Beschaffenheit der Gewässer ermöglicht, das Inverkehrbringen von bestimmten Inhaltsstoffen in Wasch- und Reinigungsmitteln zu beschränken oder zu verbieten.
Begründung:
Der Bundesrat hat in seiner 975. Sitzung (BR-Drs. 022/19 (PDF) ) auf die zunehmende Verschmutzung der Gewässer, Meere und Böden mit Mikroplastik hingewiesen und weitergehende Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung des Mikroplastikeintrags in die Umwelt gefordert. Die zunehmende Verschmutzung der Umwelt mit Mikroplastik wird in der öffentlichen Diskussion nach wie vor fast ausschließlich mit festen und unlöslichen Kunststoffpartikeln in Verbindung gebracht. Damit bleiben gelöste, gelartige und flüssige Polymere vollständig außer Betracht, die einen wesentlichen Teil des Problems darstellen.
Gelöste, gelartige oder flüssige Polymere werden als Wirk- und Hilfsstoffe in Kosmetika, Wasch- sowie Reinigungsmitteln eingesetzt und sollen unter anderem als Trübungsmittel, Filmbildner oder zur Einstellung der Viskosität wirken. Sie werden ebenso wie feste und unlösliche Polymere bewusst zugesetzt und gelangen bestimmungsgemäß nahezu vollständig in das Abwasser. Neben der Schadwirkung von festen Kunststoffpartikeln, die auf physikalische Effekte zurückzuführen ist, können synthetische Polymere auch schwer abbaubar, bioakkumulierbar oder ökotoxisch sein. Während die große Mehrheit synthetischer Polymere praktisch nicht biologisch abbaubar ist, erhöht sich das Potential einer Gesundheitsgefährdung bei wasserlöslichen Polymeren und solchen mit kleinem Molekulargewicht, da sie biologische Membranen passieren können.
Polymere sind grundsätzlich gemäß Artikel 2 Absatz 9 der REACH-Verordnung von der Registrierung (Titel II) und der Bewertung (Titel VI) ausgenommen, weshalb nur in Ausnahmefällen Registrierungsdossiers vorliegen. Es ist bedauerlich, dass bisher keine Bestrebungen zu einer einheitlichen Registrierung und ggf. regulatorische Maßnahmen für schwer abbaubare Polymere absehbar sind. Das Beispiel der Polyquaternium-Verbindungen zeigt, dass Polymere mit bekannter (aquatischer) Toxizität und schlechter biologischer Abbaubarkeit auch in Zukunft uneingeschränkt u.a. in Kosmetika eingesetzt werden können. Da es sich nicht um feste und unlösliche Polymerpartikel handelt, fallen Polyquaternium-Verbindungen weder unter den Seitens der ECHA vorgelegten Beschränkungsvorschlag für "Mikroplastik" noch unter die Selbstverpflichtung der Kosmetikindustrie. Eine Reduzierung des Eintrags dieser Stoffe ist somit nicht absehbar.
Wie die EU-Kommission bereits festgestellt hat, sind für den Umgang mit Polymeren neue legislative Wege notwendig - die der REACH-Verordnung zugrundeliegende Bewertung von Einzelstoffen ist nicht praktikabel. Grundlage sollte ein neues, stoffgruppenbezogenes System zur unkomplizierten Registrierung von Polymeren sein, um eine Datengrundlage für deren Bewertung zu generieren. Polymere könnten innerhalb dieses Systems anhand ihrer Strukturmerkmale (Monomere, Seitenketten, funktionelle Gruppen), dem Molekulargewicht sowie der Ladungsdichte in Gruppen gefasst bewertet werden; es sollten auch die Ökotoxizität der verwendeten Additive sowie etwaige komplexbildende Eigenschaften mit einbezogen werden.
Prioritär sollten die Polymergruppen betrachtet werden, welche bekanntermaßen gefährliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, in hohen Tonnagen in Verkehr gebracht werden und deren Anwendung eine hohe Exposition in die Umwelt zufolge hat - zum Beispiel, weil sie bestimmungsgemäß in das Abwasser gelangen.
Der nationale Gesetzgeber kann über das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz seinerseits tätig werden. Da der europäische Verordnungsgeber gerade keine Regelung zu Polymeren getroffen hat, ist dem nationalen Gesetzgeber dieser Weg nicht verwehrt.