835. Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2007
A.
Der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes aus folgendem Grund zu verlangen:
1. Zu Artikel 1 Nr. 13a - neu - (§ 19 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG)
Die nach § 19 Abs. 2 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz geltende Mindestverdienstgrenze in Höhe von mindestens dem Doppelten der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung ist deutlich zu senken.
Begründung
Im Jahr 2005 sind lediglich 900 Hochqualifizierte nach Deutschland eingewandert. Das ist ein deutlicher Beleg dafür, dass das geltende Zuwanderungsgesetz wenig geeignet ist, um Spitzenkräfte aus dem Ausland anzulocken. Derzeit erhalten Fachkräfte erst ab einem Jahreseinkommen von rund 85.000 Euro die Erlaubnis, sich dauerhaft niederzulassen. Das entspricht nahezu dem Dreifachen des Durchschnittseinkommens in Deutschland und erweist sich damit meist als viel zu hohe Hürde für qualifizierte Zuwanderer. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sind vielfach nicht in der Lage, ihren Fachkräften derartige Gehälter zu bezahlen. Zudem ist diese Einkommensgrenze gerade für Berufseinsteiger unrealistisch. So bewegen sich die Einstiegsgehälter deutscher Akademiker in der Regel zwischen 35.000 und 45.000 Euro und liegen damit weit unter dieser Grenze. Eine Senkung dieser Einkommensgrenze würde insofern auch dazu beitragen, dass Zuwanderer, die hierzulande eine Ausbildung absolviert haben, eine größere Chance auf eine Niederlassungserlaubnis erhalten. Bislang müssen Zuwanderer, die in Deutschland eine Hochschulausbildung oder auch eine Meisterprüfung absolviert haben, das Land wieder verlassen, wenn sie keine Stelle finden, mit der sie das geforderte Gehalt realisieren.
Angesichts eines sich absehbar verschärfenden Fachkräftemangels müssen die Regelungen für Hochqualifizierte - entgegen der Auffassung der Bundesregierung - innerhalb dieses Gesetzgebungsverfahrens geändert werden, um Deutschlands bisher völlig unzureichende Position im internationalen Wettbewerb um Hochqualifizierte nachhhaltig zu verbessern. Dies gilt um so mehr, als die Problematik seit langem bekannt ist und deshalb vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung schnellstmöglich gelöst werden muss.
2. Zu Artikel 1 Nr. 15 Buchstabe a (§ 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG)
In Artikel 1 Nr. 15 Buchstabe a ist die Angabe "fünfhunderttausend" durch die Angabe "zweihundertfünfzigtausend" zu ersetzen.
Begründung
Die Tätigkeit selbständiger Unternehmer ist eine der tragenden Säulen für wirtschaftlichen Erfolg und die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Das gilt auch im Hinblick auf selbständige Tätigkeit von Ausländern. Die Praxis seit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes sowie die im Jahr 2006 durchgeführte Evaluierung des Zuwanderungsrechts haben gezeigt, dass die bisherige Fassung der Regelvoraussetzungen in § 21 Abs. 1 Satz 2 AufenthG im Vollzug zu erheblicher Unsicherheit und zu einer nicht gebotenen Zurückhaltung bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für die Ausübung selbständiger Tätigkeit geführt hat. Es ist daher geboten, die Regelvoraussetzungen deutlich und praxisgerecht zu reduzieren. Im Interesse des Wirtschaftstandorts Deutschland und der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen ist die Mindestinvestitionssumme auf 250.000 Euro zu reduzieren.
Entgegen der Auffassung der Bundesregierung ist eine Reduzierung der Mindestinvestitionssumme von 1 Mio. Euro auf 500.000 Euro nach Auffassung des Bundesrates nicht ausreichend, um das Investitionshindernis für Ausländer, die eine selbständige Tätigkeit aufnehmen wollen, zu beseitigen. Beispielsweise liegen nur wenige Prozent der heimischen Existenzgründer bei der Investitionssumme über 250.000 Euro. Deutlich über 50 % der deutschen Existenzgründer liegen bei einer Investitionssumme unter 25.000 Euro. Der Bundesrat teilt nicht die Auffassung der Bundesregierung, dass Investitionen von Ausländern im Bereich von 250.000 bis 500.000 Euro keine wesentlichen positiven wirtschaftlichen Auswirkungen hätten. Vielmehr erwartet der Bundesrat von einer Reduzierung auf 250.000 Euro erhebliche positive Auswirkungen auf die Wirtschaft in Deutschland.
3. Zu Artikel 7 Abs. 5 Nr. 3 (§ 9 Abs. 1 und 3 BeschVerfV)
Artikel 7 Abs. 5 Nr. 3 ist wie folgt zu fassen:
"3. § 9 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
- aa) Die Angabe "§ 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1" wird durch die Angabe "§ 39 Abs. 2" ersetzt.
- bb) In Nummer 1 wird das Wort "drei" durch das Wort "zwei" ersetzt.
- cc) In Nummer 2 werden das Wort "vier" durch das Wort "drei" und die Wörter "erlaubt oder geduldet" durch die Wörter "erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung" ersetzt.
- b) Absatz 3 wird wie folgt geändert:
- aa) Die Wörter "zur Hälfte und nur bis zu zwei Jahren angerechnet" werden durch die Wörter "nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule oder an einer vergleichbaren Ausbildungseinrichtung angerechnet" ersetzt.
- bb) Es wird folgender Satz 2 angefügt:
"In den sonstigen Fällen des § 16 des Aufenthaltsgesetzes erfolgt die Anrechnung nur zur Hälfte und nur bis zu zwei Jahren.""
Begründung
Deutschland benötigt im internationalen Wettbewerb sowie im Hinblick auf die demografische Entwicklung der Bevölkerung und der Anforderungen des Arbeitsmarktes qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. Der im AufenthG vorgesehene Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte, die in Deutschland ein Hochschulstudium erfolgreich absolviert haben und somit integriert sind, sollte deshalb weitestgehend gleichberechtigt ausgestaltet werden. Bislang verhindert § 9 Abs. 3 BeschVerfV, dass die Voraufenthaltszeiten ausländischer Studierender, anders als bei allen sonstigen Ausländern, zu ihren Gunsten angerechnet werden können. Dies hat zur Folge, dass die ausländischen Hochschulabsolventen die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung nur nach Vorrangprüfung und Prüfung der Arbeitsmarktbedingungen bekommen. Beides hat sich in der Praxis als Hemmschuh für die Umsetzung des § 16 Abs. 4 AufenthG erwiesen.
Durch die vorgeschlagene Änderung in Satz 1 würden die Zeiten eines Aufenthalts zum Zweck des Studiums komplett angerechnet, wenn das Studium erfolgreich abgeschlossen wurde. Damit könnte ausländischen Hochschulabsolventen nach einem dreijährigen Studienaufenthalt in Deutschland die Zustimmung zur Ausübung einer Beschäftigung ohne Vorrangprüfung und ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt werden.
Für eine entsprechende Begünstigung der ausländischen Hochschulabsolventen spricht neben dem dargestellten besonderen Interesse der Bundesrepublik Deutschland an qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland auch die Tatsache, dass durch die Änderung des § 10 BeschVervfV im Rahmen der Altfallregelung künftig selbst Asylbewerber im laufenden Asylverfahren und geduldete Ausländer nach vierjährigem Aufenthalt den unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt genießen werden. Es ist weder wirtschafts- noch integrationspolitisch begründbar, dass hier eine Öffnung des im Bereich der Geringqualifizierten eher bedrängten deutschen Arbeitsmarktes erfolgt, während die von der Wirtschaft gesuchten Hochqualifizierten strengen Restriktionen unterliegen sollen.
Die in der Gegenäußerung der Bundesregierung hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch:
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb alle übrigen Ausländer nach gewissen Voraufenthaltszeiten jede Art von Beschäftigung ausüben dürfen, gut qualifizierten Absolventen deutscher Hochschulen dieser Einstieg in den Arbeitsmarkt jedoch verschlossen bleiben soll. Dass akademisch ausgebildete und gut integrierte Zuwanderer den Sprung in eine höherwertige Beschäftigung leichter schaffen können als ungelernte Kräfte und dementsprechend in der Folge auch weitere positive Aspekte für die Sozialsysteme und den Arbeitsmarkt erzielen können, ist nicht zu bestreiten. Dies ist erst recht zu erwarten in den so genannten harten Fächern, die die Mehrheit der ausländischen Hochschulabsolventen an deutschen Hochschulen studiert haben und in denen von Seiten der Wirtschaft ein dringender Fachkräftemangel beklagt wird. Aber auch ausländische Absolventen der geisteswissenschaftlichen Fächer haben gute Chancen, ihren Platz im deutschen Arbeitsmarkt zu finden, wenn ihnen der in diesem Sektor übliche berufliche Einstieg ermöglicht wird.
Der Bundesrat hält deshalb auch das Anliegen, durch Fortsetzung der Arbeitsagenturprüfungen die Beschäftigung der ausländischen Hochschulabsolventen ausschließlich auf eng studienfachbezogenen Arbeitsplätze zu begrenzen, nicht für sachgerecht. Viele der ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen verfügen, zusätzlich zu ihren fachspezifischen Kenntnissen, über weitere Qualifikationen wie Organisations-, Recherche-, Kommunikations- und andere fachübergreifende Schlüsselqualifikationen, zudem über Fremdsprachenkenntnisse, die sie auch über die engen Grenzen fachspezifischer Tätigkeitsfelder hinaus hochwertig einsetzbar machen. Wenn sie - wie auch andere Hochschulabsolventen - ihre Tätigkeitsfelder flexibel und unter Betonung ihres vollständigen Qualifikationsprofils suchen können, erhöht dies ihre Erfolgsaussichten in der Suche nach niveauadäquater Beschäftigung.
Angesichts des geringen Anteils von ausländischen Arbeitsuchenden Akademikern an der Gesamtzahl der Arbeitsuchenden Absolventen deutscher Hochschulen (ca. 1%) sowie der günstigen allgemeinen Arbeitsmarktprognosen für Akademiker wird eine erleichterte Eingliederung der ausländischen Hochschulabsolventen in den Arbeitsmarkt die Vermittlungschancen für deutsche und gleichgestellte Bewerber nicht nennenswert einschränken. Schließlich würde der Wegfall der Prüfung durch die Arbeitsagentur die Verfahrensdauer bei Einstellungen deutlich senken und die Bereitschaft von Arbeitgebern, ausländische Hochschulabsolventen zu beschäftigen, erheblich steigern.
B.
- 4. Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik empfehlen dem Bundesrat, dem Gesetz gemäß Artikel 80 Abs. 2 und Artikel 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 des Grundgesetzes zuzustimmen.
C.
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) und der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS) empfehlen dem Bundesrat ferner, nachfolgende Entschließung zu fassen:*
- 5. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 11. Mai 2007 (BR-Drucksache 224/07(B) ) Bedenken und Anregungen formuliert, die nach seiner Auffassung einer besseren Vollziehbarkeit und breiteren Akzeptanz des Gesetzes dienen. Er nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass in der Gegenäußerung der Bundesregierung und dem Gesetzesbeschluss des Bundestages praktisch keine seiner Anregungen übernommen worden sind.
- 6. Angesichts der in dem Gesetzesbeschluss des Bundestages enthaltenen inhaltlichen Verbesserungen für die Integration in Deutschland, der Bedeutung und angelaufenen Vorarbeiten im Zusammenhang mit der gesetzlichen Altfallregelung sowie der Eilbedürftigkeit des Gesetzesvorhabens stimmt der Bundesrat dem Gesetzesbeschluss des Bundestages zu und verzichtet auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses.
- 7. Der Bundesrat betont noch einmal seine Auffassung, dass eine gezielte Zuwanderung von Hochqualifizierten im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland erleichtert werden muss. Er begrüßt dazu die Haltung der Bundesregierung, die Absenkung der Zugangsvoraussetzungen für Hochqualifizierte außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen und Lösungen vorzuschlagen.
- 8. Der Bundesrat weist darüber hinaus auf die Notwendigkeit hin, weitere Verbesserungen auch im Bereich selbstständiger Tätigkeit vorzunehmen. Auch hier ist im Interesse des Wirtschafts- und Arbeitsplätzestandorts Deutschland eine weitere, über die im Gesetzesbeschluss vorgenommene, Reduzierung der Mindestinvestitionssumme geboten.
- 9. Der Bundesrat wird zum Bereich der Arbeitsmigration sowie zu den weiteren in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung unterbreiteten Bedenken und Anregungen die weitere Entwicklung intensiv verfolgen und bei Bedarf geeignete Schritte ergreifen, um auf weitere Verbesserungen zu dringen.
- 10. Der Bundesrat bittet Bundestag und Bundesregierung erneut darum, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, im Anschluss an die im Jahre 1999 vorgenommene Teilnovellierung sowie die punktuellen Anpassungen in der Folgezeit zu evaluieren und die erforderliche Gesamtnovellierung in Angriff zu nehmen.
- 11. Der Bundesrat bittet Bundestag und Bundesregierung jedoch erneut dringend darum, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht, das ohne sachlichen Zusammenhang in das aktuelle Gesetzgebungsverfahren einbezogen worden ist, im Anschluss an die im Jahre 1999 vorgenommene Teilnovellierung sowie die punktuellen Anpassungen in der Folgezeit umfassend zu evaluieren und die erforderliche Gesamtnovellierung unverzüglich in Angriff zu nehmen.
- 12. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung, bis zum 31. Dezember 2008 einen Bericht über die bis dahin gemachten Erfahrungen mit den im Gesetz enthaltenen Regelungen zum Staatsangehörigkeitsgesetz vorzulegen. Entsprechendes gilt auch für die im Gesetz vorgesehenen Regelungen zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
* Bei Anrufung des Vermittlungsausschusses ist die Abstimmung über die empfohlene Entschließung bis zum Abschluss des Vermittlungsverfahrens zurückzustellen.