Der Bundesrat hat in seiner 856. Sitzung am 6. März 2009 zu dem Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates gemäß § 6 Absatz 1 SachvRatG und zu dem Jahreswirtschaftsbericht 2009 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG wie folgt Stellung genommen:
- 1. Der von der Bundesregierung vorgelegte Jahreswirtschaftsbericht wie auch das Sachverständigenratsgutachten verdeutlichen, dass die deutsche Wirtschaft im Jahr 2009 vor der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung steht. In dieser besonderen Situation sind gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung unumgänglich. Im Mittelpunkt sollten Maßnahmen stehen, die schnell und zielgerichtet konjunkturell wirksam werden und auch langfristig positive Wachstumsimpulse setzen.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer schweren Rezession befindet. Er warnt vor übertriebenem Pessimismus, teilt aber die Einschätzung der Bundesregierung, dass Deutschland im Jahr 2009 wirtschaftlich vor der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung steht.
Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hat in den letzten Monaten des Jahres 2008 auch die deutsche Wirtschaft erfasst: Das Bruttoinlandsprodukt ist im vierten Quartal um 2,1 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Arbeitslosen war im Januar 2009 um fast 390.000 Personen höher als im Dezember 2008.
Besonders betroffen ist die deutsche Industrie. Ihre Produktion lag im Zweimonatszeitraum November/Dezember 2008 um 9,9 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres, und ihre Auftragseingänge waren in diesem Zeitraum um 25,9 Prozent rückläufig. Vorhersagen des weiteren Konjunkturverlaufs sind derzeit mit Unsicherheiten behaftet, die weit über das übliche Maß hinausgehen.
Vor dem Hintergrund der vorliegenden Daten hält der Bundesrat die Projektion der Bundesregierung, nach der das Bruttoinlandsprodukt in 2009 preisbereinigt um 2¼ Prozent zurückgehen wird, für realistisch.
- 3. Der Bundesrat ist wie die Bundesregierung der Auffassung, dass die deutsche Wirtschaft bei der Bewältigung der Rezession von ihrer zuletzt sehr guten Verfassung, die insbesondere auch in der erstmals erreichten Erwerbstätigenzahl von über 40 Mio. zum Ausdruck kommt, profitieren wird. Die deutschen Unternehmen konnten ihre Wettbewerbfähigkeit in den letzten Jahren durch Restrukturierungsmaßnahmen und durch moderate Lohnsteigerungen wesentlich verbessern.
- 4. Darüber hinaus haben auch die Reformen z.B. im Bereich des Arbeitsmarkts, der sozialen Sicherungssysteme und der Unternehmensbesteuerung dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft exogene Einflüsse heute besser verarbeiten kann als noch vor einigen Jahren.
- 5. Der Außenhandel ist vom weltweiten Nachfrageeinbruch besonders betroffen.
Das Wachstum in Deutschland muss deshalb vor allem von der Binnenkonjunktur getragen werden. Bislang hat sich der private Konsum als stabilisierender Faktor erwiesen. Vor diesem Hintergrund stellt der Bundesrat fest:
- - Die relativ hohen Tarifabschlüsse des vergangenen Jahres haben den privaten Konsum gestützt.
- - Die soziale Absicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ein wichtiger Beitrag, um gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weiteren Verunsicherungen vorzubeugen. Ein funktionierender Sozialstaat ist daher unerlässlich für eine nachhaltig positive wirtschaftliche Entwicklung.
- 6. Der Bundesrat unterstützt das von der Bundesregierung verfolgte Ziel, mit Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur gleichzeitig eine Stärkung des Wachstumspotenzials der deutschen Wirtschaft zu erreichen, ausdrücklich. Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und die beiden Konjunkturpakete sind wichtige Schritte, um die Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die deutsche Wirtschaft zu begrenzen. Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat Deutschland seinen Beitrag zur Verhinderung einer systemischen Krise der Finanzinstitutionen geleistet. Das Rettungspaket schafft die Grundlage für neues Vertrauen unter den Finanzmarktakteuren und in die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors. Der Bundesrat begrüßt die laufenden Prüfungen, ob weitere Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors ergriffen werden müssen. Die Maßnahmen der beiden Konjunkturpakete setzen Impulse für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Energieeinsparung, entlasten Verbraucher und Unternehmen, tragen zur Sicherung der Kreditversorgung der Wirtschaft bei und ermöglichen Unternehmen, ihre Mitarbeiter in der Rezession zu halten und Phasen der Kurzarbeit für Qualifizierungsmaßnahmen zu nutzen.
- 7. Der Bundesrat sieht wie Bundesregierung und Sachverständigenrat in der Finanzkrise keine Krise der Sozialen Marktwirtschaft. Zu dieser Wirtschaftsordnung gibt es auch nach seiner Überzeugung keine Erfolg versprechende Alternative. Die aktuelle Krise hat Defizite in der Regulierung der Finanzmärkte aufgedeckt. Notwendig sind Regeln, die insbesondere zu mehr Transparenz und einer größeren Risikovorsorge führen. Trotz des bestehenden Handlungsdrucks müssen die einzuleitenden Maßnahmen sorgfältig abgewogen werden. Es geht darum, die für die wirtschaftliche Entwicklung eminent wichtige Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte durch intelligente Regelungen zu stärken.
- 8. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass zur wirtschaftlichen Belebung eine Ausweitung öffentlicher Investitionen - wie in den Konjunkturpaketen von Bund und Ländern vorgesehen - unerlässlich ist. Die positiven Effekte der höheren staatlichen Investitionsausgaben rechtfertigen eine vorübergehend ansteigende Kreditaufnahme der öffentlichen Hand.
- 9. Der Bundesrat stimmt der Auffassung der Bundesregierung ausdrücklich zu, dass beim wirtschaftlichen Aufbauprozess in den neuen Ländern wichtige Fortschritte erreicht wurden, dass dieser Aufbauprozess aber gleichzeitig weiterhin eine gesamtdeutsche Herausforderung bleibt. Ostdeutschland ist heute ein in weiten Teilen national und international wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort.
Um die positive Entwicklung weiter voranzubringen und zu verstetigen, sollten weiterhin besondere Schwerpunkte in den Bereichen Investitionen, Bildung sowie Forschung und Entwicklung gesetzt werden. Die verabschiedeten Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur knüpfen genau an diesen Punkten an und werden so gerade auch zu einer weiteren Stärkung der neuen Länder beitragen.
- 10. Eine internationale und europäische Koordinierung muss gewährleisten, dass protektionistischen Tendenzen entgegengewirkt und eine Verzerrung des Wettbewerbs durch Subventionswettläufe verhindert wird.
- 11. Der Bundesrat sieht es als zentrale wirtschaftspolitische Aufgabe in diesem Jahr an, die Abwärtsspirale zu stoppen, möglichst viele Arbeitsplätze über die Krise hinweg zu retten und für eine neue Dynamik bei Wachstum und Beschäftigung zu sorgen. Er stimmt der Bundesregierung und dem Sachverständigenrat zu, dass im Sinne einer "konjunkturgerechten Wachstumspolitik" das konjunkturpolitisch Erforderliche mit dem wachstumspolitisch Richtigen verknüpft werden muss. Binnennachfrage und Angebotsbedingungen sind gleichermaßen zu stärken.
- 12. Auch der Bundesrat hält den Einsatz von Konjunkturpaketen in der aktuellen Situation grundsätzlich für sinnvoll und notwendig. Er unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung, die öffentlichen Investitionen in Bildung und Infrastruktur aufzustocken. Die Länder werden die vom Bund zusätzlich zur Verfügung gestellten investiven Mittel unbürokratisch und schnell in nachfragewirksame Zukunftsprojekte investieren bzw. zügig an die Kommunen weiterleiten.
- 13. Der Bundesrat befürwortet die Einführung einer Schuldenbremse im Grundgesetz.
Das Ziel ausgeglichener Haushalte darf nicht aufgegeben werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung in dieser Beziehung zu einer ehrgeizigen Zeitplanung auf. Die Länder ihrerseits sind zu einer verbindlichen Begrenzung der Schulden in den Länderhaushalten bereit.
- 14. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, der Wirtschaft in der gegenwärtigen Situation keine zusätzlichen Lasten aufzubürden. Im Rahmen einer Entlastungsagenda sollten neue regulative Eingriffe, die Unternehmen und Haushalte belasten, nach Möglichkeit unterbleiben. Bürger und Wirtschaft brauchen gerade in der Krise mehr Freiheit und mehr Handlungsspielräume.