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893. Sitzung des Bundesrates am 2. März 2012
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Jahreswirtschaftsbericht 2012 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Die vergleichsweise stabile Arbeitsmarktentwicklung in den letzten Jahren in Deutschland ist auf die Arbeitsmarktreformen der 90er Jahre der Regierung aus SPD und Bündnis90/Die Grünen zurückzuführen. Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD setzte die rechtlichen Rahmenbedingungen, um den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Arbeitsmarkt zu begegnen, unter anderem durch die befristeten Erleichterungen bei den Regelungen zur Kurzarbeit.
Der Arbeitsmarkt ist heterogener geworden, flexible Beschäftigungsformen kommen den Bedürfnissen des globalen Wettbewerbs entgegen. Insgesamt ist die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gestiegen. Gleichzeitig hat jedoch die Zahl prekärer, niedrig entlohnter Beschäftigungsverhältnisse zugenommen.
Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn wird von der Bundesregierung weiterhin abgelehnt, obwohl eine Evaluierung ergeben hat, dass in allen Branchen mit Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigtenzahl festzustellen waren. Die Behauptung, Mindestlöhne vernichteten Arbeitsplätze, wie dies immer wieder von Gegnern des gesetzlichen Mindestlohns vorgetragen wird, ist insofern widerlegt.
Ein gesetzlicher Mindestlohn ist notwendig, weil es in vielen Bereichen keine Tarifverträge mehr gibt oder die Tarifvertragsparteien zu schwach sind, um für eine auskömmliche Bezahlung der Beschäftigten zu sorgen. Daher sind immer mehr Beschäftigte auf unterstützende Leistungen durch den Staat angewiesen.
Der Bundesrat spricht sich entgegen den Feststellungen der Bundesregierung respektive des Sachverständigenrates gegen eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Beschäftigungsverhältnisse zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus. Vielmehr gilt es, die missbräuchliche Nutzung prekärer Beschäftigungsverhältnisse zurückzudrängen.
Im letzten Jahr wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz überarbeitet. Es sollte der Missbrauch von Zeitarbeit insbesondere durch den so genannten "Drehtüreffekt" (Wiedereinstellung ehemaliger Stammbeschäftigter als Zeitarbeitskräfte) verhindert werden. Das Gesetz schafft auch die Möglichkeit, eine "Lohnuntergrenze" für Zeitarbeitskräfte durch Rechtsverordnung festzusetzen. Auf gemeinsamen Vorschlag von Tarifvertragsparteien der Zeitarbeit ist diese Lohnuntergrenze für Zeitarbeitskräfte nun in Kraft.
Das beschäftigungspolitische Potenzial der Zeitarbeit wird anerkannt und soll auch erhalten bleiben. In der Praxis wird die Leiharbeit aber immer öfter zum Lohndumping missbraucht. Der Anteil an Zeitarbeitskräften, die ihr Einkommen mit ergänzendem Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, ist im Vergleich zu anderen Branchen sehr hoch. Hier muss das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nachgebessert und zum Beispiel der Tarifvorbehalt gestrichen werden.
Um ein Ausweichen auf Werkverträge zu verhindern, sollten die bestehenden Regelungen für Werkverträge ebenfalls überarbeitet werden.
Der Bundesrat fordert daher
- - einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, - eine Reregulierung der Zeitarbeit,
- - Regelungen gegen den Missbrauch von Werkverträgen und - eine stärkere Reglementierung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse.
B
- 2. Der federführende Wirtschaftsausschuss, der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Finanzausschuss und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von dem Jahresgutachten 2011/12 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gemäß § 6 Absatz 1 SachvRatG und § 2 Absatz 1 StabG Kenntnis zu nehmen.
C
- 3. Der federführende Wirtschaftsausschuss, der Finanzausschuss, der Gesundheitsausschuss und der Ausschuss für Kulturfragen empfehlen dem Bundesrat, von dem Jahreswirtschaftsbericht 2012 der Bundesregierung gemäß § 2 Absatz 1 StabG Kenntnis zu nehmen.