989. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2020
A
Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission zur Kenntnis. Er anerkennt die zielstrebigen Bemühungen der Kommission, bereits im Europäischen Semester 2020 die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) erstmalig zu bewerten. Das Europäische Semester soll nach Vorstellung der Kommission ab sofort den Rahmen auch für die Koordinierung der SDGs der VN-Agenda 2030 bieten und innerhalb des Rahmens, den seine Rechtsgrundlage ihm steckt, dazu beitragen, die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten in Richtung der SDGs zu lenken.
- 2. Der Bundesrat misst der wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspolitischen Koordinierung und Überwachung im Rahmen des Europäischen Semesters große Bedeutung bei. Aus Sicht des Bundesrates dürften sich verschiedene makroökonomisch relevante Aspekte der VN-Agenda 2030 gut in das Europäische Semester einbinden lassen. Um jedoch tatsächlich die Verwirklichung sämtlicher Ziele für nachhaltige Entwicklung und ihrer Unterziele wirkungsvoll zu unterstützen, bedarf es darüber hinaus weiterhin eines europäischen Nachhaltigkeitsrahmens, in dem ambitionierte strategische Ziele zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030, ein Indikatorensystem und ein wirksamer Umsetzungsmechanismus festgelegt werden, siehe Stellungnahme des Bundesrates vom 13. März 2020 (BR-Drucksache 655/19(B) ).
- 3. Der Bundesrat hat Bedenken, ob eine rein statistische Bewertung der Trends, die in den einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele innerhalb eines Fünfjahreszeitraums zu verzeichnen waren, für die Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung der SDGs das geeignete Instrument ist. Es handelt sich dabei um ein Benchmarking, welches die Leistungen der Mitgliedstaaten mit den Durchschnittswerten für die EU in Beziehung setzt. Der Aussagewert dieses Formats (Anhang E zum Länderbericht Deutschland 2020) erscheint unzureichend. Da der EU-SDG-Indikatorensatz bislang nicht mit Richtbzw. Zielwerten verknüpft ist, wird insbesondere nicht klar, wie groß jeweils der Abstand zur Zielerreichung noch ist und in welchen Bereichen gegebenenfalls dringender Handlungsbedarf besteht.
- 4. Der Bundesrat teilt daher die Einschätzung der Kommission, dass künftig weitere vertiefte Analysen entwickelt werden müssen. Diese sollten im Einzelnen Aufschluss über den Stand bei der Verwirklichung der SDGs und ihrer Unterziele sowie die daraus abzuleitenden Handlungsbedarfe auf der Ebene der Mitgliedstaaten und erforderlichenfalls auch auf der EU-Ebene geben. Der Bundesrat bekräftigt, dass er hierfür zunächst die Festlegung strategischer Ziele zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030 und eines hierauf abgestimmten Indikatorensystems für erforderlich hält. Die Ergebnisse sollten in den Länderberichten in geeigneter Weise in Textform zusammenfassend dargestellt werden.
- 5. Der Bundesrat betont nochmals, dass bei der Umsetzung der VN-Agenda 2030 die ökologische, die soziale und die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit gleichermaßen zu beachten sind, siehe Stellungnahme des Bundesrates vom 12. April 2019 (BR-Drucksache 063/19(B) ). Der ökologischen Nachhaltigkeit ist im aktuellen Länderbericht Deutschland bereits ein Unterpunkt im Abschnitt "Reformprioritäten" gewidmet. Der Bundesrat würde eine entsprechende Einordnung als Reformprioritäten auch für die soziale und die wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit ausdrücklich begrüßen.
- 6. Das Armutsbekämpfungsziel der VN-Agenda 2030 stellt EU und Mitgliedstaaten vor große Herausforderungen. Nach SDG 1.2 soll der Anteil der in Armut Lebenden bis zum Jahr 2030 mindestens um die Hälfte gesenkt werden, nach SDG 1.1 soll die extreme Armut für alle Menschen beseitigt werden. Mit Stand 2018 waren gut 110 Millionen Menschen in der EU einkommensarm und von sozialer Ausgrenzung bedroht, über 30 Millionen Menschen litten erhebliche materielle Entbehrung. Das Armutsbekämpfungsziel der Europa-2020-Strategie wird leider nicht erreicht. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Coronaviruskrise und ihre absehbar erheblichen wirtschafts-, finanz-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Verwerfungen hält der Bundesrat es für unabdingbar, auch die soziale und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit als integrale Bestandteile in die Länderberichte des Europäischen Semesters aufzunehmen.
- 7. Hierbei sollten nach Auffassung des Bundesrates die gemeinsamen Bemühungen der Kommission und der Mitgliedstaaten darauf ausgerichtet sein sicherzustellen, dass die notwendigen Rahmenbedingungen und die jeweiligen Bedarfe etwa an Investitionen in die nationalen Sozialschutz- und Grundsicherungssysteme sowie Möglichkeiten für deren Finanzierung ermittelt werden, um bis zum Jahr 2030 für alle Menschen in der EU entsprechend SDG 1.4 einen Basisschutz und einen Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten und auch die übrigen sozialen Ziele für nachhaltige Entwicklung zu realisieren. Gerade auch mit Blick auf die Coronaviruskrise und ihre absehbar erheblichen wirtschafts-, finanz-, beschäftigungs- und sozialpolitischen Verwerfungen erscheint dies dringlicher denn je.
- 8. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 9. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Finanzausschuss, der Ausschuss für Kulturfragen, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.