884. Sitzung des Bundesrates am 17. Juni 2011
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) und der Verkehrsausschuss (Vk) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der weiteren Beratungen zum Weißbuch innerhalb der europäischen Gremien die nachfolgenden Positionen zu vertreten:
- 2. Der Bundesrat begrüßt das von der Kommission vorgelegte Weißbuch, mit dem eine strategische Vision für einen nachhaltigen und wettbewerbsorientierten Verkehr im europäischen Raum mit seinen globalen Vernetzungen entwickelt wird, (Bei Annahme entfällt Ziffer 3)
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission sich der Herausforderung stellt, eine Vision für einen nachhaltigen Verkehr im europäischen Raum mit seinen globalen Vernetzungen zu entwickeln, (Entfällt bei Annahme von Ziffer 2)
- 4. um den Herausforderungen im Verkehrsbereich in Bezug auf die Ölabhängigkeit, die steigenden Treibhausgasemissionen und die Infrastrukturüberlastung zu begegnen. (setzt Annahme von Ziffer 2 oder Ziffer 3 voraus)
- 5. Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist der Verkehr ein zentraler Faktor und zugleich ein wirtschaftlich sensibler, logistisch komplexer und klimapolitisch problematischer Bereich. [Insoweit sind Fragen des Verkehrs auch Fragen des europäischen Binnenmarkts. Dies macht es nötig, die Vision mit ihren Zielen und Handlungsoptionen mutig und klar zu formulieren.]
- 6. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission darin überein, dass das bestehende Verkehrssystem nicht nachhaltig ist und unterstützt den formulierten Handlungsbedarf vor dem Hintergrund der steigenden CO₂-Emissionen und der gesellschaftlichen Kosten des Verkehrs.
- 7. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission überein, dass es sehr deutlicher Anstrengungen bedarf, um ein nachhaltiges, effizientes und leistungsfähiges Verkehrssystem und gleichzeitig die zwingend notwendige Reduzierung von Energieverbrauch und negativen Auswirkungen des Verkehrs zu realisieren.
- 8. Er begrüßt grundsätzlich die im Weißbuch Verkehr von der Kommission dargestellte Zukunftsausrichtung des europäischen Verkehrsraums, vermisst aber konkrete Aussagen, wie sie die teilweise sehr ambitionierten Ziele erreichen will.
- 9. Der Bundesrat unterstützt die Zielsetzungen der Kommission zur Verringerung der verkehrsbedingten Umwelt- und Klimabelastungen und hält es für sachgerecht, auf Grund der klimaschutzpolitischen Anforderungen die verkehrsbedingten Klimagasemissionen um mindestens 60 Prozent bis zum Jahr 2050 gegenüber dem Jahr 1990 zu mindern.
- 10. Der Vorschlag für ein CO₂-Reduktionsziel von 60 Prozent bis zum Jahr 2050 ist daher grundsätzlich zu begrüßen.
- 11. Allerdings ist zu befürchten, dass dieser Zielwert zu niedrig angesetzt ist, um das notwendige gesellschaftliche Gesamtziel von 80 bis 95 Prozent CO₂- Reduktion bis zum Jahr 2050 zu erreichen.
- 12. Dies gilt umso mehr für die Aufteilung der Zielsetzung, nach der bis 2030 lediglich eine CO₂-Reduzierung um 20 Prozent gegenüber 2008 angestrebt wird und der Hauptanteil in der verbleibenden Zeit erreicht werden soll. (Bei Annahme entfällt Ziffer 13)
- 13. Allerdings sollen bezogen auf das Emissionsniveau von 2008 bis 2030 rund 20 Prozent und bis 2050 rund 70 Prozent der Verkehrsemissionen gesenkt werden. Damit wird der Großteil der Emissionsminderungen auf die Zeit nach 2030 verschoben.
- 14. Der Bundesrat hat erhebliche Zweifel an dieser Zukunftsrechnung und hält höhere Reduktionen in den nächsten 10 bis 20 Jahren für erforderlich, um das Minderungsziel bis 2050 insgesamt erreichen zu können.
- 15. Die Erfahrungen gerade im Bereich Verkehr und Mobilität zeigen, dass die betroffenen Branchen ambitionierte Zielmarken benötigen, um entsprechende Innovationskraft mittel- bis langfristig zu entfalten.
- 16. Mit diesem Minderungsziel liegt nunmehr eine Richtschnur für ein wettbewerbsorientiertes und nachhaltiges Verkehrssystem vor, nach der auch die Mitgliedstaaten ihre nationalen Rahmenbedingungen in der Verkehrspolitik ausrichten sollten.
- 17. Die ehrgeizigen Ziele der Kommission bedürfen einer entsprechenden finanziellen Grundlage. Im Weißbuch bleibt insoweit offen, wie eine ausreichende Finanzausstattung sichergestellt werden kann.
- 18. Der finanzielle Spielraum der Mitgliedstaaten ist sehr begrenzt und wird sich in vielen Fällen noch verengen.
- 19. [Der Bundesrat fordert die Kommission daher auf,] bei der jeweiligen Umsetzung der Ziele in konkrete Maßnahmen auf eine ausreichende Mittelausstattung von Seiten der EU zu achten.
- 20. Es wird dabei darauf zu achten sein, dass nationale Investitionen und der nationale Haushaltsgesetzgeber insgesamt nicht präjudiziert werden. Nationale Einnahmen aus dem Verkehrsbereich müssen in den Mitgliedstaaten verbleiben.
- 21. Der Bundesrat sieht insbesondere im rasant wachsenden internationalen See- und Luftverkehr mit entsprechend negativen Klimaauswirkungen erheblichen Handlungsbedarf. Die Kommission geht beim EU-Luftverkehrsaufkommen von einem Anstieg um 120 Prozent zwischen den Jahren 2005 und 2050 aus. Dieses Wachstum soll durch die Einbeziehung des Luftverkehrs in das europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS), durch den einheitlichen europäischen Luftraum und durch eine modernisierte Flugverkehrsmanagement-Infrastruktur (SESAR) sowie das EU-Projekt Clean Sky mit den ambitionierten Klimaschutzzielen in Einklang gebracht werden.
- 22. Der Bundesrat sieht diese Kompatibilität skeptisch und spricht sich vielmehr dafür aus, das Luftverkehrswachstum insbesondere durch den Abbau steuerlicher Verzerrungen zu begrenzen. Die jüngst von der Kommission vorgelegte Änderungsrichtlinie zur Energiebesteuerung sieht allerdings weiterhin keine Besteuerung von Kraftstoffen im gewerblichen Luftverkehr vor. Damit werden die bestehenden intermodalen Wettbewerbsverzerrungen weitergeführt, was insbesondere in Widerspruch zum zentralen Verlagerungsziel des Weißbuchs steht, wonach der Großteil der Personenbeförderung über mittlere Entfernungen auf die Eisenbahn entfallen soll.
- 23. Die Kommission will in der Luftfahrt zur Minderung von Treibhausgasemissionen als marktgestütztes Instrument alleinig den Handel mit Emissionsrechten einsetzen und dabei die Auktionierung auf zunächst 15 Prozent der Luftverkehrsemissionen beschränken. Dagegen wird der Schienenverkehr sowohl energiesteuerlich als auch durch den Emissionshandel belastet, wobei ab dem Jahr 2013 die 100-prozentige Auktionierung der Emissionszertifikate des Bahnstroms vorgesehen ist. Der Bundesrat hält es für notwendig, dass die Kommission Maßnahmen zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Verkehrsmarkt formuliert. Zudem wird die Kommission im Rahmen der Umsetzung der EHS-Richtlinie ersucht, einen wesentlich höheren Versteigerungsanteil von Luftverkehrsemissionen ab dem Jahr 2012 festzulegen, auch um so genannte windfallprofits der Fluggesellschaften durch Einpreisung von kostenfreien Emissionszertifikaten zu verhindern.
- 24. Der Bundesrat weist darauf hin, dass nach seiner Einschätzung Biokraftstoffen bei der angestrebten Entwicklung nur eine nachgeordnete Bedeutung zukommen kann.
- 25. Er sieht die Zielsetzungen der Kommission zum Anteil CO₂-armer nachhaltiger Flugkraftstoffe von 40 Prozent bis zum Jahr 2050 kritisch, insbesondere in Verbindung mit einem ungebremsten Luftverkehrswachstum, da die Nachhaltigkeit des Anbaus von Energiepflanzen hinsichtlich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Kriterien nicht hinreichend geklärt ist.
- 26. Soweit die Frage der Elektromobilität betroffen ist, ist die Verzahnung mit einer umwelt- und klimafreundlichen Energieerzeugung entscheidend. Insbesondere die Entwicklung und der Ausbau regenerativer Energien und entsprechender Speichermedien sollten deswegen von der EU auch mit Blick auf den Verkehrsbereich besonders gefördert werden.
- 27. Die mit dem Weißbuch geforderte Konzentration auf Infrastrukturmaßnahmen, die den größtmöglichen europäischen Mehrwert generieren, bleibt aus Sicht des Bundesrates von grundsätzlicher, entscheidender Bedeutung. Die Belange der hoch wertschöpfenden Regionen und Metropolen der Gemeinschaft müssen hierbei zumindest gleichgewichtig gegenüber strukturpolitischen Maßnahmen Berücksichtigung finden. Es muss auch zukünftig ausreichende Wertschöpfung in der Gemeinschaft stattfinden können, um unter anderem für struktur- und regionalpolitische Maßnahmen Mittel bereitstellen zu können.
- 28. Der Bundesrat hält eine detaillierte Betrachtung der Emissionsentwicklung für grundsätzlich sinnvoll, weist aber darauf hin, dass für die Entwicklung sektorspezifischer Vorgaben und Maßnahmen die damit verbundenen Kosten und Unsicherheiten vertieft untersucht werden müssen.
- 29. Nach Auffassung des Bundesrates muss die Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs durch eine Strategie ergänzt werden, die auf eine gezielte Steuerung der Verkehrsnachfrage zielt. Dabei ist auch für den Bundesrat die Einschränkung von Mobilität keine Option. Allerdings sind Mobilität und Verkehr nicht identisch und die zu gewährleistende Mobilität ist auch ohne Verkehrswachstum möglich. Nicht die Weglänge, sondern die Zielerreichung ist mobilitätsbestimmend. Soll Mobilität langfristig erhalten bleiben, müssen die Aktivitätsmöglichkeiten in der Nähe verbessert und nicht die Aktionsradien erweitert werden. In diesem Kontext bezweifelt der Bundesrat die programmatischen Aussagen der Kommission, dass einerseits ein Verkehrswachstum zu gewährleisten und andererseits ein Emissionsminderungsziels von 60 Prozent zu erreichen ist.
- 30. Die stärkere Betonung des Verursacherprinzips wird begrüßt. Dieses Prinzip ist eine wichtige Säule zur Berücksichtigung negativer externer Effekte und zur Finanzierung der Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Themen "nutzerfinanzierte Infrastrukturen" und "Mautsysteme für Innenstädte" zum Bestandteil des Weißbuchs Verkehr gemacht hat. Diesen Fragen kommt neben dem Finanzierungsaspekt auch unter dem Aspekt der urbanen Lebensqualität eine besondere Bedeutung zu.
- 31. Der Bundesrat hält es jedoch für erforderlich, bei der Umsetzung der im Weißbuch Verkehr genannten Ziele verstärkt auf die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität zu achten.
Zu den Vorschlägen im Bereich des Stadtverkehrs erneuert der Bundesrat seine in seiner Stellungnahme zum Grünbuch zum Stadtverkehr (BR-Drucksache 681/07(B) ) zum Ausdruck gebrachte Auffassung, wonach eine EU-Zuständigkeit für den Stadtverkehr, wie z.B. Innenstadt-Maut und Zufahrtsbeschränkungen, im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz nicht besteht und Eingriffe in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten, Länder und Kommunen abzulehnen sind.
- 32. Bei der Anlastung der externen Kosten sollten aus Sicht des Bundesrates für alle Verkehrsträger sämtliche gesellschaftlichen Kosten durch lokale Luftschadstoffe, Lärm, Unfälle, Staus, CO₂-Emissionen sowie für Natur- und Landschaftsschäden angerechnet werden, sofern sie nicht bereits durch Steuern oder Abgaben internalisiert sind. Um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, muss die Anlastung der externen Kosten obligatorisch in allen Mitgliedstaaten angewendet werden.
- 33. Der Bundesrat unterstützt das Ziel, in den neuen Leitlinien zum transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V) ein Kernnetz strategischer europäischer Infrastruktur festzulegen. Nach Ansicht des Bundesrates bedarf es bei der Planung des Kernnetzes durch die Kommission einer detaillierten Betrachtung der zu erwarteten Verkehrsnachfrage, wobei neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung des Weltrohölpreises politische Maßnahmen zur Nachfragesteuerung durch Infrastrukturentgelte an Bedeutung zunehmen.
Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit einer europäischen Koordinierung der Verkehrsnachfrageprognosen für den internationalen Luft- und Seeverkehr sowie den transeuropäischen Landverkehr gesehen. In diesem Kontext verweist der Bundesrat erneut auf seine Stellungnahme zur "Europa- 2020"-Strategie und hält eine optimierte Abstimmung der europäischen und nationalen Verkehrswegeplanungen im Rahmen einer nachhaltigen Mobilitätsstrategie für zielführend. In Bezug auf die Finanzierung der TEN-V unterstützt der Bundesrat den Vorschlag der Kommission, europäische Finanzmittel künftig innerhalb eines einzigen Verfahrensrahmens bereitzustellen, um die TEN-V-Mittel und die Mittel der Kohäsions- und Strukturfonds kohärent zu verwenden.
- 34. Der Forderung der Kommission nach einer diversifizierten Finanzierung von Infrastrukturvorhaben ist grundsätzlich zuzustimmen, die darin enthaltene Vorgabe bezüglich öffentlichprivater Partnerschaften (ÖPP) ist aber mindestens unter den Vorbehalt der Vorteilhaftigkeit für die Öffentliche Hand zu stellen und den Attraktivitätssteigerungszielen für nachhaltige Verkehrsträger klar unterzuordnen. Eine verpflichtende Prüfung der Option ÖPP für jedes Vorhaben, wie im Anhang I des Weißbuchs angedacht, ist im Sinne der Vermeidung unnötiger Bürokratie abzulehnen.
- 35. Für den Eisenbahnsektor strebt die Kommission einen wesentlich höheren Anteil am Personen- und Güterverkehrsmarkt auf mittleren Entfernungen über 300 km an (mehr als 50 Prozent bis zum Jahr 2050) und will dazu größere Veränderungen des Rechtsrahmens für den Eisenbahnverkehr vornehmen. Der Bundesrat unterstützt auf Grund der Umweltverträglichkeit und Energieeffizienz der Bahn diese Zielstellung und sieht in der Marktöffnung für Personenverkehrsdienste im Inland und der strukturellen Trennung von Infrastrukturbetreibern und Verkehrsunternehmen dazu Ansätze.
- 36. Er bezweifelt allerdings, dass mit den Maßnahmen des Weißbuchs derartige Verkehrsverlagerungen generiert werden können. Gerade im Personenverkehr konkurriert die Bahn auf mittleren Entfernungen mit dem Flugverkehr, ist aber auf vielen europäischen und nationalen Relationen auf Grund der verzerrten Wettbewerbsbedingungen nicht konkurrenzfähig. Im Güterverkehr steht die Bahn insbesondere mit dem Lkw im Wettbewerb, wobei auch hier auf Grund unterschiedlicher Infrastrukturnutzungskosten und Sozialvorschriften die Wettbewerbsbedingungen verzerrt sind und die Bahn im Wesentlichen nur im Massenguttransport konkurrenzfähig ist. Zudem bestehen im europäischen Bahnverkehr derzeit 20 verschiedene Zugsicherungssysteme und sechs verschiedene Stromsysteme. Diese technischen Hürden stellen eine eklatante Wachstumsbremse insbesondere für den Schienengüterverkehr dar. Damit jedoch die Bahn Marktanteile in der genannten Größenordnung gewinnen kann, sind neben innovativen Finanzierungsinstrumenten und infrastrukturellen Rahmenbedingungen faire Wettbewerbsbedingungen unerlässlich. Hierfür fehlen im Weißbuch die Hinweise auf konkrete Maßnahmen.
- 37. Die Kommission strebt gleichzeitig an, die Länge des derzeitigen Hochgeschwindigkeits-Schienennetzes bis zum Jahr 2030 zu verdreifachen. Der Bundesrat begrüßt diese Zielsetzung, hat jedoch in Anbetracht der bisherigen Entwicklung und ohne Umverteilung der Finanzressourcen Zweifel an der Realisierbarkeit.
- 38. Von besonderem Interesse für die politisch gewollte Verbesserung der Wettbewerbssituation der Eisenbahn ist nicht zuletzt die Harmonisierung der Sozialvorschriften im Schienen- und Straßenverkehr. In diesem Kontext unterstützt der Bundesrat die Initiative der Kommission zur Evaluierung des verkehrsträgerübergreifenden Konzepts für Beschäftigung und Arbeitsbedingungen. Der Bundesrat spricht sich dazu erneut für die Harmonisierung der Sozialvorschriften im Schienen- und Straßenverkehr aus und bittet die Kommission, Maßnahmen zur Umsetzung zu ergreifen.
- 39. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich das Ziel der Verkehrsverlagerung auf effiziente und energiesparende Verkehrsträger. Bei der Umsetzung dieses Ziels ist allerdings darauf zu achten, dass Mobilität für alle bezahlbar bleibt. Eine Verlagerung ist durch die Erhöhung der Attraktivität (z.B. durch weitere Marktöffnung, Interoperabilität und Erhöhung der Angebotsqualität) zu erreichen und nicht dadurch, dass einzelne Verkehrsträger künstlich weniger attraktiv gemacht werden (Verteuerung oder Vernachlässigung bei Investitionen), da dadurch die Effizienz des gesamten Verkehrssystems und damit auch der Standort Europa insgesamt geschwächt werden.
- 40. Zu den Erwägungen der Kommission zur Veränderung der Firmenwagenbesteuerung weist der Bundesrat darauf hin, dass häufig zuerst in diesen höherwertigen Segmenten kraftstoffsparende, technische Innovationen eingeführt werden. So wurden die CO₂-Emissionen von neu zugelassenen Firmenwagen deutscher Konzernmarken in den vergangenen Jahren um 4,8 Prozent gesenkt. Diese Entwicklung sollte durch eine Neuregelung der Steuer nicht behindert werden.
- 41. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Kommission einer "Vision Null" für die Straßenverkehrssicherheit.
- 42. Der Bundesrat befürwortet im Grundsatz die Vorschläge der Kommission für Pläne zur urbanen Mobilität, sofern diese auf freiwilliger Basis zu erfolgen haben. Er spricht sich jedoch gegen den Vorschlag aus, die Gewährung von Mitteln aus dem Fonds für regionale Entwicklung und dem Kohäsionsfonds an die Voraussetzung zu koppeln, dass die betreffenden Städte und Regionen eine gültige, von unabhängiger Seite validierte Bescheinigung über ein Leistungs- und Nachhaltigkeitsaudit für urbane Mobilität vorgelegt haben.
- 43. Der Bundesrat begrüßt die Ansätze für einen umweltfreundlichen Stadt- und Pendlerverkehr, wie die Verbesserung des Nahverkehrs und die Förderung des Fußgänger- und Fahrradverkehrs in Städten. Auf Grund der straßenräumlichen Situationen sind Maßnahmen zur Förderung des Fußgänger- und Radverkehrs häufig dann wirksam umsetzbar, wenn die Verkehrsbelastung nicht zu hoch ist. Deshalb vertritt der Bundesrat die Ansicht, dass das Ziel "Verkehrswachstum zu gewährleisten" für Städte nicht uneingeschränkt sinnvoll ist. Weiterhin ist die nächtliche Lärmbelastung in Städten typischerweise erheblich. Daher wird es nach Auffassung des Bundesrates nur möglich sein, einen größeren Anteil des Güterverkehrs in Stadtgebieten auch nachts abzuwickeln, wenn neben den Lärmminderungen des Antriebs auch eine entsprechende Lärmminderung des Reifen-Fahrbahn-Geräusches erzielt werden kann.
- 44. Das Verkehrsweißbuch stellt den Klimaschutz in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Es sei jedoch betont, dass es sich um ein Verkehrsweißbuch handelt, das folgerichtig Verkehrsaspekte in den Vordergrund stellen sollte. Der Klimaschutz kann insofern nach Auffassung des Bundesrates zwar Ergebnis einer umsichtigen Verkehrspolitik sein, nicht jedoch ihr einziges Ziel.
- 45. Zum Anhang I: (Liste der Initiativen) hält der Bundesrat deshalb folgende Hinweise für erforderlich:
Soweit unter Punkt 1.1 (Einheitlicher europäischer Verkehrsraum) von einer Verbesserung der "Bedingungen für den Zugang und die Erbringung von hochwertigen Dienstleistungen" die Rede ist, sollte eine weitere Liberalisierung des Zugangs zum Markt der Bodenverkehrsdienste an den Flughäfen der EU unterbleiben. Der Bundesrat tritt zwar für Wettbewerb und Marktöffnung im Verkehrssektor ein; im Bereich der Bodenverkehrsdienste spielt jedoch auch der Sicherheitsaspekt eine maßgebliche Rolle. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass bereits jetzt der Preisdruck bei den Anbietern von Bodenverkehrsdienstleistungen fast ausschließlich an deren Mitarbeiter weitergegeben wird. Sinkende Löhne und eine hohe Fluktuation bei den Mitarbeitern führen aber nicht zu der von der Kommission gewünschten höheren Qualität, sondern werden zunehmend zu einem Sicherheitsrisiko auf dem Flughafenvorfeld.
- 46. Der Bundesrat begrüßt die im Anhang aufgezeigte europäische Forschungs- und Innovationspolitik für den Verkehr. Bezüglich der unter Punkt 2.1 Nummer 26 aufgeführten "Geräuschemissionsnormen für Fahrzeuge" sollte nach Auffassung des Bundesrates eine zeitgemäße Fortschreibung erfolgen, die das Potenzial zur Verschärfung der Geräuschemissionsnormen nutzt. Neben der schrittweisen Einführung neuer Fahrzeuge mit leisen Bremsen und automatischen Kupplungen zur Steigerung der Attraktivität des Schienengüterverkehrs sollte nach Ansicht des Bundesrates auch die Ausstattung von Bestands-Güterwagen mit leisen Bremsen in Nummer 26 ergänzend aufgeführt werden.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum): zu Ziffern 29, 43 und 46:
Eine Verbesserung der Lärmbelastung wird in den zehn formulierten Zielen nur indirekt angesprochen, durch Entwicklung und Einführung neuer und nachhaltiger Kraftstoffe und Antriebssysteme, durch die angestrebte Verlagerung von Verkehren auf die Schiene und durch die Internalisierung externer Kosten. Dies ist als Grundstrategie akzeptabel, wenn an notwendiger Stelle ergänzend eine gesonderte Betrachtung der Verbesserung der Lärmbelastung erfolgt.
Dies ist beispielsweise für die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene notwendig. Grundlage hierfür ist eine Verbesserung der Geräuschemissionen der Fahrzeuge und wesentlich auch der Bestandsfahrzeuge.
- 47. Unter Punkt 3.2 (Kohärenter Finanzierungsrahmen) wird das Thema "Finanzrahmen Verkehrsinfrastruktur" wesentlich bezogen auf die Vollendung des TEN-V-Kernnetzes. Als Bausteine werden benannt:
- - Investitionsstrategie TEN-V-Programme, - Kohäsions- und Strukturfonds,
- - Einnahmen aus Verkehrsleistungen.
Mit der Kommission hält der Bundesrat den Ausbau des TEN-V-Kernnetzes für wünschenswert; denn er leistet einen Beitrag zur Kohäsion Europas. Dazu bedarf es allerdings einer auf der europäischen Ebene abgestimmten Investitionsstrategie, wobei unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips auf die Interessen und unterschiedlichen Voraussetzungen der Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen ist.
- 48. Weiterhin bedauert der Bundesrat, dass die Kommission das Thema "Finanzierung" in keiner Weise konkretisiert. In Kenntnis der Finanzierungssituation für die Straßeninfrastruktur in Deutschland kann nur festgestellt werden, dass schon allein für die Funktionserhaltung des bestehenden Straßennetzes die Entwicklung einer Investitionsstrategie auf nationaler Ebene äußerst schwierig ist. Denn es ist völlig unklar, wie die Mittel aufgebracht werden sollen, die zur Finanzierung des TEN-V-Kernnetzes sowie des Umbaus des europäischen Verkehrssystems benötigt werden - die Rede ist von 1 500 Milliarden Euro. Angesichts knapper Kassen scheint es unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sind, diese Mittel aufzubringen. Es bleibt daher ungewiss, wie tatsächlich eine Investitionsstrategie für den Ausbau des TEN-V-Kernnetzes auf europäischer Ebene entwickelt werden soll. Der einzig erkennbare strategische Ansatz hierzu ist der unter Initiative 38 angeführte Punkt "Einbeziehung der Privatwirtschaft". Eine Konkretisierung hierzu wurde jedoch ebenfalls nicht vorgenommen.
- 49. Soweit die Kommission zur Finanzierung von Maßnahmen im Verkehrssektor eine Initiative für EU-Projektanleihen ins Auge fasst, begegnet der Bundesrat einem solchen Vorhaben mit Zurückhaltung. Die Ausgabe solcher Anleihen sowie die Übernahme von Bürgschaften und Garantien ist ausschließlich Aufgabe der Europäischen Investitionsbank (EIB), der nationalen Staatsbanken, privater Banken oder Konsortien unter Einschluss der EIB, nicht aber anderer EU-Institutionen. Die Ausgabenobergrenzen und das Verschuldungsverbot dürfen nach Auffassung des Bundesrates auch in diesem Zusammenhang nicht aufgeweicht werden. Der Bundesrat verweist insoweit auf seinen Beschluss vom 17. Dezember 2010 zur Kommissionsmitteilung "Überprüfung des EU-Haushaltes" (vgl. Nummer 32, BR-Drucksache 667/10(B) ).
- 50. Zu Punkt 3.3 (Richtige Preissetzung und Vermeidung von Verzerrungen) ist der Bundesrat der Auffassung, dass die EU nicht über die flächendeckende Einführung einer Pkw-Maut entscheiden sollte; eine solche Entscheidung muss den jeweiligen Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Schon bei der Eurovignetten-Richtlinie ist eine Einigung bezüglich der Einbeziehung externer Kosten intensiv und kontrovers diskutiert worden. Eine Regelung auf europäischer Ebene erscheint dem Bundesrat daher abwegig. Zudem wären durch die einseitige Belastung der Straße - hier des Personenwirtschafts- und des Wirtschaftsverkehrs - erhebliche Preissteigerungen zu befürchten, wenn etwa Handwerker und andere Unternehmer, die auf ihre Fahrzeuge angewiesen sind, zusätzlich belastet würden. Würde eine Nutzerfinanzierung dennoch als gangbarer Weg angesehen, so muss die individuelle Situation eines jeden Mitgliedstaates ausschlaggebend sein; eine Gleichmacherei auf europäischer Ebene erscheint daher nicht sachgerecht. Die Frage, ob externe Kosten auf die Verursacher umgelegt werden, sollte ebenso Sache der Mitgliedstaaten bleiben wie die Steuerpolitik. Eine künstliche und zudem einseitige Verteuerung des Verkehrsträgers Straße hält der Bundesrat nicht für sinnvoll; sie wäre auch dem Wettbewerb der Verkehrsträger untereinander abträglich.
- 51. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.