Der Hessische Ministerpräsident Wiesbaden, 3. September 2020
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, die anliegende Entschließung des Bundesrates zur "Graue-Flecken-Förderung der Bundesregierung" mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 993. Plenarsitzung am 18. September 2020 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Volker Bouffier
Entschließung des Bundesrates zur "Graue-Flecken-Förderung der Bundesregierung"
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Der Bundesrat misst dem Ausbau der digitalen Infrastrukturen eine sehr hohe Bedeutung zu. Sie sind für die Digitalisierung der Gesellschaft sowie für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen von entscheidender Bedeutung. Auch für Familien sind sie ein wichtiger Faktor bei der Wohnortwahl und für die Lebensqualität. Gerade in Zeiten der Pandemie hat sich die Bedeutung der digitalen Infrastrukturen gezeigt, ob im Bereich der Bildung, bei Videokonferenzen oder im Home-Office. Mit der Krise hat die Digitalisierung einen Schub erfahren, deshalb sind die Anstrengungen zum Ausbau dieser Infrastrukturen zu erhöhen - insbesondere beim weiteren Glasfaserausbau.
- 2. Der Bundesrat bedauert vor diesem Hintergrund, dass die Forderungen der Länder zum Wegfall der Aufgreifschwelle bei der Förderung des Glasfaserausbaus, die insbesondere im gemeinsamen Schreiben der zuständigen Länderminister/innen an die Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen und an die geschäftsführende Vizepräsidentin Margrethe Vestager vom 20.05.2020 adressiert wurden, nicht zu einer Bundesförderung ohne Aufgreifschwelle geführt haben. Die nunmehr geplante Erhöhung der Aufgreifschwelle von 30 Mbit/s auf 100 Mbit/s im sogenannten Graue-Flecken-Förderprogramm und der in Aussicht stehende Wegfall der Aufgreifschwelle zum 01.01.2023 wird nach Auffassung des Bundesrats den aktuellen Erfordernissen des Gigabitausbaus nicht gerecht. Deswegen würde der Bundesrat es begrüßen, wenn auf Zwischenlösungen verzichtet wird und stattdessen ein neues Förderprogramm bereits ab 2021 ohne Aufgreifschwelle konzipiert wird. Dies würde auch eine Zersplitterung bei der Förderung und eine Irritation der Akteure vermeiden.
- 3. Sollte der Bund gleichwohl seinen zweistufigen Plan weiterverfolgen, bittet der Bundesrat darum, die Vorgaben der neuen beihilferechtlichen Rahmenregelung im Förderprogramm so zu gestalten, dass eine Vielzahl von bislang nicht mit Gigabit oder Glasfaser angeschlossenen Haushalten und Unternehmen profitieren kann. Der Bundesrat bittet des Weiteren darum, Optimierungspotenziale zwischen der Weiße-Flecken- und der Graue-Flecken-Förderung auszuschöpfen sowie einen schnellen Förderstart und eine reibungslose Abwicklung der Förderung zu gewährleisten. Der Bundesrat ist ferner der Auffassung, dass gewährleistet werden muss, dass mit dem Wegfall der Aufgreifschwelle ab dem 01.01.2023 der Ausbau in allen Gebieten möglich ist, die nicht stabil mit Gigabit-Bandbreiten versorgt sind.
- 4. Der Bundesrat bittet bei der Aufstellung des Förderprogramms die Erfahrungen der Länder zu berücksichtigen und diese regelmäßig und institutionell einzubinden. Dies kann über den bereits gut funktionierenden Förderbeirat für den Breitbandausbau erfolgen.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der Gigabitausbau derzeit nicht durch eine vom Bund erstellte Gigabit- bzw. Glasfaserstrategie hinterlegt ist. Der Bundesrat empfiehlt, parallel zum Förderprozess und ohne diesen zu verlangsamen, einen gemeinsamen Prozess hierfür aufzusetzen, der auch die Potenziale der weiteren Instrumente und insbesondere des Anreizes des marktgetriebenen Ausbaus eruiert und zielgerichtet unterstützt. Im Übrigen bittet der Bundesrat die Bundesregierung mitzuteilen, welche Auswirkungen das zukünftige Förderregime auf die Ziele der Bundesregierung zur Erreichung einer Gigabitversorgung hat.
Begründung:
Die EU-Kommission verfolgt mit der "Digitale Agenda für Europa" zunächst das Ziel der Erreichung einer flächendeckenden Breitbandversorgung in der EU mit einer Geschwindigkeit von mindestens 30 Mbit/s bis 20201. Vor diesem Hintergrund liegt die derzeitige Aufgreifschwelle im Breitbandausbau bei einer Download-Übertragungsgeschwindigkeit von 30 Mbit/s.
In Deutschland darf dieses Ziel mit einer bestehenden Versorgung von mindestens 30 Mbit/s für 93,6 % der Haushalte zum Stand Ende 20192 und vor dem Hintergrund einer Vielzahl noch laufender, bereits projektierter oder in Projektierung befindlicher Breitbandausbauvorhaben als weitestgehend erreicht gelten.
Die Bundesregierung hat erkannt, dass die derzeit verfügbaren Bandbreiten nicht ausreichen, um auch den künftigen Bedarfen und Anforderungen gerecht zu werden. Sie hatte sich das Ziel einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Gigabit-Netzen bis 2025 gesetzt3. Sie möchte dort, wo der Markt nicht oder nicht absehbar von sich aus tätig wird, mit einem sogenannten "Graue-Flecke"-Förderprogramm bundesweit den Glasfaserausbau bis in die Gebäude hinein unterstützen.
Auch bei der EU-Kommission setzt sich zwischenzeitlich die Auffassung durch, dass die vor gut einem Jahrzehnt ausgerufenen Anforderungen an digitale Infrastrukturen nicht mehr zeitgemäß sind. In der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 19.2.2020 (COM (2020) 67 final), "Gestaltung der digitalen Zukunft Europas" (vgl. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/communicationshapingeuropesdigitalfuturefeb2020 de 0.pdf ), heißt es:
"Konnektivität ist der wichtigste Baustein des digitalen Wandels. Sie ermöglicht den Fluss von Daten und die Zusammenarbeit zwischen Menschen, wo auch immer sie sich befinden, und erlaubt es, mehr Objekte mit dem Internet zu verbinden, wodurch sich Produktions-, Mobilitäts- und Logistikketten verändern. Die Gigabit-Anbindung auf der Basis sicherer Glasfaser- und 5G-Infrastrukturen ist ausschlaggebend, wenn das digitale Wachstumspotenzial Europas ausgeschöpft werden soll.
Zu diesem Zweck sind angemessene Investitionen auf EU-, nationaler und regionaler Ebene erforderlich, um die Konnektivitätsziele der Strategie Europa 2025 zu erreichen."
Allerdings werden nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und EU-Kommission zur Aufgreifschwelle weiterhin Bandbreiten von 100 Mbit/s (als gesichert Bandbreite, aber gleichwohl asymmetrisch) für die nächsten beiden Jahre vorgegeben. Eine Aufgreifschwelle von gesichert 100 Mbit/s asymmetrisch für das "Graue-Flecken"-Förderprogramm der Bundesregierung wird den geförderten Breitbandausbau in Deutschland jedoch überwiegend verhindern und stark verteuern.
Mit Stand Ende 2019 verfügen bereits rund 84% der Haushalte in Deutschland über eine Bandbreite von mindestens 100 Mbit/s. Dem vorhandenen Versorgungsgrad können ca. 5 Prozentpunkte hinzugerechnet werden für die bereits zum Ausbau projektierten Gebiete. Es verbleiben lediglich rund ca. 10% der deutschen Haushalte förderfähig, sofern dort kein eigenwirtschaftlicher Ausbau stattfindet.
Die verbleibenden Gebiete werden stark fragmentiert sein und ein flächendeckender Ausbau ist nur noch unter großen monetären Anstrengungen und unter hohem baulichen Aufwand möglich. Zugleich steht einem solchen Ausbau bei hohen Anschlusskosten lediglich eine geringe Anzahl anzuschließender Haushalte gegenüber. Vor dem Hintergrund begrenzter personeller, finanzieller und technischer Mittel kann sich eine starke Fehlallokation knapper verfügbarer Ressourcen ergeben.
Es ist daher nicht sinnvoll, für die nächsten beiden Jahre in ein Förderprogramm mit einer neuen Aufgreifschwelle von 100 Mbit/s einzusteigen, um dann ab 01.01.2023 ohne Aufgreifschwelle weiter zu fördern. Dies würde zu einer weiteren Zersplitterung der Ausbaugebiete und zu erheblichen Irritationen bei den Akteuren (Telekommunikationswirtschaft wie Länder und Kommunen) führen.
Sollte der Bund gleichwohl seinen zweistufigen Plan weiterverfolgen, muss die anstehende neue Rahmenregelung bzw. die darauf aufbauende neue Förderrichtlinie optimal ausgestaltet und sinnvoll mit der Förderung ohne Aufgreifschwelle ab 01.01.2023 verknüpft werden.
Dazu sollten auch zielgerichtete Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern implementiert werden, um die Bundesförderung so effizient wie möglich zu gestalten und die weiteren Schritte auf dem Weg hin zu einer Gigabitversorgung auf den Weg zu bringen.
- 1 siehe Nr. 2.4 der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 19.5.2010 ( KOM (2010) 245 endgültig), Eine Digitale Agenda für Europa (vgl. https://eurlex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52010DC0245&from=de)
- 2 siehe Breitbandatlas des Bundes, Kurzbericht zur Breitbandverfügbarkeit in Deutschland (Stand Ende 2019) unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/breitbandverfuegbarkeitende-2019.pdf? blob=publicationFile
- 3 vgl. https://www.bmvi.de/DE/Themen/Digitales/Breitbandausbau/Breitbandfoerderung/breitbandfoerderung.html