COM (2018) 185 final; Ratsdok. 7876/18
Der Bundesrat hat in seiner 969. Sitzung am 6. Juli 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage insgesamt
- 1. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich die Zielsetzung der Kommission, durch Änderung und Ergänzung von insgesamt vier bestehenden EU-Richtlinien die Rahmenbedingungen und den Schutz der wirtschaftlichen Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern neu zu gestalten und zu stärken durch
- - Stärkung der Verbraucherrechte im Internet, - Verbesserung der Verbraucherinformation,
- - Anpassung der Verbraucherrechte an die Digitalisierung der Märkte,
- - Einführung wirksamer Sanktionen bei Verstößen gegen das EU-Verbraucherrecht und - Bekämpfung des Vertriebs identischer Verbraucherprodukte von unterschiedlicher Qualität.
- 2. Der Bundesrat begrüßt insbesondere die Bestrebungen der Kommission, für faire und transparente Beziehungen zwischen Unternehmern und Verbraucherinnen und Verbrauchern zu sorgen und die Wirksamkeit der bestehenden Verbraucherschutzvorschriften zu stärken, wo dies erforderlich ist, das heißt die aktuellen Schutzvorschriften unzureichend sind.
Er erachtet eine Harmonisierung des Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Verbraucherschutzverstöße grundsätzlich als sinnvoll. Insbesondere die Erleichterungen für die Unternehmen im Bereich des Online-Vertriebs werden begrüßt.
- 3. Der Bundesrat setzt sich bereits länger dafür ein, dass europaweit ein hohes Verbraucherschutzniveau, orientiert an den in Deutschland bestehenden Verbraucherschutzstandards, gewährleistet wird. Damit werden nicht nur Wettbewerbsnachteile von Unternehmen in Mitgliedstaaten mit hohen Verbraucherschutzstandards verringert, sondern auch die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in einem zusammenwachsenden Binnenmarkt effektiv gestärkt (vergleiche bereits die Stellungnahme des Bundesrates vom 6. März 2009, BR-Drucksache 765/08(B) , Ziffer 17).
- 4. Der Bundesrat hält insoweit an seiner bisherigen Haltung fest, dass die Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz nicht zu einer Absenkung des Verbraucherschutzniveaus führen darf, sondern vielmehr die Chance genutzt werden sollte, bestehende Lücken zu schließen und Inkonsistenzen zu beheben (vergleiche die Stellungnahme des Bundesrates vom 11. Mai 2007, BR-Drucksache 112/07(B) , Ziffer 1).
- 5. Er stellt allerdings fest, dass inzwischen in der EU in einer Reihe von Bereichen Lücken und Inkonsistenzen vorhanden sind bzw. die Notwendigkeit besteht, den derzeitigen Herausforderungen des Verbraucherschutzes zu begegnen. Dies gilt etwa für "kostenlose" digitale Dienste, für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mit Geld zahlen, sondern ihre personenbezogenen Daten bereitstellen. Dies gilt auch, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher einen Online-Marktplatz besuchen und heute nicht immer wissen, ob sie etwas von Unternehmerinnen und Unternehmern oder anderen Verbraucherinnen und Verbrauchern kaufen. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission diese Probleme in ihrem Vorschlag angeht.
- 6. Der Bundesrat stellt außerdem fest, dass ausweislich der Informationen der Kommission bei der Verletzung von Verbraucherschutzregeln die in den nationalen Bestimmungen festgesetzten Sanktionen in der gesamten EU stark variieren und häufig sehr gering sind.
- 7. Er begrüßt, dass nach dem Richtlinienvorschlag Verbraucherinnen und Verbraucher künftig beim Kauf einer Ware von einem Online-Marktplatz klar darüber informiert werden sollen, ob sie Produkte oder Dienstleistungen von einem Unternehmen oder einer Privatperson erwerben. Nur so können Verbraucherinnen und Verbraucher bei Problemen die ihnen zuständigen Verbraucherrechte, wie Gewährleistungsrechte und das 14-tägige Widerrufsrecht, erkennen und wahrnehmen.
- 8. Der Bundesrat begrüßt weiter, dass mit dem Richtlinienvorschlag eine größere Transparenz bei den Suchergebnissen zu Online-Plattformen erzielt werden soll, indem künftig Verbraucherinnen und Verbraucher über die wichtigsten Kriterien der Suchalgorithmen für das Ermitteln der Rangfolge und darüber informiert werden müssen, wenn ein Suchergebnis von einem Unternehmen bezahlt wird.
- 9. Er unterstützt ausdrücklich das Ziel einer Gleichstellung der Verbraucherrechte bei digitalen Dienstleistungen wie Cloud-Speicherdiensten, sozialen Medien oder E-Mail-Konten, wenn Verbraucherinnen und Verbraucher statt einer Bezahlung ihre personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen.
Zum Richtlinienvorschlag im Einzelnen
Zur Änderung der Richtlinie 2011/83/EU
- 10. Der Bundesrat begrüßt weiter die Zielsetzung der Kommission, Unternehmen bei der Erfüllung ihrer Informationspflichten im Rahmen von Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zu entlasten.
- 11. Er anerkennt das Bemühen der Kommission, mehr Flexibilität bezüglich der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbrauchern einzuführen, indem künftig auch Web-Formulare oder Chats genutzt werden können, sofern sichergestellt ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher diese Kommunikation nachverfolgen können (Artikel 8 der Richtlinie 2011/83/EU).
- 12. Der Bundesrat hält allerdings die punktuelle Erleichterung der Informationspflichten durch die vorgeschlagene Änderung der Richtlinie 2011/83/EU für unzureichend. Er fordert die Kommission deshalb auf, die vorvertraglichen Informationspflichten aus Artikel 5 und 6 der Richtlinie 2011/83/EU für Unternehmer insgesamt zu erleichtern. Die Informationspflichten können zu unverhältnismäßigen Belastungen der Wirtschaft, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen, führen. Die berechtigten Interessen der Wirtschaft sollten daher besser berücksichtigt werden.
Zwar sieht die Richtlinie 2011/83/EU in Artikel 3 Absatz 4 bereits eine Ausnahmemöglichkeit für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, bei denen die von der Verbraucherin bzw. dem Verbraucher zu zahlende Gegenleistung 50 Euro nicht überschreitet, vor. Außerdem bestehen bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen über Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten mit einem Wert von maximal 200 Euro bei beiderseitiger sofortiger Erfüllung nur eingeschränkte Informationspflichten (Artikel 7 Absatz 4 der Richtlinie 2011/83/EU). Diese europaweit einheitlich geltenden Schwellenwerte werden aber der Lebenswirklichkeit und der unterschiedlichen Wirtschafts- und Kaufkraft in den Mitgliedstaaten nicht gerecht. In einem Hochlohnland wie Deutschland laufen sie faktisch leer. Die Schwellenwerte sollten daher in einem Maß erhöht werden, dass in allen Mitgliedstaaten entsprechende Leistungen von dort verhältnismäßig geringem Wert ohne bzw. nur mit eingeschränkten Informationspflichten vereinbart und erbracht werden können.
- 13. Der Bundesrat unterstützt die von der Kommission angestrebte Kohärenz zwischen den aktuellen Vorschlägen zur Änderung der Richtlinie 2011/83/EU und dem Richtlinienvorschlag der Kommission über Gewährleistungsansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher für "fehlerhafte" digitale Produkte (Richtlinienvorschlag über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte (BR-Drucksache 613/15 (PDF) )). Dabei sollten Doppelregelungen in jedem Fall vermieden werden.
Hinsichtlich der Erweiterung der vorvertraglichen Informationspflichten für Online-Plattformen und Online-Marktplätze (Artikel 6a der Richtlinie 2011/83/EU) teilt der Bundesrat die Einschätzung der Kommission, dass die Online-Marktplätze nicht verpflichtet werden sollten, den Rechtsstatus von Drittanbietern zu überprüfen, sondern lediglich verpflichtet werden sollten, den Status als Unternehmer oder Nichtunternehmer für die Zwecke des Verbraucherrechts zu erfragen und auf dem Online-Marktplatz zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesrat ist allerdings der Ansicht, dass (zumindest in den Erwägungsgründen) klargestellt werden sollte, dass sich die Folgen bei Nichterfüllung der Informationspflichten von Online-Plattformen und Online-Marktplätzen nach nationalem Recht bestimmen.
- 14. Er sieht das Bemühen der Kommission, eine missbräuchliche Nutzung des Widerrufsrechts im Fernabsatz und bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zu verhindern. Er weist allerdings darauf hin, dass die Möglichkeit der Rückabwicklung ein wesentlicher Baustein für den Erfolg des Online-Handels ist. Wenn nach dem Richtlinienvorschlag künftig der Verkäufer im Falle des Widerrufs die Rückzahlung des Kaufpreises bis zum tatsächlichen Erhalt der Ware verweigern kann, werden im Ergebnis die Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem Transportrisiko belastet. Ob diese ihr Geld zurückerhalten, würde künftig von Unwägbarkeiten abhängen, auf die sie keinen Einfluss haben und gegen die sie sich weniger leicht als große Unternehmen auf Verkäuferseite absichern können. Hinzu kommt, dass die Rücksendung künftig für die Verbraucherin bzw. den Verbraucher noch aufwendiger und kostenintensiver wird, da sie bzw. er den Nachweis der Warenübergabe sicherstellen muss und daher gezwungen sein wird, einen Versanddienst mit Annahmebestätigung zu wählen. Der Bundesrat bittet daher darum, die wirtschaftlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Neuverteilung des Rücksenderisikos und die mit ihr einhergehende Verschiebung des Missbrauchsrisikos noch einmal sorgfältig abzuwägen.
- 15. Er ist der Auffassung, dass Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit haben sollten, ihre bestellte Ware innerhalb der 14-tägigen Widerrufsfrist hinreichend zu prüfen. Bislang besteht für die Verbraucherin bzw. den Verbraucher das Recht auf Widerruf und Rücksendung von Waren, selbst wenn sie bzw. er die Waren über das zulässige Maß hinaus benutzt hat. Damit der Verkäufer des Produkts keinen finanziellen Schaden erleidet, ist der Käufer verpflichtet, Wertersatz für die geminderte Gebrauchstauglichkeit zu leisten. Der Entfall dieser Regelung würde eine Absenkung des Verbraucherschutzniveaus bedeuten und könnte zu einer Aushöhlung des Widerrufsrechts führen, da Unternehmen die Rücknahme einer Ware zukünftig mit der Begründung verweigern können, die Ware sei bereits über die zulässige Tauglichkeitsprüfung hinaus benutzt worden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, sich auf Ebene der EU für die Beibehaltung der bestehenden Fassung des Artikels 14 Absatz 2 der Richtlinie 2011/83/EU einzusetzen.
- 16. Er unterstützt das Anliegen der Kommission, die Transparenz über die Person und Unternehmereigenschaft des Vertragspartners sowie über das Zustandekommen der Reihenfolge der Suchergebnisse bei der Nutzung von Online-Plattformen zu erhöhen.
- 17. Der Bundesrat stellt fest, dass die in Artikel 6a der Richtlinie 2011/83/EU vorgesehene Regelung über zusätzliche Informationspflichten von Online-Marktplätzen nicht für Vergleichsportale gilt. Auch sieht er die Gefahr, dass die Pflicht zur Offenlegung der Hauptparameter für das Ranking der Suchergebnisse umgangen werden könnte, wenn nicht auch die mittelbare Vermittlung im Rahmen mehrstufiger Vermittlungsebenen in den Anwendungsbereich einbezogen wird. Die Bundesregierung wird daher gebeten, auf eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs der für Online-Marktplätze vorgesehenen Informationspflichten hinzuwirken.
- 18. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass das Ziel, die Rechtssicherheit bei der Nutzung von Online-Marktplätzen zu erhöhen, durch die vorgeschlagenen Informationspflichten allein nicht erreicht wird. Da die Verbraucherin bzw. der Verbraucher gerade dann, wenn der Betreiber des Online-Marktplatzes auch eigene Waren oder Zusatzleistungen anbietet, nicht immer eindeutig erkennen kann, wer in Bezug auf die Hauptleistung sein Vertragspartner ist, hält der Bundesrat eine Regelung für Zweifelsfälle für notwendig. Diese könnte sich an dem in § 164 Absatz 2 BGB verankerten Prinzip orientieren, dass in Zweifelsfällen ein Eigengeschäft der Online-Plattform angenommen wird. In jedem Fall sollte trotz der Vollharmonisierung der Richtlinie 2011/83/EU die Fortgeltung des § 164 Absatz 2 BGB gewährleistet werden.
- 19. Der Bundesrat bittet, zu prüfen, ob die Betreiber von Online-Marktplätzen verpflichtet werden könnten, im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Möglichen die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor unseriösen Anbietern, insbesondere vor sogenannten Fake-Shops, zu schützen.
- 20. Aus seiner Sicht sollten die Betreiber von Online-Marktplätzen außerdem einen stärkeren Beitrag dazu leisten, dass die Anbieter ihre verbraucherrechtlichen Verpflichtungen erfüllen.
Zu erwägen wäre beispielsweise eine Sorgfaltspflicht, sich darüber zu vergewissern, dass die Anbieter ihren Namen sowie ihre Adresse und Kontaktdaten vollständig angeben. Auch käme eine Verpflichtung in Betracht, die Bestellvorgänge sowie die Verfahren der Vertragsdurchführung und -rückabwicklung so zu gestalten, dass die Erfüllung der Verbraucherrechte bei Fernabsatzverträgen sowie der Gewährleistungspflichten beim Kaufvertrag sichergestellt und nicht faktisch ausgeschlossen wird. Gerade bei den Gewährleistungsrechten besteht eine gewisse Tendenz, statt der Möglichkeit der Nacherfüllung, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher im Einzelfall vorteilhaft sein kann, lediglich eine Rückabwicklung vorzusehen.
- 21. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die in Artikel 16 Buchstabe n der Richtlinie 2011/83/EU geplante Änderung zum Ausschluss des Widerrufsrechts bei einem zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Ware nicht notwendigen Umgang mit der Ware die Verbraucherinnen und Verbraucher von der Ausübung ihres Widerrufsrechts abhalten könnte. Der bisher normierte Wertersatz in diesen Fällen stellt für den Bundesrat eine ausgewogene und angemessene Regelung dar. Die Einführung eines Alles-odernichts-Prinzips dürfte auch zu vermehrten Rechtsstreitigkeiten führen.
Auch bei dem geplanten Ausschluss des Widerrufsrechts bei einem zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Ware nicht notwendigen Umgang mit der Ware sieht der Bundesrat ein Missbrauchsrisiko zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Im Fall einer standardmäßigen Rückabwicklung besteht nach seiner Ansicht eine ausufernde Deutungshoheit des Unternehmers, ob das gekaufte und zurückgeschickte Produkt über die Maßen von den Verbraucherinnen und Verbrauchern ausprobiert und genutzt wurde. Dies kann aus seiner Sicht zu einem missbräuchlichen Ausschluss des Widerrufsrechts führen. Dies gilt insbesondere im Fall von unseriösen Händlern, die bewusst minderwertige oder beschädigte Ware versenden und den Ausschluss des Widerrufsrechts bewusst missbräuchlich ausnutzen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für die bisherigen Regelungen zur Erhaltung eines angemessenen Verbraucherschutzniveaus einzusetzen.
Zur Änderung der Richtlinie 2005/29/EG
- 22. Der Bundesrat begrüßt die Klarstellung, dass es auch eine irreführende Geschäftspraktik darstellt, wenn ein Gewerbetreibender für die Aufnahme oder Platzierung in Online-Marktplätzen, Vergleichsportalen, App-Stores oder Suchmaschinen bezahlt hat, ohne dass dies eindeutig erkennbar gemacht wird (Anhang I Nummer 11 des Richtlinienvorschlags).
- 23. Er begrüßt außerdem die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, bestimmte Vertriebsformen, wie zum Beispiel unseriöse Ausflugsfahrten mit Verkaufsveranstaltungen oder den Vertrieb von Waren oder Leistungen im privaten Umfeld der Verbraucherinnen und Verbraucher, zu beschränken, um insbesondere jugendliche und ältere Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor finanziellen oder gesundheitlichen Gefahren zu schützen (Artikel 3 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags).
- 24. Dagegen sieht der Bundesrat kein Bedürfnis für eine europarechtliche Ausweitung der den Verbraucherinnen und Verbraucher als Opfer unlauterer Geschäftspraktiken zustehenden Rechtsbehelfe (Artikel 11a des Richtlinienvorschlags).
- a) Der Bundesrat hält die hierzu von der Kommission angeführte Bedarfsanalyse für unzureichend. Die Kommission stellt hierzu in Erwägungsgrund 14 lediglich fest, dass die nationalen Vorschriften über individuelle Rechtsbehelfe für Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, voneinander abweichen, ohne darauf einzugehen, worin die Abweichungen konkret bestehen sollen. Auch der von der Kommission aus dem Umstand des Fehlens signifikanter Zahlen eingelegter Rechtsbehelfe gezogene Schluss, die bestehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten gewährleisteten keine hinreichenden individuellen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Opfer unlauterer Geschäftspraktiken geworden seien (Erwägungsgrund 14), ist nicht zwingend. Der Bundesrat bittet die Kommission daher darzulegen, inwieweit im vertraglichen und außervertraglichen Bereich in den jeweiligen Mitgliedstaaten konkrete Defizite hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher bestehen.
- b) Er ist der Auffassung, dass die bestehenden Rechtsbehelfe/Abhilfemaßnahmen nach nationalem Recht, insbesondere im Kaufrecht, ausreichende Möglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher bieten, sich etwa im Falle irreführender Werbung von einem nachteiligen Vertrag zu lösen (zum Beispiel Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Irrtums, Widerrufs- und Rückgaberechte im Rahmen von Fernabsatzverträgen und Haustürgeschäften, Gewährleistungsrechte). Auch die bestehenden außervertraglichen Haftungsregime, wie etwa Produkthaftungs- oder deliktische Ansprüche, bieten ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein Bedürfnis dafür, auf europäischer Ebene über das bisherige Maß hinaus in die unterschiedlichen nationalen Systeme zur Durchsetzung des Lauterkeitsrechts einzugreifen, ist daher nicht erkennbar.
- c) Der Bundesrat bezweifelt ferner, ob die von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsbehelfe von den Verbraucherinnen und Verbrauchern im Falle von Verstößen gegen das Lauterkeitsrecht mit dem Sinn und Zweck des europäischen Lauterkeitsrechts vereinbar sind. Zwar schützen einzelne lauterkeitsrechtliche Bestimmungen auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. In erster Linie hat das Lauterkeitsrecht jedoch eine spezifisch wettbewerber- und wettbewerbsschützende Funktion. Daher ist es folgerichtig, dass die Richtlinie 2005/29/EG den Verbraucherinnen und Verbrauchern bislang zu Recht keine individuelle Aktivlegitimation einräumt, wenn diese durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden. Die Anerkennung derartiger individueller Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher könnte das bestehende hohe Schutzniveau des europäischen Lauterkeitsrechts im Ergebnis sogar in Frage stellen (vergleiche BT-Drucksache 015/1487, Seite 22).
- d) Sollte die Richtlinie 2005/29/EG für individuelle Rechtsbehelfe von Verbraucherinnen und Verbrauchern geöffnet werden, fordert der Bundesrat, dass die Festlegung der konkreten Art der Maßnahmen den Mitgliedstaaten überlassen bleiben muss, um eine Einbettung in die jeweiligen nationalen Rechtssysteme zu ermöglichen. Die Bestimmung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen etwaiger Rechtsbehelfe muss den Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Dies sollte der Richtlinienvorschlag durch einen ausdrücklichen Verweis auf das nationale Recht klarstellen.
- e) Der Bundesrat sieht in der von der Kommission vorgeschlagenen Ausgestaltung der Verpflichtung zur Schaffung individueller Rechtsbehelfe im vertraglichen und außervertraglichen Bereich für Verbraucherinnen und Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, noch keine ausreichende Grundlage für ihre nähere Bewertung oder gar ihre Umsetzung in den Mitgliedstaaten. Nach dem vorgeschlagenen Artikel 11a ist unklar, unter welchen Voraussetzungen die Verbraucherinnen und Verbraucher sich einseitig vom Vertrag lösen (Absatz 2) und die ihnen entstandenen Schäden ersetzt verlangen können sollen (Absatz 3).
Der Richtlinienvorschlag der Kommission lässt offen, welche Voraussetzungen für das einseitige Beendigungsrecht gelten sollen. Nach dem Wortlaut des Artikels 11a Absatz 1 des Richtlinienvorschlags sollen jegliche Wirkungen unlauterer Geschäftspraktiken beseitigt werden, indem vertragliche und außervertragliche Rechtsbehelfe geschaffen werden. Absatz 1 fordert daher ausdrücklich nur, dass eine Verbraucherin bzw. ein Verbraucher durch eine unlautere Geschäftspraktik verletzt wird ("consumers harmed by commercial practices"). Nicht näher ausgeführt ist, ob die Verbraucherin bzw. der Verbraucher auch einen bestimmten Schaden im Sinne eines Vermögensschadens, eine Rechtsgutsverletzung oder ähnliches erlitten haben muss, ob eine gewisse Qualität des unlauteren Verhaltens vorliegen muss (zum Beispiel strafbares unlauteres Verhalten) oder ob bereits das reine Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraktik zur Lösung vom Vertrag berechtigen soll. Auch ist nicht beschrieben, ob es sich um eine unlautere Geschäftspraktik bei Vertragsschluss handeln muss und ob ein Verschulden des Vertragsgegners vorausgesetzt ist. Schließlich wird offenbar keine Kausalverbindung zwischen unlauterer Geschäftspraktik und Vertragsschluss vorausgesetzt. Der Bundesrat fordert die Kommission daher auf, die in Artikel 11a Absatz 2 des Richtlinienvorschlags vorgeschlagene Regelung zu präzisieren und die aufgeworfenen Fragen eindeutig zu klären.
Zur Verpflichtung, außervertragliche Rechtsbehelfe zu schaffen (Absatz 3), enthält der Vorschlag der Kommission lediglich die Vorgabe, dass die Verbraucherin bzw. der Verbraucher Ersatz für die von ihr bzw. ihm erlittenen Schäden verlangen können soll. Unklar ist dagegen, ob es sich um eine verschuldensabhängige Haftung handelt und ob der Schaden kausal durch die unlautere Geschäftspraktik verursacht worden sein muss. Der Bundesrat fordert die Kommission daher auf, die in Artikel 11a Absatz 3 des Richtlinienvorschlags vorgeschlagene Regelung zu präzisieren und die aufgeworfenen Fragen klarzustellen.
- 25. Der Bundesrat sieht keine Notwendigkeit für die Aufnahme eines neuen Tatbestands in die Richtlinie 2005/29/EG hinsichtlich Produkten von zweierlei Qualität. Eine Anpassung von Produkten an die jeweiligen Marktanforderungen (zum Beispiel Rohstoffverfügbarkeit) und Geschmäcker kommt regelmäßig vor. Zudem erkennt auch der Richtlinienvorschlag selbst legitime Gründe für Anpassungen an (Erwägungsgrund 43). Bei irreführender Vermarktung wird hingegen bereits bisher schon ein Verstoß gegen die Richtlinie angenommen.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 26. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.