Der Bundesrat hat in seiner 900. Sitzung am 21. September 2012 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt und unterstützt die Fortführung der erfolgreichen Initiative "Kulturhauptstädte Europas". Sie leistet einen unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Sichtbarkeit einer Stadt sowie zum Zugehörigkeitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zu ihrer Stadt und zur EU. Sie kann und sollte außerdem zur nachhaltigen Entwicklung einer Stadt und Region beitragen.
- 2. Der Bundesrat kann dem Vorschlag zustimmen, dass wie im derzeitigen Verfahren pro Jahr in je zwei Mitgliedstaaten jeweils eine Stadt zur Kulturhauptstadt Europas ausgewählt werden kann. Angesichts der stark divergierenden Größe der Mitgliedstaaten und der somit unterschiedlichen Zahl potentiell infrage kommender Städte hätte der Bundesrat aber auch Sympathie für anderweitige Lösungen. So wäre eine Flexibilisierung der chronologischen Liste aus Sicht des Bundesrates denkbar.
- 3. Der Bundesrat hält die Ernennung der Kulturhauptstädte durch die Kommission statt wie bisher durch den Rat für inakzeptabel. Es handelt sich bei der Initiative "Kulturhauptstädte Europas" um ein Vorhaben, für dessen Gelingen in jedem Einzelfall maßgeblich die Kulturpolitik auf mitgliedstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene verantwortlich ist. Jedes einzelne Veranstaltungsjahr einer Kulturhauptstadt baut auf den Finanzmitteln und Inhalten subsidiär verantworteter Kulturpolitik auf und soll langfristig nachhaltige Wirkung für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung vor Ort entfalten. Die Teilnahme an der Initiative "Kulturhauptstädte Europas" ist ein integraler Teil von Kulturpolitik und demnach gemäß Artikel 167 AEUV eindeutig der Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten zugewiesen. Weder handelt es sich um eine alleinige Fördermaßnahme der EU, noch hat die Maßnahme eine inhaltlich einheitliche Durchführung zum Ziel. Für die Gewährleistung eines einheitlichen Auswahlverfahrens bedarf es keines Durchführungsrechtsakts; hierfür reichen klare Kriterien im zugrundeliegenden Beschluss aus. Der finanzielle Beitrag der Kommission von bisher gerade einmal 1,5 Millionen Euro ist verschwindend im Vergleich zu den Gesamtkosten eines Kulturhauptstadt-Jahres. Aus diesen Gründen hält der Bundesrat die formelle Ernennung der europäischen Kulturhauptstädte wie bisher durch den Rat für unabdingbar.
- 4. In gleicher Weise hält der Bundesrat es für inadäquat, dass die Mitglieder der Auswahljury künftig durch die Kommission vorausgewählt sowie nur noch aus dem gebildeten Kandidatenpool durch Rat, Parlament, Kommission und Ausschuss der Regionen benannt werden sollen. In Anbetracht der Bedeutung der Initiative, ihrer regionalen und lokalen Auswirkungen und ihrer wichtigsten Zielgruppe - den Bürgerinnen und Bürgern - fordert der Bundesrat, dass die Mitglieder der Auswahljury auch weiterhin von allen europäischen Institutionen in Eigenständigkeit und ohne vorherige Eingrenzung des Kandidatenkreises benannt werden.
- 5. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Ansinnen der Kommission, durch einen konkretisierten Kriterienkatalog (Artikel 5) eine hohe Qualität bei den Bewerbungen zu sichern. Nützlich sind dabei vor allem die Kriterien "Umsetzungsfähigkeit" und als Kernkompetenz der EU-Ebene die "europäische Dimension". Gleichzeitig verweist der Bundesrat darauf, dass durch den Kriterienkatalog nicht in die inhaltliche Verantwortung der Mitgliedstaaten, der Regionen und der lokalen Ebene eingegriffen werden darf, Kulturpolitik zu entwickeln. Der Bundesrat sieht insofern einige der aufgeführten Kriterien und deren Unteraspekte mit Skepsis: Insbesondere gilt das für die Kriterien "kulturelle und künstlerische Inhalte" und "Langzeitstrategie", die sich der Entscheidungskompetenz der europäischen Ebene entziehen.
- 6. Der Bundesrat hebt außerdem hervor, dass es durch die Initiative "Kulturhauptstädte Europas" zu keiner Instrumentalisierung der Kulturpolitik für anderweitige, vorwiegend sozial- und wirtschaftspolitische Ziele kommen darf. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die kulturelle Entwicklung einer Stadt und einer Region von sich aus zu sozialem Zusammenhalt und der Stärkung der regionalen Wirtschaft beiträgt. Diese Aspekte sind begrüßenswerte Auswirkungen, dürfen aber nicht schon im Vorfeld bestimmend oder gar Vorbedingung für eine erfolgreiche Kandidatur als Kulturhauptstadt sein.
- 7. Angesichts der großen Diversität der Mitgliedstaaten und ihrer Verantwortung für Kulturpolitik sollte beim Verfahren der nationalen Vorauswahl der Städte (Artikel 7 bis 9) eine möglichst große Flexibilität gewahrt bleiben. Dies ist insbesondere für föderal organisierte Mitgliedstaaten wie die Bundesrepublik Deutschland von Bedeutung.
- 8. Der Bundesrat bittet um Klarstellung, dass die Kulturhauptstädte nicht nur ihr unmittelbares "Umland", sondern ihre weiter gefasste "Region" in ihr Konzept einbeziehen können (Artikel 4), wie dies sowohl bei der erfolgreichen Bewerbung Essens und des Ruhrgebiets im Rahmen von "Ruhr.2010" als auch bei der grenzüberschreitenden Bewerbung Luxemburgs mit den in das Programm einbezogenen angrenzenden Regionen Saarland und Rheinland-Pfalz 2007 in sehr positiver Weise gelungen ist.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.