Der Bundesrat hat in seiner 863. Sitzung am 6. November 2009 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Vor dem Hintergrund der Ratsschlussfolgerungen vom 21. November 2008 zur Mobilität junger Menschen, denen zufolge grenzüberschreitende Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken während ihrer Ausbildung allmählich die Regel werden und nicht die Ausnahme bleiben sollte, begrüßt der Bundesrat die Initiative der Kommission, dieses wichtige Thema aufzugreifen. Er begrüßt außerdem den deutlichen Praxisbezug des Grünbuchs und den Vorschlag der Kommission, das Grünbuch als Grundlage für eine europaweite Diskussion über die Verbesserung der Mobilität junger Menschen einzusetzen. Das Grünbuch spricht die zentralen Aspekte des Themas an und zeigt die richtigen Arten der Mobilität auf. Der Bundesrat begrüßt das Grünbuch als Anstoß zu einer umfassenden Debatte zu den Hindernissen für grenzüberschreitende Mobilität, Beispielen guter Praxis und Lösungsmöglichkeiten zur Überwindung der Hindernisse. Der Bundesrat sieht in der Behandlung des Themas einen erheblichen europäischen Mehrwert.
- 2. Die Einschätzung der Kommission, dass insgesamt noch zu wenig Jugendliche zu Lern- und Ausbildungszwecken ins Ausland gehen, wird vom Bundesrat geteilt. Deshalb ist auch der Bundesrat der Auffassung, es sei notwendig, auf den verschiedensten Ebenen Anstrengungen zu unternehmen, um Mobilitätspotenziale auszuschöpfen. Hinsichtlich der Ausweitung von Mobilitätsmaßnahmen verweist der Bundesrat auf seine Stellungnahme in BR-Drucksache 026/09(B) , Ziffer 7, 1. Tiret. Bezüglich der pauschalen Forderung der Kommission nach einem sogenannten europäischen Praktikumsstatut weist der Bundesrat darauf hin, dass der Missbrauch von Praktikanten als reguläre Arbeitskräfte mit Hilfe von Selbstverpflichtungen und freiwilligen Maßnahmen der Unternehmen vermieden werden soll. Bei den Forderungen nach größerer Mobilität von Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Auszubildenden dürfen die weiteren Aufgaben und Bedürfnisse der Schulen und Ausbildungsbetriebe - z.B. im Hinblick auf die Planung eines Schuljahres bzw. die längerfristige Organisation von Lernprozessen - nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem sind manche Mobilitätshindernisse nur bedingt beeinflussbar; so setzt ein Auslandsaufenthalt auch ein erhebliches Maß an Eigeninitiative und Engagement des Einzelnen voraus. Zudem weisen die Berufsbildungssysteme erhebliche strukturelle Unterschiede auf.
- 3. Das Grünbuch zeigt im Wesentlichen die richtigen Akteure auf; der Bundesrat vermisst allerdings die besonders wichtige Rolle des Elternhauses. Die Bereitschaft, für Lernzwecke ins Ausland zu gehen, muss schon im Elternhaus frühzeitig gelegt werden. Dies setzt das Wissen der Eltern über die Vorteile (z.B. Erwerb sprachlicher und interkultureller Kompetenzen) sowie die verschiedenen Arten von Auslandsaufenthalten (z.B. Schulpartnerschaften, Schüleraustausch, Praktika etc.) voraus. Hier gilt es, mehr Aufklärung zu betreiben. In einer globaler werdenden Wissensgesellschaft muss die Bedeutung internationaler Kompetenz bei der breiten Bevölkerung deutlicher gemacht werden.
- 4. Die Kommission würdigt bei ihrer Feststellung, dass zu wenige junge Menschen an Mobilitätsmaßnahmen in Europa teilnehmen, lediglich die Teilnahme an EU-Mobilitätsprogrammen. Das Grünbuch erfasst allerdings die vielen finanziellen und organisatorischen Aktivitäten zur Förderung der Mobilität außerhalb der EU-Mobilitätsprogramme nicht, die in den Mitgliedstaaten von der öffentlichen Hand, privaten Stiftungen, Unternehmen, Vereinen und Verbänden und anderen Institutionen oder Privatpersonen angeboten werden. Insofern verzerrt die im Grünbuch genannte Zahl von 0,3 Prozent der 16- bis 29-Jährigen das Bild.
- 5. Die Zielgruppe des Grünbuchs (16- bis 35-Jährige) erscheint vor dem Hintergrund des Ziels des lebenslangen Lernens sowohl nach oben als auch nach unten als zu eng gefasst. Der Bundesrat bittet deshalb um entsprechende Anpassung, damit beispielsweise ältere Lehrkräfte und anderes Ausbildungspersonal nicht aus dem Blickwinkel der Mobilitätsprogramme fallen.
- 6. Zur Mobilisierung von Akteuren und Ressourcen schlägt die Kommission eine Zusammenarbeit europäischer, nationaler und regionaler Behörden mit Bildungseinrichtungen, die sich für Mobilität engagieren, vor, um die einzelnen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten zu vereinen. Der Bundesrat stellt hierzu fest, dass ein abgestimmtes bzw. kooperatives Verfahren in der Finanzierung von Mobilität zwar sehr im Interesse der Mitgliedstaaten liegt, lehnt aber pauschale Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und in Deutschland der Länder, auch aufgrund der Heterogenität der Akteure in diesem Bereich, ab. Außerdem weist der Bundesrat darauf hin, dass durch eine Vereinigung der Finanzierungsmöglichkeiten der Grundstock der Mittel nicht anwachsen wird. Daher setzt der Bundesrat vor allem auf einen qualitativen Ausbau der vorhandenen Programme und bessere Information über vorhandene Angebote.
- 7. Darüber hinaus muss sich der Anspruch, die Mobilität junger Menschen vor allem auch bereichsübergreifend zu fördern, auch in der Gestaltung des gemeinschaftlichen Programms für lebenslanges Lernen (2007 bis 2013) widerspiegeln. Das Teilprogramm COMENIUS sollte daher künftig für Schülerinnen und Schüler aller Schularten auch die Möglichkeit schaffen, dass - unabhängig von einer Schulpartnerschaft - Praktikumsaufenthalte, z.B. in Betrieben oder anderen außerschulischen Einrichtungen, im Ausland gefördert werden können.
- 8. Die EU-Bildungsminister haben die Kommission im Rahmen ihrer Tagung im Mai 2009 aufgefordert, sich bis 2010 zunächst auf die Entwicklung eines europäischen Durchschnittsbezugswerts (Benchmark) für den Hochschulbereich zu konzentrieren und die Möglichkeiten einer Ausweitung auf die berufliche Aus- und Weiterbildung und die Mobilität von Lehrkräften zu prüfen. Der Bundesrat hält an diesem Beschluss fest und sieht daher die Notwendigkeit, die für das Jahr 2010 in Aussicht gestellten diesbezüglichen Kommissionsvorschläge abzuwarten.
- 9. Vorsorglich bekräftigt der Bundesrat seine Ablehnung einer Festlegung genuiner Benchmarks zur Überprüfung der Qualität der Aktivitäten in den mitgliedstaatlichen Bildungssystemen und weist insbesondere darauf hin, dass der Bundesrat die Verknüpfung der Schaffung europäischer Durchschnittsbezugswerte mit der Festlegung einzelstaatlicher Ziele ablehnt (siehe zuletzt BR-Drucksache 026/09(B) ).
- 10. Mit Verweis auf ein österreichisches Beispiel schlägt die Kommission zusätzlich zu den europäischen Durchschnittsbezugswerten eigene strategische Benchmarks für die Regionen, Hochschulen, Schulen, Unternehmen und Vereinigungen vor. Hinsichtlich dieser Anregung weist der Bundesrat vorsorglich darauf hin, dass die Setzung von nationalen oder regionalen Benchmarks mitgliedstaatlicher Kompetenz unterliegt und in Deutschland im Bildungsbereich weitestgehend in die Länderkompetenzen fällt. Im Übrigen weist der Bundesrat darauf hin, dass sich viele Hochschulen in Deutschland bereits eigene Mobilitätsziele setzen.
- 11. Der Bundesrat befürwortet die Einbeziehung benachteiligter Personengruppen, weist allerdings darauf hin, dass die Kompatibilität zwischen europäischen Mobilitätsmaßnahmen und Maßnahmen des Sozialgesetzbuches gewährleistet sein muss. Eine frühzeitige berufliche Eingliederung nach dem Verlassen der allgemein bildenden Schule hat für benachteiligte junge Menschen oberste Priorität, um das Risiko von Arbeitslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit nicht zu verfestigen. Wo Mobilitätsmaßnahmen eine sinnvolle Integration in den Arbeitsmarkt von Arbeitssuchenden oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen fördern, sind entsprechende Initiativen zu befürworten und ihre Durchführung zu erleichtern.
- 12. Es wird empfohlen, im Zusammenhang mit EU-Mobilitätsmaßnahmen den Verwaltungsaufwand umfassend zu reduzieren und finanzielle Ressourcen frühzeitig zur Verfügung zu stellen, um Mobilitätsmaßnahmen auch für Angehörige nichtakademischer Milieus attraktiver zu gestalten.
- 13. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.