974. Sitzung des Bundesrates am 15. Februar 2019
JOIN(2018) 36 final
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Gefahr der gezielten Manipulation politischer und gesellschaftlicher Debatten durch Desinformationen für den demokratischen Prozess, die gesellschaftliche Stabilität und die öffentliche Sicherheit und Ordnung ernst nimmt. Auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 8. Juni 2018 (BR-Drucksache 154/18(B) ) wird Bezug genommen.
- 2. Der Bundesrat begrüßt deshalb das Vorhaben, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen der Union in Bezug auf den Informationsaustausch weiter zu stärken, insbesondere hinsichtlich der Erkenntnisse zur Ermittlung der Urheber von Falschmeldungen. Desinformationen werden über Medien und das Internet verbreitet und sind in ihrem Wirkungsgrad nicht national begrenzt. Der Bundesrat erachtet es daher als folgerichtig, den Informationsaustausch innerhalb der EU zu verbessern.
- 3. Auch wenn sich Bürgerinnen und Bürger vor Wahlen vermehrt mit politischen Themen auseinandersetzen, ist deren Zugang zu Informationen zu verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Themen auch darüber hinaus essentiell, um sich eine qualifizierte Meinung zu bilden. Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass - unabhängig von den kurzfristig anstehenden Wahlen - Maßnahmen zur Stärkung der Meinungsbildungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden sollten und dies mehr zu betonen ist.
- 4. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass die Abgrenzung zwischen zutreffenden Informationen, schlichten Falschinformationen und Desinformation oft schwierig ist, wie zum Beispiel die Einordnung ungenauer, veralteter oder nur teilweise falscher Informationen als "richtig" oder "falsch". Zudem sollen nach der in dem Aktionsplan vorgeschlagenen Definition auch irreführende Informationen den Tatbestand der Desinformation erfüllen können, ohne die konkreten Merkmale der Irreführung zu benennen. Darüber hinaus müssen nach der vorgeschlagenen Definition bestimmte subjektive Elemente (Ziel des wirtschaftlichen Gewinns oder der vorsätzlichen Täuschung) vorliegen. Ob eines dieser subjektiven Elemente vorliegt, ist durch eine Betrachtung allein der fraglichen Information bzw. Desinformation, also ohne Kenntnis des Urhebers, oft nicht sicher feststellbar. Auch vor dem Hintergrund möglicher Gefahren von Desinformationskampagnen dürfen solche Einordnungen nicht leichtfertig erfolgen und nicht von Strukturen vorgenommen werden, die auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem "Wahrheitsministerium" haben könnten. Es muss vermieden werden, dass einzelne Mitgliedstaaten den Kampf gegen Desinformationen politisch instrumentalisieren können.
- 5. Der Bundesrat sieht zudem kritisch, dass eindeutig gekennzeichnete parteiliche Nachrichten oder Kommentare keine Desinformation sein sollen, selbst wenn diese im Übrigen die Merkmale der Desinformation erfüllen sollten.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass die Bedeutung von Online-Plattformen in Desinformationskampagnen und die von ihnen ausgehende Gefahr der Verstärkung, gezielten Zustellung und Verbreitung von Desinformationsmeldungen erkannt wird.
- 7. Der Bundesrat begrüßt auch die Absicht, bei der Einbeziehung des Privatsektors in die Bekämpfung von Desinformationen vorrangig auf Selbstverpflichtungen zu setzen. Ausgehandelte Verhaltenskodizes schaffen einen angemessenen Ausgleich von hoheitlichen Interessen, den technischen, organisatorischen und personellen Möglichkeiten der Betreiber von Online-Plattformen und den Anforderungen der Informations- und Meinungsfreiheit.
- 8. Der Bundesrat regt an, zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung im Online-Sektor die Betreiber von Online-Plattformen weiterhin zu eigenen Maßnahmen zu ermutigen und diese durch gemeinsame Verhaltenskodizes wirkungsvoller zu gestalten.
- 9. Der Bundesrat regt darüber hinaus an, die Haftungsprivilegierung der Artikel 14 und 15 der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 über den elektronischen Geschäftsverkehr für Video-Sharing-Plattform-Anbieter vor jenem Hintergrund unter Wahrung der Meinungs- und Informationsfreiheit zu hinterfragen. Auf Ziffer 7 der Stellungnahme des Bundesrates vom 23. September 2016 (BR-Drucksache 288/16(B) ) wird Bezug genommen.
- 10. Der Bundesrat begrüßt im Wesentlichen die Säule 4 des Aktionsplans. Entscheidend für die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger, Informationen einordnen und bewerten zu können, ist die Kenntnis der Quellen. Maßnahmen sollten daher darauf abzielen, die Transparenz der Quelle von allen Informationen und nicht nur von Desinformationen zu fördern. Auch die Förderung der Medienkompetenz ist ein wichtiger Baustein.
- 11. Der Bundesrat teilt mithin die Einschätzung, dass die Schulung von Medienkompetenzen ein wichtiger Baustein zur Verhinderung von Desinformationen ist. Sensibilisierte Nutzende hinterfragen Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt, da sie beispielsweise auf die Aufbereitung oder Herkunft einer Meldung achten und zur Überprüfung einer Information weitere Nachrichtenquellen heranziehen.
- 12. Die Medienkompetenz ist umfassend zu stärken und nicht auf das Erkennen und Abwehren von Desinformationen zu begrenzen. Der Bundesrat bittet jedoch, das Subsidiaritätsgebot zu achten. Eine Förderung der Medienkompetenz und eine Medienregulierung müssen nicht auf europäischer Ebene geregelt werden, sondern können in der Regelungshoheit der Mitgliedstaaten bzw. der Länder verbleiben.
- 13. Der Bundesrat erachtet die stärkere Förderung unabhängiger Faktenprüferinnen und -prüfer sowie Forscherinnen und Forscher kritisch. Die staatliche oder staatlich veranlasste Einordnung einer Information als "Desinformation" - die nicht immer zweifelsfrei erfolgen kann - kann einen erheblichen Eingriff in die Kommunikationsgrundrechte darstellen. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass neueren Studien zufolge selbst eine auf solider Faktenprüfung beruhende Gegen-Kommunikation teils nutzlos sein und mitunter sogar kontraproduktiv wirken soll.
- 14. Der Bundesrat erinnert zudem daran, dass nicht nur die freie Meinungsäußerung ein in der Charta der Grundrechte der EU verankerter Grundwert der EU ist, sondern auch die Achtung der Freiheit der Medien und ihre Pluralität. Es erscheint fraglich, wie in der Praxis eine rasche Abwehr durch eine faktengestützte und wirksame Kommunikation unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Gebots der Staatsferne der Rundfunkanstalten und des Gebots der Zurückhaltung vor Wahlen aussehen soll. Unklar ist zudem, wie in der Praxis faktengeprüfte Inhalte besser sichtbar und stärker verbreitet werden sollen, ohne in die redaktionelle Verantwortung der Medienunternehmen einzugreifen. Vor dem Hintergrund der berührten Informations- und Medienrechte können nur Maßnahmen auf der Basis von Freiwilligkeit der Medienwirtschaft und im Wege der Selbstregulierung mit einem Verhaltenskodex nach dem Vorbild des deutschen Presserates begrüßt werden.
- 15. Der Bundesrat vermisst Aussagen zum Vorgehen gegen die Entstehung von Desinformation an der Quelle. Soweit die Mitteilung Desinformationsaktivitäten staatlicher bzw. staatlich gelenkter Akteure und hier insbesondere solche der Russischen Föderation als größte Bedrohung der EU nennt, wäre insbesondere an verstärkte diplomatische Aktivitäten zu denken, um schon der Entstehung von Desinformation entgegenzuwirken.
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 17. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.