Punkt 6 der Tagesordnung der 805. Sitzung des Bundesrates am 5. November 2004
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ergänzend zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichts-Urteils zur Entlastung von Familien mit Kindern in der sozialen Pflegeversicherung, mit der inhaltlichen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung noch in dieser Legislaturperiode zu beginnen. Die soziale Pflegeversicherung hat wesentlich dazu beigetragen, dass hilfebedürftige Menschen und ihre unterhaltspflichtigen Angehörigen bei Eintritt von Pflegebedürftigkeit nicht automatisch in die Abhängigkeit von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz geraten. Zugleich sind die Träger der Sozialhilfe von erheblichen finanziellen Aufwendungen durch die Leistungen der Pflegeversicherung entlastet worden. Sie hat außerdem wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur in der Bundesrepublik gegeben und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Qualität der Leistungen der Dienste und Einrichtungen der Pflege weiterentwickelt und diversifiziert werden konnte.
Die Pflegeversicherung ist deshalb auch heute noch die richtige politische Antwort auf die Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft mit einer steigenden Zahl auf Hilfen angewiesener pflegebedürftiger Menschen. Sie ist im Hinblick auf die bevorstehende demografische Entwicklung zukunftsfest zu gestalten.
Handlungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich
- - der regelmäßigen Anpassung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung an die allgemeine Preisentwicklung (Dynamisierung der Leistungen);
- - der Bedürfnisse und Bedarfe von Menschen mit demenzieller Erkrankung, deren besonderer Hilfebedarf (Anleitung und Beaufsichtigung) bei der Feststellung der leistungsbegründenden Voraussetzungen bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde;
- - der konsequenten Umsetzung des Vorranges der häuslichen Versorgung und der dazu erforderlichen Ausweitung der Leistungsangebote zur Unterstützung, Entlastung und Begleitung der häuslich Pflegenden, insbesondere im Bereich der niedrigschwelligen Hilfeangebote;
- - der Gestaltung von Pflege- und Betreuungsarrangements, die familiäre Hilfen, gesellschaftliche Arbeit (Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II), bürgerschaftliches Engagement und professionelle Hilfeangebote (Hilfemix) unter besonderer Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des sozialen Umfeldes des oder der Pflegebedürftigen und der in jedem Einzelfall darüber hinaus erforderlichen Hilfen in einem Hilfeplan zusammenführen;
- - der Regelungen zur Operationalisierung und zur sozialrechtlichen Verankerung des Grundsatzes "Prävention und Rehabilitation vor Pflege" und der hierzu erforderlichen Verbesserung der Kooperation beim Übergang vom Krankenhaus in die pflegerische Versorgung;
- - der besseren Zusammenarbeit der Leistungserbringer nach SGB V und SGB XI untereinander und mit ambulanten und stationären Reha-Einrichtungen sowie
- - der unterstützenden Vernetzung präventiver, pflegerischer und rehabilitativer Angebote und der Verbesserung der Kooperation von bisher häufig nebeneinander tätigen Institutionen und Berufsgruppen zu einem Institutionen- und Berufsgruppenmix (Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Hauswirtschaft, Therapeutinnen und Therapeuten, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und ihre Institutionen).
Diese neu zu entwickelnden Strukturen müssen durch die Sicherung der Leistungsfähigkeit der Pflegeversicherung auf einer stabilen finanziellen Grundlage vervollständigt werden. Kernbestandteil dieser Konsolidierungsbemühungen ist ein Finanzierungsmix, d.h. die Verbindung von angemessener sozialstaatlicher Finanzierung mit Eigenvorsorge und Eigenleistungen der Betroffenen. Kurz- bis mittelfristig ist die finanzielle Leistungsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung zu sichern durch:
- - die Weiterentwicklung des Systems der solidarischen Beitragsfinanzierung,
- - die Harmonisierung von Schnittstellen und
- - die systemgerechte Zuordnung von Leistungen der Pflegeversicherung zu den Leistungen anderer Sozialleistungsträger, insbesondere zu denen der Krankenversicherung.
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die Länder bei der Vorbereitung der Reform der Pflegeversicherung und der zu ihrer Umsetzung notwendigen Maßnahmen zu beteiligen.