Der Bundesrat hat in seiner 837. Sitzung am 12. Oktober 2007 die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt den Bericht der Bundesregierung zur Tätigkeit des Europarates im Jahr 2006 zur Kenntnis.
- 2. Der Bundesrat sieht mit Sorge, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einer kaum mehr zu bewältigenden Arbeitsbelastung gegenüber steht. Die Chancen eines Klägers, in vertretbarem Zeitraum eine Entscheidung zu erhalten, werden immer geringer. Der EGMR ist nicht mehr in der Lage, seinen zu Artikel 6 der Europäischen Konvention der Menschenrechte (EMRK) gesetzten Standards selbst entsprechen zu können. Der Gerichtshof läuft damit Gefahr, an der hohen Akzeptanz des Gerichtshofs bei den über 800 Mio. Bürger und Bürgerinnen, die vom weltweit einzigartigen Modell des individuellen Menschenrechtsschutzes profitieren können, zu scheitern.
- 3. Der Bundesrat sieht als eine erste Maßnahme zur Vermeidung des drohenden Kollapses des EGMR die Umsetzung der im Protokoll Nr. 14 zur Konvention "zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention" vorgesehenen Reformschritte an. Das Protokoll tritt jedoch erst nach der Ratifizierung durch alle Vertragsparteien der EMRKin Kraft. Der Bundesrat bedauert in diesem Zusammenhang den ablehnenden Beschluss der Duma der Russischen Föderation und ruft diese dazu auf das Zusatzprotokoll als letzter noch ausstehender Staat rasch zu ratifizieren.
- 4. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung, dass das Kontrollsystem der EMRK über das 14. Zusatzprotokoll hinaus einer grundlegenden Reform bedarf. Er begrüßt in diesem Zusammenhang die im November 2006 vom so genannten Weisenrat vorgelegten Empfehlungen zur langfristigen Sicherung der Effektivität der Kontrollmechanismen der EMRK. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für eine zügige Prüfung und Umsetzung der Vorschläge einzusetzen. Kurzfristig sollte dringend die Ausstattung des EGMR dem bestehenden Arbeitsanfall angepasst werden, um die anstehenden Verfahren zeitnah bewältigen zu können. Darüber hinaus bittet der Bundesrat die Bundesregierung, alle geeigneten und notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die erfolgreiche Arbeit des EGMR zu unterstützen und seine Arbeitsfähigkeit zu verbessern.
- 5. Der Bundesrat sieht im Beitritt der EU zur EMRK auch eine Entlastung des EGMR. Dadurch könnte ein Höchstmaß an Kohärenz zwischen der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR erzielt und Überschneidungen der Aktivitäten verringert werden. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich nachdrücklich für einen raschen Beitritt der EU nach Erlangung ihrer Rechtspersönlichkeit zur EMRK einzusetzen.
- 6. Der Bundesrat nimmt bedauernd zur Kenntnis, dass angesichts widerstreitender Interessen bei der Ausarbeitung einer Charta der regionalen Selbstverwaltung unter den Vertragsparteien der EMRK mittelfristig kaum Aussicht auf deren Verabschiedung besteht. Um dennoch das hohe demokratische Potenzial, das dem Regionalismus und Föderalismus innewohnt, gerade auch für die osteuropäischen Mitgliedstaaten der Konvention ohne langfristige EU-Beitrittsperspektive zur Verfügung zu stellen, sollte der politische Kern des Anliegens in geeigneter Weise weiter verfolgt werden. Dazu gehört die umfassende fachliche Aufbereitung von unterschiedlichen Erfahrungen mit Regionalismus und seinen vielfältigen Ausprägungsmöglichkeiten.
Der hierzu auf der Kommunalministerkonferenz des Europarats vom 15. bis 16. Oktober 2007 in Valencia vorzulegende Zwischenbericht sollte zum Anlass genommen werden, die Erarbeitung eines Leitfadens in Angriff zu nehmen, der für regionalisierungswillige Staaten die relevanten Fragen in prägnanter und übersichtlicher Form anspricht. Damit könnten zeitnah - unabhängig vom weiteren Schicksal des Entwurfs für eine rechtsverbindliche Charta - Möglichkeiten für den Ausbau regionaler Strukturen aufgezeigt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder in die Ausarbeitung dieses Leitfadens eng einzubeziehen. In einen solchen Leitfaden sollten insbesondere Hinweise zu folgenden Themen aufgenommen werden:
- - rechtliche Verankerung,
- - Kompetenzen,
- - Beziehung zur kommunalen Ebene,
- - Beteiligung an staatlichen und europäischen Entscheidungsprozessen,
- - staatliche Aufsicht,
- - Änderungen der inneren und äußeren regionalen Strukturen,
- - innerstaatliche Zusammenarbeit zwischen den Regionen,
- - Möglichkeiten für internationale und europäische Beziehungen,
- - Organisationshoheit,
- - Organe,
- - Verwaltungsbefugnisse,
- - Justiz auf regionaler Ebene,
- - Finanzierung,
- - eigene Einnahmen,
- - Finanzausgleichssysteme,
- - Finanzzuweisungen des Staates.
- 7. Der Bundesrat begrüßt, dass im Mai 2007 die langwierigen Verhandlungen über ein Memorandum of Understanding (MoU) zwischen Europarat und EU zum Abschluss gebracht werden konnten. Er sieht darin die Voraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen Europarat und EU insbesondere in den Bereichen der Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung von Terrorismus, Korruption und organisiertem Verbrechen zu intensivieren.
Der Bundesrat sieht in der vertieften Zusammenarbeit für beide Seiten einen hohen gegenseitigen Nutzen. Beide Organisationen verfügen in einer Reihe von Bereichen, vom Schutz der Minderheiten bis hin zur Bioethik, über gemeinsame Interessenslagen und Expertise, welche die Durchführung gemeinsamer Projekte wesentlich erleichtern dürfte. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit können darüber hinaus in Zukunft unnötige Doppelarbeit vermieden und Synergieeffekte erzielt werden.