Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002 über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik1,
- - unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 11. April 2008 "Die Rolle der GFP bei der Umsetzung eines ökosystemorientierten Ansatzes zur Bewirtschaftung der Meeresgebiete" (KOM (2008) 0187),
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten2 ("Vogelschutzrichtlinie"),
- - unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 28. Mai 2002 über die Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik (KOM (2002) 0181),
- - unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 19 September 2002 "Eine Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur" (KOM (2002) 0511),
- - unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Tagung des Rates "Landwirtschaft und Fischerei" vom 27. und 28. Januar 2003 in Brüssel,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Februar 1996 zur Kormoranproblematik in der europäischen Fischerei3,
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen4,
- - gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
- - in Kenntnis des Berichts des Fischereiausschusses (A6-0434/2008),
A. unter Hinweis auf schnell wachsende Bestände an Kormoranen (Phalacrocorax carbo) im Gebiet der Europäischen Union, deren Gesamtpopulation sich in Europa in den letzten 25 Jahren verzwanzigfacht hat und heute bei einer Mindestschätzung von 1,7 bis 1,8 Millionen Vögel liegt,
B. in Erwägung der nachweislichen und nachhaltigen Schäden in Aquakulturbetrieben und in den Beständen zahlreicher Wildfischarten in den Binnengewässern und an der Meeresküste in vielen Mitgliedstaaten,
C. in der Erwägung, dass die Umsetzung eines ökosystemorientierten Ansatzes zur Bewirtschaftung der Meeres- und Küstengebiete sowie der Binnengewässer einer ausgewogenen Politik bedarf, die einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen, aber durchaus legitimen Zielen einer nachhaltigen Nutzung der Fischbestände sichern kann: Vogelschutz und Erhaltung einer vielfältigen Vogel- und Fischfauna einerseits, sowie das legitime Interesse von Fischern und Teichwirten an der wirtschaftlichen Nutzung der Fischbestände andererseits; ferner in der Erwägung, dass die Verordnung (EG) Nr. 1100/2007 des Rates vom 18. September 2007 mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals5 ein Beispiel für eine solche ausgewogene Politik darstellt,
D. unter Hinweis darauf, dass Kormorane in vielen Mitgliedstaaten zudem nachweislich dauerhafte Schäden an der Vegetation in bestimmten Gebieten verursacht haben,
E. in der Erwägung, dass es derzeit innerhalb der Europäischen Union, sowie mit betroffenen Drittstaaten, keine ausreichende bilaterale und multilaterale Koordinierung auf wissenschaftlicher und administrativer Ebene gibt, um dieses Phänomen zu erfassen und dieser Entwicklung entgegenzutreten, vor allem hinsichtlich der Erhebung von zuverlässigem und allgemein anerkanntem Datenmaterial über die Gesamtpopulation an Kormoranen in der Europäischen Union,
F. in Erwägung der Tatsache, dass die Unterart Phalacrocorax carbo sinensis (Festlandkormoran) bereits im Jahr 1997 aus der Liste jener Vogelarten gestrichen wurde, für die besondere Schutzmaßnahmen in Bezug auf den Lebensraum gelten (Anhang I der Vogelschutzrichtlinie), da diese Unterart seit spätestens 1995 einen günstigen Erhaltungsstatus (Favourable Conservation Status) erreicht hatte, während die nie gefährdeten Unterart Phalacrocorax carbo carbo (Atlantischer Kormoran) in diese Liste gar nicht aufgenommen worden war,
G. in Erwägung der Tatsache, dass Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 der Vogelschutzrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, zur Verhinderung "erheblicher Schäden" zeitlich begrenzte Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, sofern dadurch die Schutzziele der Vogelschutzrichtlinie (konkret: der günstige Erhaltungsstatus der Vogelart) nicht gefährdet sind,
H. in Erwägung der Tatsache, dass die Gefahr von erheblichen Schäden überproportional zunimmt, je mehr sich in einer Region die Zahl der Kormorane der Tragfähigkeitsgrenze (Carrying Capacity) der großflächigen Gewässer nähert, wobei gleichzeitig die Wirksamkeit lokaler Abwehrmaßnahmen stark reduziert wird,
I. in der Erwägung, dass der im Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 der Vogelschutzrichtlinie unklar definierte Begriff des "erheblichen Schadens", der den Mitgliedstaaten direkte Eingriffe zur Regulierung einer Vogelpopulation erlaubt, zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei den nationalen Verwaltungen geführt hat und einen beträchtlichen sozialen Konfliktstoff darstellt,
J. in der Erwägung, dass sich die Schlussfolgerungen der internationalen Expertengremien bezüglich der Kormoranproblematik in Europa grundsätzlich widersprechen, wie die Abschlussberichte von REDCAFE6 sowie FRAP7 und EIFAC8 zeigen,
K. in der Erwägung, dass die Zulassung und Finanzierung von Maßnahmen zur Eindämmung von Schäden durch Kormorane zwar eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bzw. Regionen ist, dass aber allein aufgrund des Zugvogelcharakters der Kormorane ein nachhaltiges Management der Bestände nur durch ein koordiniertes Vorgehen aller betroffenen Mitgliedstaaten und Regionen mit Hilfe der Europäischen Union gesichert werden kann,
L. in der Erwägung, dass es in der Mitteilung der Kommission "Eine Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur" im Abschnitt "Dezimierung durch geschützte Arten" heißt: "Die Bestände in Aquakulturanlagen können durch einige geschützte Arten von wild lebenden Vögeln und Säugetieren dezimiert werden, was wiederum die Rentabilität eines Aquakulturunternehmens erheblich beeinträchtigen kann. Es ist schwierig, diese Räuber zu bekämpfen, insbesondere im Falle großer Teiche oder Lagunen. Die Wirksamkeit der Abschreckungsmittel ist zweifelhaft, da sich die Räuber rasch hieran gewöhnen. Im Falle von Kormoranen besteht der einzige Schutz für die Fischerei und die Aquakultur möglicherweise in der Bewirtschaftung der immer noch wachsenden Wildpopulationen",
M. in der Erwägung, dass der Rat auf seiner Tagung vom 27. und 28. Januar 2003 im Hinblick auf die Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur gefordert hat, es "muss eine gemeinsame Strategie hinsichtlich der Fisch fressenden Tiere (beispielsweise Kormorane) entwickelt werden",
N. unter Hinweis auf die kürzlich von der Kommission verbreiteten "Guidelines for Population Level Management Plans for Large Carnivores"9, insbesondere hinsichtlich Klärung der Begriffe "Favourable Conservation Status" und "Minimum Viable Population" sowie hinsichtlich der Feststellung, dass die Schutzziele leichter erreichbar sein können, wenn die Anzahl der Individuen einer Art unter der theoretisch maximalen Tragfähigkeit eines Gebietes gehalten wird,
O. unter Hinweis darauf, dass die bisher versuchten nationalen, regionalen und lokalen Maßnahmen unterschiedlichster Art nachweislich nur sehr begrenzte Wirkung zur Eindämmung von Schäden durch die Kormoran-Populationen haben,
P. unter Hinweis auf die Tatsache, dass in den vergangen Jahren zur Verfügung stehende Mittel zur Datenerhebung im Fischereisektor nicht voll ausgeschöpft wurden (z.B. Haushaltslinie 11 07 02: Unterstützung für die Bewirtschaftung der Fischbestände (Verbesserung der wissenschaftlichen Gutachten)),
Q. unter Hinweis auf die Tatsache, dass die aktuell in fast allen Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie erlassenen Ausnahmeregelungen zur lokalen Schadensabwehr trotz hohen administrativen Aufwands und hoher sozialer Kosten nicht zu einer nachhaltigen Entspannung des Problems geführt haben,
R. unter Hinweis auf die Tatsache, dass die Kommission trotz wiederholter Aufforderungen von Seiten der Betroffenen (Fischerei- und Anglerverbände, Aquakulturbetriebe usw.), der Wissenschaft, sowie Gremien und Vertretungen der Mitgliedstaaten und Regionen nicht bereit war, neue Vorschläge zur Lösung einer europaweiten Problematik zu unterbreiten,
- 1. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, durch die Förderung regelmäßiger wissenschaftlicher Erhebungen zuverlässiges und allgemein anerkanntes Datenmaterial über die Gesamtpopulation und Struktur sowie Fertilitäts- und Mortalitätsparameter der Bestände an Kormoranen in Europa zur Verfügung zu stellen;
- 2. schlägt vor, durch ein systematisches von der EU und den Mitgliedstaaten unterstütztes Monitoring der Kormoranbestände eine verlässliche zuverlässige, allgemein anerkannte und jährlich aktualisierte Datengrundlage über die Entwicklung, die Anzahl und die geographische Verteilung der Kormoranbestände in Europa erarbeiten zu lassen, wobei Fischereiforschungsstellen und die fischereilichen Behörden stärker zu beteiligen sind;
- 3. fordert die Kommission auf, ein wissenschaftliches Projekt auszuschreiben und zu finanzieren, das auf Basis der aktuell bekannten Daten über Brutpopulation, Fertilität und Mortalität ein Schätzmodell für die Größe und Struktur der Kormoran-Gesamtpopulation liefern soll;
- 4. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, geeignete Voraussetzungen für den bilateralen und multilateralen Austausch auf wissenschaftlicher und administrativer Ebene, sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch mit Drittstaaten, in geeigneter Weise zu fördern und die Herkunft der Erhebungen, Mitteilungen, Beiträge oder Veröffentlichungen, insbesondere aber das Zahlenmaterial, so zu kennzeichnen, dass ein wissenschaftlicher oder amtlicher Charakter oder Verbandscharakter, insbesondere jener der Natur- und Vogelschutzverbände, deutlich zu erkennen ist;
- 5. fordert die Kommission auf, die einander widersprechenden Schlussfolgerungen bezüglich eines Kormoran-Managementplans von REDCAFE einerseits und FRAP bzw. EIFAC andererseits einer vergleichenden Prüfung zu unterziehen;
- 6. fordert die Kommission auf, eine entsprechend der Betroffenheit ausgewogen zusammengesetzte Arbeitsgruppe zu installieren mit dem verbindlichen Mandat, innerhalb eines Jahres eine systematische Kosten-Nutzen-Analyse der möglichen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten zum Kormoran-Management aufzustellen, deren Plausibilität nach logischen und wissenschaftlichen Kriterien zu bewerten und eine Empfehlung abzugeben;
- 7. fordert die Kommission auf, einen mehrstufigen europäisch koordinierten Bestandsmanagementplan für Kormorane vorzulegen, der die Kormoranbestände langfristig in die Kulturlandschaft integriert, ohne die Ziele von Vogelschutzrichtlinie und Natura 2000 im Bereich der Fischarten und Gewässerökosysteme zu gefährden;
- 8. fordert die Kommission eindringlich auf, im Sinne einer besseren Rechtssicherheit den Begriff des "erheblichen Schadens", wie er in Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 der Vogelschutzrichtlinie eingeführt wurde, zwecks einheitlicher Auslegung umgehend klar zu definieren;
- 9. fordert die Kommission auf, zusätzlich allgemeinere Anleitungen bezüglich der Art der nach Artikel 9 Absatz 1 der Vogelschutzrichtlinie zulässigen Ausnahmen auszuarbeiten und dabei die Terminologie zusätzlich zu verdeutlichen, soweit Uneindeutigkeiten bestehen können;
- 10. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten eindringlich auf, durch verstärkte Koordination, Kooperation und Kommunikation auf wissenschaftlicher und administrativer Ebene ein nachhaltiges Management der Kormoranbestände zu befördern, sowie geeignete Voraussetzungen für die Erstellung eines europaweiten Bestandsmanagementplanes für Kormorane zu schaffen;
- 11. fordert die Kommission auf, alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu überprüfen, um die negativen Auswirkungen der Kormoranbestände auf Fischerei und Aquakultur zu reduzieren und bei der weiteren Ausarbeitung ihrer Initiative zur Förderung der Aquakultur in Europa die positiven Effekte eines europaweiten Bestandsmanagementplans für Kormorane in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls in diesem Kontext Lösungsvorschläge zur Kormoranproblematik vorzulegen;
- 12. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die im EU-Haushaltsplan zur Verfügung stehenden Mittel zur Datenerhebung im Fischereisektor, insbesondere unter der Haushaltslinie 11 07 02: Unterstützung für die Bewirtschaftung der Fischbestände (Verbesserung der wissenschaftlichen Gutachten), auch für Erhebungen, Analysen und Prognosen über den Bestand von Kormoranen auf dem Gebiet der Europäischen Union in Vorbereitung auf ein zukünftiges regelmäßiges Monitoring dieser Vogelarten zur Verfügung zu stellen;
- 13. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- 1 ABl. L 358 vom 31.12.2002, S. 59.
- 2 ABl. L 103 vom 25.4.1979, S. 1.
- 3 ABl. C 65 vom 4.3.1996, S. 158.
- 4 ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.
- 5 ABl. L 248 vom 22.9.2007, S. 17.
- 6 REDCAFE (Reducing the Conflict between Cormorants and Fisheries on a Pan-European Scale) ist ein von der Kommission im 5. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung finanziertes Projekt, das 2005 abgeschlossen wurde.
- 7 FRAP (Framework for Biodiversity Reconciliation Action Plans) ist ein von der Kommission im 5. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung finanziertes Projekt, das 2006 abgeschlossen wurde.
- 8 EIFAC (European Inland Fisheries Advisory Commission) ist ein beratendes regionales Fischereigremium der FAO für den Bereich Binnenlandfischerei und Aquakultur.
- 9 Siehe: http://ec.europa.eu/environment/nature/conservation/species/carnivores/index_en.htm .