Der Bundesrat hat in seiner 959. Sitzung am 7. Juli 2017 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass eine leistungsfähige Justiz eine wichtige Grundvoraussetzung für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit darstellt. Er nimmt Bezug auf seine Stellungnahmen zum EU-Justizbarometer aus den vergangenen Jahren, vergleiche BR-Drucksache 244/13(B) , BR-Drucksache 171/14(B) , BR-Drucksache 092/15(B) , BR-Drucksache 173/16(B) , und wiederholt die darin geäußerte grundsätzliche Kritik.
- 2. Der Bundesrat begrüßt weitere Differenzierungen in den Anmerkungen zu den einzelnen Schaubildern. Das Risiko von Fehleinschätzungen und falschen Schlussfolgerungen kann damit reduziert werden. Gleichzeitig bleibt jedoch anzumerken, dass die erreichte Länge der Anmerkungen bei teilweise gleichzeitiger Verwendung mehrerer farblich unterschiedlicher Balken verdeutlicht, dass die mit einem Schaubild eigentlich verbundene Übersichtlichkeit nur selten gegeben ist. Der Wunsch der Kommission, möglichst viel Information in einem einzelnen Schaubild zu präsentieren, führt dazu, dass viele der Schaubilder sich nicht intuitiv erschließen. Bei einzelnen Schaubildern, etwa den Schaubildern 56, 57, 59 und 60 zur Ernennung, Versetzung und Entlassung von Richterinnen und Richtern, drängt sich die Frage auf, ob die Darstellung in einem Schaubild noch sachdienlich ist.
- 3. Das Justizbarometer leidet weiterhin unter dem Mangel an belastbarem Datenmaterial. So wurde beispielsweise im Justizbarometer 2017 erstmals eine Statistik zur Verfahrensdauer bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf bestimmten Rechtsgebieten aufgenommen. Der Bundesrat pflichtet der Kommission zwar insoweit bei, als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes für die wirksame Rechtsverwirklichung von großer Bedeutung sein können. Das Schaubild 18 eignet sich jedoch nicht für einen Vergleich. Wie auch bei der Dauer von Hauptsacheverfahren in den Rechtsgebieten Wettbewerb (Schaubild 13), Elektronische Kommunikation (Schaubild 14), Unionsmarke (Schaubild 15) und Verbraucherschutz (Schaubild 16) basiert der Vergleich bei zahlreichen Ländern auf einer äußerst geringen Verfahrensanzahl. Dies führt dazu, dass sich einzelne Verfahren in ganz erheblichem Maße auf die Gesamtstatistik auswirken können. Die mit der Staffelung nach Verfahrensdauer erzeugte Rangfolge muss deshalb mit großen Vorbehalten betrachtet werden. Auch die Bewertbarkeit und Validität der Daten, die Eingang in das Schaubild 51, welches die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz wiedergibt, gefunden haben, erscheint fraglich. Um das Zustandekommen der zugrunde gelegten Werte transparent zu machen, wären Angaben zu der Anzahl der befragten Unternehmen und Personen ("breite Öffentlichkeit") und - mit Blick auf insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit - auch Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen ebenso wünschenswert wie Mitteilungen dazu, wie häufig diese im Erhebungszeitraum an gerichtlichen Auseinandersetzungen beteiligt waren. Die in diesem Zusammenhang im Justizbarometer 2017 enthaltenen Quellenangaben (Fußnote 82 des Justizbarometers 2017) sind insoweit nicht aufschlussreich. Die Wirksamkeit der Garantie richterlicher Unabhängigkeit lässt sich vornehmlich in ihrer Wahrnehmung durch die geschützte Richterschaft selbst bestimmen. Bereits in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2015 hat der Bundesrat darauf verwiesen, dass eine Ausweitung des Justizbarometers auf weitere Felder wenig zielführend ist, wenn die Datengrundlagen unzureichend sind. Er wiederholt seine Anregung, weniger Bereiche, diese dafür jedoch mit tragfähigerem Datenmaterial, darzustellen.
- 4. Neu aufgenommen wurde in das EU-Justizbarometer zudem ein Schaubild über die Dauer von Gerichtsverfahren zur Bestrafung von Geldwäschetaten (Schaubild 19). Damit wurden im nunmehr fünften EU-Justizbarometer erstmals auch strafgerichtliche Verfahren in den Blick genommen. Zwar ist zuzugeben, dass sich die wirksame Verfolgung von Geldwäschestraftaten mittelbar positiv auf ein investitions-, unternehmens- und bürgerfreundliches Umfeld auswirken kann. Gleichzeitig verstärkt sich jedoch der Eindruck, dass die Kommission mithilfe des Justizbarometers einen Vergleich der Justizsysteme auf allgemeiner Grundlage vornehmen will. Hinzu kommt, dass das Schaubild keine Aussagekraft entfaltet, da unterschiedliches Datenmaterial "verglichen" wird: Dies reicht von Stichproben, über die theoretische Höchstdauer bis zu Datenausschnitten (nur Verurteilungen). Wie auch an zahlreichen anderen Stellen im Justizbarometer wird nicht ansatzweise sichergestellt, dass Gleiches mit Gleichem verglichen wird, wie den Anmerkungen zu entnehmen ist. Hier wird besonders offensichtlich, dass ein "Ranking" der Mitgliedstaaten keinen Sinn macht.
- 5. Anlass zur Kritik bieten weiterhin die Auswahl und der Umgang mit den Indikatoren, auf die die Kommission zur Darstellung von Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der Justizsysteme in den Mitgliedstaaten zurückgreift.
- - So ist bei einzelnen Indikatoren von vornherein fraglich, ob sie tatsächlich Anzeichen für das Vorhandensein des nachzuweisenden Umstandes sind. Es wurde bereits mehrfach darauf verwiesen, dass die bloße Anzahl laufender Verfahren (Schaubilder 10, 11, 12) - insbesondere wenn die Zahl der sie bearbeitenden Richterinnen und Richter unberücksichtigt bleibt - keine Schlussfolgerungen zur Effizienz eines Justizsystems zulässt. In anderen Fällen legt die Kommission bei der Auswahl der Indikatoren ein einheitliches Begriffsverständnis zugrunde, das nationale Besonderheiten unberücksichtigt lässt. Dies wurde aus deutscher Sicht bereits für den Begriff des Verwaltungsverfahrens und der Prozesskostenhilfe kritisiert.
- - Die vorgenommene Wahl der Indikatoren trägt zudem den Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten und der Komplexität gerichtlicher Auseinandersetzungen nur unzureichend Rechnung. Exemplarisch sei auf das neu aufgenommene Schaubild 47 verwiesen, in dem zur Bewertung der Qualität eines Justizsystems das Vorhandensein bestimmter "Standards für die Zeitplanung" dargestellt wird. Zunächst ist hervorzuheben, dass starre Zeitstandards mit der in der Bundesrepublik verfassungsrechtlich verbürgten richterlichen Unabhängigkeit nicht in Einklang zu bringen sind. In welchem Maß die Einführung von Fristen (Terminierungsfristen, Vortragsfristen, Verkündungsfristen) und vorgeschriebenen Zeitrahmen in einer Verfahrensrechtsordnung überhaupt sachdienlich ist, hängt ganz maßgeblich davon ab, welche Materie betroffen ist und wie das Zusammenspiel von Gericht und Parteien beim Betrieb des Verfahrens (etwa Präklusionsvorschriften, gerichtliche Hinweispflichten, Amtsermittlung oder Parteibetrieb) organisiert ist. Es ist nicht möglich, hier in einer Abbildung einen belastbaren Vergleich zu veranschaulichen, aus dem ernsthafte Schlussfolgerungen zur Verbesserung gezogen werden können.
- - Die Bedenken gegenüber der zu diesem Punkt gewählten Darstellung sind umso größer, wenn in dem Schaubild die einzelnen Faktoren aufaddiert und dann in einer Rangfolge dargestellt werden. Es entsteht so
- 6. Die von der Kommission anlässlich des fünfjährigen Bestehens des EU-Justizbarometers formulierten Schlussfolgerungen sind eher allgemeiner Natur und entbehren einer belastbaren Grundlage. In welchem Maß die dort beschriebene Verbesserung der Justizsysteme auf das EU-Justizbarometer zurückzuführen ist, lässt sich kaum beurteilen. Der Bundesrat ist jedenfalls der Auffassung, dass seitens der Kommission weitere Anstrengungen erforderlich sind, um dem selbst gesetzten Anspruch, objektive, zuverlässige und vergleichbare Daten zur Verfügung zu stellen, gerecht zu werden. Die Darstellung sollte sich auf weniger, aber dafür aussagekräftige Indikatoren beschränken, bei denen eine solide Datengrundlage vorhanden ist. Die freigewordenen Kapazitäten könnten dann für die sorgfältige Überprüfung und Validierung der erhobenen Daten mit Hilfe rechtsvergleichender Definitionen der verwendeten Begrifflichkeiten und einer ausführlichen Erläuterung verwendet werden.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, seine Position bei den Verhandlungen im Rat zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass aus dem EU-Justizbarometer keine zusätzlichen Belastungen für die Justiz erwachsen.
- 8. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.