Der Bundesrat hat in seiner 814. Sitzung am 23. September 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat bekennt sich zu dem Grundsatz, dass Diskriminierungen wegen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in einer aufgeklärten, den Grundrechten verpflichteten Gesellschaft keinen Platz haben. Er begrüßt deshalb das Anliegen, Chancengleichheit durch eine Verbesserung der Lebenssituation aller sowie ein steigendes Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum zu fördern.
- 2. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass die wirksame Gewährleistung von Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit nicht nur eine Frage staatlicher Rechtsetzung ist, sondern dass es flankierender Maßnahmen zur Information und Sensibilisierung bedarf, um ein vorurteils- und diskriminierungsfreies gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, auf tief verwurzelte Verhaltensmuster einzuwirken und die tatsächliche Wahrnehmung der gewährleisteten Rechte zu fördern.
- 3. Der Bundesrat weist zugleich darauf hin, dass gemeinschaftliche Fördermaßnahmen auf der Grundlage des Artikels 13 Abs. 2 EGV nicht von der Kommission, sondern vom Rat gemäß dem Verfahren des Artikels 251 EGV zu beschließen sind. Soweit die Kommission eigenständig Maßnahmen ergreifen will, bittet der Bundesrat die Bundesregierung, mit Aufmerksamkeit zu beobachten, ob solche Maßnahmen ihre Entsprechung in einem Kompetenztitel des EGV finden, und gegebenenfalls über den Rat darum besorgt zu sein, dass sich die Kommission an die vertraglichen Vorgaben hält.
- 4. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, von weiteren Legislativvorschlägen auf der Grundlage von Artikel 13 EGV zur weiteren Ausgleichung von Unterschieden im Niveau und Ausmaß des Schutzes gegen Diskriminierungen aus verschiedenen Gründen zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzusehen und vor weiteren Initiativen zu überprüfen, "inwieweit eine Ergänzung des gegenwärtigen rechtlichen Rahmens sinnvoll und durchführbar ist".
- 5. Die Kommission hat ein umfassendes Regelwerk zur Diskriminierungsbekämpfung geschaffen, das vor weiteren rechtsetzenden Schritten der Evaluation bedarf (vgl. auch BR-Drucksache 107/05(B) ).
- 6. Der Bundesrat lehnt eine Ergänzung des gegenwärtigen rechtlichen Rahmens durch eine weitere Verschärfung der gesetzlichen Anforderungen zur Nichtdiskriminierung ab. Nach Einschätzung des Bundesrates sind weitere Erfolge in dem Bemühen um einen Abbau von Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen nur durch flankierende Maßnahmen, die auf eine Bewusstseinsänderung der betroffenen Rechtskreise hinwirken, nicht aber durch weitergehende repressive Rechtsetzungsakte zu erreichen. Als Alternative hierzu sollten vielmehr Mechanismen in Betracht gezogen werden, die stärker auf positive Anreize setzen und die unternehmerische Freiheit und die wirtschaftliche Dynamik nicht nachteilig beeinflussen.
- 7. Der Bundesrat hält es für angebracht, dass die Kommission alle neuen Vorschläge einer umfassenden Folgenabschätzung unterziehen will. Der EG obliegt eine gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Bei der Unterbreitung von Vorschlägen für weitere Rechtsakte ist ein finanzieller und bürokratischer Mehraufwand für Unternehmen und Privatpersonen offen zu legen.
- 8. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, in Verfahren nach Artikel 13 Abs. 1 EGV auf Änderung oder Ergänzung der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2004/113/EG, die ein einstimmiges Vorgehen des Rates erfordern, streng darauf zu achten, dass die Ermächtigungsgrundlage des Artikels 13 Abs. 1 EGV nicht überschritten wird und gewährleistet ist, dass sich Maßnahmen im Rahmen der durch den EGV der EG übertragenen Zuständigkeiten halten, den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen und nur solche Rechtsakte verabschiedet werden, die für die Bürgerinnen und Bürger Europas einen Mehrwert beinhalten. Bei der Annahme von Rechtsakten ist sicherzustellen, dass nicht allein der lediglich akzessorische Artikel 13 EGV als Kompetenzgrundlage zitiert wird, um die Zuständigkeit der EG transparent zu machen. Im Bereich der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ist der Erlass von ergänzenden Rechtsakten auf der Grundlage des Artikels 13 Abs. 1 EGV ausgeschlossen. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Mitwirkung an der Rechtsetzung zu verweigern, soweit eine Kompetenzgrundlage für ein Handeln der EG fehlt. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Zuständigkeit für Maßnahmen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen bei den Mitgliedstaaten liegt (vgl. BR-Drucksache 861/03(Beschluss) unter Ziffer 2). Der Bundesrat wiederholt außerdem seine Auffassung, dass die Förderung der Integration Aufgabe der Mitgliedstaaten ist und eine Gemeinschaftskompetenz nicht besteht (vgl. BR-Drucksache 352/05(Beschluss) unter Ziffer 9).
- 9. Der Bundesrat wird sich an den zur effektiven Realisierung von Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit erforderlichen Schritten auch weiterhin aktiv beteiligen. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien.
- 10. Der Bundesrat bekräftigt jedoch seine Auffassung, dass die gebotene gemeinschaftsrechtskonforme Umsetzung die Rechte des Einzelnen und die berechtigten Anliegen von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem gelungenen Ausgleich bringen muss (vgl. BR-Drucksache 103/05(B) ). Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG vorzulegen, der den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben genügt, ohne die deutsche Wirtschaft mit einem unnötigen finanziellen und bürokratischen Aufwand zu belegen.
- 11. Im Zusammenhang mit den in der Rahmenstrategie genannten Maßnahmen wie dem Zusammentragen von diskriminierungsbezogenen Daten oder dem Handbuch zur Sammlung von Diskriminierungsdaten weist der Bundesrat darauf hin, dass Erhebungen zur Verhinderung struktureller Hindernisse bei Zuwanderern, ethnischen Minderheiten, behinderten Menschen, älteren und jüngeren Arbeitskräften sowie anderen benachteiligten Gruppen nicht die derzeitigen Entbürokratisierungsbestrebungen unterlaufen dürfen.
- 12. Der Bundesrat hat in anderem Zusammenhang (vgl. BR-Drucksache 286/05(B) ) die Absicht der Kommission begrüßt, im Rahmen einer neu einzuleitenden umfassenden Initiative durch den Abbau von Regulierungen die Unternehmen zu entlasten und die wirtschaftliche Entwicklung sowie den Arbeitsmarkt zu stärken. Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, dass auch der Bereich der Bekämpfung von Diskriminierungen in die Bemühungen der Kommission um Deregulierung einzubeziehen ist. Schon der gegenwärtige Rechtsrahmen belastet Unternehmen mit einem erheblichen Dokumentations- und Rechtfertigungsaufwand. Eine darüber hinausgehende Verschärfung der Anforderungen würde sich nachteilig auf Wachstum und Beschäftigung auswirken und sollte deshalb vermieden werden.
- 13. Der Bundesrat betont ferner, dass eine effektive Bekämpfung von Diskriminierungen eine ausreichende Berücksichtigung regionaler Bedürfnisse erfordert. Soweit keine zwingende Notwendigkeit zur Regelung auf Gemeinschaftsebene besteht, sollte deshalb die Möglichkeit zur Anpassung von Strategien zur Bekämpfung von Diskriminierungen an regionale Bedürfnisse im Rahmen einer eigenständigen Entwicklung auf staatlicher und regionaler Ebene bestehen. Eine solche Anwendung des Subsidiaritätsprinzips hat sich - beispielsweise in der Bemühung um die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen - sehr bewährt: Die Bundesrepublik Deutschland hat ein eigenständiges Gesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen erlassen, 13 von 16 Bundesländern haben Landesgesetze erlassen, die sich hieran orientieren, und in drei weiteren Bundesländern steht die Verabschiedung entsprechender Gesetze bevor. Der Bundesrat erinnert auch in diesem Zusammenhang daran, dass die Zuständigkeit für die Behindertenpolitik bei den Mitgliedstaaten liegt (vgl. BR-Drucksache 861/03(Beschluss) ). Die zentrale Rolle regionaler Behörden ist auch bei dem von der Kommission unterstützten Austausch von bewährten Praktiken und bei Kooperationen zuständiger Stellen zu betonen.
- 14. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission flankierende Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierungen unterstützt. Er begrüßt insbesondere, dass Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit im Rahmen eines so genannten "mainstream"-Verfahrens vermittelt werden sollen. Der Bundesrat empfiehlt jedoch, bei der zeitlichen und inhaltlichen Planung des von der Kommission vorgesehenen "mainstream"-Verfahrens Schwerpunkte zu setzen, damit die einzelnen Politikbereiche ihrer Gewichtung entsprechend deutlich wahrgenommen werden.
- 15. Bei den EU-Finanzierungsinstrumenten lehnt der Bundesrat neue Schwerpunkte und damit eine Vorfestlegung des Mittelvolumens ab, bevor über die finanziellen Rahmenbedingungen für den maßgeblichen Zeitraum 2007 bis 2013 entschieden worden ist.
- 16. Der Bundesrat bekräftigt seine Ansicht (BR-Drucksache 107/05(B) ), dass es weiterer Anstrengungen bedarf, um die Nichtdiskriminierung wegen des Geschlechts und die Chancengleichheit von Frauen und Männern zu gewährleisten. Notwendig sind insbesondere die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen, die Unterstützung von Unternehmensgründungen durch Frauen sowie die Einebnung des europaweit bestehenden Einkommensgefälles zwischen Männern und Frauen.
- 17. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission den Acquis Communautaire im Bereich Antidiskriminierung und Chancengleichheit auch im Prozess der EU-Erweiterung sowie in den Beziehungen zu Drittländern und in der internationalen Zusammenarbeit berücksichtigt.