Unterrichtung durch die Bundesregierung
Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Republik Albanien

Auswärtiges Amt Berlin, 22. Juni 2018
Staatsminister für Europa

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Europäische Kommission empfiehlt in ihrer Mitteilung zur Erweiterungsstrategie 2016 - 2018 vom 17. April 2018, Beitrittsverhandlungen mit Albanien auf der Basis der erzielten Fortschritte aufzunehmen. Sie würdigt damit die weiterhin stetigen Fortschritte der albanischen Regierung bei der Umsetzung von Reformen in Schlüsselbereichen von Verwaltung, Justiz, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität sowie Menschenrechten.

Die Europäische Kommission unterstreicht, dass die derzeitige Reformdynamik im wichtigen Bereich der Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und zu verstärken ist und weiter konkrete und greifbare Ergebnisse bei der Überprüfung der Richter und Staatsanwälte zu erzielen sind.

Die Europäische Kommission bestätigt Albanien Fortschritte bei der Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten. Albanien hat die Angleichung seiner Rechtsvorschriften an die Anforderungen der EU in einer Reihe von Bereichen fortgesetzt und damit seine Fähigkeit zur Übernahme der aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen gestärkt.

Die umfassende Analyse der Europäischen Kommission zur Reformbilanz, die dem strikten Prinzip der Beurteilung ausschließlich nach eigenen Leistungen folgt, entspricht der Einschätzung der Bundesregierung. In den letzten Jahren hat das Land tiefgreifende Reformen, insbesondere im Justizbereich, auf den Weg gebracht.

Aus Sicht der Bundesregierung spricht die Reformbilanz Albaniens insgesamt für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Dabei sollten weitere substantielle Schritte Albaniens zur Umsetzung der Justizreform zur Bedingung für die Einberufung der ersten Beitrittskonferenz gemacht werden. Eine Zustimmung mit den genannten Maßgaben wäre das notwendige positive Signal an die albanische Politik und Öffentlichkeit, den Reformkurs auch gegen politischen Druck von innen und außen fokussiert fortzusetzen.

Die Bundesregierung ist wegen des fortdauernden Bedarfs an weitreichenden Reformen in Albanien der Auffassung, dass die Zustimmung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen nur unter der Voraussetzung geschehen kann, dass weitere Bedingungen vor der ersten Beitrittskonferenz erfüllt sein müssen, namentlich: Das Vetting der als prioritär eingestuften Richter und Staatsanwälte und Entfernung negativ überprüfter Personen aus dem Dienst muss abgeschlossen sein, und die albanische Regierung muss ein Gesetz für eine Wahlrechtsreform vorlegen, die OSZE/ODIHR-Empfehlungen entspricht sowie eine transparente Parteien- und Wahlkampffinanzierung sicherstellt.

Darüber hinaus müssen vor ersten Kapitelöffnungen weitere Bedingungen erfüllt sein, namentlich die Umsetzung der Wahlrechtsreform, die Einleitung von Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte, denen im sog. Vetting-Prozess strafbares Verhalten vorgeworfen wird; die Einsetzung der Spezialstruktur zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität (SPAK); verstärkte Anstrengungen zur Sicherstellung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofes und SPAK durch Ausstattung mit einer angemessenen Anzahl überprüfter Richter und Staatsanwälte; solide Fortschritte zur Schaffung einer Erfolgsbilanz bei der Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität auf allen Ebenen; greifbare Fortschritte bei der Verwaltungsreform, einschließlich der Überprüfung der Einstellungen von hochrangige Beamten und Direktoren, auch mit Blick auf Vorwürfe zu Unregelmäßigkeiten; verstärkte Fortsetzung der Bekämpfung des Drogenhandels und Drogenanbaus in Albanien durch geeignete Maßnahmen, die auf eine dauerhafte Unterbindung des Drogenanbaus abzielen.

Der Verhandlungsrahmen sollte vorsehen, dass der Rat die Erfüllung dieser Voraussetzungen jeweils feststellen muss.

Um die anhaltenden Herausforderungen vor allem im Bereich Rechtsstaatlichkeit zu bewältigen, ist es aus Sicht der Bundesregierung außerdem unerlässlich, die Verhandlungen mit den prioritären Kapiteln zur Rechtsstaatlichkeit (Kapitel 23 und 24, Justiz, Grundrechte und innere Angelegenheiten) zu eröffnen, diese kontinuierlich abzuarbeiten und weitere Verhandlungsfortschritte von Fortschritten in diesen Kapiteln abhängig zu machen.

Albanien soll wie andere Beitrittskandidaten im Verhandlungsprozess auch verpflichtet werden, Aktionspläne für Reformen vorzulegen, deren Umsetzung die Europäische Kommission kontinuierlich prüfen und über die sie regelmäßig berichten wird. Die Bundesregierung wird ihrerseits den Bundestag regelmäßig über Fortschritte im Implementierungsprozess unterrichten.

Die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten hat bereits signalisiert, dass sie baldmöglichst eine Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen anstrebt. Die bulgarische EU-Ratspräsidentschaft hat deutlich gemacht, dass sie baldmöglichst eine Entscheidung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen herbeiführen will und strebt hierfür die Befassung des Rates für Allgemeine Angelegenheiten am 26. Juni 2018 und des Europäischen Rates am 28./29. Juni 2018 an.

Das Auswärtige Amt steht den zuständigen Gremien des Bundesrats jederzeit für eine weitergehende Unterrichtung und Aussprache zur Verfügung. Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer fortlaufenden Unterrichtung den Bundesrat kontinuierlich über die weitere Entwicklung der Vorgänge informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth