985. Sitzung des Bundesrates am 14. Februar 2019
A
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa (§ 201a Absatz 1 Nummer 4 StGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit die Regelung in § 201a Absatz 1 Nummer 4 StGB-E einer weitergehenden tatbestandlichen Eingrenzung, insbesondere durch ein Absichtserfordernis, bedarf, um der Gefahr zu begegnen, auch nicht hinreichend strafwürdige Verhaltensweisen zu erfassen.
Begründung:
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Einführung einer neuen Nummer 4 in § 201a Absatz 1 StGB vor, wonach sich strafbar macht, wer von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterbekleidung einer anderen Person unbefugt eine Bildaufnahme herstellt oder überträgt, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind. Damit will die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf insbesondere die Fälle des sogenannten Upskirtings (Bildaufnahmen unter den Rock) und Downblousings (Bildaufnahmen in den Ausschnitt) erfassen.
Insbesondere dadurch, dass die genannte Regelung im subjektiven Bereich jegliche Vorsatzform und damit auch den bedingten Vorsatz ausreichen lässt, besteht die Gefahr, dass auch nicht hinreichend strafwürdige Verhaltensweisen erfasst werden. In den Anwendungsbereich der Vorschrift geraten dabei durchaus alltägliche Fotografien, wie beispielsweise Aufnahmen von Personen, die leicht bekleidet auf einer Treppe sitzen. Wer hier, obgleich unbeabsichtigt, die Unterhose einer mit kurzem Rock bekleideten Frau mit fotografiert, geriete zukünftig schon in die Gefahr, zum Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens zu werden. Gleiches gilt etwa für Fotos, die von einem erhöhten Standpunkt nach unten in Richtung der dort anwesenden Menschen gemacht werden und bei denen sich sonst nicht zugängliche Einblicke in weit ausgeschnittene Blusen ermöglichen (zur tatbestandlichen Erfassung vergleiche Begründung, Teil A, Ziffer I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen, dritter Absatz).
Zu denken ist ferner an Fälle, in denen leicht bekleidete Prominente ungeschickt aus einem Auto aussteigen und dabei von der anwesenden Presse fotografiert werden.
Die Beispielsfälle zeigen, dass es vor allem eine Frage des Standorts und des Blickwinkels wie auch des Bewegungsverhaltens des Betroffenen ist, ob bestimmte Körperbereiche sichtbar sind. Auch wenn derartige Bereiche grundsätzlich sichtgeschützt sind, können sie aus den vorgenannten Gründen im Einzelfall offen zu Tage treten, ohne dass der Fotograf die Herbeiführung oder Ausnutzung einer solchen Situation intendiert hat. Das Merkmal des gegen Anblick geschützten Körperbereichs ermöglicht daher noch keine hinreichend sichere Ausgrenzung nicht strafwürdiger Verhaltensweisen, wenn für die Strafbarkeit bereits bedingter Vorsatz ausreichend ist.
Für die Fälle der Bildaufnahmen, die von der weiblichen Brust oder der diese bedeckenden Unterbekleidung gemacht werden, kommt hinzu, dass bereits die Abgrenzung des geschützten Bereichs mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Wie sich aus dem Gesetz ergibt (siehe § 184b Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c StGB), können insoweit gegenüber den anderen beiden Bereichen (Genitalien, Gesäß) bereits auch ganz grundsätzlich Unterschiede im Schutzbedarf gezogen werden.
Über die Fälle der sogenannten Sozialadäquanzklausel in § 201a Absatz 4 StGB kann diese Weite des Tatbestands nicht hinreichend und nicht auf sachgerechte Weise eingegrenzt werden. Die vorgenannten Fälle würden hiervon nicht erfasst und wären damit - bedingten Vorsatz vorausgesetzt - strafbar.
Um eine weitergehende rechtsstaatliche Konturierung zu erreichen, ist insbesondere zu erwägen, die Strafbarkeit an ein absichtliches Handeln des Täters anzuknüpfen, wie dies der Regelungsvorschlag des Bundesrates "Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereichs (sog. Upskirting)" in BR-Drucksache 443/19(B) vorsieht.
2. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa (§ 201a Absatz 1 Nummer 4 StGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Strafvorschrift der unbefugten Bildaufnahme von Genitalien, Gesäß oder weiblicher Brust in den 13. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" einzustellen ist.
Begründung:
Die unbefugte Bildaufnahme von Genitalien, Gesäß oder weiblicher Brust - im Folgenden unter dem Schlagwort "Upskirting" zusammengefasst - weist eine gewisse Nähe zur sonstigen "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen" auf, die in § 201a StGB unter Strafe gestellt ist. Dennoch sprechen gewichtige Gesichtspunkte dafür, einen Straftatbestand gegen das "Upskirting" in den 13. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" einzustellen, wie das der Gesetzentwurf des Bundesrates "Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Strafbarkeit der Bildaufnahme des Intimbereichs (sog. Upskirting)" vom 8. November 2019 in Drucksache 443/19(B) vorschlägt.
Im Vorblatt des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird am Ende des Abschnitts "C. Alternativen" davon ausgegangen, dass bei entsprechenden Handlungen die Verletzung des Rechts am eigenen Bild als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Vordergrund stehe. Das entspricht aber nicht der Wahrnehmung der Opfer des "Upskirtings". Diese sehen sich in ihrem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verletzt. Diesem ist das Recht des Einzelnen zuzuordnen, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden (vergleiche Schönke/Schröder-Eisele, StGB, 30. Auflage 2019, Vor §§ 174 ff. Rn. 1b). Dazu gehört auch das Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob und in welcher Weise eine Person durch die Abbildung ihrer Genitalien, ihres Gesäßes oder gegebenenfalls ihrer Brüste zum Gegenstand sexuell konnotierter Betrachtung durch andere werden will. Durch das "Upskirting" missachtet der Täter dieses Recht, indem er sich und gegebenenfalls Dritten unerlaubt den Blick auf diese Körperbereiche verschafft und diesen Anblick in der Regel durch eine Speicherung der Aufnahme fixiert. Nicht selten werden die Aufnahmen über das Internet anderen zugänglich gemacht, was die Rechtsverletzung vertieft.
In den meisten Fällen liegt der Tat eine sexuelle Motivation zugrunde, sei es, dass sich der Täter bereits durch die Aufnahmesituation sexuellen Lustgewinn verschaffen will, sei es, dass er selbst oder ein Dritter, dem die Aufnahme zugänglich gemacht wird, sich durch die Betrachtung der Aufnahme sexuellen Lustgewinn verschaffen will. Unabhängig vom konkreten Motiv des einzelnen Täters sehen sich die Opfer durch dieses Verhalten zum Gegenstand der sexuellen Phantasien anderer herabgewürdigt. Auch der allgemeinen Vorstellung vom Tatbild entspricht es, im "Upskirting" einen Angriff auf die Sexualsphäre der Betroffenen zu sehen.
Bei Taten, die typischerweise eine sexuelle Komponente haben, sollte der Gesetzgeber durch die Einstellung der Strafnorm in den 13. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs zum Ausdruck bringen, dass er das Tatgeschehen als Sexualdelikt erfassen und sanktionieren will. Dieser Aspekt war ein wesentliches Argument für die Einführung des § 184i StGB "sexuelle Belästigung" im November 2016. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass selbst wenn das "Begrapschen" von Frauen im Einzelfall als Beleidigung oder Körperverletzung verfolgbar war, damit der Angriff auf die Sexualsphäre der Opfer nicht zum Ausdruck kam, weshalb es der Schaffung eines Sexualdelikts bedurfte. Dieser Gesichtspunkt liegt auch dem jüngst vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings (BR-Drucksache 025/20 (PDF) ) zugrunde, soweit dort die Subsidiaritätsklausel des § 184i Absatz 1 StGB auf Straftaten des 13. Abschnitts des besonderes Teils des Strafgesetzbuchs beschränkt wird. Denn nach der geltenden unbeschränkten Subsidiaritätsklausel tritt die sexuelle Belästigung beispielsweise zurück, wenn der Täter die sexuelle Berührung zu einem Diebstahl ausnutzt, obwohl aus Sicht des Opfers der Eingriff in die Sexualsphäre den Schwerpunkt bildet.
Strafbarkeitslücken sind durch die Ausgestaltung als Sexualdelikt auch für die Fälle nicht zu befürchten, in denen sich eine sexuelle Motivation des Täters im Einzelfall nicht feststellen lässt, zum Beispiel wenn die Aufnahme im Rahmen einer "Mutprobe" gefertigt wurde. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 13. März 2018 (4 StR 570/17), in welchem er sich grundlegend mit der Auslegung des § 184i StGB befasst hat, herausgearbeitet, dass eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h StGB wie auch die körperliche Berührung "in sexuell bestimmter Weise" nach § 184i StGB eine sexuelle Motivation des Täters nicht voraussetze (insbesondere Randnummer 31 bis 33). So seien gerade Griffe an das Geschlechtsteil oder Gesäß einer anderen Person häufig nicht sexuell motiviert, sondern dienten der Beleidigung, Belästigung oder Provokation. An der Beeinträchtigung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung ändere sich dadurch nichts. Dies kann auf den regelmäßig sexuell motivierten, berührungslosen visuellen Zugriff auf die Sexualsphäre einer anderen Person durch eine unbefugte Bildaufnahme von Genitalien, Gesäß oder weiblicher Brust übertragen werden.
Die phänomenologische Nähe des "Upskirtings" zu den bisher von § 201a StGB erfassten, den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Bildaufnahmen spricht nicht gegen eine Zuordnung des "Upskirtings" zu den Sexualdelikten. Im bisherigen Anwendungsbereich des § 201a StGB können den unbefugten Bildaufnahmen ganz unterschiedliche Motivationen der Täter zugrunde liegen. Selbst bei einer den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Aufnahme einer Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, ist ein sexuell motivierter Eingriff nur eine von verschiedenen Möglichkeiten der Beeinträchtigung eines Opfers. Demgegenüber handelt es sich beim "Upskirting" um ein Verhalten, das schon durch die Art des Vorgehens auf dem Sexualbereich zuzuordnende Körperregionen bezogen ist und bei dem sich im Regelfall eine sexuelle Motivation aufdrängt. Diese spezielle Konstellation rechtfertigt es, das "Upskirting" losgelöst von § 201a StGB im 13. Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs zu regeln.
B
3. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.