966. Sitzung des Bundesrates am 23. März 2018
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Finanzausschuss (Fz) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die auf dem Bericht der fünf Präsidenten und den 2017 ergangenen Reflexionspapieren aufbauende Mitteilung der Kommission, mit der neue Haushaltsinstrumente vorgeschlagen werden, um die EU krisenfester und stabiler zu machen.
- 2. Wie die Kommission sieht auch der Bundesrat Handlungsbedarf für eine Reform der EU-Finanzen. Er verweist darauf, dass sich mögliche Handlungsoptionen an dem Subsidiaritätsprinzip orientieren müssen und die Komplexität der Verfahren auf europäischer Ebene nicht erhöht werden darf.
- 3. Der Bundesrat stellt fest, dass eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion dazu genutzt werden muss, die Stabilität der Eurozone auszubauen. Dies gilt für Zeiten einer guten konjunkturellen Entwicklung und für Krisenzeiten gleichermaßen.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass auch bei einer Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) die finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten im Vordergrund stehen muss.
- 5. Der Bundesrat betont, dass die Instrumente zur Stabilisierung der WWU nur für den möglichen Krisenfall geschaffen wurden.
- 6. Nach Auffassung des Bundesrates muss die Leitlinie zur Stabilisierung der WWU eine konsequente Einhaltung des Finanz- und Fiskalpaktes sein.
- 7. Die zur Stärkung der Konvergenz vorgeschlagenen Instrumente - insbesondere die Fortentwicklung der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters - bieten vor diesem Hintergrund zielführende Ansätze. Allerdings muss hierbei der Empfehlungscharakter beibehalten werden. Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass die Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten nicht in unangemessener Weise eingeschränkt und länderspezifischen Besonderheiten in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird.
- 8. Die Schaffung neuer Fonds oder neuer Instrumente zur Unterstützung von Reformzusagen wird als nicht zielführend erachtet. Dabei steht der Bundesrat einer echten, aus dem EU-Haushalt finanzierten Strukturhilfe für Mitgliedstaaten in der Krise positiv gegenüber, wenn diese auf EU-Ebene durch die Mitgliedstaaten (ECOFIN-Rat) bewilligt und kontrolliert wird. Nur dieser Weg gewährleistet das unerlässliche Prinzip eines Gleichlaufs von Handeln und Haften auf EU-Ebene.
- 9. Der Bundesrat begrüßt das Vorhaben der Kommission, die Vergabe von EU-Mitteln künftig stärker an die Umsetzung von Strukturreformen zu binden. Er weist darauf hin, dass entsprechende Instrumente anreizkompatibel ausgestaltet sein müssen und nicht zu Mitnahmeeffekten oder zur Verdrängung privater Investoren führen dürfen. Der administrativen Begleitung und der Kontrolle von geförderten Strukturreformen sollte künftig ein höherer Stellenwert zukommen.
- 10. Die vorgeschlagene makroökonomische Stabilisierungsfunktion wird dagegen vom Bundesrat kritisch gesehen. Die Bekämpfung asymmetrischer Schocks sollte - entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip - möglichst durch konsequente Einhaltung der Fiskalregeln sowie vorausschauende Politik durch die Mitgliedstaaten erfolgen. Die in den geltenden Regeln vorgesehenen Spielräume und die Möglichkeit, bei kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten vorsorgliche ESM-Hilfen zu erhalten, bieten ein ausreichendes Instrumentarium für die Bewältigung von Schocks. Bei der vorgeschlagenen makroökonomischen Stabilisierungsfunktion besteht die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten angesichts bereitstehender EU-Mittel ihr nationales Potential zur Vermeidung und Bekämpfung eines Wirtschaftsabschwungs weniger ausschöpfen und möglicherweise auch notwendige Reformanstrengungen vermindern. Der Bundesrat ist zudem der Auffassung, dass die Priorität auf den Aufbau fiskalischer Puffer auf nationaler Ebene zu legen ist und der Schuldenabbau jetzt vorangebracht werden muss.
- 11. Ein makroökonomischer Stabilisierungsmechanismus entspricht nach Auffassung des Bundesrates einer gemeinsamen Verantwortung der Eurostaaaten im Krisenfall. Dabei steht die EU für Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Das Prinzip der wechselseitigen Solidarität muss auch für den EU-Haushalt gelten.
- 12. Der makroökonomische Stabilisierungsmechanismus stellt eine Reaktion darauf dar, dass die einheitliche Geldpolitik die makroökonomische Handlungsfähigkeit der Staaten einschränkt. Dies kann sich gerade bei wirtschaftlichen Krisen negativ auf die Anpassungsfähigkeit der Eurostaaten und ihrer Volkswirtschaften auswirken.
- 13. Ein makroökonomischer Stabilisierungsmechanismus kann nach Auffassung des Bundesrates auf europäischer Ebene den Folgen eines asymmetrischen wirtschaftlichen Schocks wie einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage oder einem Anstieg der Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Er kann dazu beitragen, dass Mitgliedstaaten kontraktive Maßnahmen vermeiden und die Investitionstätigkeit auf nationaler Ebene stützen können. Zudem kann er Spekulationsanreize bei höheren krisenbedingten Defizit- und Schuldenstandspositionen vermindern.
- 14. Ein makroökonomischer Stabilisierungsmechanismus ist nach Auffassung des Bundesrates kein Ersatz für eigene Anpassungsmaßnahmen und darf keinen Anreiz bieten, auf die Entwicklung nationaler Potenziale zur Vermeidung und Bekämpfung wirtschaftlicher Schocks zu verzichten. Der Zugang muss an strikte, vordefinierte Kriterien gebunden sein, wie dies die Kommission vorgeschlagen hat. Hierzu zählen die Einhaltung der Fiskalregeln und die Vorgaben des Europäischen Semesters. Damit würde die Funktion einen zusätzlichen Anreiz für die Einhaltung einer soliden Haushalts- und Strukturpolitik schaffen.
- 15. Der Bundesrat weist darauf hin, dass für den Krisenfall bereits geeignete Instrumente zur Abfederung von makroökonomischen Schocks bereitstehen (zum Beispiel ESM). Sofern ein weiteres EU-Haushaltsinstrument zur Absorption von Schocks, die nur einzelne Mitgliedstaaten treffen, geschaffen wird, ist dabei strikt darauf zu achten, dass dadurch keine Anreize gesetzt werden, Reformanstrengungen zu vernachlässigen. Der Bundesrat betont, dass die Schaffung eines weiteren Hilfsinstruments keinesfalls zu dauerhaften Transfers und zur Vergemeinschaftung fiskalischer Risiken führen darf.
- 16. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, in den zuständigen Gremien Vorschläge für die Finanzierung einer Stabilisierungsfunktion zu machen. Die bisherigen Vorschläge der Kommission sind komplex und bedürfen der Konkretisierung. Demokratische Kontrolle und Rechenschaftspflicht müssen gewährleistet sein.
- 17. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass von den vorgeschlagenen Alternativen für eine Stabilisierungsfunktion ein "Schlechtwetterfonds" diese Risiken minimiert, wenn er richtig ausgestaltet wird. Insbesondere muss die Auszahlung an strenge Bedingungen geknüpft sein und, analog zu ESM-Hilfsprogrammen, einstimmig durch alle einzahlenden Mitgliedstaaten beschlossen werden.
- 18. Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich die Förderzwecke "Strukturreformen" und der Europäische Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) ganz grundsätzlich unterscheiden und daher nicht durch eine Verknüpfung auf operativer Ebene vermischt werden dürfen. Insbesondere darf der ESIF nicht zur Finanzquelle für einen neuen Förderzweck werden, da dies die Gefahr des Mittelverlusts auf der Ebene der Regionen/Länder birgt. Soll zur Anreizsetzung für Strukturreformen ein eigenes Instrument geschaffen werden, darf dieses finanziell nicht zu Lasten der eigentlichen ESIF-Förderung gehen; auch nicht nach 2020.
- 19. Die von der Kommission geforderte Schaffung einer gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds ("Backstop") ist ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer echten Bankenunion. Ein solcher Backstop berührt allerdings in besonderem Maße die Haushaltsinteressen der Mitgliedstaaten. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass zunächst ein Risikoabbau erfolgen muss, bevor es eine Risikoteilung geben kann.
- 20. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Einführung einer Letztsicherung für die gemeinsame Bankenabwicklung erst nach einer vorangegangen deutlichen Risikoreduzierung bei den Banken geprüft werden darf. Die Einführung einer Letztsicherung darf nicht die Anreize in den Mitgliedstaaten verwässern, die Bankensysteme zu reformieren und zu stabilisieren.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, seine Stellungnahme in ihren Stellungnahmen an die EU gemäß § 5 Absatz 2 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen.
- 22. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.