Der Bundesrat hat in seiner 982. Sitzung am 8. November 2019 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates für den umfassenden Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien
- 1. Der Bundesrat betont die zentrale Bedeutung von "grünem" Wasserstoff als Wegbereiter für die sektorübergreifende Umsetzung der Klimaschutzziele. Aus erneuerbaren Energien erzeugter Wasserstoff bietet die Möglichkeit, die Defossilierung in Sektoren umzusetzen, die einer direkten Elektrifizierung aus technischen oder ökonomischen Gründen nur schwer zugänglich sind. "Grüner" Wasserstoff kann dafür direkt oder weiterverarbeitet in Form von synthetischem Gas (zum Beispiel Methan) oder synthetischem flüssigen Kraftstoff (zum Beispiel Methanol) genutzt werden. Als Bindeglied zwischen Strom- und Gassektor bietet "grüner" Wasserstoff zudem die Möglichkeit, künftig zwei Wege zum Transport von erneuerbaren Energien zu nutzen. Auf diese Weise kann das erhebliche volkswirtschaftliche Kapital der Gastransport- und Gasspeicherinfrastruktur effizient in den Wandel der Energieerzeugung eingebunden werden.
- 2. Der Bundesrat hebt hervor, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien auch vielfältige Chancen für den Wirtschafts- und Industriestandort bietet. "Grüner" Wasserstoff spielt dabei nicht nur für die Versorgung mit Energie und Kraftstoffen eine wichtige Rolle, sondern ist auch unabdingbar für die Transformation der energieintensiven Grundstoffindustrien, wie etwa der Chemie-, Stahl-, Papier- oder Glasindustrie, hin zur Klimaneutralität. Aus Sicht des Bundesrates ist "grüner" Wasserstoff daher ein Schlüsselrohstoff für eine auf Wachstum und Klimaschutz ausgerichtete Industrie. Dabei ist zu beachten, dass der grüne Wasserstoff nicht zwingend aus heimischer Produktion stammen muss, sondern gegebenenfalls auch importiert werden kann, sofern eine entsprechende EU-weit greifende Methodik und Zertifizierungssysteme etabliert werden.
- 3. Vor diesem Hintergrund bekräftigt der Bundesrat seine Beschlüsse vom 23. November 2018 (vergleiche BR-Drucksache 563/18(B) , Ziffer 3) sowie vom 15. Februar 2019 (vergleiche BR-Drucksache 013/19(B) , Teil B) zur Unterstützung der Herstellung und Nutzung von "grünem" Wasserstoff und zum Erfordernis einer bundesweiten Wasserstoffstrategie. Der Bundesrat begrüßt daher ausdrücklich die zwischenzeitliche Ankündigung der Bundesregierung, eine nationale Wasserstoffstrategie aufzulegen, und bittet die Bundesregierung, die Länder umfassend in diesen Prozess einzubinden. Zudem bittet der Bundesrat die Bundesregierung, vorhandene Wasserstoffstrategien der Länder bei der Erarbeitung der nationalen Wasserstoffstrategie zu berücksichtigen und wirksam zu unterstützen.
- 4. Der Bundesrat hält insbesondere die nachfolgenden Maßnahmen für den konsequenten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien für notwendig und bittet die Bundesregierung:
- a) Von essentieller Bedeutung sind faire Marktchancen für "grünen" Wasserstoff. Die Wettbewerbsfähigkeit von "grünem" Wasserstoff ist über eine Reform der Steuern und Umlagen im Energiesektor gezielt und wirksam zu stärken. Hierbei ist ein rechtsverbindlicher Investitionsrahmen mindestens für den Zeitraum der Abschreibung der Anlagen erforderlich und ebenso die Bereitstellung von Fördermitteln, um Kostendegressionen bei der Herstellung und Nutzung von Elektrolyse-Anlagen realisieren zu können.
- b) Die energie- und klimapolitisch angestrebte Zielsetzung, bis 2030 mindestens 65 Prozent der Stromversorgung über erneuerbare Energien zu decken, ist schnellstmöglich gesetzlich zu verankern und die zusätzlichen Bedarfe an regenerativem Strom für die Produktion von Wasserstoff sind unverzüglich über eine angemessene Ausweitung der jährlichen Kontingente für die Ausschreibung erneuerbarer Energien zu berücksichtigen. Dabei sollte das den Windenergieausbau beschränkende Netzausbaugebiet entfallen und ein Mechanismus zur regionalen Verteilung des Windenergieausbaus gefunden werden.
- c) Die Bundesregierung sollte sich für den Erhalt und Ausbau der vorhandenen Infrastruktur zum Transport und zur unterirdischen Speicherung von Wasserstoff sowie die Bereitstellung der Infrastruktur zum Import von "grünem" Wasserstoff über deutsche Häfen einsetzen.
- d) Ausgehend von bereits heute nahezu flächendeckend möglichen Beimischungen von knapp 10 Prozent ist eine kontinuierlich ansteigende Beimischungsquote unter Beachtung fortlaufend zu evaluierender systemtechnischer Grenzen für "grünen" Wasserstoff und erneuerbares Methan in den Gasversorgungsnetzen festzulegen.
- e) Die regulatorischen Hindernisse aus dem Emissionshandel für die Produktion synthetischer Gase oder Flüssigtreibstoffe (wie Methan oder Methanol) aus "grünem" Wasserstoff und CO₂ sind zu beseitigen, beispielsweise mittels Anrechnung oder Gutschriften der Zertifikate im Rahmen des ETS.
- f) Für Raffinerien sind baldmöglichst die Voraussetzungen zu schaffen, um die Anrechnung von "grünem" Wasserstoff im Produktionsprozess zu ermöglichen und den sich aus der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) ergebenden Spielraum für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft zu nutzen. Dafür sind eine EU-weit greifende Methodik und entsprechende Zertifizierungssysteme zu etablieren.
- g) Die Förderprogramme für die Entwicklung und Nutzung alternativer, auf erneuerbaren Energien basierender Antriebe und klimaschonender Treibstoffe sowie emissionsarmer Fahrzeuge sind konsequent daraufhin zu überprüfen, ob sie dazu beitragen, die klimaschutzpolitischen Zielsetzungen zu erreichen und gemäß den Prüfergebnissen weiter zu entwickeln.
- h) Die Bundesregierung sollte sich auf europäischer Ebene für einen Rechtsrahmen einsetzen, der den Einsatz von emissionsarmen Schwerlastfahrzeugen innerhalb der Mautsysteme erleichtert und unterstützt.
- i) Es ist ein Marktanreizprogramm für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft (beispielsweise für Investitionen in Brennstoffzellen und Elektrolyseure) zu entwickeln.
- j) Aufgrund der im Vergleich zu anderen Sektoren hohen Energie- und Kosteneffizienz ist eine Nutzung von "grünem" Wasserstoff durch hocheffiziente Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) im Gebäudebereich durch den Erhalt, die Weiterentwicklung sowie den Ausbau von Förderprogrammen besonders zu unterstützen.
- 5. Der Bundesrat sieht große Potentiale für die Nutzung von "grünem" Wasserstoff im Schienenverkehr in Bereichen, in denen sie der Direktnutzung von Elektrizität aus volkswirtschaftlicher und klimapolitischer Sicht überlegen ist, und hält dazu folgende Maßnahmen für notwendig:
- a) Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass Strom zur Erzeugung von "grünem" Wasserstoff, der für den Betrieb von Schienenbahnen eingesetzt wird, hinsichtlich Steuern, Abgaben und Umlagen gleichbehandelt werden sollte wie Strom, der zum direkten Betrieb von elektrischen Schienenbahnen eingesetzt wird. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, insbesondere die Voraussetzungen für die Befreiung von Strom von der EEG-Umlage vorzusehen, der für die Erzeugung von "grünem" Wasserstoff zur Nutzung im Schienenverkehr eingesetzt wird.
- b) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass es angemessener Rahmenbedingungen zum Aufbau der für den Schienenverkehr erforderlichen Wasserstoffinfrastruktur bedarf. Dies gilt insbesondere für Elektrolyseure zur Herstellung von "grünem" Wasserstoff zum Betrieb von Schienenfahrzeugen, für Verdichterstationen und für Tankstellen für brennstoffzellenbetriebene Schienenfahrzeuge. Außerdem ist die für den Schienenverkehr erforderliche Wasserstoffinfrastruktur als Teil der Bahninfrastruktur zu betrachten. Der Bundesrat sieht insoweit, ebenso wie bei der Infrastruktur für die Bahnstromversorgung, den Bund im Rahmen seiner Verantwortung für die Eisenbahnen des Bundes in der Pflicht.
- 6. Der Bundesrat sieht darüber hinaus die anstehende Weiterentwicklung des europäischen Gasmarktdesigns unter Berücksichtigung der zunehmenden Verzahnung der Sektoren, des Europäischen Emissionshandelssystems im Hinblick auf Carbon Capture and Utilization (CCU) sowie die Fortschreibung der europäischen Regeln für Beihilfen im Energie- und Umweltbereich als wichtige Chancen, um den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft auf Basis erneuerbarer Energien effektiv zu unterstützen. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, einen zentralen energiepolitischen Schwerpunkt der im Juli 2020 beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Handlungsbedarfe im Bereich "grüner Wasserstoff" zu legen.