COM (2018) 337 final; Ratsdok. 9498/18
Der Bundesrat hat in seiner 970. Sitzung am 21. September 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Zielsetzung der Kommission, Antworten auf die Herausforderungen der Wasserknappheit zu finden und die effiziente Bewirtschaftung von Wasserressourcen zu unterstützen.
- 2. Die Wiederverwendung gereinigten Abwassers ist für einige Mitgliedstaaten ein wichtiges Instrument, um der Wasserknappheit zu begegnen. Sie sollte jedoch erst in Betracht gezogen werden, wenn vorrangig ein effizienter und sparsamer Wasserverbrauch sichergestellt ist. Vor diesem Hintergrund bedauert der Bundesrat, dass eine Hierarchie der Lösungsansätze mit einem Vorrang auf Wassersparen und Effizienzsteigerung, wie sie noch Gegenstand der Kommissionsmitteilung "Antworten auf die Herausforderung von Wasserknappheit und Dürre" (BR-Drucksache 524/07 (PDF) ) war, keinen Eingang in die vorgeschlagene Verordnung gefunden hat.
- 3. Der Bundesrat erkennt an, dass die Kommission mit dem vorliegenden Vorschlag darum bemüht ist, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die gesamte EU im Bereich der Wasserwiederverwendung zu schaffen. Der vorliegende Verordnungsvorschlag berücksichtigt jedoch nicht den höchst unterschiedlichen Bedarf für eine Wiederverwendung in Europa. So spielt die Frage der unmittelbaren Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser etwa für Deutschland keine wesentliche Rolle. Für Mitgliedstaaten ohne Wasserknappheit wird es als zielführender angesehen, das gereinigte Abwasser wieder in die Fließgewässer einzuleiten und damit unter Nutzung der Selbstreinigungskräfte des Gewässers dem natürlichen Wasserkreislauf wieder zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesrat hält daher das gewählte Instrument einer Verordnung, die in der vorliegenden Form zahlreiche ausfüllungsbedürftige Regelungen enthält, für nicht geeignet. Nach seiner Auffassung sollte ein geeignetes Instrument, etwa eine Leitlinie, gewählt werden. Hierbei könnte den Mitgliedstaaten die Zulassung der Wiederverwendung von Abwasser als eine Option eröffnet werden.
- 4. Unabhängig von der gewählten Rechtsform weist die Vorlage eine Vielzahl von Unklarheiten auf, die eine fundierte Bewertung ausschließen. Dies betrifft Fragen wie etwa die Rechtsnatur der Zulassung oder die Möglichkeit strengerer Anforderungen. So ist zum Beispiel unklar, an welche Kriterien die strengeren Anforderungen nach Anhang II Nummer 5 des Verordnungsvorschlags geknüpft werden können oder sollen. Dies lässt erhebliche Differenzen im Verwaltungsvollzug der einzelnen Mitgliedstaaten befürchten.
- 5. Auch im Hinblick auf das Risikomanagement des Betreibers gibt es zahlreiche offene Fragen. So ist unklar, wie mit Vorsorgemaßnahmen umzugehen ist, die der Betreiber in den Risikomanagementplan aufnehmen soll, die aber außerhalb seiner Kenntnis- und vor allem Einflusssphäre liegen, wie etwa die Vorsorgemaßnahmen der Tabelle 1.
- 6. Weiterhin bleibt unverständlich, dass der Verordnungsvorschlag zwar die Wiederverwendung durch den Betreiber bis zur Abgabe regelt, die Anwendung dann jedoch unreguliert lässt. Maßgebend für die Einhaltung der Mindestanforderungen ist jedoch die ordnungsgemäße Verwendung in der Landwirtschaft. Die Anforderungen unterscheiden sich je nach Güteklasse und damit verbundener Pflanzenkategorie erheblich.
- 7. Unter Würdigung des Vorsorgeprinzips wünscht sich der Bundesrat eine deutlich stärkere Berücksichtigung des Gewässer- und Bodenschutzes. So sind zwar eine Zweitbehandlung und Desinfektion sowie bei Güteklasse A eine Filtration vorgesehen. Die Mindestanforderungen hinsichtlich der stofflichen Anforderungen bleiben aber insbesondere für die Güteklassen B bis D hinter den Anforderungen der Kommunalabwasserrichtlinie zurück, da kein CSB-Wert festgelegt wird. Dies wird auch nicht durch Anhang II des Verordnungsvorschlags ausgeglichen, wonach die Kommunalabwasserrichtlinie zu berücksichtigen ist, da eine Berücksichtigung eine schwächere Vorgabe gegenüber einem Grenzwert darstellt. Die geringeren Anforderungen könnten auch als Anreiz verstanden werden, Wasser auch dann wiederzuverwenden, wenn dies nicht aus Gründen der Wasserknappheit erforderlich ist.
- 8. Auch in weiteren Bereichen sind nach Auffassung des Bundesrates die Mindestanforderungen nicht hinreichend ambitioniert und insbesondere nicht konsistent. So ist es nicht überzeugend, dass nach Anhang II Tabelle 1 des Verordnungsvorschlags Schweine nicht mit Futter in Berührung kommen dürfen, das mit aufbereitetem Wasser bewässert wurde, es sei denn, es ist durch hinreichende Daten belegt, dass die Risiken im spezifischen Fall beherrschbar sind. Eine derartige Regelung für andere Tiere oder den Menschen fehlt jedoch.
- 9. Neben den konkreten materiellen Schwächen des Verordnungsvorschlags ist zudem der hohe bürokratische Aufwand kritisch zu hinterfragen. Mit Genehmigungen, Überwachung, Information und Berichten entstehen zahlreiche neue und zusätzliche Aufgaben, deren Mehrwert nicht zu erkennen ist.
- 10. Gleichermaßen kritisch zu hinterfragen ist, dass durch die vorgesehene Ermächtigung der Kommission für delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte (Artikel 4 Absatz 3, Artikel 5 Absatz 3, Artikel 10 Absatz 3 und Artikel 11 Absatz 4 des Verordnungsvorschlags) ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten die Mindestanforderungen an die Wiederverwendung, die Anforderungen an das Risikomanagement sowie die Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit und zur Berichterstattung an die Kommission verändert werden könnten.
- 11. Außerdem erachtet der Bundesrat es nicht für sinnvoll, in fachlichen Einzelrechtsakten wie dem vorliegenden, eigene Regelungen über den Zugang zu Gerichten - jenseits der in der EU bereits geltenden und in Deutschland durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz umgesetzten Rechtsakte - zu implementieren.
- 12. Der Bundesrat erkennt das Bemühen der Kommission an, einheitliche Mindestanforderungen als Grundvoraussetzung für den erforderlichen Verbraucher- und Gewässerschutz zu schaffen. Die Einführung einer Genehmigungs- und Überwachungspflicht stellt in diesem Zusammenhang grundsätzlich eine geeignete Konzeption dar.
- 13. Der Bundesrat begrüßt, dass der Verordnungsvorschlag keine Verpflichtung zum Einsatz von Kommunalabwasser für die landwirtschaftliche Bewässerung enthält. In Deutschland wird dafür in aller Regel Grund- und Oberflächenwasser eingesetzt. Die Einleitung von gereinigtem Abwasser stellt für viele Fließgewässer aus ökologischer Sicht die bessere Alternative im Vergleich zur Bewässerung dar und entspricht einem nachhaltigen Grundwasser- und Bodenschutz.
- 14. Wegen der fehlenden Notwendigkeit in Deutschland, für die landwirtschaftliche Bewässerung auf aufbereitetes Wasser zurückzugreifen, sieht der Bundesrat es für erforderlich an, dass den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt wird, die Gebiete in ihrem Hoheitsgebiet zu bestimmen, in denen Wasserwiederverwendung für die landwirtschaftliche Bewässerung stattfinden darf. Dies sollte auch das Recht der Mitgliedstaaten einschließen, die Wasserwiederverwendung für die landwirtschaftliche Bewässerung in ihrem gesamten Hoheitsgebiet oder Teilen davon auszuschließen.
- 15. In Anbetracht der vielen bekannten, vermuteten und auch unbekannten Risiken hält der Bundesrat die Wiederverwendung von aufbereitetem Wasser für landwirtschaftliche Bewässerung für eine Ultima Ratio. Diese darf erst dann greifen, wenn eine aufgrund von rechtlich fixierten Kriterien festgestellte Wasserknappheit herrscht, alle Präventionsmaßnahmen zur Bewältigung von Wasserknappheit und Dürre ausgeschöpft sind, alternative Maßnahmen (wie Entsalzung oder Fernleitung) umweltschädlicher sind und der Endnutzer glaubhaft dargelegt hat, dass keine Nutzpflanze angebaut werden kann, die nicht oder weniger bewässerungsbedürftig ist. Der Bundesrat sieht es für erforderlich an, die Berücksichtigung dieser Aspekte verpflichtend in eine EU-Regelung aufzunehmen, um den Zugang zu aufbereitetem Wasser für landwirtschaftliche Bewässerung auf wirklich relevante Fälle zu beschränken.
- 16. Der Bundesrat sieht Klärungsbedarf hinsichtlich der Mindestanforderungen an die Wasserqualität und die Überwachung. Er bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Verhandlungen auf europäischer Ebene zu prüfen, ob die Zielvorgaben für die Aufbereitungstechnologie und die Überwachungsanforderungen grundsätzlich ausreichend sind, den in Deutschland geltenden strengen Gewässer- und Verbraucherschutz zu gewährleisten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Elimination abbaustabiler, boden- und grundwasserrelevanter Abwasserinhaltsstoffe, die Bildung von Desinfektionsmittelnebenprodukten und das Auftreten von Krankheitserregern, die möglicherweise nicht durch die wenigen ausgewählten Indikatororganismen abgedeckt werden.
- 17. In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat, auch im Hinblick auf den freien Verkehr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, europaweit möglichst hohe Mindestanforderungen an die Verwendung aufbereiteten Wassers für die landwirtschaftliche Bewässerung zu erreichen, um den Schutz der Gesundheit und der Umwelt sicherzustellen.
- 18. Die Beschränkung der Wasserwiederverwendung auf wirklich relevante Fälle landwirtschaftlicher Bewässerung erachtet der Bundesrat auch deswegen für wichtig, da die im Verordnungsvorschlag festgelegten Anforderungen unter dem üblichen Niveau der Abwasserbehandlung kommunaler Abwässer zurückbleiben und somit einen Rückschritt für die Umwelt darstellen. Dies würde auch die Gefahr bannen, dass sich der Betreiber einer Aufbereitungsanlage der regulären Aufbereitung des Abwassers entzieht.
- 19. Nach Auffassung des Bundesrates sollten Bestimmungen zur Information der Öffentlichkeit und zur Information über die Überwachung der Umsetzung der Verordnung so gestaltet werden, dass Mitgliedstaaten so lange von entsprechenden Pflichten ausgenommen sind, wie dort keine Wiederverwendung von Kommunalabwasser in der Landwirtschaft stattfindet. Die entsprechenden Bestimmungen verursachen dann unnötigen Verwaltungsaufwand für Bund und Länder, wenn keine Wasserwiederverwendung durchgeführt wird.
- 20. Er rät, eine Ergänzung der Informationspflichten um eine Erfassung in einem Kataster vorzunehmen, um insbesondere die genaue Ortslage der Bewässerung mit aufbereitetem Wasser zu dokumentieren.
- 21. Der Bundesrat regt an, Änderungen in der Lebensmittelkennzeichnung vorzunehmen, um gegenüber den Verbraucherinnen und Verbrauchern kenntlich zu machen, ob ein Lebensmittel von Pflanzen stammt, die mit aufbereitetem Wasser bewässert wurden.
- 22. Nach Auffassung des Bundesrates sollte in einer EU-Regelung berücksichtigt werden, dass der Endnutzer der Pflichtige für die Umsetzung rechtlicher Vorgaben bei der Wasserwiederverwendung für die landwirtschaftliche Bewässerung sein muss. Nur so ist:
- - die Gleichbehandlung mit Endnutzern von Grund- und Oberflächenwasser gewährleistet, die keinen Anspruch auf Bereitstellung von Grund- oder Oberflächenwasser in einer bestimmten Qualität und Menge haben, und
- - die Kohärenz zum Lebens- und Futtermittelrecht der EU hergestellt, da sich der Endnutzer einer Wassernutzung zum Zwecke der Lebens- bzw. Futtermittelproduktion bedient und somit die Einhaltung der Höchstgehalte nach Lebens- bzw. Futtermittelrecht eigenverantwortlich sicherzustellen hat.
- 23. Der Bundesrat stellt klar, dass ein Anlagenbetreiber, der nicht selbst Endnutzer ist, rechtlich und tatsächlich nicht in der Lage ist, die in den Anhängen zum Verordnungsvorschlag beschriebenen Vorsorgemaßnahmen und Auflagen umzusetzen oder auf die Schaffung der Rahmenbedingungen hinzuwirken. Der Anlagenbetreiber ist jedoch dafür verantwortlich, dass die Qualität des von ihm abzugebenden Wassers dessen bestimmungsgemäßer Verwendung bei Berücksichtigung der in den Anhängen zum Verordnungsvorschlag beschriebenen Vorsorgemaßnahmen und Auflagen durch den Endnutzer nicht entgegensteht.
- 24. Die Konzeption der vorgeschlagenen Verordnung zielt insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Überwachungsmodalitäten in erster Linie auf die quasi kontinuierliche Bewässerung großflächiger landwirtschaftlicher Kulturen in geringer Entfernung zu kommunalen Kläranlagen ab. In Deutschland sind jedoch auch künftig allenfalls kurzzeitige Bewässerungsphasen auf relativ geringen Flächenanteilen in größeren Entfernungen zu geeigneten Kläranlagen zu erwarten. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Rahmen der Verhandlungen auf europäischer Ebene die Praktikabilität der vorgeschlagenen Verordnung auf diese Situation hin zu überprüfen.
- 25. Der Bundesrat lehnt die vorgesehene Verankerung von Fristen für Genehmigungsverfahren und für die Überprüfung von Genehmigungen in der vorliegenden Form ab. Diese greifen in die Vollzugshoheit der Länder ein und sind für das Erreichen der Verordnungsziele nicht erforderlich.
- 26. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung ferner, im weiteren Verfahren darauf zu achten, dass unverhältnismäßige Regelungen und ausufernde Kosten vermieden werden.
- 27. Vor dem Hintergrund der nicht abschließenden Auflistung tatsächlicher und rechtlicher Fragen sowie der Unklarheiten bittet er die Bundesregierung, dem Verordnungsvorschlag in dieser Form nicht zu zustimmen.